Zusammenschluß ohne Ausschluß macht einfach keinen Sinn. Und natürlich folgt diese Definitionssuche den gleichen Kriterien, das heißt, auch der Ausschluß wird völkisch gedacht. Definiert, also ein- und ausgeschlossen, wird nach dem, was unter dem Begriff „deutsches Volk” verstanden wird. Ein historischer Entwicklungsmythos sowie die Behauptung irgendwelcher substantieller biologischer Unterschiede verbindet sich im völkischen Denken zur Begründung nationalstaatlicher Barrieren. Schließlich sollen nicht auch noch Polen auf den Gedanken kommen, als Brüder und Schwestern was vom westdeutschen Wirtschaftswunder fordern zu können.

Todfeind Nummer 1 eines solchen Denkens war und ist der Kommunismus. Er versuchte, zumindestens in seiner frühen Phase, die Welt nicht nach völkischen und auch nicht nach nationalen Kriterien zu gestalten. Vor seiner Niederlage und sukzessiven Angleichung an die Werte der nationalstaatlich vermittelten Ungleichheit, der kapitalistischen Vergesellschaftungsweise, appellierte er an die emanzipativen Bedürfnisse und die sozialen Interessen der Menschen - ungeachtet ihrer zufälligen Herkunft und Möglichkeiten. Er unterbrach die Genealogien der HerrschaftsD ie innere Homogenisierung der zwei Nationen von BRD und DDR zu einer gemeinsamen wurde über den als grundlegend erachteten Volks-Mythos betrieben. Dieser biologisch gemeinte Volksbegriff begründete die Auflösung der DDR und deren Einschluß in die BRD. Er findet sich allenthalben, etwa in der organischen Metapher des damals schon greisen sozialdemokratischen Führers: Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört. Der hohle Spruch wurde zum alle politischen Lager übergreifenden Glaubensbekenntnis von Volkskörperkultur und Einheitspolitik. Er war so etwas wie die Eintrittskarte, um öffentlich überhaupt mitreden zu dürfen. Auch im Ausland wurde er gehört. In Kaliningrad oder an der Wolga etwa, wo sich viele angesprochen fühlen und deutsche Außenpolitik nun versucht, das Mißverständnis aufzuklären, ohne den Anspruch auf gewisse Gebiete aufzugeben.

Den Einschluß der DDR in die BRD begleitete logischerweise die Debatte um das, was auszuschließen sei. Einschluß, geschichte, die Konkurrenz- und Kriegsideologien der „Völker” und Nationen, bevor er sie sich selbst zu eigen machte, deswegen überflüßig wurde und endlich nach außen auch seine Niederlage eingestand. Die Erinnerung an die Ideale der sozialen Revolution, an die uneingelösten Utopien des Kommunismus (in seiner patriarchalen Partei- und Staatsgestalt karikiert) sind das erste, was in der positiven Volksgenealogie der erweiterten Bundesrepublik nichts mehr zu suchen hat. Die kriminalisierten SED-Funktionäre gelten als Landesverräter, Verräter am deutschen Volksgedanken. Sie gehören nicht zum „Volk”, da sie für die Unterbrechung der Genealogie, die Aufteilung in zwei Staaten, verantwortlich gemacht werden. Deswegen wird ihnen der Prozeß gemacht und wegen nichts anderem.

Das „Volk” selbst wird von jeder Verantwortung für den Verlauf der Geschichte in Ostdeutschland entbunden. Die Absolution erteilte der Westen. Es ist der zweite Persilschein, den die Bevölkerung im Osten erhielt. Den ersten teilt sie sich mit der im Westen. Der wurde im Westen wie im Osten zwar recht unterschiedlich vergeben, läuft aber auf dasselbe hinaus: mit dem Nationalsozialismus hat die Bevölke-

rung hüben wie drüben eigentlich nichts zu tun gehabt, ja im Grunde war man Opfer, wofür dann die Trennung in DDR und BRD stand. Mit dem Wegfall der inneren Grenze brach in Deutschland endgültig ein äußerlicher, die Staaten in Abgrenzung zum nationalsozialistschen Vorläufer legitimierender Bezug zusammen.

Da die DDR eine Bevölkerung hervorbrachte, die sich nichts sehnlicher wünschte, als an den westdeutschen Konsum und Leistungsstandard herangeführt zu werden, erfolgte der Zusammenschluß nach westdeutschen Vorgaben. Hätte die BRD zu Lebzeiten der DDR diese völkerrechtlich anerkennen müssen, wären die chauvinistischen Klauseln im Grundgesetz, der völkische Herrschaftsanspruch auf Mensch und Boden im Osten entfallen. Hätte die DDR-Führung andererseits mit der Parole „Zwei Staaten, eine Nation” und mit dem Status „Nationalität: deutsch” und „Staatsbürgerschaft: DDR” in den Reisepässen nicht immanent darum konkurriert, dann hätten die zwei Staaten anders miteinander verfahren können, als das eine „Volk”.

Statt dessen durchsetzte der völkische Einigungsgedanke der Ost- und Westdeutschen die sozialen Verhältnisse in der erweiterten Bundesrepublik. Die vermeintlich wiedergewonnene historische Unschuld erlaubte es den politischen Eliten im Zusammenspiel mit rechtsextremen Basis-Bewegungen, die Verhältnisse im Inneren grundlegend zu rassifizieren. Die bundesdeutsche Öffentlichkeit duldete in der nationalen Frage bis zu den Vorkommnissen in Rostock und Peenemünde 1 keinen Widerspruch.

In der Konstitutionsphase der neuen Bundesrepublik, dem beginnenden Auflösungs- und Eingliederungsprozeß der DDR, artikulierte sich von grün bis schwarz kein Protest gegen die völkisch legitimierte Homogenisierung der zwei Staaten. Die Kamarilla der Arschkriecher, die vielen kleinen Teitschlandfunzeln in den diversen Vereinen und Verbänden, Pressestäben und anderen Institutionen bramarbasierten auch ohne administrative Verordnungen von oben nach unten, was eine besinnungslose Bevölkerung als Rechtfertigung für Mord und Totschlag interpretierte. An den vom deutschen Volksgedanken Ausgegrenzten und deren Verfolgung wurde die innere Einheit vollzogen. Und alle, und wirklich alle außer den fünf Autonomen, zwei Christen-Pfarrern und ein paar Links-Intellektuellen, hatten sie die letzten zwei Jahre „berechtigte Ängste vor den Fremden” und Verständnis für die Taten ihrer Volksgenossen geäußert.

Mittlerweile hat sich der Rechtspopulismus in seiner versimpelten, antikapitalistischen Tradition subkulturell und organisatorisch in der Bundesrepublik selbständig gemacht. Er droht, das von den AltParteien getragene staatliche Machtgefüge auszuhebeln. Erst diese Gefahr (verbunden mit der in Peenemünde und Rostock aufscheinenden Möglichkeit, einzelne sehr wesentliche Machteliten und Teile der Beamtenschaft könnten einer faschistischen Entwicklung nicht abgeneigt sein) alarmierte das liberale Spektrum in den nationalen Alt-Parteien. So zerbrach zum zweiten Jahrestag des Einschlusses der DDR der bis dato allumfassende national-völkische Konsens. Politiker aller Parteien riefen zum Protest gegen Ausländerfeindlichkeit, die Medien schraubten ihre rassistische Propaganda zurück. Nicht jeder rassistisch motivierten Gewalttat wird mehr ein Kommentar zur Verschärfung des Asylrechts hinterhergeschickt. Und es sind nicht nur die Reaktionen des Auslands, um die man sich bei verbrannten Ausländern nun sorgt.

Die von oben und unten in totalitärer Übereinstimmung betriebene völkische Homogenisierung Deutschlands hat einen faschistischen Schub bewirkt, dessen Tragweite derzeit für Staat und Gesellschaft noch nicht abzusehen ist. Ideologisch mögen manche der alten Macht-Fraktionen der neuen Rechten sehr nahe stehen. Dennoch gab und gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen einer nationalen Erneuerung in Deutschland. Die von allen Alt-Parteien nach Rostock geforderte Verteidigung des Gewaltmonopols des Staates gegenüber der völkischen System-Opposition verdeutlicht dies. Schon aus Gründen des Selbsterhalts müssen sie ein weiteres Ausbreiten rechtsextremer Tendenzen in den staatlichen Apparaten unterbinden.

In der erweiterten Bundesrepublik stehen sich auf absehbare Zeit zwei große rivalisierende Blöcke gegenüber. Der sich

erst formierende völkisch-autoritäre, der aber eine Faschisierung der Bundesrepublik nicht allein von unten betreiben kann und auf Bündnispartner im derzeit herrschenden, dem national-demokratischen Block angewiesen ist. Der Weg zum Erfolg der Rechtsextremen führt über die Spaltung der alten Machteliten. Als Hebel dient die Auseinandersetzung um das Menschenrecht auf Asyl, ein Einwanderungsgesetz und die künftige Definition der Staatsbürgerschaft in Deutschland. Die Rechten versuchen die völkische Einheitsideologie bei der inneren Neugestaltung der Bundesrepublik durchzusetzen. Die nationale Linke muß hierbei gegen ein Schema argumentieren, das sie beim Einschluß der DDR selbst favorisierte. Ihre Schwierigkeiten damit sind unübersehbar, und sollte die große Koalition von Union, Frei- und Sozialdemokraten ihre bisherigen Vorstellungen beibehalten, dann säßen die Rechtsextremen, wie sie es behaupten, tatsächlich schon auf der Regierungsbank. Die völkische Neuordnung im Inneren Deutschlands könnte mit staatlicher Systematik beginnen.

Noch ist es nicht so weit. Aber auch so ist derzeit ein Ende der rassistisch motivierten Anschläge nicht in Sicht. Je nach sozialer Stellung und Wohnort schwankt die Situation für „Ausländer” in der Bundesrepublik zwischen gerade noch erträglieh und lebensbedrohlich. Insbesondere Sinti und Roma sind erneut Objekt einer sich anbahnenden, staatlich sanktionierten Verfolgungs- und Vernichtungspraxis. Das kürzlich in Kraft getretene deutsch-rumänische Deportationsabkommen weist in diese Richtung. Sinti und Roma werden nicht nur in der Bundesrepublik diskriminiert. In keinem Staat verfügen sie über eine einflußreiche Lobby, die ihnen die gleichen Bürgerrechte garantieren würde.

Die von Rassismus und Antisemitismus bedrohten Bevölkerungsgruppen in der Bundesrepublik reagierten recht unterschiedlich auf die jüngste Entwicklung. Soweit es ihre soziale Situation zuläßt, ziehen sich viele ins vermeintlich sichere Privatleben zurück und versuchen, möglichst wenig aufzufallen. Andere haben sich, als sie merkten, daß der Staat sie nicht zuverlässig schützt, zusammengetan, und so erhöhte sich zuletzt das Risiko für rassistsiche Angreifer, selbst etwas abzubekommen. Es sind Ansätze vorhanden, das Mitspracherecht aktiv zu nutzen und aus der rassistisch zugedachten Rolle eines passiven Opfers zu treten.

Sämtliche von der sozialen Norm abweichenden Minderheiten sind durch die Rechtsextremen gefährdet. Die Linke in der Bundesrepublik sollte aber nicht vergessen, daß die rassistisch Diskriminierten umfassender und in anderer Weise verfogt und bedroht sind, als sie selbst. Solidarität würde heißen, diese Differenz zum Maßstab für linke Politik zu machen. Für die autonome Linke ist es angebracht, sich über geeignete Selbstschutzmaßnahmen Gedanken zu machen, ohne sich ein weiteres Mal in den Untergrund abdrängen zu lassen. Die bei militärischen Zirkeln der neuen Rechten gefundenen Todeslisten sind ernstzunehmen, ebenso daß die Polizei in Rostock und an anderen Orten gegen Volksgenossen nicht das praktiziert, was sie an der bundesdeutschen Linken in den letzten Jahren so verbissen eintrainierte.

Andreas Fanizadeh

1 Im Unterschied zu vorherigen Skandalen, bekam die bundesdeutsche Fernsehöffentlichkeit die Bilder aus Rostock frei Haus geliefert. Nachdem sich die Polizei ohne ersichtlichen Grund vor der Menge zurückzog, zündete diese die Flüchtlingsunterkunft an. Die Polizeileitung wußte, daß sich noch über hundert Vietnamesen im Gebäude aufhielten. Fast wären sie samt einem Kamerateam des ZDF verbrannt. Nach Rostock herrschte im Ausland und erstmals auch bei relevanten politischen Kreisen im Inland Empörung über eine die Rassisten begünstigende Polizei. Allerdings äußerten die Regierenden in Bund und Land immer noch Verständnis für die „Fremdenfeindlichkeit” und rechtfertigten die Tat indirekt, indem sie weiter vom „Asylmißbrauch” schwafelten.

Wenig später wollte die bundesdeutsche Luft- und Raumfahrtindustrie unter Schirmherrschaft des bundesdeutschen Wirtschaftsministeriums in Peenemünde eine kleine Feier abhalten. Spitzen aus Staat und Wirtschaft wollten zusammen den Abschuß der V2Rakete während des zweiten Weltkrieges auf London und Antwerpen begießen. Die Absicht, nun auch noch positiv an die militärpolitische Tradition NaziDeutschlands anknüpfen zu wollen, stieß im Ausland auf Empörung. Als termingerecht auch noch die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen abbrannte, wollte man dem Ausland nicht auch noch Peenemünde zumuten, und das Ministerium mußte seine offizielle Beteiligung am geschichtsrevisionistischen Klassentreffen zurücknehmen.