Ein Politiker von „Format“ wie Herbert Wehner hat es nicht leicht, wenn er zur Zielscheibe von „Heckenschützen“ (Jürgen Tern in der FAZ vom 12. März 1966) oder von „Dreckskerlen“ (so das abgewogene Urteil eines Hamburger Kanzlerkandidaten) wird. Da hat sich einer „in jahrelanger harter Arbeit, gegen unvorstellbar viele Widerstände“ politische „Autorität“ erworben, also eine Qualität, die wir Deutschen vor jeder anderen bei unseren Führern wünschen — und prompt leeren „Franctireurs“ aus der Anonymität „Kübel der Gekränktheit, der Mißgunst und der Minderwertigkeitskomplexe“ über solchem Manne aus (Zitate nach Tern). Unerhört, so etwas! Unerhört vor allem, daß die Kübelentleerer ihre Identität verbergen! Denn schließlich weiß jeder: in der Bundesrepublik wird seit jeher peinlich darauf geachtet, daß alle Beiträge zur politischen Diskussion klar erkennen lassen, von wem sie stammen. Man erinnert sich, wie leidenschaftlich die SPD-Führung noch stets die Anonymität etwa der Verfasser der Hirtenbriefe vor den Bundestagswahlen angeprangert hat. Oder wie unerbittlich sie immer wieder kritisiert, daß die Texter der Fernsehnachrichten oder der Wochenschauen anonym bleiben, deren Wortwahl oft genug purste Regierungspropaganda darstellt. Wer stets so eindeutig publizistische Anonymität geißelte, hat alles Recht, den sachlichen Inhalt eines anonymen „Pamphlets“ (FAZ-Überschrift vom 15. März 1966) zu ignorieren und sich auf die Jagd nach den Verfassern zu beschränken Ermutigend allerdings ist, daß auch der Inhalt des „Pamphlets“ gleich die gebührende Antwort fand, nämlich in der freien Presse der Bundesrepublik, die fast einmütig zu Wehners Verteidigung schritt, ging und geht es hier doch um einen Mann, der sich die vielfältigsten Verdienste um unseren Staat, etwa um die Wiederwahl des unentbehrlichen Heinrich Lübke, erworben hat. Da wird mit unendlicher Mühe eine Partei von demokratischem Ballast befreit und auf die Idee der Volksgemeinschaft eingeschworen, die zum besten Vätererbe zählt, und schon wollen irgendwelche „untergeordneten Leute“ (G. Gillesen in der FAZ vom 14. März 1966) dem wichtigsten Lehrmeister dieser gesunden Gesinnung am Zeuge flicken! Wahrhaft „schändlich“ (J. Tern). Es stellt unsrer freien Presse das denkbar beste Zeugnis aus. daß sie diesem Garanten der Eintracht unverzüglich und fast wie ein Mann zu Hilfe kam. Mochten auch die gleichen Zeitungen, die da dem zwar „kantigen“, aber politisch „brillanten“ Kopf Wehner nun Reverenz erwiesen, in der Schlußphase des letzten Bundestagswahlkampfes bis in ihre Nachrichtenzeilen hinein der CDU oder der FDP Schützenhilfe gegeben haben: nun kannten sie keine Parteien mehr, sondern nur noch politische Autorität, die zu retten erste Bürgerpflicht immer war und bleiben muß. Schließlich wissen unsre Leitartikler, was sie an Herbert Wehner oder etwa Georg Leber haben: Männer, die, so sehr sie sich auch vor Arbeiterversammlungen als Draufgänger gebärden mögen, in der Sache die besten Garanten der bestehenden Verhältnisse sind. Und diese Verhältnisse sind schließlich die besten, die Menschengeist ersinnen kann. Hans Hagedorn