Der gute U-Boot-Fahrer
Aufgeregt mischt das bundesdeutsche Feuilleton in diplomatischen Angelegenheiten mit, um sich wichtig zu machen. Als in den Sommermonaten Kohl- und Major-Regierung wegen der Währungspolitik der Bundesbank über Kreuz lagen, beeilte es sich, seinen Beitrag zur Aburteilung der vermeintlichen Deutschfeindlichkeit der Briten zu liefern. Der Autor Robert Harris gab mit seinem Roman „Fatherland" den notwendigen Anlaß, um über „frivole Geschmacklosigkeit", „Verharmlosung" der NS-Diktatur und das falsche „Deutschlandbild" jenseits des Kanals zu schwadronieren. Kein Verleger in Deutschland mochte die Ubersetzungsrechte des UK-Bestsellers erwerben, so daß sich der Züricher Verleger Haffmanns von dem im voraus skandalisierten Buch ein Schnäppchen auf dem deutschsprachigen Buchmarkt versprach.
D aß mit „Dritte Reich "-Literatur massig Geld zu machen ist, haben deutsche Kriegsveteranen mit schmucken Titeln wie „Holt Hartmann vom Himmel!" oder „Versenkt die Bismarck!" bewiesen. Nun kommt ein Buch aus anderer Sicht, eines, das den Hegemoniebestrebungen Deutschlands in Europa Kontinuitäten zum NS-Regime vorhält. Der britische Journalist Robert Harris entwirft in seinem Erstlingsroman „Vaterland" eine Fiktion vom „Dritten Reich" nach gewonnenem Krieg. Eine Fiktion, die in diesem Land insgeheim schon lange die deutschtümelnden Gemüter bei der Lektüre besagter Kriegsveteranen erregt - nur nicht so wie bei Harris. Er bindet sie in einen Politthriller, der im „Dritten Reich" von 1964 spielt. Weit ab von großangelegten militärgeschichtlichen Sandkastenspielen, wie sie Rudolf Augstein und andere so sehr lieben, zeichnet Harris die Entwicklung einfacher. Seine Fiktion beginnt 1942: Nazideutschland erobert die Ölfelder um Baku und drängt die treibstoffarme Rote Armee hinter den Ural Großbritannien wird ausgehungert und den USA anhand einer V 3-Rakete bewiesen, daß die Nazis in der Lage sind, New York zu bombardieren. Damit endet für ihn der „Zweite Weltkrieg" im Jahr 1946, und der „Kalte Krieg" beginnt zwischen Deutschland und den USA.
Harris' Protagonist war während des Krieges auf einem U-Boot. Der unterschwelligen Heroisierung dieses U-Bootfahrers, wie sie anderswo auch mit „Jagdflieger"-Piloten betrieben wird, konnte sich der Autor nicht entziehen. Er stattet seine Hauptfigur Xaver März mit der naiven Legitimation aus, ja nichts vom Naziterror mitbekommen zu haben - schließlich dümpelte der kleine „Sturmbannführer" über dem Meeresgrund. Somit kann sein Held ein tief verborgenes demokratisches Gewissen besitzen, das allerdings erst während seiner Arbeit bei der Berliner Kriminalpolizei durch den mysteriösen Tod eines Altnazis geweckt wird. Dieser Tod steht im Zusammenhang mit der Tatsache, daß in Deutschland keine Menschen jüdischen Glaubens mehr zu finden sind. Wohin diese gebracht wurden, fragt niemand außer dem Kripobeamten März. Ihm ist es am Ende des Romans Vorbehalten, das Rätsel zu lösen.
Bei Recherchen seines Protagonisten März scheint unverkennbar Harris' plumpe Totalitarismusauffassung durch. Vielleicht gab ihm der Zusammenbruch der osteuropäischen Regimes Anlaß dazu, in seinem Roman deren Alltag und die dortigen Institutionen umstandslos auf das „Vaterland" zu übertragen. Er gibt sich nicht die Mühe zu differenzieren und verpaßt seinen Beschreibungen somit einen aktuellen Bonus. Harris steigert seine Parabel auf totalitäre Regimes noch dadurch, daß er die Vernichtungsinstrumente beider Diktaturen gleichsetzt - hiermit rutscht er vollkommen in Geschichtsklitterung ab, die in Deutschland eigentlich willkommen sein müßte.
Einen zweiten Aktualitätsbonus aber erheischt Harris mit der Darstellung einer Europäischen Gemeinschaft unter der Vorherrschaft von Nazideutschland. Es weht die Hakenkreuzfahne neben der Europaflagge über dem Brandenburger Tor. Er stellt eine Kontinuität her, denn schon in Nazi-Dokumenten findet sich der Begriff „Europäische Gemeinschaft", um eine territoriale Struktur ("Europäischer Großraum") zu umschreiben. Selbst die Nazis sprachen schließlich mit Vorliebe von Europa, um ihren Führungsanspruch in dieser Gemeinschaft zu kaschieren.
Zweifellos ist solch ein schlichter Politthriller nicht die sensibelste Art, den Naziterror zu behandeln. In das düstere Deutschlandbild seines Romans bringt Harris dennoch die Realität der permanenten Kriegsführung, des Partisanenkampfes und des Widerstandes mit hinein - Inhalte, die gerne vergessen werden und dem kriegsliteratur-verschlingenden Bertelsmannclub-Leser vollkommen entgehen. Wie historisch lückenhaft sein Thriller auch sein mag und wie klischeehaft sich seine Beschreibungen auch färben - von den Autobahnen über das Sauerkraut bis hin zum nationalen Minderwertigkeitsgefühl läßt Harris nichts aus -, ihm deshalb Deutschfeindlichkeit vorzuwerfen, zeugt von der Weigerung, sich mit einfachen Wahrheiten konfrontieren zu wollen, und offenbart einen mimosenhaften Nationalgeist, der sich mit dreisteren Geschichtsfälschungen von der richtigen Seite sonst gut verträgt. Auffallend ist nun, daß Harris sich selbst in den Klischees verfängt, so daß die Illustrationen am Ende des Buches eher an eine Hommage an Speers architektonische Monstrositäten erinnern, als einen notwendigen Kontext darzustellen, der etwa ihre gesellschaftlichen Bedingungen und die ökonomischen Hintergründe zu reflektieren anstieße.
Treffender ist dafür Harris' Charakterisierung des faschistischen Parteivolkes und dessen Entwicklung. In seiner Fiktion bildet sich eine Riege von „glatten Technokraten”, die die „Ex-Freikorps-Kommunistenhasser" ablösen. Wobei die Technokraten vom Typ Speer auch im faschistischen Mief der Gegenwart zu finden sind, etwa bei einem FPO-Haider. Dann aber berichtet der Erzähler des Romans auch noch über „die kleinsten Ferkel aus dem nationalen Wurf”, über ein „slawisches Gesicht” und über die reiche Erkenntnis: „Die Germanen sind eine Rasse von Waldbewohnern." Es ist peinlich, wie distanzlos sich Harris hier rassenideologischer Terminologie bedient. Was bei seinem Respekt vor technischen Leistungen der Nazis nur zu vermuten ist, tritt hier offen zutage. Harris steigt selbst in den Gegenstand seines Romanes ein und erweist sich als pauschalisierender Nationalist. Aber bitte, was soll der aufgeregte nationale Eifer der Feuilletonisten und Verleger, der Roman ist einfach verstaubt und schlecht wie unzählige Bestseller.
Kai Lindemann