Demonstration der Justiz
Am 27. März 1965 steckten Polizisten des ersten Polizeireviers in Frankfurt den Studenten Klaus Arons in einen Polizeiwagen. Fast ein Jahr später betrieb ein Gericht in Frankfurt süffisant Sprachregelung. Man verhandelte über Unterschiede zwischen „fallen" und „niederstößen“, „Demonstration“ und „Dahingehen“, „Laufschritt“ und „schnell gehen“ Gegenstand der Hauptverhandlung war immerhin die Anklage wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Der Angeklagte Arons, amerikanischer Staatsbürger und Student in Deutschland, hatte am 27. März letzten Jahres an einer Demonstration gegen den Krieg in Vietnam teilgenommen. Auf dem Heimweg von der Demonstration hatte er das Schild, das er während der Demonstration offen getragen hatte unter den Arm geklemmt. Andere Leute, die von der Demonstration kamen, waren auch noch unterwegs nach Hause in der Goethestraße. Dort, kurz vor der Einmündung in den Opernplatz, kam Polizei, die den Arons ohne viel Federlesens in einen Wagen wuchtete, offenbar in der Annahme, er sei ein gefährlicher Demonstrant Arons ließ wissen, er habe unter anderem eine ärztlich-bescheinigte Verletzung davongetragen. Widersprochen haben die Polizisten, einmal Arons und vor allem sich selbst. Denn von Schlägen wollten sie nichts wissen. Sie hatten nur eine Kette gebildet, um eine Demonstration aufzuhalten, die nach Auflösung einer genehmigten sich durch die Goethestraße gewälzt haben soll, und zwar unerlaubt Folgende Teile aus Dialogen beanspruchen nicht, authentische Dialoge wiederzugeben, aber sie beanspruchen, einen authentischen Bericht mitzubilden. Vergessen werden darf nicht, daß der Ton der Verhandlung geradezu freundlich war im Vergleich zu dem der vorhergegangenen zweiten Verhandlung Bei der Zeugenaussage des Polizeibeamten Hüttel, 1. Polizeirevier, fragt der Richter nicht präzis nach der von Arons geschilderten Knebelung im Polizeiwagen. — Verteidiger: Darf ich berichtigen, Arons ist, wie geschildert, nicht gefallen, sondern niedergestoßen worden, das ist nicht exakt vom Zeugen gesagt.
Vorsitzender: Das ist doch egal Verteidiger: Nein, niedergestoßen ist etwas anderes Vorsitzender: Wollen Sie mir Deutschunterricht erteilen? — Vorsitzender: zehnte Klasse, was ist das? Publikum: Obersekunda Vorsitzender: (verblüfft) so — (dann laut): mit hnen führe ich kein Gespräch. — n der ersten Verhandlung erschien Arons nicht, weil er durch ein Versehen nicht rechtzeitig den Termin erfahren hatte. Im Gerichtssaal tauchte damals ein bärtiger junger Mann auf, verspätet; Vorsitzender (zum Justizangestellten): Der Angeklagte Arons ist nicht da? Justizangestellter: Nein Vorsitzender: Da kam doch so ein bärtiger Mann herein Man schaut sich im Saal um Justizangestellter: Ja da hinten Vorsitzender: Hallo Sie, ja Sie, wissen Sie, wo Arons ist? — Zur dritten Verhandlung hat der Angeklagte sein a priori-Verdachtsmoment, den Bart, abrasiert. In dieser Verhandlung spielen einige Fotos eine wichtige Rolle.
Verteidiger: Ich übergebe dem Gericht einige Fotos von einem Journalisten, den ich glückicherweise ausfindig machen konnte Vorsitzender: Warum, meinen Sie, sind die Poizisten auf Sie eingedrungen?
Arons: Die Polizisten waren wohl nervös Auf die Frage des Vorsitzenden, was u. a. den Eindruck einer Demonstration erweckt habe antwortet ein Polizist: Es war ein Ruf erschallt daß sie zum Konsulat ziehen. — Aber an Einzelheiten erinnern sie sich trotzdem; ein Polizist: Der Angeklagte hat sich gebückt ... er lag nicht auf der Straße, niedergeschlagen ... Dem Zeugen, einem Polizeibeamten, werden — wie seinen Kollegen — Fotos gezeigt: ein Beamter kniet auf jemandem. Ist es der Angeklagte? Oder etwa noch ein anderer?
Vorsitzender: Gottseidank gibt es ja selten solche Einsätze. — Vorsitzender: (auf die Fotos weisend) Wo ist die Kette? (gemeint ist der Polizeikordon) Polizist: Die Kette ist außerhalb des Fotos. — (Wo die Kette nun gewesen sein soll, das bleibt rätselhaft.) Vorsitzender (Sprachunterricht erteilend): Lassen Sie das „beziehungsweise", das ist sehr schlechtes Deutsch Vorsitzender (im nächsten Satz): ...aus polizeiverwaltungsmäßigen Gründen .. Vorsitzender: Das ist ja völlig neu, daß da andere zu Boden gekommen sein sollen. — (Je nun, bei der Betrachtung der Fotos liegen solche Vermutungen sehr nahe.) Zeuge (ein Polizist): ... ich ihm sogar freundicherweise die Brille abgeommen habe ...
(zum fairen Schlagabtausch auffordernd?) Derselbe Zeuge bei der Betrachtung der Fotos: Die Aufnahmen scheinen hinter der Absperrung gemacht worden zu sein ..
(Auf den Fotos sind Passanten zu sehen, was auch nicht gerade auf turbulente Privatdemonstrationen schließen läßt, eher auf normalen Fußgängerverkehr.) Zeuge Jung (Polizist): ...Demonstration hat sich an der Hauptwache gebildet...
Zeuge Gebert (Polizist): ... wir hatten Großeinsatz den Tag ... Demonstration hat sich an der Hauptwache aufgelöst...
Polizeirat Mihm (Leiter des Einsatzes in der Goethestraße): ... hatten Auftrag, daß auf der Hauptwache Ruhe herrsche ... es wurde der Ruf laut: zum Konsulat. (Gemeint ist das amerikanische). Ich habe dann über Lautsprecher dreimal dazu aufgefordert, die Straße zu räumen ... wir bildeten eine Sperrkette ... diejenigen waren festzunehmen, die getreten und geschlagen hatten ... an die Fälle im einzelnen kann ich mich nicht erinnern, da ich ja der Leitende war ... wir hatten zwei Polizeiautos quer gestellt und uns bis an die Hauswände gestellt. Die Demonstranten kamen ja zuerst auf dem Bürgersteig ..
(das tun Demonstranten ja immer, damit sie weniger auffallen; ein ganz geschickter Trick) . schreiend kamen sie, so daß ich sofort die Demonstranten erkannte ... sie kamen zum Teil im Laufschritt Zeuge Gebert: ... die kamen da so her..
Der Polizeirat: ...vor der Kettenbildung dreimal aufgefordert sich aufzulösen ... kann sein, der Angeklagte hat vielleicht nur die Auflösung gesehen Fotos werden dem Polizeirat gezeigt, er sagt Das ist auf der Hauptwache?
Den Vorhaltungen von Vorsitzenden und Verteidiger setzt der Polizeirat immer entgegen er habe eine enge Kette bilden lassen; leider st nicht festzustellen, wo sie gewesen sein soll. Der Vorwurf gegen den Angeklagten, er habe die Kette durchbrechen wollen, wird äußerst geschwächt, fast unhaltbar Der Verteidiger bringt ein Schreiben vor, das von der Stadt an die Polizei gegangen ist. Es enthält die Anweisung, gegen Demonstrationen vorzugehen, die gegen eine befreundete ausländische Macht gerichtet sind. Aus diesem Schreiben, das er kennen sollte, da es Richtinien für seine Arbeit enthält, will der Polizeirat nichts für sein Verhalten entnommen haben. Das seinerzeit aufsehenerregende Schreiben dokumentiert den usurpierten außenpolitischen Aberwitz der Polizei. — Köhler: ... ich habe als Journalist an der Demonstration teilgenommen ... Arons ist mir aufgefallen, er las in einem englischen Buch zu Beginn ... In der Goethestraße ging Arons alein ... er wollte weglaufen, als die Polizei kam ... die Polizisten schienen eine seltsame Art zu haben, sich auf Arons zu konzentrieren ...
Vorsitzender: Was las der Angeklagte denn zu Beginn?
Köhler: Fanny Hill Vorsitzender: Ein sehr friedliches Buch, (langes Lachen im Saal). — Ein Hauptzeuge wird nicht mehr vernommen derjenige, der Arons geschlagen, am meisten geschlagen haben soll. Er ist in Urlaub. Mit einmütigem Beschluß wird das Verfahren eingestellt, nach Paragraph 153, Absatz 3 des Strafgesetzbuches n der mündlichen Urteilsbegründung hieß es unter anderem, daß die Polizisten einen sehr sehr schweren Dienst zu leisten hoben ... ihr Bestes versucht haben (ja ihr Bestes versucht haben; etwa ein Dutzend anderer Zeugen der Verteidigung wird nicht mehr gehört, es wird nicht mehr die Rede sein von „fallen" oder „niederstoBen“ auch anderer Leute, es wird nicht gesprochen werden von dem Foto, das den Polizeirat zeigt, wie er einen Arm zum Befehl hebt und vor ihm, vor seinen Füßen einen jungen Mann liegen hat, der von Polizisten untengehalten wird. Der Polizeirat hat nichts gesehen) .. nach Paragraph 153, Absatz 3 des StGB wird das Verfahren eingestellt, die Staatskasse trägt die Gerichtskosten, ... es besteht kein öffentliches Interesse Paragraph 153 ist eine besonders humane Bestimmung (sind es andere weniger?) ... und zugunsten des Angeklagten spricht, daß er in der Hauptverhandlung auch keinen schlechten Eindruck gemacht hat... im übrigen spricht für hn, daß die Situation nicht mehr klar.. man kann sagen, daß Arons nur einer unter vielen man kann ihn als Mitläufer bezeichnen (Welche Infamie, die respektvolle Haltung als höhere Blödheit aufzufassen.) den Polizisten werden etwas die Nerven durchgegangen sein ...
... im übrigen hinterließ der Angeklagte persönlich einen sehr günstigen Eindruck ... (Was soll das?) Ein verdammt freies und vernichtend unabhängiges Urteil. Da der Angeklagte ein mittelloser Student ist, zudem Ausländer, verzichtet er besser auf Fortsetzung des Gerichtsstreits. Die Anwaltkosten muß er sowieso tragen. Sein Trost: er hatte einen guten Verteidiger: Rechtsanwalt Christian Raabe ging den Möglichkeiten nach geschickt vor Gegen die Polizisten noch Strafanzeige erstatten? Es hat wenig Sinn, sich als Märtyrer aufzubauen. Der Angeklagte ist zu einem Sieg ohne Gewinn verurteilt. Politisch gewinnt die Staatsgewalt Das Urteil ist im Rechts-Sinne nicht zu beanstanden. Die Polizei muß sich wieder einmal gefallen lassen, des brutalen zu schnellen Vorgehens verdächtig zu sein Auf dem Angeklagten lastet der ehrenhafte Verdacht, sich nichts gefallen zu lassen, ebenso wie der Verdacht, politischen Anstand zu wahren. D. W.