Zu Beginn dieses Jahres hat die Frankfurter Universität ihr erstes Jahrbuch (für 1964!) veröffentlicht. Als Herausgeber fungiert die Vereinigung der Freunde und Förderer der Universität, die Redaktion besorgte der amtierende Frankfurter Rektor Professor Dr. Rüegg m Geleitwort lesen wir, daß eine „schöpferische Kraft dem öffentlichen Interesse an der Wissenschaft innewohnt und welche grundlegende Bedeutung sie für eine Universität haben kann. Bereits die Feier (zum 50jährigen Universitätsjubiläum), noch mehr die seitherige Diskussion über ein neues hessisches Hochschulgesetz hat jedoch in erschreckendem Maße gezeigt, wie fremd die Universität der Öffentlichkeit geworden ist“. Der Seitenhieb auf die öffentliche Diskussion zum Hochschulgesetz zeigt, daß in diesem Bändchen nicht nur dem reinen Ideal der wissenschaftlichen Publikation gehuldigt wird, sondern daß darüberhinaus die Ordinarien auch ein wenig Reklame für ihre Interessen machen möchten Dies geschieht dann auch kräftig und fast 30 Seiten lang. Unter der Rubrik „Universitätschronik“ erscheinen die im Behördendeutsch verfaßten Rechenschaftsberichte des Rektors sowie aller Dekane. Ein Rechenschaftsbericht der Studentenschaft wurde nicht in die Chronik der Universität eingereiht. Es ist bezeichnend für die Vorstellung der Jahrbuch-Redaktion von der „Universität“, daß die Studierenden auf den fast 200 Seiten der Broschüre keine Erwähnung finden. Erst die „Absolventen akademischer und staatlicher Prüfungen“ erschienen der Redaktion druck-„würdig“. Wohltuend heben sich aus dem sonst unglücklich konzipierten Jahrbuch die ausgezeichneten - wissenschaftlichen Aufsätze heraus: Das Protokoll eines Interfakultätskolloquium über „Das dorflose Amerika" ist lesenswert. Es enthält Beiträge der Professoren Lehmann, Tenbruck, Viebrock und Vossler. Die anderen Aufsätze sind wissenschaftliche Vorträge, welche anläßlich des Universitätsjubiläum gehalten wurden und zum Teil bisher nicht publiziert worden sind. Professor Claß berichtet über „Die Verwirklichung des Rechtsstaates im Strafrecht“; es folgt ein Beitrag des Mediziners Professor Degenhardt über „Die geschlechtsbestimmenden Chromosomen des Menschen“. Besonders empfehlenswert erscheint dem Rezensenten der Aufsatz von Professor Sulzbach über die „Wandlungen des Nationalismus seit 1914“.

Ein eigenartiges Gemisch stellen die „persönlichen Erinnerungen an die ersten fünfzig: Jahre“ dar. Die meisten dieser Beiträge sind allzu „persönlich“ und verdienen den Titel „Hochschulreform“, unter dem sie erscheinen, wohl kaum. Neben Lesenswertem wie den Reminiszenzen der Professoren Calmes „Von der Akademie bis zur Universität“ und Härtner „Befreiung und Aufbau" finden sich so eklatante redaktionelle Fehlgriffe wie der einseitige Aufsatz von Ludwig Erhard über Ludwig Erhard und seine „erste Begegnung mit Franz Oppenheimer“. Der Leser täusche sich nicht; Erhard schildert hier keineswegs seine „Berner. Nachdem er sich eingangs selbst auf die gegnung" mit dem Wissenschaftler OppenheiSchulter geklopft hat, „Ich gehörte nicht mehr zu jenen Studenten, denen es nur darauf ankam, nach dem sogenannten ökonomischen Prinzip mit dem geringsten geistigen und zeitlichen Aufwand den größtmöglichen Erfolg eines guten Examens zu erzielen“ nimmt Erhard in einem einzigen Satz - natürlich im bewährten Volkskanzlerdeutsch — zu seinen geistigen Beziehungen zu Oppenheimer Stellung: „Nun, ich habe es gewagt und preise noch heute jene Stunde, da ich dem Mann begegnete, der mein Leben und mein Denken entscheidend prägte“. Mehr als jene Diffamierung erfährt der Leser über Oppenheimer nicht. Die erste Nummer des Jahrbuchs der Johann Wolfgang Goethe-Universität war ein Experiment, das mißlungen ist. Es wird nicht nutzlos gewesen sein, wenn die Verantwortlichen ihre Lehren aus dem publizistischen Debakel ziehen und demnächst ein „Jahrbuch 1965“ vorlegen, das sich hoffentlich von seinem Vorgänger wesentlich unterscheiden wird. P. J. B