diskus: Ihr habt im letzten halben Jahr als „neue” Linke Liste neben Grünen und Jusos den AStA gemacht und Euch jetzt nicht in den präsidialen AStA einsetzen lassen - da sitzen ein JungKohlist und ein Vertreter der Internationalen Liste/Undogmatische Linke, einer Gruppe aus der Konkursmasse der Linken Liste. Warum habt Ihr Euch nicht einsetzen lassen?

Norbert: Unserer Ansicht nach ist es völlig unglaubwürdig, sich als „Linke Liste”-Nachfolgeorganisation von einem Präsidenten einsetzen zu lassen, den man jahrelang auf das schärfste beharkt hat und von dem man weiß, daß er nichts unversucht läßt, linker Politik an der Uni den Garaus zu machen. Es ist einfach Irrsinn, sich mit dem RCDS zusammen einsetzen zu lassen und dann Ansprüche von wegen linksradikaler Politik hochzuhalten. Das hat nichts mit „Gesinnungsethik” oder so zu tun, sondern damit, daß das politisch nicht zusammengeht: Staatsrassismus und Linksradikalismus in einem Boot - dazu braucht man nichts mehr zu sagen!

diskus: Was ist mit der Linken Liste passiert, und was macht Euren Bruch mit der Linken Liste-Tradition aus?

Bernd: Die Lili hat sich faktisch schon vor über einem Jahr aufgelöst, was auf jedem noch folgenden Plenum aufs Neue sich bestätigte. Eine „neue” Linke Liste, wie Du vorhin meintest, hat es deswegen eigentlich schon gar nicht mehr gegeben. Die nun offiziell vollzogene Auflösung ist nur der Endpunkt eines langen Dahinsiechens. Wir hatten von Anfang an ein ambivalentes Verhältnis zur LiLi: schon als wir noch die Fachschaftsarbeit im Fachbereich 3 (Gesellschaftswissenschaften) gemacht haben, gab es nicht nur Berührungspunkte, sondern auch Differenzen und Abgrenzungen. Aber wer an der Uni etwas mit linksradikaler Politik am Hut hatte, ist an der Lili nicht vorbeigekommen. Gottfried: Als wir dann im Winter 91/92 die AStA-Arbeit angefangen haben, war uns schon klar, daß wir von einigen Leuten aus der „alten” Lili instrumentalisiert werden sollten. Die wollten zum einen einfach ihre Projekte abgesichert wissen, Geld und Räume sollten gewährleistet sein. Und dann gings natürlich auch darum, wer wie über welche Politik entscheidet, die im AStA gemacht wird. Der proklamierte „Generationenwechsel” in der Lili wurde immer dann ad acta gelegt, wenn’s was zu entscheiden gab: da waren die alten Herren jedes Mal wieder schnell auf der Matte. Zum Schluß hatten wir kaum noch Raum, Zeit und Energie für die Entwicklung eigener Ansätze und konnten fast nur noch reagieren.

Simone: Wir haben die Erfahrung machen müssen, daß die Instrumentalisierung der Institution AStA für linke Politik nicht geklappt hat, weil die Lili als politische Gruppe nicht den entsprechenden Hintergrund geboten hat, nicht die Basis, von der aus wir das Instrument hätten in einem linksradikalen Sinne nutzen können. Dazu braucht es eine halbwegs funktionierende Gruppe, wo offen und kontrovers diskutiert werden kann, der politische Grundkonsens und das persönliche Miteinanderumgehen stimmt.

Und das war bei der Lili immer weniger der Fall. Wir brauchten ein halbes Jahr, um zu kapieren, daß die Lili ein Haufen zusammenhangloser Cliquen, zum Teil völlig zerstrittener Individuen war, der längst nicht mehr in der Lage war, politisch zu agieren, wo es kaum noch um politisch-theoretische Auseinandersetzung der differenten Einschätzungen und Positionen ging.

Bernd: Entgegen der eigenen Vergangenheit frönte man einem Objektivismus der Gesellschaftsanalyse und unvermitteltem, nicht zu thematisierenden oder gar kritisierenden Subjektivismus. Den Ansprüchen rebellischer Subjektivität wurde dann oft mit dem totschlagenden Verweis auf das Scheitern der eigenen Politikansätze die Spitze genommen. Die Parallelen zu einigen realo-grünen Biographien drängen sich auf. Das eigene Scheitern als Linksradikale wird verobjektiviert: bestimmte Utopien sind halt gestorben, lassen wir uns also darauf ein, wie die Geschichte hier und jetzt funktioniert und sehen zu, daß uns der Zeitgeist nicht völlig überrollt. Man versucht, die linken Politikfelder besetzt zu halten, überwintert mehr schlecht als recht und verwehrt anderen nebenbei, ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Klar, ist ja auch nicht nötig: gab’s alles schon mal, und natürlich besser! Opposition und Widerstand ist da nicht mehr angesagt. Und sich selbst thematisieren - das schon gar nicht!

diskus: Aber Ihr stellt Euch ja doch bei aller Kritik auch selbst in die Tradition der Linken Liste. Was sind denn Eure positiven Bezugspunkte, und welche Konsequenzen hat das für Euer Verständnis von Inhalten und Formen linker, radikaler Politik heute?

Norbert: Gegen den Partikularismus der Projekte, wie wir es ja nicht nur hier an der Uni erleben, gegen ihre schlechte „Bürgerinitiativenmentalität”, gilt es aufzuzeigen, wie die Probleme verknüpft und wie sie kritisch zuzuspitzen sind. Man muß sich selbst und anderen immer wieder klarmachen, was wichtig ist, wo’s ums Ganze geht. Was wir damit meinen, läßt sich an den Extremen dessen, was unter antirassistischer Praxis derzeit alles läuft, aufzeigen. Für die eine Position stehen Aktionsformen wie jene in Mannheim/Schönau im Juni dieses Jahres, wo versucht wurde, die

ganze Bandbreite der Probleme, die wir mit dem Begriff des Rassismus meinen, zu thematisieren, während die „liberalen” Ansätze, die bloß an einen allgemeinen Humanismus appellieren, letztendlich in solchen Veranstaltungen wie der am 8. November in Berlin münden, wo sich professionelle Staatsrassisten, Verfassungspatrioten und blauäugige Menschenrechtler die Hände reichen und diese in Unschuld waschen.

Bernd: Das ist für uns ein wesentliches Moment der von uns aufzugreifenden Lili-Tradition: weiterhin auf politische Gesamtkonzepte zu bauen, das heißt, daß Du auch im Kopf versuchst, klar zu kriegen, wie weit Du mit dieser „liberalen” Öffentlichkeit kooperieren kannst, heißt, zu kapieren, daß Du Dich auf bestimmte Dinge nicht einlassen kannst, weil Du ansonsten affirmative Bekenntnisse zur Staatlichkeit unterstützt. Diese Idee einer sich prinzipiell negatorisch auf den bürgerlichen Staat beziehenden Linken ist für uns essentiell, nur das ermöglicht es, einen radikal oppositionellen Anspruch zu erhalten.

Gottfried: Und dann gibt es noch eine zweite Linie, nämlich den Versuch, über eine politische Gruppe an der Uni eine eher akademisch orientierte Linke mit außerhalb der Uni agierenden anderen linken, radikalen Gruppen, ihren Konzepten und Politikformen, zusammenzubringen. Dies war immer schwierig unter einen Hut zu bekommen, doch markiert diese Perspektive unserer Meinung nach notwendige Felder linker Politikentwicklung, also etwa Institutionenkritik und außerparlamentarische Opposition.

diskus: Aber warum wollt ihr überhaupt noch linke Politik an der Uni machen? Der Campus ist doch politisch und kulturell tot.

Simone: Politik von der Uni aus zu machen heißt nicht einfach nur: Politik an der Uni, vielleicht gar noch korporatistische studentische Interessenspolitik zu machen. Die Uni ist immer noch Ort kritischer Intellektualität, ein Bezugspunkt zur Herstellung politischer Gegenöffentlichkeit und schließt die Stadt als politisches Handlungsfeld nicht aus. Im übrigen ist es für uns mindestens eine genauso probate Strategie, Diskussionen von der Uni in die Stadt zu tragen, wie dies umgekehrt der Fall ist.

Gottfried: Der AStA ist für uns eine Möglichkeit, auf eine bestimmte Infrastruktur zurückzugreifen, um linksradikale Politik in Frankfurt machen zu können. Das ist nicht einfach die AStAKohle oder die Räume im Studentinnenhaus, von der wir jetzt reden, sondern überhaupt die Möglichkeit, hier öffentliche Räume der Auseinandersetzung zu schaffen.

Es ist für uns unmöglich, hier auf dem Campus borniert unizentrierte Politik zu machen und die Scheiße sonst in der Stadt nicht zu sehen. Da mußt Du Dir nur die Obdachlosen anschauen, über die der brave Student sich mokiert und überhaupt nicht mehr mitkriegt, von welchen Plätzen vor welchen Banken die hierhergesäubert worden sind. Von unseren rot-grünen Modernisierungs- und Ordnungsfanatikern werden die Leute systematisch vertrieben. Die Situation in der Stadt und das, was Du hier auf dem Campus sehen kannst, das sind nicht zwei Welten, da bildet sich die Stadt auf dem Campus ab. Hier gibts halt noch keine so rigorose Vertreibung, eher laissez-faire - das ist so eine Art letzter „Freiraum”, mit allen Problemen, die dazugehören.

Simone: Aber das ist nur das eine. So blöd das vielleicht klingen mag, aber wir studieren hier, wir haben hier einen Teil unserer politischen Sozialisation, unserer politischen Erfahrungen gemacht, unsere Gruppe hat sich nicht zufällig hier gebildet, da ist es für uns selbstverständlich, daß wir uns hier äußern, hier politisch agieren.

Norbert: Die Uni ist nach wie vor zentraler Ort der gesellschaftlichen Wissensproduktion, hier werden mehr denn je die Studentinnen durchgeschleust. Auch wenn wir da im Moment keine Hoffnungen haben, groß etwas bewegen und bewirken zu können - Politisierung der Studenten und Studentinnen und Wissenschaftskritik sind immer noch wichtig.

diskus: Aber fällt nicht doch Eure Politik an der Uni und die Politik außerhalb, in der Stadt, auseinander? Sind das nicht zwei verschiedene Formen der Intervention und auch sehr unterschiedliche Prozesse, die ihr da in Gang setzen wollt?

Gottfried: Einerseits geht es darum, die traditionelle Politik der Straße nicht aufzugeben: es ist wichtig da hinzufahren, wo sich Rassismus offen zeigt, auch wenn wir uns darüber klar sein müssen, daß wir hier derzeit in der völligen Defensive sind. Bestimmte Kritiken an ehemals linksradikalen Ausdrucksformen müssen einfach weiter diskutiert werden - wie sich die gesellschaftliche Bedeutung der Ausdrucksform Demo verändert hat, ist offensichtlich, wie oftmals nur noch bestimmte eingespielte Rituale reproduziert werden. Dennoch ist es klar: Die Straße ist ein Ort, wo wir weiter präsent bleiben müssen, das heißt trotz aller relativen Perspektivlosigkeit da immer wieder hinzugehen und gleichzeitig über die dort gemachten Erfahrungen weiter zu reflektieren, um irgendwann mal an dem Punkt weiterzukommen, vielleicht auch mal wieder aus dieser Defensivposition herauszukommen. Simone: Und was die Politisierung an der Uni angeht: nach den Ereignissen in Rostock gab es eine spontan organisierte Demo in Frankfurt und gleichzeitig hat sich ein Diskussionskreis hier an

der Uni zusanmmengefunden, der neue antirassistische Theorieund Strategieansätze diskutiert. Aus diesem Kreis heraus wird gerade eine Veranstaltung zu dem Abschiebeabkommen zwischen BRD und Rumänien, das hauptsächlich Sinti und Roma betrifft, organisiert. Das ist nicht viel, aber ein Ansatz der Verknüpfung.

diskus: Was ihr bisher gesagt habt, betrifft bestimmte „objektive”, Euch von außen vorgegebene Politikfelder. Was mir dabei ein wenig zu kurz kommt, ist die Frage Eurer „Selbstthematisierung”, auf die Ihr am Anfang, als es um „innerlinke” Auseinandersetzungen ging, so viel Wert gelegt habt. Was heißt das jetzt in der alltäglichen antirassistischen Politik?

Bernd: Bei dieser Arbeit stößt Du doch auf ziemlich grundlegende Probleme, die Dich selbst betreffen. Ich muß da immer an „Youth against fascism” von Sonic Youth denken, der Refrain des Liedes lautet „It’s the song I hate”. Das trifft die Sache ziemlich genau: ich hasse es, dieses Lied überhaupt singen zu müssen, ich hasse es, mich mit diesem Nazi-Pack überhaupt herumschlagen zu müssen, aber es ist notwendig. Nur irgendeine Art von Lust oder Spaß da draus ziehen zu wollen, ist nicht so einfach. Gottfried: Auf der anderen Seite stößt Du, wenn Du Dir diese Fascho-/Skinhead-Szene genauer anschaust, auf das Phänomen, daß die ehemals linke subkulturelle Elemente, d.h. Kleidung, Musik etc. - natürlich inzwischen völlig sinnentleert - für sich übernommen haben. Das ist etwas, das Auswirkungen auf unsere Politikformen haben muß, darauf, wie wir Gegenstände als politische begreifen. Und Subkulturen sind in den letzten 20, 25 Jahren eigentlich immer als per se links verstanden worden, gegen das Establishment gerichtet. Ganz gleich, ob es sich um die PunkBewegung oder die Oko-Paxe handelte, unterstellt wurde dabei immer eine kulturelle Praxis der Linken. Die Rechten waren das System, der Staat, die Eltern - oder Großelterngeneration, davon grenzte man sich ab. Heute verlaufen die Bruchlinien ganz anders, das Material, die kulturellen Praxen, die Zeichen und so weiter sind anders besetzt und umkämpft. Teile der Neuen Rechten sind längst selbst subkulturell organisiert. Darauf muß reagiert werden, das verlangt von uns selbst andere Taktiken im Kulturellen. Wir müssen einfach konstatieren, daß bestimmte Formen kultureller Praxis von Linksradikalismus und die sich explizit politisch betätigende Linke derzeit total auseinandergelaufen sind. Die Linke muß sich die Frage gefallen lassen, ob sie nicht in einem völlig instrumenteilen Verhältnis zu diesem kulturellen Bereich stand Das ist was, was wir in der letzten Zeit ziemlich intensiv diskutiert haben, daß sich die herrschende Trennung von Öffentlichem und Privatem in der Linken abbildet als Trennung von Privatem, Individuellem und „großer Politik”.

Bernd: Ihr habt im letzten diskus doch ein Interview mit den „Disposable Heroes of Hiphoprisy” gehabt, die haben in einem anderen Interview, ich glaube in der Mai-Ausgabe der Spex eine gute Zusammenfassung von dem gegeben, worum es uns auch zentral geht. Wenn man nämlich in der Analyse konsequent ist, kommt man zu dem Schluß, daß wir in einer kapitalistischen, rassistischen, sexistischen Gesellschaft leben. Doch dieses Wissen schafft eine Art tragisches Bewußtsein, weil man es hier und heute nicht direkt umsetzen kann, das kritische Wissen destruiert eben nicht automatisch die schlechten Verhältnisse. Man ist nach wie vor gezwungen, mit einem meinetwegen noch so großen Überschuß an Bewußtsein einen banalen Alltag zu bewältigen, den Deine Analyse erst einmal überhaupt nicht kümmert, der sich als versteinert erweist. An diesem Punkt resignieren viele irgendwann, werden „realistisch”, während andere sich in eine „revolutionäre” Scheinwelt, in Verschwörungstheorien oder so flüchten. Das mag durchaus verständlich sein und ist allerdings dem System anzulasten, nicht seinen Kritikern - aber wir müssen auch nach Wegen suchen, wie das momentan zur Erfolglosigkeit verurteilte rebellische Individuum seine Identität und Wahrnehmungsfähigkeit erhalten kann, wie es ohne allzu großen Schaden überleben kann. Dazu ist es auch wichtig, daß Du Dir immer wieder die ganz individuellen Ausgangspunkte Deiner eigenen Rebellion (und der anderer) klarmachst. Bevor Du gegen die große Politik bist, streitest Du Dich mit den Autoritäten in Deinem engeren Lebensfeld. Manche Linke aber haben diese Seite völlig aus den Augen verloren, da ist nichts genuin Anti-Autoritäres mehr, deren Mission ist weltweit. Aber mit ihrer kleinen Welt um sich herum leben sie in ziemlichem Frieden. Damit werden ihre Probleme immer abstrakter. Und diese ganze Chose hat eben Auswirkungen bis hin zu der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, wie wir Politik nach „außen” machen.

Norbert: Wir wollen für die Art und Weise, wie wir uns mit den herrschenden „objektiven” Verhältnissen auseinandersetzen, die notwendigen Konsequenzen für unsere eigene „Selbst-Thematisierung” ziehen. Ob und wie wir es schaffen, exemplarisch Formen kritischer Subjektivität zu entwickeln, Vorscheinen zu lassen, auszuprobieren, das wird entscheidend für den Erfolg unserer Politik sein. Mit diesem Anspruch wird die Sache sicher nicht einfacher, aber wir müssen endlich Schluß machen mit diesem Konservatismus in der Linken Am Gespräch nahmen für sinistra/Radikale Linke Simone Güllich,Norbert Kresse, Gottfried Oy, Bernd Seib und für den diskusMichael Hintz teil