Die erste Auflage von Toops Rap Attack erschien 1984, also zu einer Zeit, als die erste HipHop-Welle, heute als „Old School” bezeichnet, die Folgen ihrer kulturindustriellen Vermarktung - erinnert sei nur an den damaligen Breakdance-Unterricht im bundesdeutschen Fernsehen - nicht mehr zu verkraften schien. Toop wehrte sich gegen diese Entwicklung, die die schwarze Musik im weißen Mainstream aufzulösen drohte, indem er HipHop in die spezifische Tradition schwarzer Kultur stellte: „Rap läßt sich zurückverfolgen über Disco, Straßenfunk, Radio-DJs, Bo Diddley, Bebop-Sänger, Cab Calloway, Pigmeat Markham, Steptänzer und Komiker, The Last Poets, Gil Scott-Heron, Muhammad Ali, Acapella-und Doo-Wop-Gruppen, Seilspring-Reime, Gefängnis- und Soldatenlieder, Toasts, Signifying, The Dozens, bis hin zu den Griots in Nigeria und Gambia” (S.27). Rap ist nichts Neues, sondern Innovation - dies ist Toops zentrale Botschaft. Trotz aller modischen Aspekte läßt sich Rap nicht auf Mode reduzieren.

HipHop entsteht Anfang der siebziger Jahre, parallel zur Disco-Kultur, in der New Yorker Bronx. Zentrale Personen sind Afrika Bambaata, der Gründer der Zulu-Nation, Kool DJ Here und Grandmaster Flash. Die von Here aus Jamaika importierte Breakbeat-Technik, bei der die instrumentalen Percussion-Beats von irgendwelchen Platten durch gleichzeitiges Abspielen auf zwei Plattenspielern und entsprechende Abmischung zu unendlichen Grooves verlängert werden, greift Grandmaster Flash auf und perfektioniert sie. Die Disco-Partys, bei denen er Platten auflegt, werden zu Happenings: „Bei meinen Fähigkeiten als DJ passierte es nun immer häufiger, daß gerade dann, wenn ich richtig in Fahrt gekommen war, die Leute nicht mehr tanzten, sondern sich um mich scharten und mir zusahen, als wärs ein Seminar. Das war exakt das, was ich nicht wollte. Wir waren doch schließlich nicht in der Schule, wir wollten doch unseren Arsch bewegen. Da wurde mir klar, daß ich Vocals brauche” (Zitat von Grandmaster Flash, S.86). Flash beginnt, zusammen mit rappenden MCs (“masters of ceremony”) aufzutreten und entwickelt Techniken wie das „scratching” (Auflassen des Reglers beim Zurückdrehen der Platte) oder das „punch phrasin” (kurzes Einblenden von Bläsersätzen). Toop gelingt es in seiner Beschreibung dieser Entwicklung, bei der er die Protagonisten mit zahlreichen Zitaten zu Wort kommen läßt, die jeder Geschichtsschreibung immanente Gefahr der Mythologisierung zu vermeiden, indem er die Produktionsbedingungen nicht verschweigt. Bis 1979 war es nicht möglich, HipHop auf Platte zu veröffentlichen. Der eigentliche Durchbruch gelang nicht Grandmaster Flash, sondern Sugar Hill Gang, die keinerlei Beziehung zum Bronx-HipHop hatten und deren auf Dauer eher langweiliges „Rappers Delight” zur meistverkauften Maxi-Single aller Zeiten wurde. Die gnadenlose Konkurrenz zwischen den Rappern, die im gegenseitigen „dissing” ihren Ausdruck findet, wird von Toop nicht zum Ghettokult stilisiert, sondern als Ausschlußmechanismus erkannt, dem vor allem Frauen, die im schwarzen Soul noch eine zentrale Rolle spielten, zum Opfer fielen.

Mit dem Satz „Watch the closing doors!” endete die erste Auflage von Rap Attack, die vom Autor 1991 um vier Kapitel über die „New School” erweitert wurde. Rick Rubins Def Jam-Label gelingt es 1985, den Fuß zwischen die sich schließenden Türen zu stellen. Run D.M.C., deren „Raising Hell” die passende Beschreibung für die soziale Situation der Afro-Amerikaner in der Reagan-Ära ist, sind eine der wichtigsten Def Jam-Gruppen, die den Weg für die musikalische und inhaltliche Radikalisierung des HipHop bereiten. Diese Entwicklung setzt sich fort über Public Enemys Kampfansage an die weiße Macht bis hin zu Ice Cubes offensiver Stellungnahme für die „Nation of Islam”. Gleichzeitig beginnt sich HipHop - auch dank der neuen Sampling-Technik - immer weiter auszudifferenzieren: Gangster-Rap (Ice-T, Boo Ya Tribe, NWA), Porno-Rap (2 Live Crew), Soul-Rap (Massive Attack), Jazz-Rap (A Tribe Called Quest), Folk-Rap (House of Pain), Industrial-Rap (Disposable Heroes of HipHoprisy), religiöser Latzhosen-Rap (Arrested Development) usw. Am vielfältigsten sind die Entwicklungen vielleicht bei Ragamuffin und dem Female-Rap (Queen Latifah, Monie Love, Roxanne Shante’, etc), ein Ende der Entstehung solcher Subgenres ist nicht abzusehen. Zu dieser Entwicklung gehört aber auch die weitgehende Etablierung von Rap. Nachdem MTV sich jahrelang geweigert hat, HipHop

zu senden, gibt es nun regelmäßig „Yo! MTV-Raps” zu sehen, und der Erfolg von dubiosen Megastars wie dem Schlabberhosen-Poser MC Hammer und dem aufgeblasenen weißen Rapper Vanilla Ice droht HipHop auf die Standards der Konsenskultur zu reduzieren.

Während Toop die Geschichte des HipHop schreibt, erzählt David Dufresne in Yo! Rap Revolution Geschichten über seine Lieblingsbands. Er ist ein französischer Rap-Fan, der alle Interviews gelesen hat und alle Fakten kennt. Solange er beschreibt, bleibt seine Naivität gerade noch erträglich, beginnt er zu theoretisieren, wird es haarsträubend. Was das Buch dennoch lesenswert macht, ist Günther Jacobs update. Er analysiert HipHop aus der Perspektive des europäischen Kulturkonsums und wendet sich gegen die - von Diedrich Diederichsen und anderen SPEX-Autoren propagierte - Zurückhaltung bei der Beurteilung der politischen Positionen der Rapper. Gegen die „allzu taktische Distanzierung vom Eurozentrismus”, die jene Autoren daran hindert, den in vielen RapTexten zum Ausdruck kommenden Rassismus, Nationalismus und Sexismus anzuprangern, setzt Jacob die Sichtweise, die hiesigen Verhältnisse nicht als grundsätzlich verschiedene, sondern als „die selben, nur eben von der Gewinnerseite betrachtete)” zu verstehen. Damit wird eine Stellungnahme möglich, ja notwendig, was bei Jacob in einer Liste von ausgewählten HipHop-Platten gipfelt, in der neben musikalischen Auszeichnungen auch die Prädikate „ras = rassistischer als andere rassistische Platten” und „sex = sexistischer als andere sexistische Platten” vergeben werden.

Dies war für Mark Terkessidis (SPEX 8/92) Anlaß genug für ein ausführliches ,Jacob-bashing”, dem in SPEX 10/92 eine gelassene Entgegnung von Jacob folgte. Während Terkessidis über antikapitalistische Positionen staunt, die er „1992 kaum noch für möglich gehalten hätte”, beharrt Jacob auf seiner Kritik und greift Diederichsens Toop-Übersetzung an: „Die wirkliche Herausforderung besteht 1992 nicht in der Übersetzung von Standardwerken. Ein deutschsprachiges Rap-Buch ohne ein Kapitel zu South Central einerseits und Hoyerswerda/Rostock andererseits wirkt in die falsche Richtung”.

Diese Diskussion leidet ein wenig daran, mit der Rollenverteilung „dogmatischer KGruppen-Marxist versus poststrukturalistisch aufgepeppter Luhmann-Adept” geführt zu werden. Niemand muß Verschwörungstheorien, ein instrumentalistisches Kulturverständnis oder einen der christlichen Erlösungsmythologie entstammenden Befreiungsbegriff vertreten, um rassistischen oder sexistischen HipHop kritisieren zu können. Diese Kritik eines europäischen Rezipienten ist legitim, wenn sie wie bei Jacob angesichts der hier herrschenden Zustände erhoben wird. Wem allerdings wie Terkessidis beim Gedanken an die Situation in der BRD nicht etwa Rostock einfällt, sondern lediglich, daß hier „die Menschen im internationalen Vergleich am meisten Freizeit haben” und „jede Verkäuferin ein Bohemeleben” führt, wird dies nicht begreifen können.

Die von Diederichsen vertretene Auffassung, HipHop in der Tradition des Signifying zu verstehen (vgl. diskus 3/92) und somit bestimmte Äußerungen als „uneigentliches Sprechen” zu werten, enthebt nicht der Verpflichtung, solche Äußerungen in ihrem europäischen Rezeptionskontext zu bewerten. Wenn im „Schutz der (black) community” Aussagen gerade ihr Gegenteil bedeuten, heißt dies eben auch, daß außerhalb dieser community Aussagen verdammt wörtlich genommen werden. Deutsche HipHop-Bands, die sich als schwarz-rot-goldene „Krauts with attitude” verkaufen, sind das beste Beispiel für die wörtlich genommene Nationalismusrhetorik vieler Rapper. Darüber kann man sich aufregen, den Mißbrauch anprangern oder gleich den Abschied von der Jugendkultur verkünden, aber dies führt zu nichts, wenn dabei nicht der nationalistische Kontext aufgebrochen wird, in dem diese Leute so zu agieren gelernt haben. Die Vorstellung, diesem Kontext als Vertreter einer bestimmten politischen und kulturellen Position per se entzogen zu sein und somit auch dessen Kritik nicht mehr nötig zu haben, ist ein altbekannter Fehler vieler Linker, der zur vorbehaltlosen Identifikation mit nationalen Befreiungsbewegungen und zur Ablehnung geschichtlicher Verantwortung geführt hat. Dieser Fehler setzt sich auch dann fort, wenn das behauptete Anderssein als Zurückhaltung verpackt wird.

Die Aneigung subkultureller Praktiken und politischer Formen der Linken durch die Rechte ist erschreckend, aber sie läßt sich nicht über die Reklamierung geistigen Eigentums kritisieren. Wenn Angreifer auf Flüchtlingsunterkünfte Malcolm X-Kappen tragen oder Jugendliche Public EnemyPlatten kaufen, weil die Böhsen Onkelz gerade mal ausverkauft sind, mag dies ein Tabubruch sein; in erster Linie verdeutlicht es die alte strukturalistische Weisheit, daß Zeichen keine kontextlose Bedeutung haben, sondern nur in ihrem Verwendungszusammenhang einen Sinn erlangen. Dieser Verwendungszusammenhang ist bei strukturell Ausgegrenzten ein anderer als bei strukturell Ausgrenzenden, obwohl er sich auf die gleichen kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse bezieht. Wenn AfroAmerikaner sich als „Schwarze” bezeichnen, reflektiert dies zunächst die eigene Diffamierung und nicht ein rassistisches Bewußtsein. Ob damit gleichzeitig auch ein positiver Rassenbegriff gebraucht wird, läßt sich jedoch nicht grundsätzlich ausschließen. Durch die Kritik des rassistischen Kontexts kann diese Ambiguität jedenfalls vermieden werden.

Das Kürzel „sex” in Jacobs Liste ist deshalb genauso Ausdruck von „political correctness” wie die Anmerkung PPPP (Pale Patriarchal Penis People) auf den Literatur-Leselisten amerikanischer Universitäten. Man kann dies als säuerlichen Moralismus lächerlich machen, wie dies im neuesten Merkur-Doppelband (9 und 10/ 92) geschieht. Als Alternative zu Terkessidis’ grandiosem Vorschlag (SPEX 11/92), die Rechten doch einfach totzuschweigen und sich ansonsten auf die - ja überall als antifaschistische Organisation bestens bekannte - bundesdeutsche Polizei zu verlassen, ist ein solches Vorgehen allemal begründet.

Christoph Kind

David Toop: Rap Attack. African Jive bis Global HipHop, Hannibal-Verlag/St.Andrä-Wördern 1992, 256 Seiten, 36,- DM.

David Dufresne: Yo! Rap Revolution. Geschichte, Gruppen, Bewegung. Mit einem up-date von Günter Jacob, Buchverlag Michael Schwinn/ Neustadt 1992, 215 Seiten, 34.- DM.