WAS FÜR EIN THEATER
Auf dem Spielplan der Frankfurter Bühnen steht ein Stück mit folgendem Titel: „,Der Schwarze Fisch' eine Chronik von Armand Gatti übersetzt von Walter Guggenheimer in einer Bearbeitung der Städtischen Bühnen Frankfurt." Lesen wir ein Stück und vergleichen wir es mit seiner Aufführbarkeit, so verkennen wir vielleicht beim Lesen manches, was wir uns bei der späteren Aufführung gewünscht hätten. Das Resultat ist, daß Autoren bei einer Aufführung immer gerne mitgearbeitet haben. In dieser Stadt kennen wir die brechtschen Bearbeitungen, eine Möglichkeit, die politisch Adäquates zur Geltung bringt. Zu bemerken ist hier, daß dabei Stoffe benützt wurden, die in ihrer Anlage aufklärerisch sind, doch durch die geschichtliche Tendenz verschleiert worden waren. Zu fragen ist deshalb, warum macht man dann dies in einem Theaterapparat, bei einem Stoff, der schon von dem Autor historisch und kritisch behandelt wurde - wo der Autor selbst sein Stück schon einmal bearbeitet hatte für eine Bühne? Was für eine Dramaturgie schmiert einen solchen Theaterapparat! Es geht hier nicht darum, ein einzelnes Stück zu verteidigen, sondern es geht um eine Form des Theaters. Wir müssen deshalb kurz den Blick auf den Inhalt richten, um daran eine theatralische Überheblichkeit zeigen zu können.
Das Stück ist die erste dramatische Arbeit des Autors, die veröffentlicht worden ist. Zwiespältig beim Lesen, ein Text an dessen Wendungen einem noch etwas „poetische“ Methaphysik entgegenschlägt, die eine konkrete Auffassung der Fabel gefährdet. Die späteren Arbeiten des Autors sind konsequenter in Form und Inhalt, sie sind spielbar — der Autor wußte, nach dem andere Stücke von ihm auf französischen Bühnen gespielt worden waren, und auf dieses Stück zurückgegriffen worden war, weshalb er eine neue Fassung erarbeitete, die in vielen Akzenten mit dem Originaltext in keiner Weise übereinstimmt. Das hiesige Theater wählte nicht die Technik des Autors, sondern zog sich zurück in seinen Schaukasten; genauso zufällig wie ein Schaukasten eines Geschäftsmannes — die Absicht ist die gleiche, man will das Publikum einfangen.
Ein paar Beispiele erläutern das. Im Mittelpunkt des Stückes steht das Verhältnis von Intellektuellen zur Macht. Gattis Frage lautete: „Welches war das Drama der Intelligenz, des Wissens, der Moral...“ Kaiser Tsin, Herrscher des späteren Reichs der Mitte, steht einem Herrscher Tan gegenüber. Tan, noch an Kriegs- und Lebenskunst glaubend, bewegt drei Weise zu Attentaten auf Tsin, die mißglücken. Einer der Weisen geht vorher in den Tod. Tsins Macht überwältigt auch noch Tans Reich. „Im Jahre 211. nachdem er die schwarze Farbe und das Element Wasser seinen Untertanen aufgezwungen hatte, wollte Tsin ihnen auch eine Religion bringen, die geeignet gewesen wäre als Bindemittel zwischen den neu errungenen Gebieten zu dienen. Die Geschichte berichtet, er habe von einem Kampf mit einem menschenköpfigen Fisch geträumt, und daraufhin habe er seinen Bogen übergeworfen und sei auf die Suche nach dem Fisch gegangen. Dieser Traum sollte die erste und letzte Schwäche eines Mannes sein, der sein ganzes Leben von erschreckender Klarsicht gewesen war. In Tsche fu begegnet der Kaiser und der Fisch einander. Der Pfeil flog. Der Fisch wurde getötet. Alsbald erkrankte Tsin, und er starb.“ So steht es in der Einleitung zum Stück.
Zum Verständnis: Es gibt eine gedruckte Textfassung (1. Fassung, S .Fischer Verlag), die zu umfangreich wäre, um gespielt zu werden, eine autorisierte Fassung für das Theater in Toulouse und zuletzt die Frankfurter Fassung (die mit Z'/i Stunden eine „Kürzung“ ist, aber noch länger wirkt als die erste Fassung.) Das Spiel in Frankfurt ist nun ein ganz anderes geworden. So tritt der Magier in der einzig autorisierten Toulouse-Fassung nicht mehr als Magier auf, sondern als politische Figur unter anderen. Bei Buckwitz spielt der Magier die Rolle des Machtzauberers, der die Staatsmaschinerie weiterlaufen läßt, womit die Pointe des zerstörten Mythos von der unzerstörbaren Macht zur Pointe des Mythos wird. Ebenso werden Fische und Affe - aus der ersten Fassung halb übernommen - (so halb zweideutig ausgespielt). Der Affe als erster Minister beider Herrscherhöfe kann seine Doppelrolle nur andeuten. Auch hier wird die politische Relevanz und der ursprünglich ästhetische Einfall einer Chinoiserie geopfert. (Die Doppel der Personen benutzt Buckwitz, ohne daß besonderer Sinn aufleuchtete.) Das Drama der Intelligenz verschiebt sich zugunsten eines undramatischen Herrschertechtelmechtel mit Intellektuellen. Die Passage einer epischen Vorstellung, die auf dieses Drama hinweisten, fällt nicht umsonst weg. Zwar ist die Handlung in dieser Weise gestrafft, aber Poesie, gekürzt, rutscht ins lächerlich Überflüssige: die gestraffte Handlung, Umstellung, Änderung der Szenen gerät zur Stilisierung der Mächtigen. Was Solls, wenn Buckwitz aus der ersten Fassung wichtige Passagen nimmt, die dort noch Poesie mit theatralischen Mitteln bedeuten, bei ihm aber zu Mystik mit poesielosen Mitteln werden? Tsin ,der besser den auch zur Verfügung stehenden Monolog gesprochen hätte, redet den gekappten Dialog mit dem Schwarzen Fisch (wie in erster Fassung) vor seinem Tod im Fluß. Das sind nur kleine Anmerkungen zu großer Sinnentstellung. Und was solls, wenn Tsins Gegner Tan zu einer Figur im luftleeren Raum, - des Herrschers Tsin Machtpolitik noch mehr dämonisierend wird —wenn nämlich wegfällt, daß Vernunft, Humanität und Gewaltpolitik in schwarzer Resignation in solchem Fall einmünden („Die Freiheit beginnt, die Finger fallen ab, die Haut platzt...“).
Was hier zurück bleiben muß, ist neoklassizistisches Theater. (Eine Dreigroschen Oper wurde an diesem Theater Alteisen; Schrott trägt auch zur wirtschaftlichen Blüte im Lande bei.) Der Kampf wurde zu Affen und Fischen und Weisen, wie es damals die romantische Fabel so gerne hatte. Er soll aber stehen als geschichtliches Exempel der Aufklärung. Hier wurde verschleiert im Namen einer Tradition, die nicht an solchem Blödsinn entstand, denn dort sollten auch gesellschaftliche Vorgänge klar werden. Zu fragen ist hier, was sollen wir mit solchem Theater, in dem ein Charakter auf der Bühne sich autoritär „entwickelt“ um Naturgesetzlichkeit zu bestätigen; die Lächerlichkeit einer Pose nicht durchschaubar hergesagt wird, sondern in Gläubigkeit einer allwissenden chinesischen Philosophie. Das Stück würde es erlauben, dieses Vorgehen mit Ironie zu zeigen, seine Verbogenheit ersichtlich werden zu lassen. Aber nein, es wird dargestellt mit Hilfe von Effekten des psychologischen Theaters — eine Tänzerin hebt sich vor Akteuren wie Zuschauer hin und her, aus nicht ersichtlichen Gründen; wohl um das Sublimieren anzuregen, anstatt die Handlung voranzutreiben, die nur in diesem Stück verständlich werden kann, wenn sie in ihrer Zwiespältigkeit ersichtlich wird. „In Tsin fallen politische Repräsentanz und existenzielle Themen zusammen.“ — schreibt Buckwitz als Notiz zur Premiere. Was das Original-Stück angreift, ist gerade das, was hier verschwiegen wird: daß die Mittel der Repräsentanz dem Zweck entfremdet sind. Aus diesem Unverstand wird dann die geckenhafte .spekulativdichterische Schau ...“ für Herrn Buckwitz. Theater ist ein Unternehmen, welches etwas beschaulich machen soll, kann gegen diesen Angriff hier gesagt werden. Aber wie?
Diese Form des Theaters können wir nicht gebrauchen.
Das „totale Theater" kann der Zuschauer imaginieren, der sich im Handlungsgerüst versteigen darf. Wie verstiegen das wirken kann, zeigt eine Kritik („Die Zeit“, 1. April 1966), die Gattis Intention ins Metaphysiche verlagert. „Im Schwarzen Fisch habe ich versucht, einen Kampf vorzustellen zwischen einer gegebenen Geschichte und den Bildern der Personen, die sie bewegen." (Gatti) Völlig verquer stehen nun in der Frankfurter Fassung die Schlußworte des Weisen Kao Tsoun Li: „...Es gibt eine Wirklichkeit, die stärker ist als die Pläne, die wir glauben vollenden zu können ..." Diese Worte müßten im Imperfekt stehen, um im wahren Sinne des Stückes Aufklärung in das trübe Wasser der Machtspiele zu bringen; aber nicht exemplarischen Wandel der Zeiten zeigt Buckwitz, sondern „existentielle Themen“. — Die straffe Einteilung des Stückes in zwei Höfe, die Annäherung des Sprachgestus an die Handlung, alles, was die Toulouse-Fassung besser spielbar macht, streift Buckwitz nur. Sicher hätte auch mit altem, ganzem Fisch- und Affenspiel ein rituell-strenges, zeremonielles Kabinettstückchen ausgearbeitet werden können, aber technische Tricks, in Frankfurt überreich anwendbar, passen nicht zu Chinoiserie. So regten Gattis Mitarbeiter wohl Lichteffekte z. B. an, aber selbst die wenigen und die Lautsprecherpassagen — wenig genug — und die sowieso ungeschickten Filmprojektionen (Aufprojektion statt Durchprojektion) täuschen nicht hinweg über ein Brimborium von Neuauflage abgetakelten Welttheaters. Gattis Stück, ein diffiziles Monstrum an ästhetischen Anforderungen, wälzt sich über die Bühne als rüde Zumutung. Der Dramatiker wird zum theatralischen Handlungsgehilfen.
Die Choreographie hat alle Ansätze zu brillanten Kampfszenen, aber sie müssen wie fremder Bums wirken. Die Schauspieler scheinen allgemein an einem Handlungsfaden sich langhangeln zu müssen, der zehn Zentimeter über dem Boden hier gespannt ist, dabei reden sie von Abgründen. Die Effekte der Pekingoper sind als Anregung, nicht Imitation, noch nicht nach Frankfurt gedrungen. Schade um das mühsam konstruierte Bühnenbild; es spricht für den Dekor, daß die Inszenierung aus diesem Rahmen fällt.
Begreifliche, aber nicht unbedingte notwendige Mißverständnisse muß man dem Bearbeitungsspektakel zuschreiben. Man könnte eher bei Lektüre von Presseberichten von wendigen Mißverständnissen sprechen. Es heißt eigentlich nicht Chronik Gattis, das ist nur glatte Frankfurter Erfindung, um ein Arrangement mit dem Autor eines Stückes gleichen Namens zu finden. Gatti schickte auch kein Glückwunschtelegramm als Autorisierung, sondern bestätigte eine Übereinkunft und wünschte Erfolg. Im Programmheft war wohlweislich auch nur der französische Telegrammtext abgedruckt.
Nicht zuletzt die Kritik zeigt, diese Frankfurter Chronik ist eine Chronik des Theaterapparats, der ein Stück schustert. Aber es geht hier nicht um die Person Buckwitz, obwohl gerade er einen gigantischen Apparat zur Verfügung hat. Doch dem Apparat steht er auch zur Verfügung. Nämlich 4 Wochen Probezeit anzuführen, um alle Schwierigkeiten zur Tücke des Objekts werden zu lassen, ist allzu billig. Hier ist das Objekt das Theatersystem, das kaum noch Verständigung zuläßt. Für die Kritik ist die Tücke des Objekts dann der Autor; der Text wird heilig je mehr er geschäftig gewendet wird.
Es wird auf diese Weise nicht möglich über in seiner Bühnenfassung nicht bekannt ist, obein Stück zu diskutieren, da es in diesem Fall wohl gerade hier gesagt werden muß, Gattis Theater ist im „Schwarzen Fisch“ eines, mit dem das bürgerliche Theater — mit Kämpfen nur um Frauen sich zierend — überwunden werden sollte, doch in seiner ersten Form es nicht bewältigte. Doch nochmals, das kann hier nicht diskutiert werden ,denn es soll nicht ein Stück sondern das Theater, welches wir dringend brauchen diskutiert werden.
Man hatte nun in Frankfurt einen Kompromiß gewählt, mit Gattis gerade noch erwischtem Einverständnis: Gatti als Autor wird gestrichen, die Frankfurter Städtische Bühnen brindiesem Fisch faul war, geht aber dann auf Kögen den „Fisch“ in Bearbeitung heraus. Was sten des Autors (siehe auch Kritik). Buckwitz, darauf bedacht, Regiewitz spielen zu lassen, erregte sich, als ihm zu Ohren kam, man polemisiere gegen ihn. Aber es ging ja gar nicht darum, gegen ihn zu polemisieren. Aber erst mal richtete sich gegen den ehemaligen FischerVerlagsangehörigen Burgmann Verdacht; dann ging es munter weiter gegen eine Freundin Gattis, (von der Gatti sagt, sie kenne sein Theater in Deutschland am besten). Schließlich rief die Theatermusikerin Montijn zum Arlarm. Da war plötzlich von einem ominösen Komplott die Rede. Die Herren Braun (Suhrkamp-Verlag), Iden (Sekretär der Theaterakademie, Kritiker) und Wittenberg, der irgendeiner war, sollten daran schmieden. Peinlich nur, daß die Herren sich gar nicht oder kaum kannten. Die lächerliche Komplott-Kombinierung hängte man erstmal an einem „Frankfurter-Rundschau“-Artikel auf, der bei dieser keinen Gefallen gefunden hatte und nicht erschienen war — und dessen Autor Wittenberg zumindest auch nichts über Inhalt verlauten ließ. Unsinnigerweise machte man einen Artikel gegen die Inszenierung daraus.
Abgesehen davon, daß genug gegen sie bekannt war, so auch die fehlende Autorisation, und die Gatti-Freunde Monloup und Chaussat, die Buckwitz zur Verfügung standen (Bühnenbild/Choreographie) aus ihrem geringen Vergnügen an der Buckwitzkonzeption kein Hehl machten, abgesehen davon kokettierte man im Theater mit Öffentlichkeit. In der „Frankfurter Rundschau“ erschienen auch Buckwitznotizen. Ein „Streit“ sollte gerüchtlich ausgetragen werden. Buckwitz aber hatte seine Arbeit durch Gespräche aufgewertet — zu Hilfe kam die fixe Idee eines Komplotts, von jemandem zu Geheimnisvollen ausgebrütet. Buckwitz hatte sich daran delektieren können, man habe einen Angriff gegen ihn vor. Schlicht gesagt, es geht nicht um seine Person. Das Theater steht zur Diskussion; allerdings dient er dem. Im übrigen .warum kein Artikel vor Premieren, wenn eine mysteriöse Bearbeitung in Szene gehen soll? Weil es dem Bearbeiter keine Reklame wäre? Aber es geht nicht um die Person. Es geht um eine Arbeitsmasche. An dem Netz, mit dem man Stücke einfängt, könnte auch ein anderer stricken.
„Denn in der Meinung, sie seien im Besitz eines Apparates, der in Wirklichkeit sie besitzt, verteidigen sie einen Apparat, über den sie keine Kontrolle mehr haben, der nicht mehr, wie sie noch glauben, Mittel für die Produzenten ist, sondern gegen die Produzenten wurde, also gegen ihre eigene Produktion (wo nämlich dieselbe eigene, neue, dem Apparat nicht gemäße oder ihm entgegengesetzte Tendenzen verfolgt). Ihre Produktion gewinnt Lieferantencharakter.“ (B. Brecht) Gatti ist diese Lage durchaus klar. In einem ausführlichen Brief an Wittenberg bestätigt er die ominöse Entstehungsgeschichte, daß näm-lich die Frankfurter Version nichts mit seinemTheater zu tun habe. Außerdem, daß die Tou-louse-Fassung die einzige autorisierte sei. Eshandle sich aut gar keinen Fall um eine Chro-nik, sondern um ein Theaterstück. Buckwitz hat sich an die Vereinbarung gehalten, in seinem Sinne. Der Verlag und der Autor wie seine Mitarbeiter, Monloup und Chaussat hätten diese Vereinbarung nicht zustande kommen lassen dürfen: da liegt ein prinzipieller Fehler. Man hätte sich an Herrn Buckwitz halten sollen als an den Autor. Wir feiern in Buckwitz den Generalintendanten, den Regisseur und Autor.
Gatti bot zur Frankfurter Bearbeitung folgende Anekdote an: Ein chinesischer Mandarin, zart und fein, wird in die Berge geschickt, einen wilden Räuber zu fangen und in die Hauptstadt zu bringen. Nun erwischt er ihn wirklich und läßt ihn gefesselt mitziehen. Kurz vor der Hauptstadt legt sich der müde Mandarin schlafen. Der Räuber sprengt die Ketten, indem er einmal tief durchatmet, da ihm die Lage zu bedenklich erschien; er fesselt den schlafenden Mandarin und geht. Als der Mandarin aufwacht, sieht er sich gefesselt und sagt: Der Gefangene ist da, aber wo bin ich?
Th. Mitscherlich
Redaktionelle Anmerkung
Diese Geschichte ist eine allgemeine. Sie kann nicht für sich in Anspruch nehmen, einzig zu sein, sie ist wiederholbar und auch vielfach geschehen. Solange sich unsere Öffentlichkeit repressiv parteilichen Charakters erfreut, werden mißliebige Diskussionen den mißlichen Theatern entsprechen. Den möglichen Vorwurf, gegen den DISKUS, ein Herausgeber spreche pro domo, schlucken wir gerne im Interesse der Sache.