Vorbildlich ausgerüstet mit einem lückenlosen Verzeichnis der Theater- und Filmvorstellungen sowie der interessanten Lokale, fand der Delegierte ohne Schwierigkeiten heraus, wodurch er sich am sinn- und lustvollsten den Nachtsitzungen während der 18. oMV des| Verbandes Deutscher Studentenschaften ententziehen konnte. Scheint es doch in Heidelberg leichter als anderswo zu sein, das Herz zu verlieren.

Prompt geschah auch das Vorhergesehene: nicht nur traten einige Pädagogische Hochschulen dem VDS bei; neben Münster, Hamburg, Mainz, Gießen und den anderen Universitäten kehrte auch Köln, Primus der Rebellen, in die Arme der „armen mater“ zurück. Hatten politische Gründe ohnehin in den wenigsten Fällen den Austritt bzw. die Austrittsdrohung bedingt, drehte sich beim Wiedereintritt die Diskussion konsequent um die Verwendung der Beiträge, deren Fehlen durch den Boykott auch zum Bankrott des Verbandes zu führen drohte. Werde mehr Geld für die Fachverbände im VDS verwandt, so war zu vernehmen, würden die Wiedereintritte erfolgen. Das Geld müsse erst vorhanden sein, tönte es zurück, und es sei erst, wenn den Austritten widerrufen sei. Die Katze biß sich in den Schwanz und was den einen Bedingungen waren, waren den anderen Erpressungen, und die könne die autonome MV nicht akzeptieren. Die bedindungslose Kapitulation der Abtrünnigen war unvermeidlich, die Freude wurde mit säuerlicher Miene ertragen.

Die Studentenschaftsbeschlüsse, die Bildungskampagne in der BRD zu verstärken, können ironischerweise nur als Drohung betrachtet werden: gegen die Studentenschaft selbst. Eine erfolgreiche Kampagne könnte dazu beitragen, die mittelalterliche Sozialstruktur in der BRD aufzulösen; um den Preis einer fatalen Wirkung auf die ohnehin überfüllten Universitäten jedoch. Wann das 1964 von den Ländern Unterzeichnete Finanzierungsabkommen zur Sicherung der Universitätsneubauten in Kraft tritt, ist nicht abzusehen. Der Beitritt des Bundes zu diesem Abkommen dürfte schwerlich erfolgen, bevor die von der Troeger-Kommission konzipierte Finanzform durchgeführt ist, die die Rechte der Cänder stark einzuschränken droht.

So gefährlich die Zentralisierung von Kompetenzen im Bund beim Stand der demokratischen Verhältnisse in der BRD erscheinen muß, gilt doch uneingeschränkt das Argument, daß die Länder nicht nur bei der Planung von Hochschulneu- und -umbauten kläglich versagen, sondern auch bei ihren Versuchen (soweit sie überhaupt gemacht werden), ein einheitliches Ausbildungsförderungsgesetz zustande bringen. Wie schon früher bemängelte auch während seiner 18. oMV der VDS die unkoordinierte nebeneinander stehenden Förderungsflickwerke, insbesondere die von Land zu Land verschiedene Voraussetzung für die Förderung nach dem Honnefer Modell. Soll in dem einen Land tendenziell jeder überhaupt zum Studium befähigte gefördert werden, sieht das andere eine ausgesprochene Begabtenförderung vor. Bei der weiten Verbreitung elitären Denkens verwundert nicht, daß der VDS mit schöner Regelmäßigkeit fordern muß, die Förderung lediglich von der Erfüllung allgemeiner Leistungsansprüche der Universität abhängig zu machen. Die ideologische Vorstellung, bei der Studienfinanzierung müsse ein Rest Eigenbeteiligung vorhanden sei, akzeptiert nicht einmal Burschenschaftler Diepgen (aus Mondo Cane bekannter VDS-Vorsitzender für Inneres) als Grund dafür, monatlich bedeutend weniger als die notwendigen DM 380,- zu vergeben.

Als ähnlich zweifelhaft wie die Empfehlung, Bildungswerbung zu betreiben, erscheint jene, an den einzelnen Universitäten psychohygienische (!) Beratungsstellen einzurichten. Nachgewiesenermaßen resultierten die unter Studenten besonders weit verbreiteten psychischen Störungen in großem Maße aus unzureichender Studienplanung, unzureichenden Möglichkeiten für diese Planung und aus der somit unübersehbaren Prüfungssituation. Psychohygiene, was immer das sein soll, kuriert die Symptome an den Studenten, nicht die Krankheit der kerngesunden, will sagen: im Kern gesunden, Universität.

Ein wichtiger und voraussichtlich noch einige Diskussion provozierender Beschluß empfiehlt den örtlichen Studentenzeitungen die Aufnahme von Vorlesungskritiken ins redaktionelle Programm. Die Diskussion der Studentenvertreter über diese Vorlage beschränkte sich weitgehend auf die Frage, ob solche Kritiken anonym oder namentlich gezeichnet veröffentlicht werden sollen — ihre Notwendigkeit blieb praktisch unbestritten. Ob allerdings auch die angestrebte bessere Information der Anfangssemester erreicht werden kann, bleibt offen: in seiner 50. Ausgabe demonstriert der FUSpiegel etne Schwierigkeit: „Ursprünglich hatten wir vor, sogenannte Massen- oder Hauptvorlesungen zum Gegenstand unserer Betrachtung zu machen, aber bei der Suche nach zur Beurteilung fähigen Studenten stellte sich heraus, daß ältere oder examinierte Studierende solche Vorlesungen nicht besuchen.“ Warum sollten sie auch?

Ein weiteres Ziel der Vorlesungskritiken ist die Unterstützung der Forderung, möglichst in Zusammenhang mit einer Reform des Studiums während der ersten Semester ein „Institut für hochschuldidaktische Forschung“ und an möglichst vielen Universitäten „hochschuldidaktische Zentren“ zu errichten. Aufgabe von Institut und Zentren wäre eine allgemeine Gegenüberstellung von Lehrmethode und -erfolg, ferner die erleichterte Auswahl der Lehrgegenstände im Hinblick auf das Studienziel — die persönliche Erfahrung des Dozenten erhielte eine feste wissenschaftliche Basis.

Der Bestätigung früherer Beschlüsse diente die die Vorlage zum Disziplinarrecht. Rechtzeitig zur MV veröffentlichte der VDS eine Untersuchung von Hartmut Rotter (VDS-Angestellter) mit dem Titel „Ethische Totalbindung des Studenten?“, deren Ergebnis nicht überrascht: jegliches Disziplinarrecht für Universitätsbürger verstoße gegen die Rechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf Meinungs- und Weltanschauungsfreiheit, auf Vereinigungsfreiheit und auf freie Wahl der Ausbildungsstätte; jegliches Disziplinarrecht sei also verfassungswidrig. Bindung statt Bildung: einer der Ansprüche, die noch tief im Mittelalter wurzeln. Doch auch der VDS mutet wie der Ausfluß eines Ständestaates an denn als eine emanzipierte Gesellschaft. Sein Wort vom mangelnden Kontakt zwischen Student und AStA, AStA und VDS im eignen Ohr, sollte auch Janssen erkennen, daß sich zumindest die Verbindung zwischen Student und AStA schwerlich verstärkt, so lange der VDS sich nicht in eine freiwillige Vereinigung der Studenten umwandelt. Durch diese Metamorphose könnte sich auch seine politische Wirksamkeit erhöhen.

Die außenpolitischen Beschlüsse des VDS kritisieren vor allem die Studentenunterdrückung in Rhodesien, Spanien und Griechenland; im Zusammenhang mit den örtlichen sozialen Problemen wünscht der VDS stärkere Kontakte zu den Studentenschaften Lateinamerikas. DerTenor der Beschlüsse, die Osteuropakontakte betreffen, fand eine angemessene Umschreibung in der Formulierung, der VDS wolle keine „kleine Hallsteindoktrin praktizieren". Vorzüglich die Bemühungen, mit der FDJ ins Gespräch zu kommen, sollen verstärkt werden. Ein bemerkenswertes Schicksal erlitt eine Vorlage zur Situation in Vietnam. Eine starke Minderheit, darunter Frankfurts Delegationsleiter Arneth, versuchte schon in der ersten Lesung einen Beschluß zu verhindern. In der dritten Lesung wandelte sich die Minderheit zu einer Mehrheit.

Insgesamt 20 Stunden Personaldebatte unterbrachen die Kür der neuen Vorstandsmitglieder. Oberster Herrscher aller Studenten der Bundesrepublik ist für ein Jahr stud. phil. Walter Hirche (CC) (der in Konstanz anregte, beim Bau neuer Universitäten die Verbindungshäuser gleich einzuplanen). Stellvertreter für Soziales wurde stud. theol. Martin Kasprik (SPD, SHB), für Fachverbandsfragen stud. theol. Ch. Haubold und für internationale Fragen Udo Krönner (TH). Die Herren Schellenberg und Vater aus Frankfurt lehnten die ihnen angetragene Kandidatur mit einer eigentümlichen Begründung ab: die Funktionäre wollen sich zu Studenten mausern. Burkhard Blüm