Interview mit Miodrag Bulatovic
1. Halten Sie es heute für nötig, im Sozialistischen Realismus zu schreiben?
Vielleicht gibt es noch Schriftsteller, die es für nötig erachten - ich zähle mich jedoch nicht zu ihnen. Es gibt auch Schriftsteller, die gezwungen sind, im Sozialistischen Realismus zu schreiben — für sie sollte man Verständnis aufbringen. Es sind nicht alle in der Lage, dem Terror Widerstand zu leisten, insbesondere dem Diktat auf dem Gebiet des Kulturellen und des Geisteslebens. Der Sozialistische Realismus ist die gewöhnlichste utilitaristische Romantisierung und ich bin weder Anhänger des Utilitarismus noch der Romantik. Der Sozialistische Realismus wird sicherlich in Zukunft in den blockfreien Ländern Afrikas und Asiens großen Anklang finden. Der Sozialistische Realismus hat in Jugoslawien dagegen nie einen besonderen Erfolg verzeichnet, obwohl die geistige Freiheit der Generation vor mir in diesem Giftgas fast erstickt wurde. Ich aber trug eine illegale Gasmaske — wenn Sie mir diese Metapher gestatten — auch heute trage ich unter meinem Arm eine Spinne, die selbst während meines Schlafes weiterwebt. Diese Spinne ist meine Literatur und auch sie trägt eine kleine Gasmaske. Doch kehren wir zum Sozialistischen Realismus zurück! Es gibt kein einziges bedeutendes Werk im Bereich der Literatur, das nach dieser Methode geschrieben worden ist. Sowohl in der Musik als auch in der Literatur sind uns Ergüsse des Sozialistischen Realismus bekannt geworden: Hören Sie sich nur die diversen Lieder der Arbeit an und werfen Sie dann einen Blick auf die Berliner Mauer
2. Wenn ja — warum? Wenn nein — wann hat es ein Tauwetter in dieser Hinsicht gegeben?
Sie erwähnten das Wort Tauwetter und fragten, wann es begonnen hat. Dem wäre entgegenzuhalten, daß der Vereisungsprozeß nur die Oberfläche der Kunst erfaßte. Das stellen wir alle heute mit Freude fest, obwohl es viele gab, die früher in Panik geraten waren. Übrigens, die sich gefürchtet haben, besaßen kein Talent 3. Warum wird in der jugoslawischen Gegenwartsliteratur fast ausschließlich realistisch geschrieben, obwohl dieser Stil nach Joyce, Kafka, Beckett zumindest antiquiert anmutet?
In Jugoslawien schreibt man in allen möglichen Stilarten, und es gibt keine, die ausschließlicher Natur ist. Die jugoslawischen Schriftsteler und Leser kennen die von Ihnen erwähnten Schriftsteller besser als Sie denken — sie sind unsere Bestseller schon seit Jahren. Worauf beruht Ihr Mangel an Kenntnis?
4. Kennen Sie Grass? Wenn ja — glauben Sie, daß die Blechtrommel ein jugoslawisches Pendant finden könnte?
Ich kenne Grass persönlich und bin Bewunderer seines Schnurrbartes. Ich sehe kein Bedürfnis nach einem Grass in Jugoslawien. Im übrigen mag ich kein Epigonentum. Jedes Land muß ein Idol unter seinen Schriftstellern und seinen Boxern haben. Wir haben sowohl das eine als auch das andere. Meine Hochachtung für Günter Grass beruht auf Gegenseitigkeit. Wir unterhalten uns immer nur kurze Zeit und versichern uns dabei unsere gegenseitige Freundschaft. Wir haben auch einige gemeinsame Hobbies.
5. Gibt es in der jugoslawischen Literatur eine ähnlich kritische — satirische Richtung: Böll— Enzensberger?
In dem Sinne nicht. Jeder Tropfen unserer Satire ist angereichert mit Gift. Die Satire bei uns beruht auf Tradition, selbst unsere Geschichte ist satirisch. Und wenn mich nicht alles täuscht, auch unsere Zukunft. Und alle, die sich mit uns befassen, und mit uns Umgang pflegen, werden zu Satirikern. Wir lachen sehr oft durch Tränen, aber lachend töten wir auch. Westeuropa kennt noch nicht unsere Art der satirischen Literatur.
6. Warum nicht? Besteht ein Druck von „oben“ — ist die jugoslawische Literatur der Gegenwart gelenkt?
Ihre Frage ist ein reiner Witz und deswegen muß ich gleiches mit gleichem vergelten. Es gibt einen Druck — aber von unten und manchmal auch von der Seite. Wieso wollen Sie nicht begreifen, daß die Literatur nicht dirigierbar ist. Das, was dirigierbar ist, zählt nicht zur Literatur, es hat einen Namen, dessen deutsche Übersetzung ich auch einmal wußte. Der Rahmen dieses Gespräches verbietet es mir jedoch, dieses Wort auszusprechen.
7. Wäre in Jugoslawien ein Fall PASTERNAK denkbar?
Das ist nur schwer vorstellbar. Doch auf der Welt ist alles möglich, aber bei diesem Gedanken sträuben sich mir die Haare. Bitte, Ihre nächste Frage.
8. Gibt es einen deutlich feststellbaren Einfluß in formaler oder inhaltlicher Hinsicht westlicher Literatur? Welche deutsche Literaten? Wenn ja — von welchen Autoren?
Westliche Literatur übt schon seit Jahrzehnten einen Einfluß auf unsere Schriftsteller und das Publikum aus. Das ist auch richtig so. Die Jugoslawen nehmen alles auf, sogar das, was nichts taugt. In Jugoslawien gibt es viele originelle Künstler, aber auch Epigonen aller Richtungen. Ich sehe allerdings nicht ein, daß das besonders schlimm wäre, der Sumpf des Epigonentums wird den wirklichen Begabungen nie zum Verhängnis.
Sie fragen, welche deutschen Autoren besonderen Einfluß gewonnen haben?
Es gibt nur wenige deutsche Autoren der letzten Jahre, die sich international durchgesetzt haben. Aber das wissen Sie genauso gut wie ich. Bei uns haben französische und amerikanische Autoren den eigentlichen Erfolg.
9. Wird in Jugoslawien die sogenannte formalistische Kunst als dekadent verschrien?
Ich habe keine Ahnung. Aber bei uns ist es kein Makel, dekadent genannt zu werden. Nehmen Sie mich als Beispiel. Ich werde immer jünger, schöner und reicher. Auch ein Teil unserer Kritiker nennt mich ständig dekadent und einen Finsterling und ich habe mich nicht einmal bemüht, die Bedeutung dieser Worte zu begreifen.
10. Gibt es in der jugoslawischen Literatur eine Richtung mit Schilderungen von detaillierten sexuellen Szenen wie z. B. Henry Miller?
Ich habe solche Passagen nicht gesucht, aber hie und da vorgefunden. Ich lese erst jetzt Henry Miller, und zwar auf russisch (Verlag Grove Press — New York) Tropic of Cancer. Das ist ein überwiegend lyrisches Buch mit vielen Naivitäten und einer herrlichen Keuschheit. In meinem letzten Roman Der Held aufdem Rücken des Esels ging ich viel weiter, indem ich viele Details geschildert habe.
11. Ist eine sogenannte pornographische Literatur tabu?
Viel weniger als bei Ihnen. Bei uns sind andere Sachen tabu
12 .
Was halten Sie von den weiblichen Schriftstellern?
Das sind herrliche Muttis und Tanten. Übrigens ist meine Meinung von den Frauen bekannt: Sie sind wie ein Löschpapier, sie saugen alles auf und reproduzieren es seitenverkehrt.
Man nimmt sie am besten nach dem Essen zu sich, darf aber nicht vergessen, sie vor Gebrauch kräftig zu schütteln.