46 Militante in einem Bus, der 1200 Kilometer zurücklegte, um die Stadt zu erreichen, deren Name für gewalttätige Ausländerfeindlichkeit in Deutschland steht. 46 Militante, zur Hälfte Kinder deportierter französicher Juden und zur Hälfte Enkel Deportierter: Jugendliche von Betar und einige Mitglieder der UEJF (Union der französischen jüdischen Studenten). Warum die Jugendlichen? Weil sie unser Anliegen unterstützen, weil die Jugendlichen bei unseren Aktionen immer präsent waren, vor allem bei unseren Kampagnen zur Verurteilung von kriminellen Nazis in Deutschland, weil die FFDJF schon zur Hälfte Fünfzigjährige sind, und weil im Skinheadland die Alteren geschützt werden müssen.

Alle sind gekommen, um die Entschlossenheit der Juden zu bezeugen, sich der für den 1. November vorgesehenen Deportation von mehreren zehntausend Roma aus Deutschland nach Rumänien in den Weg zu stellen. Ein entsprechendes deutsch-rumänisches Abkommen wurde am 24. September unterzeichnet: geschmackvollerweise genau an jenem Tag, an dem vor fünfzig Jahren 1600 rumänische Juden in Paris aufgrund eines vergleichbaren Abkommens zwischen Nazi-Deutschland und dem Rumänien Antonescus verhaftet wurden.

Die Roma, denen politisches Asyl verweigert wird, sehen in Rumänien einer gefährlichen Zukunft entgegen. Gleiches gilt für die Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien, die von den Rumänen mit finanzieller Hilfe Deutschlands aufgenommen werden, um sie bei dieser Gelegenheit gleich über die Grenze nach Serbien abzuschieben.

Juden müssen solidarisch mit den Sinti und Roma sein. Diese sind noch immer der Verfolgung durch Nazis ausgesetzt. Die Nazis haben schließlich den Anstoß für zahlreiche Massaker an den Roma im Osten gegeben, und sie haben sie in Auschwitz-Birkenau vergast, insbesondere in jener Schreckensnacht des Augusts 1944, als das „Zigeneurlager” liquidiert wurde.

In Rostock habe ich eine Roma-Delegation gesehen, die unseren Bus willkommen hieß und eine Tafel, die wir mitgebracht hatten, an der Fassade des mächtigen Rathauses befestigte, um damit an den Leidensweg der Sinti und Roma zu erinnern und die Deutschen aufzufordern, die Gewalt gegen Fremde zu beenden. Ich habe Transparente der FFDJF und von Betar gesehen, auf denen zum Beispiel zu lesen war: „Juden zeigen sich solidarisch mit Sinti und Roma”, „Gestern vergast! Heute deportiert?”, „Nein zum deutschrumänischen Deportationsvertrag”. Ich habe das Transparent „Keine Ausweisung der Roma aus Deutschland” gesehen, das im ersten Stock des Rathauses aus dem Fenster des von unseren Jugendlichen höflich besetzten CDUFraktionsbüros hing. Darunter auf der Straße hissten wir die Trikolore und Fahnen mit dem Davidstern. Dies war die erste Versammlung von Juden in Rostock seit der „Kristallnacht” am 9. November 1938. Aber es waren nicht mehr Juden, die von der Polizei zum Abtransport in die Konzentrationslager zusammengetrieben wurden, sondern selbstbewußte Juden, die den Deutschen zeigten, welchen Weg sie vermeiden müssen, um nicht den Spuren der Nazistiefel zu folgen.

Ich habe in Rostock gesehen, wie Polizisten vier Jugendliche gewaltsam gepackt und sie in Autos gezerrt haben. Andere Juden, zu denen auch ich gehörte, stürzten sich auf dieses Auto, obwohl zehn Polizisten voller Wut mit schweren Knüppeln zuschlugen. Wir haben unsere Genossen befreit, worauf die Polizisten in Panik gerieten und kurz davor waren, ihre Pistolen zu ziehen. Nachdem die Ruhe wieder eingekehrt war, sah ich in Rostock dutzende Polizeiautos, die unseren Bus einkesselten, und eine Hundertschaft von wie Gladiatoren ausgerüsteten Polizisten, die mit uns umgingen, als ob wir jene rechtsextremen Kriminellen wären, denen sie auswichen, als diese Flüchtlingslager überfielen.

In einer Sporthalle in Rostock sah ich die Farce einer bundesdeutschen Gerichtsverhandlung, die noch vom Geist des Nationalkommunismus getränkt war: eine Armee von Polizisten ersann vielfältige Schikanen, widmete sich eigenmächtig irregulären erkennungsdienstlichen Maßnahmen, drei verwirrte Staatsanwälte widersprachen sich unaufhörlich und blätterten permanent in einer Strafprozeßordnung, mit der sie noch nicht vertraut waren. Einzig die Intervention des französischen Konsuls in Hamburg normalisierte die Situation soweit, daß älteren und gebrechlichen Leuten erlaubt wurde, die eiskalte Sporthalle zu verlassen. Einmal mehr war also eine Situation entstanden, in der Juden Unmögliches zugemutet wurde.

In Rostock, wo derzeit drei französische Antirassisten unter Anklage stehen und inhaftiert sind 1 , konnte ich die Titelseiten zahlreicher deutscher Zeitungen lesen. Alle vermittelten ihren Lesern in sehr ehrlicher Weise den Sinn dieser Demonstration: „Französische Juden demonstrieren in Rostock für Sinti und Roma, Konfrontation mit der Polizei, sie wurden festgenommen”. Diese deutsche Presse war unseren Kampagnen immer die bessere Verbündete, durch ihren Respekt vor Tatsachen und ihr Berufsethos. Sie hat wirkliche Gewalttätigkeit immer da gesehen, wo sie war.

Den ersten Versuch, der Abschiebung von Roma aus Deutschland Einhalt zu gebieten, unternahm eine Handvoll jüdischer Militanter zwischen 17 und 72 Jahren am 19. Oktober in Rostock.

Serge Klarsfeld

1 Die drei inhaftierten Gefangenen sind wieder auf freiem Fuß. A.d.R.