1850 lebten in den Vereinigten Staaten 400 764 Indianer. 1900 waren es noch 237196. Der große „Meyers“ von 1904 bemerkt dazu: „In den Kriegen zwischen den beiden Rassen mußten die Indianer natürlich unterliegen. Die Kosten aller von den Vereinigten Staaten gegen die Indianer geführten Kriege hat man auf 1000 Millionen Dollar geschätzt.“ Adalbert Weinstein berichtete am 19. März 1966 aus Vietnam: „Der General (Ward, Befehlshaber von Da Nang) wird nicht müde, seine Begeisterung für die Befriedung auf die Soldaten zu übertragen. Sie sollen sich wie Pioniere fühlen. Das Leben in den Lagern erinnert sie an ihre Vorfahren. Die Vietcong sind die Indianer ... Hier wiederholt sich das alte amerikanische Programm GO WESTWARD YOUNG MAN.“ Präsident Johnson erklärte nation-wide: „Heute abend sterben Amerikaner und Asiaten für eine Welt, in der ein jedes Volk sich für einen eigenen Weg der Lebensgestaltung frei entscheiden können soll. Dies ist der Grundsatz, für den unsere Vorfahren in den Tälern Pennsylvaniens kämpften, und dies ist der Grundsatz, für den unsere Söhne im Dschungel von Vietnam kämpfen.“ Die Reisbauern Vietnams haben, soweit bekannt, die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika bisher nicht gebeten, dafür zu sorgen, daß sie sich für einen eigenen Weg der Lebensgestaltung entscheiden können. Aber die US-Army trägt Sorge dafür, daß es kein American Way of Democracie sein wird. Der „Weltspiegel“ (Fernsehen, 1. Programm) zeigte einen Bericht über ein südvietnamesisches Dorf nach einem Luftangriff durch amerikanische Flugzeuge. Die Überlebenden empfingen die nachrückenden „Ledernacken“ mit unverhohlenem Haß. Die Soldaten sahen teilweise aus wie Kinder, die nicht begreifen können, was sie angestellt haben. Verlegen boten sie den vietnamesischen Kindern, die aussahen wie Erwachsene, etwas zu essen an. Obwohl sie offensichtlich Hunger hatten, nahmen sie nichts. Kommentar: „Keiner nimmt ihre Kekse.“ Wie sollen die Reisbauern Vietnams hinter den schwarzen Rauchwolken der Napalmbrände die Verheißungen der Demokratie erkennen Wenn sie lesen und schreiben können, haben sie es von den „Vietcongs“ gelernt. Für sie sind Onkel Ho und Uncle Sam keine Alternativen mehr.

In den Städten haben die Amerikaner weniger Sorgen, daß man nichts von ihnen nimmt. Ihre Dollars nimmt man. Und jetzt zeigt sich sogar ein Bedürfnis nach Demokratie. Aber den Amerikanern ist nicht wohl dabei, daß man nun nimmt, was zu bringen sie eigentlich ausgezogen waren. Bei einigermaßen freien Wahlen könnte sich nämlich heraussteilen, daß auch größere Teile der Bevölkerung, die mit dem Napalm noch keine nähere Bekanntschaft gemacht haben, auf eine weitere Anwesenheit der Amerikaner keinen Wert mehr legen. Schon 1956 schätzten die CIA-Leute die Popularität der USA-Politik, presentiert durch Diem, offenbar recht kühl ein. Jedenfalls war von den zwei Jahre vorher in Genf vereinbarten freien Wahlen in ganz Vietnam kaum noch die Rede. Es wurde nur so nebenbei bemerkt, in Nordvietnam seien freie Wahlen nicht möglich.

Dies stellt sich nachträglich als wahr heraus. Was in Vietnam „Freie Wahlen“ heißt, wurde bei der Ankündigung der bevorstehenden deutlich. „Kommunisten dürfen natürlich nicht gewählt werden“, erklärte Ky. Es ist Onkel Ho wohl nicht zuzumuten, daß er Wahlen zuläßt, bei denen er nicht gewählt werden darf.

Die amerikanischen Soldaten im und über dem Dschungel kämpfen und sterben für eine Theorie. Die Dominotheorie. Sie besagt: Wenn Vietnam fällt, fällt Indochina, Australien usw., schließlich das Capitol.

Also wird Vietnam militärisch gehalten. Und jedermann weiß: Je länger und auch erfolgreicher, um so mehr geht es politisch verloren. Die totale Benutzung der militärischen Technologie macht diesen Krieg zwangsläufig zu einem Krieg mit Ausrottungstendenzen.

Maurice Duverger nannte den amerikanischen Feldzug in Asien „Faschismus nach außen“. Aber es scheint, als stünde am Ende der militärischen Eskalation, die man auch „Endlösung der Vietnam-Frage“ nennen könnte, der Faschismus nach innen. Schon heute macht Johnson Goldwaters Politik von gestern.

Der Schlagschatten des imperialistischen Krieges verdunkelt das Ansehen der Demokratie. Ihr angeblicher Treuhänder in der Welt, Amerika, verliert um so mehr an Kredit, je mehr es um Wahrung des Gesichts kämpft. Der Aufmarsch in Vietnam wird nicht zurückgewinnen können, was durch ihn verspielt wurde. Die Dominotheorie ist schon das Eingeständnis, daß es überhaupt nur noch um die Verteidigung strategischer Positionen geht. Es fehlt ihr die Einsicht, daß auch strategische Positionen nicht nur militärisch gehalten werden können. Mehr als ein Vietnam können auch die reichen Vereinigten Staaten von Amerika nicht bestreiten. Niemals nach Hitler hat sich Macht so sehr ins Unrecht gesetzt.

Der größte Teil der Menschheit befindet sich auf der Suche nach einer menschenwürdigen sozialen Ordnung. Zwei Modelle stehen zur Verfügung. Die Chance des Westens besteht noch, wenigstens einen Teil seiner besten Traditionen einzubringen. Sie wird mit jeder Bombe geringer, die über Vietnam abgeworfen wird.

Von den Angehörigen der Special Forces in Vietnam kündet ein Schallplatten-Hit: „These are men, America's best“. Und er kündet, daß die Männer mit der grünen Kopfbedeckung in zwanzig Jahren noch gebraucht werden.

Peter Milger