R. R. „de Gaulle und die deutsche Linke“; Diskus 1/66 Daß Mitterrand und die deutsche Linke für das NatoBündnis und die atlantische Allianz eintreten, scheint mir ein etwas fadenscheiniger Beweis dafür zu sein, daß die deutschen Sozialdemokraten in der Mehrheit für Mitterrand gestimmt hätten. Zwar treten beide für den Bestand der Nato und die atlantische Partnerschaft ein, doch muß man, um ehrlich zu sein, den Vorwurf der politischen Selbstentmündigung, die oft mit diesem Eingeständnis Hand in Hand geht, Politikern aller Parteien machen. Die Alternative zur Nato kann meines Erachtens jedenfalls nicht sein, von den Amerikanern einen ähnlich beschränkten politischen Horizont zu verlangen wie er sich vornehmlich in der BRD zeigt.

„Vor allem: daß die wachsende Macht Chinas eine Gefahr für die leider zu expansiven bzw. imperialistischen USA ist, die sich als Repräsentanten der „freien Welt“ fühlen und die Kontrolle über Südostasien nicht verlieren wollen, das sollte für die Linke . . . klar sein.“ Hier wird endlich im Text ausgesprochen, daß R. R. nicht die Frage „De Gaulle und die deutsche Linke“ diskutieren will, sondern ein Bekenntnis zu de Gaulles Außenpolitik ablegt.

Es ist hier nicht der Ort R. R.s politische Meinung anzugreifen, doch möchte ich der Behauptung NatoBündnis = „Selbstmord für Frankreich und Deutschland“ eine kritische politische Analyse gegenüberstellen, die J. Schweben in der ZEIT Nr. 5 unter der Überschrift „Der Atlantik wird breiter" gab. Er schrieb dort, daß die Amerikaner sehr wohl merkten, daß sie keinen europäischen Bündnispartner hätten, sondern eine „Schar von Verbündeten“, die ohne „einheitlichen Führungswillen“ ihre nationalen Ziele verfolgen und die Gelegenheit verpassen, „zu einem wirklichen Partner der USA heranzuwachsen - zu einem Partner mit verringertem Schutzbedürfnis und daher auch verringerter Abhängigkeit.“ „Das Nato-Bündnis geht von der Voraussetzung aus, daß die Sowjetunion möglicherweise Europa angreifen will. Wer daran nicht glaubt - und zumindest die Linke sollte das nicht tun — müßte einsehen, daß die Nato eine Gefahr für Europa ist.“ Warum soll das denn nur die Linke einsehen? Der politischen Effektivität halber sollte man doch lieber — wenn man sich schon auf eine Gruppe beschränkt - der Regierung diese Einsicht wünschen, da diese der Gefahr, in einem (vermeintlich!) falschen Bündnis zu verharren, besser und schneller entgegenwirken kann. „Konkret bedeutet die Mitgledschaft im atlantischen Verteidigungsbündnis für Europa nichts anderes, als daß es schuldlos-schuldig an einem Krieg teilnehmen muß, den die USA zur Wahrung ihrer Interessen um Kuba, Vietnam . . . gegen die Sowjetunion führen — . . .“. In der Tat wurde das Nato-Bündnis vornehmlich als ein Schutzbündnis gegen eine Aggression der Sowjetunion geschlossen.

Doch hat der Vertrag erheblich größere und weitreichendere politische Voraussetzungen, manche sind nebensächlich geworden, überholt ist jedoch noch keine. Darüber hinaus zeigt der zitierte Satz, wohin es führt, wenn man vielschichtige politische Situationen auf ein oder zwei Punkte reduziert: zum Widerspruch. Hier behauptet R. R. die USA kämpften (wie in Kuba und in Deutschland) in Vietnam gegen die Sowiets, weiter oben hatte er dagegen festgestellt, daß die USA in Vietnam „gegen die wachsende Macht Chinas" kämpften. Wie reimt sich das zusammen?

Wenn R. R. im letzten Teil seines Artikels sich dem „Verhalten der deutschen Linken gegenüber dem Gaullismus“ zuwendet und schließlich „ihre Motive kritisch untersucht“, dann „gehört nicht einmal Bösartigkeit zu der Feststellung", daß das „unheilvoller" Unsinn ist. R. R. merkt nicht ein einziges Mal, daß er hier derjenige ist, der in „Jene gefährliche Irrationalität“ entfleucht. Kerstin Leitner, GravenbruchSehr geehrte Herren!

Biedermeier, Brandstifter & Co., Diskus 2/66 Die westdeutsche Studentenpresse, allen voran der Diskus, läßt sich ihren Anspruch, der fortschrittlichste, kritischste, aufgeweckteste etc. Teil der bundesrepublikanischen Publizistik zu sein, gelegentlich durch Verbote durch die Universitätsadministrationen bzw. Drohungen bestätigen. Mir scheinen diese Konflikte jedoch weniger für die Fortschrittlichkeit der Studentenpresse zu sprechen, als für die zunehmende Restauration der Universitätsbehörden, der sich die Presse, verspätet, anpaßt.

Jüngster Beleg für meine Vermutungen: Ihr Versuch, den ohnehin bloß moralistischen Differenzierungsversuch des ZEIT-Kolumnisten Reich-Ranicki zu den Ergebnissen der letzten Sitzung des SED-ZK, zurückzunehmen und zu einer dümmlichen Polemik — bestenfalls Spiegel-Niveau — gegen die allerdings mehr als fragwürdige Kulturpolitik der-SED zu verwenden. Man muß Ihnen allerdings zugestehen, daß Sie dieser Kulturpolitik adäquat gerecht werden, indem der Artikel ebensowenig mit Kultur, wie mit Politik zu tun hat. Denn was leistet dieser Artikel wirklich? Die Informationen waren bekannt, eine Analyse wird vermieden, so als ob man sich mit den Worten der DDR-Bürger eigene Gedanken ersparen könnte. Indem er jede Reflexion vermeidet, paßt sich der Artikel nahtlos an das bei uns übliche Unbehagen am Zusammenhang von Kultur und Politik an. Der vorgeblich satirische Ton verfehlt nur den Witz der Sache und spiegelt die Verbitterung eines Pinschers, der nicht weiß, gegen wen er bellen soll. .. , Jochen Noth, Frankfurt am Main