An der Johann Wolfgang Goethe-Universität gibt es innerhalb der Hochschule für Erziehung ein — noch relativ — kleines „Institut für Jugendbuchforschung“. Kürzlich erst wurde man in der Öffentlichkeit darauf aufmerksamer, als nämlich eine Tagung vom „Arbeitskreis für Jugendschrifttum“, und gleichzeitig eine größere Ausstellung von alten Jugendbüchern stattfand. Professor Doderer, Leiter des Instituts, hatte auf der Tagung erklärt, welch großes Feld des Literaturkonsums entstanden sei, das die Wissenschaft bisher übersehen habe. Der DISKUS ging zu Professor Doderer und stellte einige Fragen zur Arbeit des Instituts. Das Institut ist das einzige seiner Art in Deutschland, und sicherlich weit mehr als ein Kuriosum! Ähnliche Berichte über Institute und Einrichtungen der Universität sind geplant Was ist ein Jugendbuch? Auf diese Frage reagierte Professor Doderer ebenso vorsichtig und umsichtig wie auf andere Probleme seines Forschungsgebiets, denen er nicht definitorisch zu Leibe rückt. Ihm erscheint die Frage, mit Recht, weitgefaßt, denn auch ein Buch wie Michel del Castillo’s „Elegie der Nacht“ fällt darunter, obwohl das im engeren Sinne kein Jugendbuch ist. Auch Karl May und die alten Leporellos rechnet er dazu. Er wehrt sich gegen eine Einengung. Wünsche und Vorstellungen der Kinder und Jugendlichen sind sehr wichtig, und einige Verlage versuchen durch Recherchen und Befragungen den Markt zu erforschen. Einige wenige nur sind auf kommerziellen Nutzen aus.

Wieviel gilt das Kriterium Spannung? Was heißt spannend? Spannend kann Kant, kann Stifter sein, alles mögliche kann spannend sein. Es kommt auf das geistige Niveau, auf die Leistungsfähigkeit der Leser an.

Gerade weil Professor Doderer die literatursoziologischen Probleme seiner Arbeit kennt, läßt er sich auf Thesen nicht ein, die dem Jugendbuch Wirkungen zuschreiben, die nicht gesichert sind. Pauschale Urteile, so sagt er, sind hier ganz besonders nicht möglich. Er meint, Triviales komme gerade auf einem Gebiet vor, das traditionell am Rande oder außerhalb der Literatur stehe. Die zentrale These lautet, daß die Unterschiede in der „Erwachsenen“-Literatur weitgehend auch hier gelten. Es besteht ein enormes Gefälle. Es gibt Bücher, die nur für Kinder gedacht waren (von Brecht, Storm Grimm und anderen Autoren), aber es hat zunächst gar nichts zu sagen, daß die Abnehmer Kinder sind. Andererseits ist bedeutende Literatur verniedlicht worden: wie Swift’s Gulliver und der berühmte Robinson von Defoe Hier muß man an die bürgerliche Erziehungdenken, an deren Bildungsideal, das die auf-klärerischen und satirischen Tendenzen insHarmlose wendete? Die Aufklärung spielte sicher eine große Rolle. Unsere Hypothesen, meinte Professor Doderer, basieren eigentlich nur auf Anschauungen des 19. Jahrhunderts. Die mythologischen Aspekte stammen aus der Romantik, die in der Kinderliteratuf Verklärendes fand. Das brachte andererseits aber auch Verkleidung der Kritik durch die Aufmachung. Zu erwähnen wären Mark Twain, Kästner, Busch, Ringelnatz, Morgenstern, bis hin zur modernen Lyrik und Prosa, die diese Mittel verwendet Brettlleute, Witz, Schrulligkeit, Satire, Karikatur und märchenhafte Aufmachungen sind aus Jugendbüchern nicht wegzudenken. Solche Züge tragen auch viele Versuche der neueren Jugendliteratur. Da ist z. B. Michael Ende mit seinen Jim Knopf Büchern, und Astrid Lindgren, die in einer Art surrealistischer Überhöhung schreibt; dann Tove Jansson, sie erfand eine Welt der Trolle, eine Familiengeschichte, in der sich ein ganzer Kosmos spiegelt. Sie illustriert ihre Bücher selbst, so eine Art Comicstrips. Übrigens, Feininger tat dasschon vor rund 50 Jahren, nicht wahr? Damalseine sehr freundliche Randerscheinung? Mil Comics hat sich das Institut länger beschäftigt. Baumgärtner untersuchte diese Gattung in ihren Gehaltsstrukturen und analysierte ihre politischen Tendenzen. Interessant ist, daß diese aus den USA importierte Gattung Züge aufweist, die im Dritten Reich gängig waren: Die Helden sind blauäugig und hehr, während die Feinde klein und häßlich sind. Zu der Frage, ob diese Lektüre eine direkte Wirkung aulden Leser hat, meint Professor Doderer, Brutalität und Rassenkonflikte kann man auf ganz andere Weise schildern, auf hohem Niveau. Auf dieser primitiven Ebene ist die Umsetzung sehr direkt und durch die Konsumgewohnheit adaptiert sich’s leichter. Die Comics-Welle scheint jedoch rückläufig zu sein. Die Umtauschaktion brachte ein Keller voll Comics ein, die die Basis für die erwähnte Untersuchung wurde. Für die allgemeine Beurteilung von Jugendbüchern ist es schwierig Kriterien zu finden, meint Doderer, zumal man mit Anschauungen zu kämpfen hat, die aus dem 19. Jahrhundert stammen; nach denen das Kind sich an eine „reine“, harmonische Welt gewöhnen soll Diese Kriterien müßten natürlich in Frage gestellt werden. Es würde für eine Darstellung n Jugendbüchern sprechen, die die Welt mit hren sozialen Mechanismen vorträgt. Es sollte auch eine Welt gezeigt werden, mit der man spielerisch umgehen kann. Das könnte für das Kind befreiende Wirkung haben, es mit der Welt vertraut machen und ihm gleichzeitig Abstand bewahren. Es wird übersehen, daß es eine sehr ernste, sozialkritische Jugendliteratur gibt: Christian Kirsch „Jahrgang 1934“; Hans Peter Richter „Damals war es friedlich“ (der die Diskriminierung der Judenkinder darzustelen versuchte); auch Salinger’s „Catcher in the rye“ gehört hierher; dann Ascher Pinkoff „Sternkinder“ ein Appell an die Menschlichkeit in Kästners Vorwort stehen die wichtigen Worte „wer aus einer schuldlosen Jugend eineahnungslose zu machen versuchte, der fügteneue Schuld zur alten“.

Über die Rolle und die Aufgaben des Instituts sagte Professor Doderer: Das Institut muß als ein Forschungsinstitut verstanden werden. Es sei nicht seine Aufgabe, Einfluß auf die literarische Produktion zu gewinnen. Dafür gibt es u. a. den Leserwettbewerb, die Jugendbuchpreise, bei denen das Institut nur die Auswertung und die Interpretation übernimmt. Auch der Geldmangel zwingt das Institut zu Beschränkung seiner Tätigkeit, andererseits fordert er Idealismus heraus. Es sind so viel wie möglich Kontakte nötig, denn aus diesen entsteht oft wichtige Hilfe. Der eigene Beirat, der einmal, zweimal im Jahr zusammenkommt, macht da einiges.

Unter den Studenten der HfE findet das Institut Interesse. (Als Prüfungsgebiet ist Jugendliteratur wählbar.) Eine gute Resonanz hat das Institut außerhalb der Universität unter den Jugendbuchverlagen z. B Das Institut plant zur Zeit Mammutprojekte. Vor allem ist das große Vorhaben, ein „Lexikon für Kinder- und Jugendliteratur" herauszubringen. Dann eine Dokumentation über Jugendliteratur im Dritten Reich. Es liegt noch die Auswertung des Jugendlesewettbewerbs vor, die in Zusammenarbeit mit dem Börsenverein des deutschen Buchhandels gemacht wird. Dann noch eine Analyse der Jugendzeitschriften; eine weitere Arbeit, die sich mit den religiösen Problemen in der Jugendliteratur beschäftigt; eine Sammlung von Kinderversen erscheint voraussichtlich im Herbst. G. Miller