In Distanz zur nahestehenden Partei
Schon seit seiner Gründung waren der Liberale Studentenbund Deutschlands, beziehungsweise die einzelnen liberalen Hochschulgruppen, ein nicht immer bequemer Parteigänger. Zwar entstanden die ersten Hochschulgruppen in der sowjetischen Besatzungszone als Studentengruppe der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD) und verstanden sich auch als solche In den westlichen Besatzungszonen hingegen entwickelten die sich etwas später bildenden Gruppen auf Grund der unterschiedlichen Strömungen in der FDP eine mehr oder weniger enge Bindung an diese, ohne sich jedoch als Studentengruppe der Partei zu verstehen. Sie betrachteten es vielmehr als ihre Aufgabe, die FDP, die sich am 11. Dezember 1948 aus den demokratischen und liberalen Parteien der westlichen Besatzungszonen konstituierte, zu einer liberalen Partei zu machen und ein Abgleiten in eine allzu national angehauchte „große Rechtspartei“ zu verhindern. Einem betont nationalen Flügel der FDP, am stärksten in Niedersachsen und an der Saar vertreten, stand ein altliberaler Flügel in Baden/Württemberg, den Hansestädten und Berlin gegenüber.
Chronik einer Krise
Die inneren Spannungen der FDP hatten notwendigerweise auch Spannungen zwischen LSD und FDP zur Folge, da sich der LSD eindeutig auf die Seite des liberalen Flügels schlug und dessen Exponenten auf seinen Delegiertentagungen Gelegenheit gab, ihre programmatischen Erklärungen an die Öffentlichkeit zu bringen.
Einen Erfolg erzielte diese Richtung, als am 26. Januar 1957 in Berlin das vom LSD mitgeprägte „Berliner Programm“ gegen das „Deutsche Programm" durchgesetzt wurde. In der Bundesgeschäftsstelle der FDP nahmen ehemalige LSD-Mitglieder ihre Tätigkeit auf und erreichten einigen Einfluß, nicht jedoch in der Bundestagsfraktion. Durch die verstärkte Ostpolitik des LSD und sein Anspruch, mit Studenten in den Ostblockstaaten zu diskutieren, geriet er in stärkeren Konflikt mit der FDP. Die in Ostberlin erfolgte Verhaftung des Ostreferenten des LSD und seine Verurteilung in der CSSR brachten jedoch diese Aktivität für einige Zeit zum Erliegen. Die Aktivität der LSD verlagerte sich in den wirtschafts- und sozialpolitischen Bereich und geriet in noch stärkere Differenzen mit der FDP als er deren mittelstandsbezogene Politik kritisierte. 1961 beschloß die oberbayerische FDP keine LSD-Mitglieder mehr aufzunehmen.
Nach eingehender Auseinandersetzung mit dem Godesberger Programm der SPD und einer Analyse der Haltung von FDP und SPD erklären die Münchner Gruppen öffentlich, daß sie die FDP wegen ihrer Teilnahme an einer Koalition mit der CDU/CSU „deren führende Männer immer wieder ihre Mißachtung gegenüber den liberalen Prinzipien des Grundgesetzes bekundet haben“ nicht mehr als Trägerin des politischen Liberalismus in Deutschland betrachten könne und empfahlen bei den Bundestagswahlen die SPD zu wählen.
Mit dieser Münchner Erklärung war die sogenannte „Parteienfrage“ im LSD formuliert, die bis dahin nicht bestanden hatte. Auch die FDP-Gruppen innerhalb des LSD waren mit der Politik der FDP keineswegs zufrieden und so taucht seit der Delegiertenversammlung in Marienberg 1960 stereotyp die Forderung nach einer SPD-FDP-Koalition in den Beschlußkontrollen des Verbandes auf Die Reflektion des eigenen Standpunktes führte 1963 zum Konstanzer Grundsatzprogramm des LSD, in dem es unter anderem heißt: „Die Möglichkeit der Selbstbestimmung wird durch zu große Unterschiede der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Position illusorisch. Deshalb muß die Gesellschaft neben formaler Gleichheit jedem die notwendigen Voraussetzungen für seine Entfaltung gewährleisten.“ Indirekt wurde damit die Eigentumsordnung der Bundesrepublik kritisiert und die Möglichkeit von Verstaatlichungen angedeutet sowie Vollbeschäftigungspolitik und eine allgemeine ärztliche Versorgung angestrebt.
In Konstanz mußte der LSD sich auch darüber klar werden, wie die auf Grund der Parteienfrage bestehenden verbandsinternen Spannungen erträglich gemacht werden sollten. Der Beschluß von 1954: „der LSD ist ein unabhängiger politischer Studentenverband. Er glaubt seine Ziele am besten in Zusammenarbeit mit dr FDP verwirklichen zu können.“ ... ließ den nicht an der FDP orientierten Gruppen ausreichenden Spielraum.
LSD, wie hältst du’s mit der FDP?
Auf eine andere Stellungnahme des LSD in Konstanz, daß nämlich die Oder-Neiße-Linie nach der Wiedervereinigung als deutsche Ostgrenze anerkannt werden soll, reagierte die FDP eilends mit der Feststellung, daß es sich bei dem Studentenverband um eine völlig unabhängige Gruppe handele, die auch Mitgliedern anderer Parteien offenstehe Trotz der deutlichen Distanzierung kam es zu keinem Bruch. Herbert Marcuse betrachtet als einheitliche Grundlage des Liberalismus: „die freie Verfügung des individuellen Wirtschaftssubjekts über das Privateigentum und die staatlich-rechtlich garantierte Sicherheit dieser Verfügung“. Daran wurde erst in der Folgezeit gerüttelt, als die programmatische Arbeit des LSD in den Bundesausschüssen vorangetrieben wurde. Als 1963 der Münchner Parteitag der FDP nicht die erwartete Ablösung von Mende brachte und von einer Reform der FDP nichts zu spüren war, entfremdete sich der LSD immer mehr von der FDP In den Ausschüssen wurde ein Deutschlandprogramm im Rahmen europäischer Entspannung und, was für das Verhältnis FDP—LSD bedeutender ist, ein Wirtschafts- und Sozialprogramm erarbeitet. Das 1965 von der Delegiortenversammlung in Höchst beschlossene Programm befaßt sich vor allem mit der Eigentumsideologie der Bundesrepublik und entscheidet sich gegen die Bildung von Kleineigentum auf Kosten zu erbringender Bildungsund Sozialinvestitionen als wichtigster Voraussetzung persönlicher Freiheit.
Nicht aber das Programm, das von der FDP erst allmählich zur Kenntnis genommen wurde, sondern die Wahl des neuen Bundesvorstandes des LSD führte zum offenen Konflikt. Der neue Vorstand des LSD bestand aus einem FDP-Mitglied als erstem Vorsitzenden, einem SPD-Mitglied als zweitem Vorsitzenden und einem parteilosen dritten Vorsitzenden. Eine Kritik an Bücher und die Erklärung des Berliner Landesverbandes zum 8. Mai taten ihr Übriges und das Verhältnis FDP/LSD wurde auf diese Tagesordnung des FDP-Bundesvorstandes gesetzt. Dieser beschloß, die Zusammenarbeit mit dem LSD, dessen erster Vorsitzender früher in den Bundesvorstand der FDP kooptiert wurde, zu unterbrechen aber die finanzielle Unterstützung bis zum 1. Oktober 1965 fortzusetzen. Zur Klärung des Verhältnisses sollte ein Bundesseminar zwischen FDP und LSD stattfinden Inzwischen traten weitere Verstimmungspunkte hinzu. In Marburg weigerte sich die LSD-Gruppe gegen die Universitätssatzung zu verstoßen und Räume für eine reine Wahlkampfveranstaltung der FDP zu besorgen. Die Marburger Gruppe war zu einer gemeinsamen Veranstaltung bereit, bei der die Gruppe Einleitung und Schlußwort habe. Die FDP war verstimmt und griff auf die Burschenschaft Allemannia zurück, die ihren Wünschen willfähriger war. Die Gruppen Hamburg, Würzburg und München traten während des Bundestagswahlkampfes als Mitveranstalter und Organisatoren der Wahlreise von Günter Grass für die SPD auf
Ultimatum der FDP
Am 1. Oktober 1965 stellte die FDP ihre Zuschußzahlungen ein und von einem gemeinsamen Seminar war nicht mehr die Rede. Verhandlungen im Dezember über eine weitere Zusammenarbeit brachten unter anderem die Forderungen der FDP an den Tag: a) daß keine SPD-Mitglieder als Funktionsträger tätig sind, b) daß LSD und FDP sich programmatisch wieder annähern, insbesondere durch eine Änderung des „Aktionsprogrammes für Wirtschaftsund Sozialpolitik“ des LSD.
In etwas modifizierter Form lagen diese FDP„Forderungen" der Delegiertenversammlung des Liberalen Studentenbundes im März dieses Jahres in Höchst im Odenwald zur Beschlußfassung vor. Die Zuschüsse der FDP hatten es dem LSD bislang ermöglicht, die erforderlichen Eigenmittel aufzuweisen, die ein politischer Studentenverband braucht, um Geld nach dem Bundesjugendplan zu erhalten.
Sollte man aber dafür so weiterlavieren wie bisher, in ständigem Streit mit einer FDP, die auf eine CDU/FDP-Koalition eingeschworen zu sein scheint, deren Fraktionsmehrheit (27 Stimmen dafür, 16 Stimmen dagegen) die „einfachen“ Notstandsgesetze im Bundestag durchbrachte und die sich eine Annäherung in wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen im Sinne einer Anpassung des LSD vorstellt? Sollte man dies alles in Kauf nehmen, weil man mit einzelnen Mitgliedern der FDP in Fragen der Kulturpolitik und der Ostpolitik gut Zusammenarbeiten konnte? Eine starke Minderheit von Delegierten war eher bereit, das finanzielle Risiko zu wagen und den Verband so unabhängig praktizieren zu lassen, wie es LSD-Beschlüsse schon seit Jahren vorsahen Das heißt, der Bundesvorstand geht keine Generalbindung mit irgendeiner Partei ein, sondern arbeitet nach Sachbereichen getrennt jeweils mit der Partei oder politischen Gruppe zusammen, deren Vorstellungen den Verbandsvorstellungen am nächsten kommt. Der von den fünf politischen Studentenverbänden BDIS, HSU, LSD ,SDS und SHB einberufene Kongreßgegen die Notstandsgesetze am 30. Mai 1965 mag als Beispiel dienen. Das Zusammenarbeiten von Gewerkschaften einerseits und Intellektuellen andererseits wurde in einem begrenzten Sachbereich mit Erfolg praktiziert.
Eine derartige Konzeption, die auf Grund der Mitgliedschaft von LSD-Mitgliedern in FDP und SPD (es soll auch ein CDU-Mitglied geben) eine enge Zusammenarbeit mit einer Partei auf Orts- und Landesebene einschließt, erfordert verstärkte Grundsatzarbeit und eine finanzielle Basis. Der Sprecher der Minderheit berichtete, daß die Münchner Gruppen durch einen „Freundes- und Fördererkreis“ unter dem Vorsitz von Hans Werner Richter unterstützt werden. An diesem Freundeskreis sind auch Paul Schallück, Dieter Hildebrandt, Rudolf Augstein, Günter Grass und andere beteiligt.
Alternativ zu dieser Konzeption blieb nur die Möglichkeit, sich den „Kompromißbedingungen“ der FDP zu beugen: Keine SPD-Mitglieder mehr in den Bundesvorstand zu wählen, über das Wirtschafts- und Sozialprogramm im Sinne einer Anpassung zu diskutieren, in allen Gliederungen nur noch die FDP zu unterstützen, also Unabhängigkeit und verbriefte Gruppenautonomie aufzugeben.
Drei Tage lang, vom Mittwochabend bis Freitagnachmittag, diskutierte man über die Zukunft des Verbandes und die Fronten zeichneten sich immer deutlicher ab. Eine knappe Delegiertenmehrheit betrachtete den vorgeschlagenen Weg als ungangbar, stellte sich vor die Alternative, organisatorische Zusammenarbeit mit der FDP oder SPD auf Bundesebene und kam zu dem Schluß, dann doch lieber FDP Was solle denn auch die SPD mit einem legitimen (SHB), einem illegitimen (LSD) und einem verstoßenen Kind (SDS) machen?
LSD in der Klemme
In Beharrende und Reformer gespalten wartete man nur noch darauf, wer welche Katze wann aus dem Sack lassen würde. Nachdem der FDP-freundliche Flügel eingesehen hatte, daß der Ausschluß einer Kandidatur von SPDMitgliedern für den Bundesvorstand nur über eine Satzungsänderung möglich war, für die aber die erforderliche Mehrheit fehlte, gedachte er sich des Problems eleganter zu entedigen. 29 von 54 Delegierten unterschrieben eine Erklärung, daß sie „beabsichtigen, kein Mitglied einer anderen Partei als der FDP in den Bundesvorstand zu wählen“ und der betreffende Antrag verschwand von der Tagesordnung. Mit 31 gegen 23 Stimmen wurde dann die FDP-Forderung nach Unterlassung jeder öffentlichen Unterstützung anderer Parteien (etwa Grass-Wahlreise) angenommen. In einem Zusatz hatte man vorher jedoch festgelegt, daß nur solche Aktivitäten untersagt seien, mit denen „die FDP als Partei diffamiert oder in ihrer Existenzberechtigung angezweifelt“ werde.
Die offene Stimmabgabe zeigte deutlich, daß die auf Unabhängigkeit drängende Minderheit Anhänger in den mitglieder- und leistungsstarken Gruppen Berlin, München, Hamburg und Frankfurt am Main besaß und nur mit Hilfe von Stimmen aus Worms, Braunschweig, Erlangen und Nürnberg minorisiert werden konnte. Da die Überstimmten glauben, daß der von dieser Mehrheit eingeschlagene Kurs keine Durchschlagskraft habe und nur die Unabhängigkeit aufs Spiel setze, schloß sich die „Minderheit“ zu einem Verband innerhalb des Verbandes zusammen, zur „Arbeitsgemeinschaft Liberaler Studenten im LSD“ (ALS). 37 von 76 anwesenden LSD-Mitgliedern unterschrieben die Gründungserklärung der ALS. In ihr wird betont, daß man an der von der Mehrheit verlassenen Basis eines unabhängigen, liberalen Studentenbundes festhalte, sozialliberale Vorstellungen im Sinne des Konstanzer Grundsatzprogrammes vertreten werde und in diesem Rahmen loyal zum Bundesverband stehe. Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft kommen nicht nur aus den Großstädten Berlin, München, Hamburg und Frankfurt, sondern auch aus Freiburg, Würzburg, Bonn, Münster, Heidelberg, Mannheim und Stuttgart.
Alles offen
Als dann bei den Wahlen zum Bundesvorstand zunächst nur zwei ALS-Mitglieder kandidierten und erst nach einigem Suchen ein Vorstand aus FDP-Mitgliedern gefunden werden konnte, zeigte sich die Schwäche der Mehrheit deutlich. Dieser Ausgang der Delegiertenversammlung konnte der FDP kaum gefallen. Sie hatte nicht erreicht, daß der Verband geschlossener für sie eintritt, sondern nur zum Zusammenschluß einer starken, aktionsfähigen Opposition beigetragen. Da selbst die FDP-freundlichen Deegierten nicht als FDP-treu zu bezeichnen sind, mußte die FDP erkennen, daß sie den „distanzierten“ LSD nur ganz verlieren kann, nicht aber mit Drohungen gewinnen kann. Angesichts der jüngsten Wahlergebnisse scheint der FDP ein gleichzeitiger Verlust nach rechts und links nicht gerade erstrebenswert. Sie unterstützt den Bundesvorstand des LSD finanziell weiter, ist sich aber über eine Zusammenarbeit nicht schlüssig.
Die Auseinandersetzungen zwischen dem LSD und der ihm „nahestehenden" FDP sind ein anschauliches Exempel für die allgemeine Konfliktsituation zwischen politischen Studenten und politischen Parteien in unserer Republik.
In der nächsten Nummer des DISKUS schreibt Harald Skoblies über „Die Malaise der politischen Studenten.“