30 Jahre Arbeit im Studentenwerk
Geschehen war es Anfang der fünfziger Jahre. Rektor, Oberbürgermeister, Professoren, Herren und Damen in feierlicher Garderobe, kurz alles, was man Honoratioren nennen würde, dazu Polizisten, Sperrketten bildend — auf dem Gelände der Johann Wolfgang GoetheUniversität — warten und halten Ausschau nach dem ganz großen Ereignis. Im selben Augenblick durchbricht sie die Sperrketten, hintergeht die Garderobe auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz, betritt das Vestibül, Jubel kommt auf, sie bleibt stehen, blickt verwundert auf und meint listig und verschmitzt: I bin's net“. Paula war’s, im Mai sechzig Semester an dieser Universität.
Sie kam aus einer schwäbischen Stadt, die außer der Einsteins auch ihre Heimat war. Frau Paula Reinhardt, mater mensae nostrae, erzogen in einer Klosterschule, entsagte dem inneren Dienst. Sie arbeitete in großen Hotels, führte eine Zeit lang eine Bar und bekam eines Tages das Angebot, den aufreibenden Dienst in den Hotels mit einem angenehmen Arbeitsplatz als Serviererin in der Frankfurter Mensa zu vertauschen. Die Studenten, die sie seit dieser Zeit sahen und kennen lernten, sprechen mit viel Liebe und Hochachtung von Paula, die sich mit ihrem großen Herzen und ihrer ganzen gewichtigen Persönlichkeit für sie eingesetzt hat, als wären es ihre eigenen Kinder. Sie benachteiligte keinen, sie bevorzugt sie alle, ausländische und deutsche Kommilitoninnen und Kommilitonen. Ihrem Humor setzen Anekdoten nach. Die Geschichte ihrer Suppe, ist die der Universität der letzten dreißig Jahre.
Wer Paula erzählen hört, muß fast annehmen, der Frankfurter Massenbetrieb sei nur eine böse Illusion: „Ich spürte, manchem fehlt die Mutter. Mancher kommt und macht ein kümmerliches Gesicht und ich frag dann: „Was ist denn los mit Dir?' Und dann kommt die Antwort: ,Ach, Paula, ich habe noch kein Geld bekommen!' — Schaut her, die Welt ist rund, und die Studenten kommen heute aus vielen Ländern, die Eltern sind weit und da braucht man manchmal jemanden, gell, und wo ich helfen konnte, habe ich geholfen.
Ich bin ja jetzt im dritten Mensa-Gebäude. Da, wo ich jetzt bin, die Wände, wo wir eingezogen sind, die waren kahl. Aber wenn man so die Gesichter wider gesehen hat, von Professoren und Studenten, war für mich die Wärme wieder da und umgekehrt, nehme ich an, auch. Natürlich ist es etwas teurer geworden, jetzt vor allem bei uns oben, im Professorenraum, aber das Essen wird ja auch allgemein gelobt.“ Auf die Frage, wo sie lieber arbeiten würde, in der oberen oder unteren Mensa, meint sie: „Ich nehm's wie’s kommt. Mittags bin ich oben, wo ich arbeite, im Professorenzimmer, da kommen ja auch Studenten rein. Und nachmittags bin ich unten bei den Studenten und ich fühle mich da ganz wohl. Es wird manchmal gelacht, auch manchmal ein ernstes Gesicht gemacht; also ich bin mit den Studenten so verbunden und ich fühle es manchmal, die brauchen Wärme, so wie Nesthäkchen zu der Mutter.“ In den bitteren Zeiten, „im Jahre 1936, da haben wir 5 — 6 Menüs gehabt. Also der Eintopf, der war klassisch, da fehlt doch heute was. Für 60 Pfennig, das war ausgezeichnet. Im Krieg, da haben wir so viel Grütze gegessen, immer nur Grütze. Wir hatten nur Grütze, einmal Grützebrei, einmal Grützesupp’, manchmal Fleisch mit Grütze; das Fleisch hab ich noch selbst geholt beim Metzger.“ Die vielen, die Paula schätzen lernen durften, haben sie nicht vergessen. „Bitte, ich hab Briefe von überall her, aus den Staaten, jetzt hab ich auch wieder einen gekriegt aus Hongkong, ja von einer Kapazität dort sogar; aus Afrika, überall her.“ Zu Herrn Zeller, dem stellvertretenden Geschäftsführer des Studentenwerks, der gerade neben Paula sitzt, meint sie „aber ich freu mich so, daß der Zeller mit mir das Dreißigjährige hat. Wir können wirklich sagen: soll emal einer uns des nachmache. Er hat ja auch von Anfang an alles mitgemacht und ich hab schon so viel Schuhsohlen abgelaufen. Aber wir haben es immer mit Freude gemacht." Bernd Zeller, seit 1963 Leiter der Förderungsabteilung begann seine Tätigkeit im Studentenwerk 1936 als Buchhalter bei der Krankenversicherung. Bei seiner Tätigkeit war auch ihm der persönliche Kontakt zu dem Studierenden, der seiner finanziellen Schwierigkeiten wegen zu ihm kam, der entscheidendere Faktor, nicht in erster Linie Vorschriften. Das war anfangs eher möglich. 2300 studierten damals an der Frankfurter Universität — heute kommt die gleiche Anzahl regelmäßig zu ihm, die auf Grund seiner Entscheidung Unterstützungen erhält. Obwohl er täglich sich diesen Massen gegenübersieht, erscheint sie ihm zugänglicher als die Wenigen aus der Vorkriegszeit. „Die Vorkriegsstudenten waren im Vergleich zu den heutigen Studenten anders im bezug auf so sehr vieles, da der Student vor dem Krieg ein hundertprozentiger Akademiker war, d. h. ich will das nicht verallgemeinern. Er stellte einen Typ für sich dar, der, ums ganz grob zu sagen, sich selbst aus der Masse heraushob; er sagte: ich bin Akademiker, ich bin intelligent, ich habe bestimmte Rechte, Vorrechte, und diesen Typ Studenten kennen wir sehr gut. Vielleicht waren es in erster Linie Verbindungsstudenten. Aber heute, der normale Student, der zu uns kommt, ist ein Mensch unter Menschen.
Es gibt da gar keinen Unterschied, wenn ein junger Mann zu mir hereinkommt, der gerade eben von der Schule kommt, dann ist er weltfremd. Und mit unser Bestreben ist es, dem jungen Mann erst mal aufzuzeigen, was hier an der Uni los ist. Die kommen ja auch und fragen, wann muß ich morgen zur Schule kommen. Von einer akademischen Freiheit haben sie bis dahin noch nichts gehört. Also mit unsere Aufgabe ist es, ihm zu zeigen, was hier los ist.“ S.