Herrschaftsverhältnisse zwischen Frauen sind in der hiesigen Frauenbewegung über Jahre geleugnet oder unter dem Primat sexistischer Gewaltverhältnisse nivelliert worden. Erst in jüngster Zeit ist die „weiße Herrin” zum Symbol einer Kritik geworden, die den Eurozentrismus in Frauenzusammenhängen und in der feministischen Theorie denunziert und herausstellt, daß die Kontinuität des „kolonialen Blicks” nicht nur Männersache ist, sondern auch die Solidarität der Frauen untereinander betrifft.

Gegen diese Kontinuität des „kolonialen Blicks” hat sich nun ein Frauenkollektiv an die Übersetzung und Herausgabe von Texten gemacht, die Frauen aus Lateinund Nordamerika zu Wort kommen lassen. Der so entstandene Sammelband Basta!Frauen gegen Kolonialismus, erschienen in der Edition ID-Archiv, enthält bislang in deutscher Sprache nicht zugängliche Analysen, Erfahrungsberichte, Aufrufe, Gedichte und Interviews, in denen sie ihre Situation beschreiben, über Perspektiven ihres Widerstandes nachdenken und die Voraussetzungen einer internationalistischen Politik reflektieren. Hinzugenommen haben die Herausgeberinnen außerdem eigene Beiträge, die aus dem Kontext autonomer Politik heraus Kolonialismus und Eurozentrismus thematisieren. Die Botschaft der aufgenommenen Texte ist eindeutig, sie lautet einfach: ,Basta’ - Schluß mit der Unterdrückung. So klar und selbstverständlich diese Botschaft ist, die Beiträge sind dennoch heterogen und verwirrend.

Heterogen sind die Texte, weil die Autorinnen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Erfahrungen und von unterschiedlichen politischen Standpunkten aus ihre Analysen und Strategien entwickeln. Wo für die einen die Zuordnung zu einer bestimmten ethnischen Gruppe und deren Streben nach Selbstbestimmung innerhalb des bestehenden Nationalstaates im Mittelpunkt steht, ist für andere ein befreiungsnationalistisches Konzept bestimmend und für wieder andere der mit rassistischen Spaltungen verbundene Klassenkampf grundlegend. Die Texte sind aber vor allem deshalb heterogen, weil sie sowohl die historisch unterschiedlichen Auswirkungen der Kolonialisierung, der modernen Sklaverei und des kapitalistischen Arbeitsmarktes in den verschiedenen Regionen Süd-, Mittelund Nordamerikas spiegeln und somit auch die faktische Unmöglichkeit zeigen, diese Auswirkungen umstandslos auf eine vereinheitlichte Perspektive im Kampf gegen Kolonialismus und Rassismus zu beziehen Offenkundig wird dies in dem Beitrag Fragen nach einer Identität für schwarzepuertoricanische Frauen von Andaya de la Cruz. Am Beispiel afro-puertoricanischer Arbeitsmigranntinnen in New York verdeutlicht sie, wie sich der US-amerikanische Rassismus mit dem „blaßen Rassismus” der puertoricanischen Gesellschaft verknüpft, so daß diese Frauen vor dem Dilemma stehen, entweder „schwarz oder Puertoricanerin” sein zu müssen. Diese Situation führt dazu, daß auch ihre Position innerhalb der black communities und den

puertoricanischen Widerstandsorganisationen prekär bleibt. Sie leben unter dem ständigen Verdacht politischer Unzuverläßigkeit, den die Autorin an einer Stelle so wiedergibt: „Und die vorherrschende Sorge war, daß uns in der Rassenfrage nicht getraut werden könne. Wir seien schwarz, wenn es bequem wäre, und wir würden uns auf unsere puertoricanische Identität berufen, um aus dem Schwarzsein auszubrechen, wenn es unangenehm sei.” Verwirrung stiften die Beiträge, weil in ihnen, wie etwa das Zitat zeigt, die Rassenund Volkskonstruktion unangetastet bleibt. Neben dem Wort „Frau” sind „Rasse”, „Volk” und „Identität”, in denen sich die Prädominanz dieser Konstruktion ausdrückt, daher nicht zufällig die am meisten eingesetzten Vokabeln, um den Widerstand gegen Unterdrückung zu bestimmen. So ist häufig die Tendenz zu beobachten, daß die nun positiv bewerteten ethnischen und nationalen Zuordnungen in die Vergangenheit und in die Zukunft projiziert werden, wobei den Frauen in dieser „Verewigungs”Strategie eine zentrale Rolle zugeschrieben wird. Die Frau wird zum „Rückgrat der Ethnizität”, zur „Mutter der Rasse”, sie ist „Flüterin” der „Tradition”, der „Kultur” und der „Werte” ihrer Gemeinschaften. Gleichzeitig zeigen die Texte aber auch Widersprüche, die sich aus dieser Zuschreibung ergeben: etwa wenn Maria Cumes in ihrem Beitrag Die indianische Frau. Aufder Suche nach Gleichheit am Beispiel der Verweigerung des täglichen TortillasBackens klar macht, daß die bewußte Abkehr von traditionellen Gewohnheiten und die Aufkündigung des Konsenses von seiten der Frauen notwendig sind, damit sie Zeit für sich selbst und für den politischen Widerstand haben.

Doch nicht die Widersprüche, sondern die Selbstgewißheit dieser Frauen, ihre Identifikation mit dem, was sie ihre Kultur, ihre Wurzeln, ihre kollektiven Werte nennen, hat die Herausgeberinnen bei ihrer Textauswahl bestimmt. Auch sie sind auf der Suche nach Identität, das heißt auf der Suche nach Ersatz für die im Feminismus kultivierte Kollektividentität ,Frau’, nach einem Identifikationsmuster, das von den eurozentristischen und rassistischen Implikationen des „weißen Feminismus” geläutert ist. Sie selbst nennen diese Suche eine „Gratwanderung”; angezogen von den moralisch sanktionierten Identifikationsmustern der Frauen im Widerstand gegen die dreifache Unterdrückung durch „Rassismus, Sexismus und Klassismus”, sehen sie sich als „Weiße”, „Mitteleuropäerinnen”, „Deutsche” auf die Seite der Herrschaft gestellt. Ihre vorläufige Lösung lautet: „wir klein schreiben”, um den imperialen Anspruch zurückzudrängen. Allerdings bleibt auch die kleingeschriebene Identität dem „kolonialen Blick” verhaftet, wenn die nationalen und ethnifizierten Identifikationsmuster nicht außer Kraft gesetzt werden. Die „Lust, den Blick wachsam und neugierig schweifen zu lassen”, die die Suche nach einer anderen Politik motiviert, könnte so leicht in den alten Exotismus Umschlägen, dem sie entkommen wollte.

Cornelia Eichhorn

Frauenkollektiv (Hg.): ;BASTA! Frauen gegen Kolonialismus. Berlin, Amsterdam 1992, Edition ID-Archiv (320 Seiten, 28,- DM)