Als es noch eine DDR gab und in dieser ein junger Mann aus Hamburg in der Berliner Akademie der Künste oder wo auch immer dem Hanns Eisler ab und an auf der Klampfe was Vorspielen durfte, da dichtete jener junge Mann den ebenso klappernden wie nicht ganz unzutreffenden Vers auf die Soldaten der sowjetischen Roten Armee: „Ich salutiere innerlich/Den kahlgeschornen Freunden/Ihr seid das Rückgrat unserer Macht/Euch werd ich nie verleumden”. Inzwischen gibt es keine DDR und keine Sowjetunion mehr, die paar noch nicht abgezogenen russischen Soldaten werden von deutschen Glatzen gejagt, der Sänger schert sich einen Dreck um sein Gegröl von gestern.

Heute kassiert er Literaturpreise, outet angebliche Stasi-Agenten oder zollt auch mal dem gesunden Volksempfinden in der Heldenstadt Leipzig - und via Glotze weit darüber hinaus - Tribut: „He Schnitzler, Du elender Sudel-Ede/ Sogar wenn Du sagst, die Erde ist rund/Dann weiß jedes Kind, unsre Erde ist eckig/Du bist ein gekaufter, verkommener Hund.” Daß der solchermaßen Besungene nicht mit ähnlicher Münze zurückzahlt, hängt allerdings in erster Linie mit den Funktionsgesetzen einer hermetischen Öffentlichkeit zusammen, weniger mit dem demonstrativen „Das ist nicht mein Niveau”-Gestus, den ihm das Medium, mit dem er über dreißig Jahre arbeitete, heute einzig noch erlaubt.

I n seinem Buch Der rote Kanal. ArmesDeutschland stellt sich Karl-Eduard von Schnitzler der nicht allzu schwierigen Aufgabe, zu zeigen, daß die Erde doch rund ist. Er bezieht dabei den Standpunkt und folgt im Groben der Linie „seiner” Partei, vor ihrer Mutation zu einem sozialdemokratischen Anagramm, vor seinem Austritt aus dieser im Januar 1990. Was er zu Papier bringt, wendet sich „an Freunde und Feinde des Schwarzen Kanals-, an kritische Zeitgeister, die Feindbild’ und ,Klassenkampf’ nicht für überholt und abgestorben halten und nicht den ,Fehlern’ zurechnen”. Seine 1519 mal ausgestrahlte Fernsehsendung Der Schwarze Kanal liefert erkennbar das Vorbild für die Gliederung und den Aufbau der meist kurzen Textabschnitte: Er greift Ereignisse, manchmal Nebensächlichkeiten, aus dem „imperialistischen Alltag” auf und kommentiert, polemisiert, ironisiert. Seine Anmerkungen zielen gegen „den Feind, der rechts steht und nur rechts” - und verpuffen in der Radikalität einer mittelgroßen Menschenkettenaktion: am schlagendsten in der Parole (Schnitzler rubriziert „Wann immer Zeit zum Nachdenken und Streiten”) „Bauhelme statt Blauhelme!”. Seine längeren Ausführungen zum Nationalsozialismus wollen Zusammenhänge aufzeigen - und paraphrasieren doch nur die Dimitroffsche Faschismusdefinition von der „offenen terroristischen Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals”. Seine Nationalismuskritik wird konterkariert vom Nationalismus des Bildungsbürgers, dem „Deutschland in Goethe und Bach verkörpert ist, in Hölderlin und Beethoven, im ,Faust’ und im ,Zauberberg’, in ,Nathan’ und ,Wege übers Land’, in Marx und im Antifaschismus, in unseren Beiträgen zur Weltkultur und zur Menschheitsgeschichte”.

Schnitzler simuliert in seinem Buch Fernsehen. Nur fehlt seiner Sendung heute der montägliche Ufa-Spielfilm, der die Leute vor den Schirm zieht, und mit dem Ausfall des „sozialistischen Vaterlands” ist dem Kanal das Wasser abgelassen. In seiner Loyalität zur DDR und zur abgetretenen Partei hallt auch Richtiges als Rechthaberei und Besserwisserei wider. Zwischen der Phrase aus dem Parteilehrgang und der Abrechnung mit der eigenen großindustriellen „Sippschaft” - mit der Schnitzler „als Klasse gebrochen” hat - verschwindet die politisch nützliche Information. Und auch die Hinweise auf die Bekanntschaft mit Martin Niemöller, Peter Weiss und auf den antifaschistischen Widerstand in Deutschland erweitern einzig das Namensregister am Ende des Bandes. Was bleibt, sind Positionen, mit denen paarundvierzig Jahre Staat zu machen war - eben nur ein Staat, keine soziale Revolution.

Was dem Schnitzler sein Kanal, ist dem Geissler sein Jarama. Der Fluß im Madrider Osten, im spanischen Bürgerkrieg bis Februar 1937 eine der letzten Verteidigungslinien der Internationalen Brigaden gegen die angreifenden Faschisten, ist in der ßug-schrift winterdeutsch Metapher für einen Vorschlag, soziale Befreiung zu organisieren, „die bewegung aus einer niederlage”. Der Text ist, nach der Publikation in der Aktion (89/92), mit aufgenommen im neuen Buch von Christian Geissler, Prozeß imBruch , das - wie er im Vorwort resümiert „Schreibarbeiten, die ich, zwischen februar ’89 und februar ’92, veröffentlicht habe aus öffentlichem anlaß”, versammelt. Es sind dies Texte, die in die Debatten um den Hungerstreik der politischen Gefangenen 1989 intervenieren, Briefe an Gefangene aus der RAF, die Flugschrift dissonanzender klärung mit der Kritik am RAF-Angriff auf Alfred Herrhausen (was, wie Geissler anmerkt, in „straighten kreisen” denunziert wurde als „dreck von der anderen Seite”), klassendeutsch zur Annexion der DDR (“die rache gegen den antifaschistischen bruch ,45”), winterdeutsch, schließlich das Romanfragment wir erklä-ren die feindschaft. Für Geissler dokumentiert diese Zusammenstellung den titelgebenden „prozeß im bruch, und ob der auf Zusammenbruch läuft und abschied oder auf ankunft und aufbruch, das kann nun, wer lesen kann, klären, wir leben ja noch. noch, ich denke, sie lassen uns nicht mehr viel zeit.” Mit dem von Geissler vorwörtlich geforderten „lesen können und klären” ist das so eine Sache. Das liegt nur bedingt an einer Sprache, über die das Staatsschutzfeuilleton der taz dekretiert: „Es gibt keinen deutschen Autor, dessen Prosa Kommandoerklärungen der RAF so nahe steht wie Geissler.” Skandierte, rhythmisierte Prosa, Häufung infiniter Verbformen, transitiver Gebrauch intransitiver Verben, invertierte Syntax, Neologismen ordnen sich als Stilmittel Geisslers Projekt unter, mit dieser Sprache eindeutig, und das heißt bei ihm - wie er nicht müde wird zu wiederholen - „gegen pack” zu formulieren. Dieses Streben nach Eindeutigkeit des Sinns führt in seinem Schreiben zu einem chiliastischen, letztlich autoritären und seine zumindest diskutablen politischen Positionen neutralisierenden Gestus, der nicht selten die Phrase liebt - wie bei der häufigen Verwendung von Maos Leerformel „es ist gut und nicht schlecht”. Geisslers (Selbst-) Kritik geht deshalb in die falsche Richtung: „in der genauigkeit meiner schreibarbeit/wird dem nachbarn mein wort immer fremder/in der genauigkeit eurer (der RAF) praxis/dem klassengenossen eure waffe”. Als Autor imaginiert er sich an der Quelle des Sinns, verkennt seine gesellschaftliche Stellung als Literaturproduzent.

Diese Stellung aber wäre zum Ausgangspunkt revolutionärer Schreibarbeit zu machen. Die Genauigkeit wird erst da zum Problem, wo sie dogmatisch auftritt, Selbsttätigkeit unterbinden will.

Der Schriftsteller als Revolutionär - mit winterdeutsch wollte Christian Geissler Ernst machen: „wir gegen die, endgültig. [...] das nun radikal letzte gefecht langhin langhin...” Er schlug einen Zeitplan vor, eine „permanente kommunistische konferenz (PKK)” bis zum 21.1.1993 (dem zweihundertsten Jahrestag der Enthauptung Ludwigs XVI.), die „ein neues europäisches manifest freier kommunistinnen und freier kommunisten” zu erarbeiten hätte, „das mitteilt, was wir nun gar nicht mehr wollen und warum nicht, und mitteilt, was wir bestimmt wollen und warum; und nach und nach wie. [...dann] beginnt in freier kommunistischer absicht, in vielfältiger wie strenger Verabredung, grenzüberschreitend zwischen perth und palermo, zwischen odessa und Oggersheim und oradour, also lehrreich kollektiv lernfähig, also erstaunlich, die offene kennzeichnung unseres gesichtes gegen die herrschende fratze”. Das Scheitern dieses Projekts, das Geissler in verschiedenen Städten mit Genossinnen diskutierte, ist in den Nachschriften dokumentiert und kaum erstaunlich. Dieses Scheitern nimmt Geissler zum Anlaß, ein nachgesetztes ,Trotz alledem’ (das Lied „schneegras”) vor den Leserinnen in Schutz zu nehmen, denen das „nur noch kryptisches gefasel” sei. Die Aufgabe operativer Literatur läge aber doch gerade darin, die rebellische Subjektivität der Lesenden nicht auf den Text, sondern auf die soziale Wirklichkeit zu verweisen.

“Die Aufgabe des Revolutionärs ist es, die Revolution zu machen”, ist bei Che nachzulesen. Ein Kommunist wie KarlEduard von Schnitzler weiß das vermutlich, Christian Geissler sicher. Da der eine seine Klassiker bei Lenin und der andere bei Mao enden läßt, wissen sie auch, daß es dazu der revolutionären Partei bedarf. Weil eine solche nach eigenem Bekunden derzeit nicht zur Verfügung steht, bleibt als Ausweg: man bäckt - resp. schriftstellert sich eine. Da hat’s einer wie Wiglaf Droste leichter. Zwischen Phrasenprüfer und Kalauer reicht ihm die Ahnentafel von Wolfgang bis Neuss. So ist ihm - in seinem Bändchen Mein Kampf, Dein Kampf - nicht zuletzt die religiöse Ernsthaftigkeit ein Greuel, die der Spaßgerillja entgegensteht. Da bleibt ihm nur der Rat: „wer jetzt mault und zetert [...], der möge sich eine alte Michael Holm-Platte auflegen, ,Barfuß im Regen’,,Gimme gimme gimme’ oder ,Baby, du bist nicht alleine, mit all deinen Träumen, mit all deiner Liebe...’, und dazu Michael ,Bommi’ Baumanns ,Wie alles anfing’ lesen, ein erregendes Buch, dessen hingebungsvolle Lektüre ich gerade dem jungen, noch begeisterungsfähigen Menschen wärmstens ans Herz legen möchte.” Zumindest versuchen könnt man’s Thomas Atzert

Wiglaf Droste: Mein Kampf, Dein Kampf. Mit Zeichnungen von Rattelschneck. Hamburg: Edition Nautilus 1992 (128 S., 19.80 DM)

Christian Geissler (k): Prozeß im Bruch. Schreibarbeit Februar 89 bis Februar 92. Hamburg: Edition Nautilus 1992 (288 S., 19.80 DM)

Karl-Eduard von Schnitzler: Der rote Kanal. Armes Deutschland. Hamburg: Edition Nautilus 1992 (352 S., 32.- DM)