Herbert Wehner kommt unbezweifeibar das Verdienst zu, maßgebend an einer wirklichkeitsnäheren — oder, wie seine namhaften und namenlosen Kritiker sagen: konformistischen Programmatik der SPD mitgewirkt zu haben; maßgebender war er an der Durchsetzung des neuen Kurses beteiligt; noch maßgebender aber war wohl sein Anteil daran, die Partei und die ihr befreundeten Organisationen nach außen geschlossen hinter die veränderte Richtung der praktizierten Politik zu zwingen, eine Politik, die der Wille zur Macht bestimmte und nicht wie früher die Idee.

Daß er dabei Autorität und Macht auf — für private Begriffe - zumindest außergewöhnliche Weise ausspielte, und daß er davon mehr besitzt als jeder andere Funktionär der SPD, sollte der nicht leugnen und bagatellisieren, der die Partei von innen her kennt. Seine Kritiker aber vergessen meistens, daß alle führenden Sozialdemokraten seiner Linie gefolgt sind, und daß er von seinen Genossen auf dem Parteitag in seinem Amt bestätigt wurde. Über Herbert Wehner kann gewiß diskutiert werden, aber die personelle Diskussion hat sich eben leider in der SPD - und das zeigt das „Pamphlet“ - von dem sachlichen Hintergrund gelöst und droht zum Selbstzweck zu werden.

Über Herbert Wehner wird also diskutiert, aber es wird unqualifiziert diskutiert, und nicht über die Sache. Der Parteiführung war es leicht, die personellen Angriffe abzuwehren; es war bequem für sie, in ihrer politisch ebenso wie das „Pamphlet“ unergiebigen Erwiderung der Frage ausweichen zu können, die nur indirekt angeschnitten worden war: die innerparteiliche Demokratie Es kann weiter in Bonn geführt werden, die Partei mag verprovinzialisieren, wie der schleswig-holsteinische Landesvorsitzende der SPD Joachim Steffen meinte. Die eigentliche sachliche Analyse und Vorbereitung einer neuen Politik nach der verlorenen Wahl und sachlichen Vorschläge zur Bewältigung der hohen Mitgliederzahlen der Massenpartei SPD bleiben weiter der sogenannten „Linken“ überlassen; die Bedingungen allerdings haben sich durch das „Pamphlet“ leider erschwert.

Intrige, Kabale, Kleinkampf um die Macht, bemäntelt mit „echten radikaldemokratischen Anliegen“: über der Sache hängt der Nebel der Emotion und der Dunst der Hintertreppe, eine politische Stoßrichtung aber ist aus dem Sturm im Wasserglas nicht herauszulesen. Die Reaktionen waren politisch ebenso kleinkariert wie die Aktion, intuitiv, instinktiv, gespanntes „was wird er machen, wenn ...“, Sticheleien, überraschende Protektionen: provinzielles Niveau establishment-Probleme, Anti-KommunismusKlischees und Traditionalismen („der alte sozialdemokratische Kassier“) offenbarten sich Der Entideologisierungsprozeß ist in den Parteien an ein Ende gekommen, der Kampf um die Person ersetzt den um die Sache. Ist das nicht ein Symptom für eine undynamische Meritokratie? - Volker Sauer