Ein reifer Mann und hartnäckiger FAZ-Abonnent sagte mir, als ich ihm erzählte, daß der DISKUS den „Egoist 8“ besprochen haben möchte: Über Adam Seide, den Alleinbastler dieser glanzvollen Zeitschrift, sollten nur dann Kritiken geschrieben werden, wenn er sich ein Loch in die Kniescheibe beißt. Das hat mich einigermaßen empört; denn Adam ist längst nicht der schlimme Egoist, für den ihn die halbe Stadt hält. Wenn dort drüben (sie wissen schon: wo) zehn Schafe weiden, wenn jedes Schaf sich für die übrigen neun opferte und dem eigenen Glück entsagte — wieviel glückliche Schafe gäbe das? und: was wäre denn die Summe des erreichten Wohls? Die richtige Lösung ist: auf der Weide bleiben zehn unglückliche Schafe zurück. So steht's mit Adam Er möchte eben nicht, daß um ihn herum lauter unglückliche Schafe grasen. Deshalb hütet er sich, selber zu tun, was er von den anderen begehrt. Adam Egoist Seide ist: ein lieber, höflicher, umsichtiger, braver, pünktlicher, kundiger, treuherziger und spaßiger junger Mann, der von einer Vielseitigkeit ohnegleichen heimgesucht wird. Er kocht Suppen und produziert Lyrik. Er läuft ständig mit einer dunkelblauen Samtjacke herum, trägt niemals Krawatten schreibt Briefe an Beckett und neuerdings raucht er sogar starke Zigarren. In den letzten Monaten ist unser Musteregoist rundlicher geworden. Und auch in seinem sozialen Status hat sich einiges geändert: Ehedem von aufsässigen und geistlosen Hauswirten gepeinigt und verfolgt, ist er heute selber Wohnungsinhaber und Boß über zwei Untermieter. Die Egoistenzentrale befindet sich in Frankfurt am Main, Röderbergweg 64, in einem vergammelten Haus, das überwiegend von lokalen Künstlern bewohnt wird Nun zu einigen Praktiken des Egoistenmachers. Adam zahlt keine Honorare Und auch in der Copyrighthandhabe von Fotos erweist sich Adam als sehr großzügig. Die meisten Texte stammen aus seiner Maschine, weil er nicht nur unter Adam Seide veröffentlicht, sondern auch noch unter dem Pseudonym Martin Schultz die Seiten füllt — als letzterer überwiegend mit Lyrik. Ja, dieser Adam ist ein Uwe Seeler der deutschen Lyrik: immer mit dem Kopf voran. Dieser Adam gibt, wenn’s um die Egoistenlyrik geht, niemals nach. Allein sechs Seiten „Aus dem Nachlaß von Martin Schultz“ läßt er erscheinen, und das sind erst die „Anfänge“. Nicht auszudenken, wenn im nächsten Egoisten die „Fortgänge“ erscheinen! Jede Zeile von erlesener Reinheit, Ernte 66! Eigentich hätte ich Adam schon auf Seite sieben stellen können: mit einem Montagebild von Peter Röhr. Das ist nämlich der vierte Aufguß Plagiat von Plagiaten! Aber Egoist Adam würde nur lächeln und sagen: Schau, diese jungen Menschen müssen auch einmal anfangen! Dem „Egoisten 8" ist eine Künstler-Monographie hintangestellt: sie gilt dem Adamfreund Ygae Tumarkin, wogegen wiederum nichts zu sagen ist, außer dem: daß hier der Egoist abermals als Lyriker in Erscheinung tritt. Vorne Im Heft ermuntert Adam Egoist Seide die „sehr verehrte Dame“ und den „sehr geehrten Herrn“ zu einem Lyrik-Wettbewerb; auf der allerletzen Seite des „Egoist 8“ wirbt die Bank für Gemeinwirtschaft, die Niederlassungen im gesamten Bundesgebiet unterhält, mit dem Slogan „Wenn es sich um Geld dreht“. Ja, so vielseitig ist Adam. So bekommt er alles wunderbar in den Griff. Und alles um sich herum läßt er geschehen, als ob er sein „geliebtes Selbst“ (Kant) niemals zum Vorschein bringe.

Wir alle lieben Adam Egoist Seide. Wir alle brauchen Adam Egoist Seide. Legen Sie sich Adam Egoist Seide zu. Die Person, heißt es sehr präzise bei Kant, sollte erst eine feste, in sich abgerundete sein, ehe sie fremde Interessen aufnehmen und ihnen sich hingeben kann. Und: welcher Leser dieses Blattes wollte leugnen, es nicht schon so weit gebracht zu haben!? Sie sehen: es steht nichts im Wege, sich mit Adam einzulassen. Man sollte nicht erst warten, bis er sich ein Loch in die Kniescheibe beißt. Gerd Winkler