The Song I Hate
D as ist der Song, den wir alle hassen, denn schließlich waren wir längst drüber weg. Keiner hat ernsthaft geglaubt, daß solche Songs, so fundamental antifaschistische Positionen noch einmal nötig sein würden. Aber doch: Die „Heiligen Lieder” der Böhsen Onkelz aus Frankfurt haben sich ohne Airplay und Promotion bis auf Platz Fünf der deutschen Verkaufscharts hochgearbeitet. Hunderttausend Plattenkäufer können sich nicht irren, und es können auch nicht genau die falschen hunderttausend sein, die sich NeonaziMetalpunk gekauft haben, wenn gar kein Neonazi drin ist (und ich will gar nicht vom farbpsychologischen Kalkül des LPCovers reden - das ist eben schwarz und rot und gold).
„Die Onkelz sind ein bißchen doof, aber eigentlich ganz o.k., jedenfalls keine Nazis.” Solche Antworten bekommt man von Freunden und Bekannten der Onkelz aus der Frankfurter Musikszene. Bekannte der Onkelz gehören auch zu meinem Bekanntenkreis. Es handelt sich hier selbstverständlich nicht um Neonazis, wie wir sie kennen, wie wir sie kannten. Das Phänomen Onkelz und Rechtsrock läßt sich mit folkloristisch-dämonisierenden Nazi-, respektive Faschismusbegriffen überhaupt nicht erklären. Das Phänomenale besteht eben darin, daß man seinen eigenen Augen und Ohren plötzlich nicht mehr trauen kann. Vertraute Bilder, vertraute Sounds, aber andere Vorzeichen. „Unsere” Musik, „unsere” Errungenschaften, „unsere” Attitudes - bloß alles unterm Hakenkreuz „Die Onkelz sind ein bißchen doof, aber eigentlich ganz o.k., jedenfalls keine Nazis.” In solchen Statements schwingt ein nachsichtig-mitleidiges Lächeln über die Hooldumpfheit der Band mit. Zugleich aber auch eine Hochachtung für den unerwarteten Erfolg, denn Erfolg ist schließlich über vieles erhaben, gerade in dieser Stadt. Der Nazi-Verdacht wird fast durchgängig relativiert oder abgelehnt. Die Onkelz hätten sich doch geändert, hätten sich von Jugendsünden distanziert.
So argumentiert Stephan Weidner, Songschreiber und nach allgemeinem Urteil „der Intelligenteste” der Band, und mit ihm nicht nur seine Frankfurter Freunde, sondern auch einer wie Wolfgang Spindler. Der war fast zehn Jahre verschollen und wurde nicht vermißt. Völlig unverhofft feierte der Mann vor ein paar Monaten ein massives Comeback als Rockkritiker der Frankfurter Rundschau. Als wäre nichts geschehen, strickt er seinen schon damals reaktionären, linksliberal rockistischen Jargon weiter (authentischer Handarbeits-Rock vs. künstlicher, synthetischer Seelenlos-Techno) und erzielt damit Lacherfolge. Das wäre weiter nicht bemerkenswert, denn von der FR kann auf diesem Gebiet nichts anderes erwartet werden (was wäre ein Samstagsfrühstück ohne die immer wieder lustige Rock-Rundschau mit ihren verzweifelten Bemühungen mitzuhalten, ohne Rockgrundwerte zu opfern?).
Was konnte man von einem FR-Kommentar zum Thema Onkelz erwarten? Das pflichtschuldige Mahnen, die korrekte, hilflose Empörung, vielleicht ein milder Boykottaufruf. Nix da. Auch Wolfgang Spindler besinnt sich darauf, daß er diesen antifaschistischen Pflichtsong haßt. Vor ihm liegen 1,5 Kilo Onkelz-Presse, und daraus strickt der Mann das „Medienphänomen Rechts-Rock”. Er greift tief in die Zitatund noch tiefer in die Trickkiste und entwirft ein verblüffendes Medienverschwörungsszenario, das mit dem Fazit schließt: „Wenn das Thema Rechts-Rock von der Bildfläche und von den Bildschirmen verschwindet, dann dürfte es verschwinden.” Auf dem Weg zu diesem überraschenden Resümee füttert Spindler den verdatterten, brav antifaschistischen FR-Leser mit Facts und Argumenten, die er aufs Verwirrendste zu kombinieren versteht: „Bis heute ist Rockmusik zu 99,9 Prozent antirassistisch. Der ,Weltmusiker’ Peter Gabriel steht auf Platz Eins der deutschen Charts, farbige Bands wie die Neville Brothers touren durch ausverkaufte Häuser, und Ethno-Musik ist nicht erst seit Paul Simon ein Kassenschlager. Aber wir lesen nun allermedien von der Frankfurter Punk-Band Böhse Onkelz, die ihren Ruhm auf sechsstelligen Verkaufszahlen gründet. ,Die Kultband verhöhnte mit faschistischen Texten Ausländer’, stand im Sportteil des ,Spiegel’.” (1) Daß Spindler hier Blödsinn schreibt, liegt auf der Hand, easy target: - Spindler verwechselt „nicht explizit rassistisch” mit „antirassistisch”.
- „99,9 Prozent”?
- Gabriel steht nicht als „Weltmusiker” auf Platz Eins, sondern als Ex-GenesisSänger und Darling der ökologisch verträglichen Geschmacks-Upper-Middleclass.
- Ethno-Musik IST erst seit Paul Simon ein Kassenschlager, de facto waren lediglich Simons „Graceland” und vergleichbare Acts wie die Gipsy Kings „Kassenschlager”.
- Die Onkelz sind keine Punkband mehr - Trotz und wegen seiner Fehler ist der Text wichtig, denn er führt exemplarisch die bedeutendste falsche Voraussetzung nicht nur der Onkelz-Debatte spazieren: das in diesem Zusammenhang immer wiederkehrende, sich einer professionellen Deformation und Lernweigerung verdankende Fundamentalmißverständnis, daß „Rockmusik” von Natur aus links sei, für immer. Auch klügere Leute als Spindler wollen von dieser Jugendliebe um keinen Preis ablassen. Der Thirtysomething wie du und ich kann sich eben nur sehr schwer mit diesen Gedanken vertraut machen, - daß Differenz plötzlich faschistisch und rassistisch codiert ist; - daß ein nachempfindbarer, d.h. via Erinnerung rekonstruierbarer Haß auf die Gesellschaft, auf die Eliten dieser Gesellschaft, nach all den Jahren einerseits immer noch in Rock, Metal, Punk Gestalt annimmt, andererseits mit faschistischen Versatzstücken operiert; - daß wiedererkennbar rebellische Attitudes nicht mehr auf jahrzehntelang gewohnte Art politisch (links, antirassistisch, korrekt) zuzuordnen sind.
Weil Spindler sich diesen, seine Identität mutmaßlich erschütternden Veränderungen nicht stellen kann, muß er die Onkelz zur Medienschöpfung herunterkomplimentieren. Damit ist „die Rockmusik” rehabilitiert, zu 99,9%.
My Generation
„Als Armutszeugnis für die Streitkultur der IG-Medien’ bezeichnete DGB-Sprecher Hans-Jürgen Arlt die Entscheidung (des Gewerkschaftstages der IG Medien, gegen DGB-Chef Meyer wegen seiner ProBlauhelm-Einsatz-Außerungen einen Ablösungsantrag zu stellen; K.W.). Der ,Welt am Sonntag’ sagte er, offenbar sei es ,der Kongreß-Mehrheit entgangen, daß die Zei-
ten vorbei sind, in welchen politische Positionen zu Glaubensbekenntnissen stilisiert’ und ,Andersgläubige’ abgesetzt würden.” (TAZ, im Oktober) Streitkultur also ist das Wort für die strafund folgenlose Adaptierbarkeit von „politischen Positionen”, für die Abschaffung von Verantwortung für politische Äußerungen. Nur weil „diese Zeiten vorbei sind” kann beispielsweise die SPD-Asyldebatte ungestraft den Verlauf nehmen, den sie nimmt, kann die Tatsache, daß die SPD auf die CDU-Position rückt, hinter ideologischem Nebel a lä „Streitkultur” verschwinden. Andersherum ist die einzige politische Äußerung, die sich der allgemeinen Folgenlosigkeit entzieht, die glaubensbekenntnisfreie Anything Goes-Beliebigkeit verletzt, die profaschistische.
„Mit scheinheiligen Liedern erobern wir die Welt”, singen diese Herren. Ob die Böhsen Onkelz nun mit denWölfen ziehen, „in die Heimat der Helden”, oder immer nur das Eine denken, wenn sie zusammen sind: „daserste Blut / dein erstes Blut / ich kann nicht länger warten / schenk mir dein erstes Blut mag belanglosblöde sein. Zum Erfolg der Fascho-Band gehört, daß sie nicht mehr ganz so direkt wie früher tönen („Dreckige Türkenfotze” etc.). Die sehen gar nicht wie Nazis aus? „Was gesagt werden mußte, wurde gesagt.”
Auf unerwartete und makabre Weise ist jetzt quasi in Umkehrung des alten MarxHits von der Wiederholung der Geschichte als Tragödie wahr geworden, was als reale Farce und hübsche Theorie vor 15 Jahren ein untergeordnetes Punk-Erklärungsmuster war: Punk, so wurde damals (unter anderem) gesagt, ist die Rebellion der gelangweilten Kids gegen ihre fett und faul gewordenen 68er-Eltern. Was damals nur ein kleiner Nebenstrang war, den man gern mitgenommen hat, das ist erst heute gesellschaftliche Realität. Erst heute, also seit einigen Jahren hat sich „die 68er Generation” real so weit und breit durchgesetzt, wie Punk das damals prophetisch/ prophylaktisch behauptet hatte (2). Wer hätte 77/78 ernsthaft geglaubt, daß der Marsch in (nicht: durch) die Institutionen tatsächlich so erfolgreich verlaufen würde, karrieretechnisch betrachtet? Frankfurter 68er und Nach68er („78er”, Singles, die sich zu schnell drehen) sind heute Minister, Dezernenten und TV-Stars. Oder sie verfassen als Chefredakteure staatsmännelnde Editorials, in denen sie rechtsradikale Übergriffe primär deswegen verurteilen, weil sie die ökonomisch-logistischen „Standortvorteile” der multikulturellen Metropole FFM im internationalen Wettbewerb gefährden könnten. So spricht ein ehemaliges Mitglied eines Sponti-AStAs unter Führung von, wenn ich mich recht entsinne, Reinhard Mohr, dem alten 78er.
Was hat das alles mit den BöhsenOnkelz zu tun?
Die Geschichte der Böhsen Onkelz ist auch die Geschichte eines konsequent zu Ende gedachten Frankfurter Mißverständnisses.
Die Onkelz waren nämlich eine der wenigen Franfurter Punkbands der ersten Stunde (remember: Punk und Skin waren damals - und sind auch heute - nicht antagonistisch, es gab eine starke linke Skintradition in England, die hier mitrezipiert wurde. Es gab das antirassistische SkaRevival mit schwarz/weißen Bands wie den Specials, das rassistische Skins zu hijacken versuchten. Die Rechten favorisierten Madness, gegen deren Willen, einfach weil sie weiß waren. Madness zeigten bei dieser Gelegenheit auch, daß und wie man sich gegen eine Vereinnahmung von rechts wehren kann, wenn man denn will, Herr Weidner). Punk in Frankfurt bestand 77/78 zu einem guten Teil aus Hippie-Bashing auf dem Flohmarkt. Korrekte, identitätsstiftende Abgrenzung, wie eben Punks überall auf der Welt Hippies geärgert und bekämpft haben. Mit dem entscheidenden Unterschied, daß Hippies in Frankfurt politischer und dadurch langlebiger waren als in anderen deutschen Großstädten.
Bis Ende der Siebziger stellten Hippies („Spontis”) das dominierende und attraktivste Gegenmilieu in dieser Stadt. Länger als anderswo waren sie im Besitz von Politik UND Musik, Sex, Schönheit, Drogen, Straßenfights, Medien, Infrastrukturen, Lo-
cations und allem, was man so braucht, wenn man den gesellschaftlichen Konsens verläßt. Länger als anderswo hielt sich in Frankfurt auch unter halbwegs vernünftigen Leuten das Gerücht, Punk sei faschistisch (schon der kurzgeschorenen Haare wegen). Erst Ende der 70er sprach sich in dieser Szene herum, daß die beste Musik, Mode, Politik, Drogen etc. jetzt bei Punk (zu diesem Zeitpunkt bereits „New Wave”) zu haben sind. Und selbstverständlich nutzten diese Leute ihre Erfahrungen, um gleich eine Struktur aufzubauen. Ausgerechnet in der von Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer mitbetriebenen Karl Marx-Buchhandlung wurden die ersten Punksingles verkauft, was groteske Culture-Clashs und die Festschreibung von Mißverständnissen zur Folge hatte. Ausgerechnet im internationalen Sponti-Zentrum im Gallusviertel organisierten Musiker von Toto Lotto (aus dem arty Sponti-Flügel) „Punk&ReggaeDiscos”. Im Gallus-Zentrum, später in der Batschkapp, seinerzeit noch Abspielstätte für alternative Theatergruppen, wo beispielsweise Matthias Beltz erste Schauspielübungen unternahm, etablierten sich Punk/New Wave-Abende. Ein Teil der alten Sponti/Hippieszene entdeckte also ein neues, attraktiveres Milieu, absolvierte eine paradigmenwechselnde Wiedergeburt und behauptete auf diese Weise seine subkulturelle Hegemonie (für diese Seitenwechsler hätte der zu spät geborene 68er Reinhard Mohr seine drollige Erfindung von den ,78ern’ verwenden können).
Diesen gewaltlosen subkulturellen Putsch meint Stephan Weidner, wenn er sagt: „Hippies haben Punk kaputtgemacht, in eine politische Richtung gedrängt.” Für ihn und die anderen Punks der ersten Stunde war Punk primär Anti-Hippie, AntiHippie-Establishment. Und in Frankfurt war das Hippie-Establishment links und linksintellektuell, also waren diese Punks gegen Linke und gegen Intelligenz. Carefully designte Biertrinker-Dumpfkopf-Nofuture-Attitudes von englischen Punkbands kopierten sie so gründlich, daß es eben keine Attitudes mehr waren, sondern das ganze, richtige, öde Leben. Wo andere deutsche Punkszenen eigene Sprachen, Intelligenzen, Organisationsstrukturen etc. entwickelten, hat sich die Frankfurter Urpunkszene ex negativo definiert: keine Sprache, keine Intelligenz, keine Politik, keine Organisation. Klassischer Fall von Kindmit-Bad-ausschütten.
Oberhalb dieser Szene richtete sich in Frankfurt ein überaltertes, post festum ungründlich konvertiertes New WaveEstablishment ohne künstlerische oder politische Bedeutung ein. Keine einzige Frankfurter Band hat seit 77 etwas für Deutschland Relevantes produziert, bis zu den Onkelz. Das ist kein Zufall. In Hamburg gab es von Anfang an linksradikale Punkbands wie Slime, die heute ein issuebedingtes Revival erleben. Es gab Abwärts (“Wir leben im Computerstaat”, das hätte eine Frankfurter Band gar nicht machen können, aus lauter Angst mit der noch in control befindlichen, zu bekämpfenden Hippie-Väter-Generation verwechselt zu werden). Es gab Alfred Hilsbergs Labels und es gab den Artschoolzweig um Palais Schaumburg und die Zimmermänner. Es gab „Sounds” und ein politisches Popbewußtsein. Düsseldorf hatte Atatak, die Fehlfarben, den Plan und die Ur-Toten Hosen. Berlin hatte das Zensor-Label, die Neubauten, Butzmann etc., in Köln wurde eine Musikzeitung gegründet. Und Frankfurt? Hatte Markus: „Gib Gas, ich will Spaß”.
Nirgendwo sonst war die alte Spontilinke so lange so dominant als Immer-NochJugendkultur und konnte ihre Ablösung durch eine nächste Generation verhindern In Frankfurt hat das funktioniert, die wenigen Punks ließen sich auf ihre eigene schmale Nebenlegende („dumpfe, faschistoide Prollhools”) festnageln und dadurch (fast) abschaffen(3).
Tanz den Böhsen Onkel
Überlebt und gegen jede Erwartung als Wiedervereinigungskriegsgewinnler triumphiert haben die Onkelz: „Wir waren schon immer etwas kräftig, am Tresen waren wir zu Haus.” Über die Jahre haben sie auf ihrem Level weitergemacht, hatten ihre Fans hinter der Mauer und im deutschen Skinuntergrund (schon auf ihren ersten Platten danken die Onkelz ihren Ost-Fans). Bis zur historischen Wende. Da waren es halt die Onkelz, auf die sich aktive und passive depravierte Jugendliche in Ost und West geeinigt haben. Denn auch die wollten sich die Chance nicht entgehen lassen, ihr häßliches Gesicht im Mainstream abgebildet zu sehen (so wie sich die andere, ,unsere’ Seite über Nirvana im Overground freut und erst recht über ,Grunge’-Artikel im Spiegel). Da hatten die Onkelz die besten Chancen. Als sie tatsächlich in den Top Ten waren, war es natürlich zu spät, um zu sagen, daß das doch alles nur ein Mißverständnis war, ein bißchen Hippiebashing just for fun, ein paar derbe Scherze „Ich hasse die deutsche Mentalität”, hat Weidner neulich gesagt. Das glaube ich ihm, denn er haßt diffus rechtsanarchistisch sowohl den klassischen autoritären deutschen Spießer als auch den verspießerten Post68er (4). Vor Onkelz-Konzerten läuft Body Count’s „Cop Killer”. Noch so eine Schieflage: „Cop Killer” ist wahrscheinlich dasjenige HipHop-Stück, (das gar keins ist, denn es stammt von der Metalband des Rappers Ice-T), das die meisten HipHophassenden oder HipHop-nicht kennenden Post-68er vom Hörensagen kennen, weil es politisch-rebellisch ist auf eine Weise, die mit ihrem Politikbegriff und ihrer Rebellenvergangenheit konveniert. So verkaufte beispielsweise die FR ihren Lesern „Cop Killer” als von Ice-T gesungenes(l) Rap-Stück(l), das Polizeigewalt anprangert(!), goldisch, wo es doch einfach ein Stück Metal-Copkiller-Rollenprosa ist.
„Cop Killer” bei Onkelz-Konzerten dagegen meint Hool. Ich habe einmal in meinem Leben eine Massenschlägerei von Eintracht-Fans und FCK-Fans miterlebt, auf einem riesigen Parkplatz am Fuß des Betzenbergs. Das vorangegangene Bundesligaspiel war friedlich und unentschieden ausgegangen. Es gab keinen erkennbaren Grund für die Massenschlägerei, außer der Massenschlägerei. Später wurde mir erklärt, daß solche Scharmützel dazugehören und daß sie außerordentlich ritualisiert und nach strengen Regeln vonstatten gehen. Eben wie ein Rugby-Match oder eine Stunde „Explosiv” oder „Einspruch” oder die „Gongshow” oder „Alles Nichts Oder!”. Hier liegt ein weiterer Grund für den Erfolg der Böhsen Onkelz. Elemente von Hool (und Camp) werden mehr und mehr vom Medien-Mainstream aufgegriffen, notwendigerweise unter Umwertung oder Aushöhlung ihres ursprünglichen Charakters. Hool-Attitudes im TV werden kosten- und folgenlos adaptabel bzw. konsumabel. Positionen und Haltungen kursieren „postmodern” freier, sind also weniger oder überhaupt nicht mehr tabuisiert. „Ich hab’ mir grad’ nochmal die Onkelz reingezogen”, meinte neulich vorm Fußballspiel ein 20-jähriger Bekannter mit rotem Zopf, buntem Jeep und antirassistisch korrekt, der lieber Onkelz, Nirvana und Pixies hört als „Radiomusik”. Die Onkelz liefern den Soundtrack zur fröhlichen Hool-Simulation. Onkelz-Musik funktioniert da wie Funpunk, Metal oder Chili Peppers - Hormonhool. Wer gegen diese Funktion faschistoide Texte oder Nazi-Gefolgschaft anführt, der wird schnell zum prüden linken Spielverderber.
Das Motiv des linken Spielverderbers ist nicht neu. Wir hatten es beim Punk (s.o.), bis dieser mit Initiativen wie „Rock Against Racism” als politisch korrekt enttarnt wurde. Spannender ist das Spielverderbermotiv in der Disco. Bis zum heutigen Tag haßt die trad-rockistisch „links” fühlende Kritik „Disco” in all ihren Inkarnationen, gegenwärtig in Form von „Rap”, „HipHop” und - der Teufel höchstpersönlich - „Techno/Tekkno”. Das Vokabular des Horrors ist geblieben („Stumpfsinn”, „Monotonie”, „Künstlichkeit”, „Verlogenheit”...), desgleichen der (krypto-)rassistische Unterton, der unterschwellige Schwulenhaß und der kaum verhüllte Klassendünkel, denn Dancefloor ist doch eher für Dumme. Vor diesem Hintergrund ist die Rolle der Onkelz in der Frankfurter Dance-Szene besonders interessant. Es gibt freundschaftliche Beziehungen zwischen Weidner und
Dance-Aktivisten wie Markus Löffel, Dag Lerner (siehe (1)) und Sven Väth, der sogar beinahe mit Weidner in Bio’s Boulevard aufgetreten wäre, what a pity. TechnoClub-DJ Lerner, der heute einen kruden Indianer-Schamanen-Kult propagiert, wie wir ihn ganz ähnlich aus Spät-Spontizeiten kennen, gehörte zur Flohmarkt Skin-PunkSzene. Eine Onkelz-Party stieg kürzlich im XS, Frankfurts uptodatestem DanceClub. Zwei glatzköpfige Onkelz-Supporter arbeiteten lange als Türsteher im „Plastik”.
Vergleichbar mit der Postpunk-Situation hat sich in einigen deutschen DanceAktivisten-Communities in den letzten Jahren ein politisches, anti-rassistisches Bewußtsein entwickelt. Ausgerechnet die Dance-Hochburg Frankfurt macht da eine Ausnahme. Wenn sie doch mal politisch werden, dann kommen so benettoneske Desaster heraus wie der Sampler „No more ugly germans” (mit Väth, Löffel u.a.), und die Linke lacht. Umgekehrt verfestigen sich Mißtrauen und Haß gegen „Intellektuelle” in der Danceszene. Diesen als Haß auf ungroovy Spielverderber codierten Klassenhaß hat es in Frankfurt schon immer gegeben, im Dance-Sektor und - siehe oben - in der Frankfurter Punkgeschichte (ich weiß, Klassenhaß ist ein großes Wort, aber viele Dance-Aktivisten kommen von unten und sind stolz auf ihren Aufstieg).
Man kann also den kommerziellen (und politischen) Erfolg der Onkelz ebenso wie den von Snap!, Väth und anderen als späte kapitalistische Rache am linken Frankfurter Spielverderber lesen.
Klaus Walter
1 „Sportteil” meint hier - lustig, lustig - ein SpiegelInterview mit Anthony Yeboah, wo dieser gefragt wird, ob er die Böhsen Onkelz kenne. Er kennt sie nicht. Kleine Pointe nebenbei: Anthony Yeboah steht auf der Thankslist der neuen „Dance 2 Trance”-LP „Moon Spirits”. Dance 2 Trance ist das Projekt des Frankfurter Dance-Produzenten Rolf Eimer (Jam El Mar) und des Techno Club-DJs Dag Lerner, der wiederum aus der selben Frankfurter Ur-Punk/Skinszene stammt wie Teile der Onkelz. Und OnkelzKopf Weidner spielt auf „Moon Spirits” Gitarre.
2 Der Begriff „68er Generation” meint längst nicht mehr bloß die wirklichen linken Aktivisten der Jahre 67 bis 71. Er wird zunehmend benutzt als Name für eine diffus im Aufbruch befindlich gewesene Generation, die andere sexuelle, politische und halluzinogene Präferenzen hatte als ihre Vorgänger. Wie man diesen entpolitisierten Begriff machtpolitisch besetzen und instrumentalisieren kann, das zeigt exemplarisch der Erfolg der Clinton-Kampagne. Clinton sprach pausenlos von „unserer Generation”, die nunmehr in die Schaltstellen der Macht drängen müsse. Sein Kampagnensong war „Don’t stop (thinking about tomorrow)” von der weltgrößten Kokserband Fleetwood Mac. Der „Rolling Stone”, selbst eine Erfindung der späten 60er, hob Clinton in Erlöserpose als Mischung aus Kennedy und Popstar aufs Cover, die generationsübergreifende MTV-Generation besorgte den Rest. Während dieser Kampagne konnte man deutlicher denn je erleben, daß die 68er die erste Generation ist, die niemals altert. Sie haben in den 60ern die Jugendkultur erfunden, sie nie wieder hergegeben und damit wieder abgeschafft. Sie haben das Monstrum „AOR” erfunden, den „Erwachsenen-Orientierten-Rock”. Der Fleetwood Mac-Song stammt übrigens aus dem supererfolgreichen Album „Rumours”, dem Prototyp des AOR.
3 Die meisten Leute aus dieser Szene sind längst wieder Privatiers, manche Sozialfälle. Was die noch Aktiven und ihre Nachkommen aus dieser Geschichte treiben, das dokumentiert Erich „Eric Hysterie” Knodts Orgasm Records-Label (z.b. „Happy On Your Side” - The Orgasm Records Compilation, noisy Dilettanten-Funpunk).
4 Die Art, wie ein integerer Liberaler (und Schwuler!) wie Alfred Biolek in seiner Talkshow mit Weidner umgeht, ist symptomatisch für die kontraproduktive Hilflosigkeit, mit der diese Kaste an dem Problem scheitert. (Wobei die Frage bleibt, ob es denn überhaupt eine andere Vorgehensweise geben kann, in diesem Rahmen.) Biolek ist gut präpariert. Nicht aggressiv, aber ungewohnt ernst. Er weiß, daß die Texte der Chart-LP „Heilige Lieder” nicht per se faschistisch sind, aber daß man sie im richtig-falschen Kontext so auslegen könnte. Weidner gibt den beleidigten Mißverstandenen, der keine Interviews mehr gibt (außer Bio, „ist ja ,ne einigermaßen seriöse Sendung”), weil Journalisten eh’ gescheiterte Musiker und Idioten sind, was ein geladener antifaschistischer Onkelz-Rechercheur umgehend bestätigt. Weidner erzählt von seinen Punkzeiten, was Biolek zu der verwirrenden Erklärung verleitet, die Punks seien doch so ,ne Art Fortsetzung der Hippies mit anderen Mitteln gewesen. Darauf sagt Weidner jenen Satz, den man als Schlüssel zur Onkelz-Success-Story verstehen kann, der Biolek allerdings entgeht: „Die Hippies haben Punk kaputtgemacht, politisch in eine Richtung gedrückt.” Und: „Ich mag keine politischen Extreme, weder rechts noch links.” Nachdem Biolek seine ernste Viertelstunde mit dem leicht verstockten Weidner hinter sich gebracht hat, ist alles wieder wie sonst bei Bio. So richtig kontraproduktiv wird die antifaschistische Übung, als zwei Typen von den Angefahrenen Schulkindern zur Gesprächsrunde stoßen. Auch die haben skandalisierte Platten gemacht („Tötet Onkel Dittmeyer”, „I wanna make love to Steffi Graf”), aber die Atmosphäre ist ganz anders. Ein superlustiger Django EdwardsClone mit superlustigem Bunt-Sakko, ein gespieltgestrenger Bio (Weidner wurde gesiezt, die Angefahrenen Schulkinder werden geduzt, der Unterschied zwischen bösem und liebem Funpunk, wobei sich die A.S. wahrhaftig als „Kabarettisten” bezeichnen, die Onkelz vermutlich als Rockband). Ein Scherz jagt den andern, über den Graf-Clan kann man ja auch prima scherzen. Alle lachen, bloß Weidner guckt böse. Womit er natürlich völlig recht hat. Denn gegen dieses Establishment war er mal angetreten, gegen diesen freundlichen Späthippie-IntellektuellenFilz, der ihn und seine Freunde mitleidig lächelnd ausmanövriert. Gegen den linksliberalen Mainstream standen einst die Onkelz wie die Toten Hosen, bloß daß Campino heute prima Bio-kompatibel ist (und Weidner ernster genommen wird, als er breit ist). Bei Bio spielt (spielt? ist?) er den bockigen Punk, der nix damit zu tun hat. Und natürlich findet man das in diesem Moment korrekt. Als dann noch der Vorschlag kommt, die Onkelz sollten doch, um ihre antifaschistische Sauberkeit zu dokumentieren, einen Song mit Udo Lindenberg aufnehmen, da hat es Weidner ganz leicht: „Der ssingd so schlescht.” Was unter anderem beweist, daß man Antifaschismus auf keinen Fall Udo Lindenberg überlassen darf.