Wir bringen im folgenden bis auf zwei unbedeutende Kürzungen die Rede, die der amerikanische Hochkommissar John J. McCloy am 25. Mai anläßlich der Grundsteinlegung für das Studentenhaus in der Aula der Frankfurter Universität gehalten hat.

Ich begrüße diese Gelegenheit, hier zu Ihnen zu sprechen. Die Universität Frankfurt wurde in der freien Atmosphäre einer Stadt geboren, die schon lange für ihren Geist der Unabhängigkeit und des Fortschritts berühmt ist. Die Universität wurde von privaten wissenschaftlichen Vereinigungen gegründet, die sich aus freiem Willen diese Aufgabe stellten. Sie gaben der neuen Universität eine Verfassung, die sie im Geiste wahrer Verantwortung für die Gemeinschaft zu einem Bollwerk akademischer Freiheit gemacht hat. Die enge Verbindung mit der Bürgerschaft, die die Universität seitdem aufrecht erhalten hat, war von unschätzbarem Vorteil...

Das Neue an der Universität

Frankfurt ist unter den ersten deutschen Universitäten gewesen, die einen Lehrstuhl für politische Wissenschaft errichtet haben. Wenn ich recht unterrichtet bin, so haben einige Universitätskreise ihre Zweifel mit Bezug auf politische Wissenschaft. Sie glauben nicht, daß sie ein unabhängiges Fach ist oder eine wahre Wissenschaft Der Weg, diese Zweifel zu beheben, ist der der tatsächlichen Leistung. Sie muß den Beweis dafür liefern, daß die politische Wissenschaft auf festen Füßen steht und dazu fähig ist, einen wesentlichen Beitrag zum neuzeitlichen Studium zu leisten Eines der großen Erfordernisse unserer Zeit ist fein besseres Verständnis für das Verhalten der Menchen und für ihre Beziehungen zueinander. Die Entwicklung der Naturwissenschaften und der Technik haben es uns deutlich zum Bewußtsein gebracht, daß die konstruktive Anwendung dieser großen Kräfte von einem besseren Verständnis des Menschen als soziales Wesen abhängig ist Die Universität der Stadt Frankfurt hat mit der Errichtung ihres Institutes für Soziale Forschung einen hervorragenden Beitrag zur Erreichung dieses Zieles geleistet. Eine weitere fortschrittliche Neuerung ist die Vereinbarung welche diese Universität mit der Universität von Chicago für den Austausch von Professoren getroffen hat. Mit diesem Austausch hat Frankfurt gezeigt, daß es die Notwendigkeit eines lebendigen Kontaktes mit anderen Institutionen der freien Welt erkannt hat. Daß dieses Programm einen solchen Erfolg gehabt hat, ist deshalb besonders befriedigend, weil es auf Gegenseitigkeit beruht und auf der Erkenntnis, daß wir alle voneinander lernen können Das Austauschprogramm, das die Vereinigten Staaten mit Deutschland durchgeführt haben, hat übereinstimmende Anerkennung gefunden. Aber viele Amerikaner und Deutsche empfinden, daß es sich nicht nur in einer Richtung bewegen sollte, sondern, daß auch Amerikaner hierher kommen und ein besseres Verständnis für dieses Land gewinnen müßten, ebenso wie viele Deutsche drüben die Vereinigten Staaten besser verstehen lernen. Ich teile diese Ansicht und hoffe, daß die kommenden Jahre die Entwicklung eines Programmes mit sich bringen werden, unter dem meine Landsleute in Deutschland lehren, studieren und mit Ihnen arbeiten werden. Wenn dies geschieht, dann werden wir ein Programm der vollen Gleichberechtigung im kulturellen Austausch erreicht haben.

Student ein aktiver Partner

Ich möchte nun noch etwas mit Bezug auf das Curriculum erwähnen, und was ich jetzt sage, ist nicht von nationalen Gefühlen motiviert. Ich glaube, daß es an der Zeit ist, daß man an deutschen Universitäten Kurse in amerikanischer Literatur, Geschichte, Wirtschaft und Philosophie für genau so wichtig ansieht, wie Kurse in Sanskrit und Aegyptologie.

Bisher habe ich nur von Veränderungen des Curriculums gesprochen. Ich möchte auch einige Anfänge berühren, die auf dem Gebiet der Beziehungen zwischen Studenten und Fakultäten gemacht worden sind. Die Tatsache; daß zwei Vertreter der Studenten ihren Platz im Senat einnehmen, wenn Studentenfragen besprochen werden, mag einigen Leuten nicht als eine besonders aufsehenerregende Neuerung erscheinen. Nach meiner Ansicht ist dies jedoch von größter Wichtigkeit, denn es beweist das Verständnis für das Erfordernis einer neuen Form der Beziehungen zwischen Fakultät und Studenten Eine wahrhaft moderne Universität erkennt, daß der Student nicht ein passiver Behälter ist, den man mit „Weisheit“ vollstopft, sondern er ist ein aktiver Partner, der seinerseits einen Beitrag zum Erfolg des Institutes zu leisten hat. Eine „lebende“ Universität sorgt dafür, daß die Studenten Gelegenheit haben, in verantwortlicher Weise an ihren Angelegenheiten mitzuarbeiten. Die Würde der Fakultät wird durch eine solche Einstellung in keiner Weise herabgesetzt. Studenten entdecken schnell den Unterschied zwischen einer wahren Würde, die von Reife und Einsicht getragen ist, und einer falschen Würde, die nur auf Titeln und Stellungen beruht.

Ein führendes Mitglied Ihres Bundestages, das auch Professor ist, hat vor nicht langer Zeit erklärt, daß an deutschen Universitäten die Beziehung zwischen Studenten und Professoren am notwendigsten der Reform bedarf. Es scheint mir, daß die Vertretung der Studenten im Senat eine Anerkennung des Prinzips ist, auf dem diese neue Beziehung aufgebaut werden muß, nämlich, daß beide — Studenten und Fakultäten — ihre Rechte und Verantwortungen haben als schaffende Mitglieder einer Lerngemeinschaft

Das neue Studentenhaus

Und schließlich bedeutet der heutige Tag in sich selbst eine wesentliche Universitätsreform. Wir sind dabei, den Grundstein für ein Studentenhaus und ein Studentenwohnheim zu legen. Dies ist Zu begrüßen nicht nur, weil es den Beginn einer neuen Lebensweise für Studenten bedeutet. In diesen Häusern werden Studenten nicht nur zusammen leben können, sondern hier können sie Zusammenkommen, um sich zu entspannen und zu diskutieren Ich möchte die Hoffnung ausdrücken, daß dies der Treffpunkt für eine lebensbejahende Communitas von Lernbegierigen sein wird.

Viele Leute beklagen heute Anzeichen für ein Wiederaufleben der alten Studenten-Korporatlonen mit ihren snobistischen und primitiven Traditionen. Wenn diese Kor■ porationen in vorkriegsähnlicher Form zurückkehren sollten, so wäre dies ein gefährlicher Rückschritt. Der Mangel an sozialen Einrichtungen für Studenten ist einer der Gründe, die eine solche Rückkehr begünstigen. Studentenhäuser, wie das hier erstehende, bieten andere konstruktive Möglichkeiten und stärken damit das demokratische Leben an Universitäten Den deutschen Universitäten bleibt noch viel zu tun übrig, wenn sie das große Prestige wiedergewinnen wollen, das sie in der ganzen Welt genossen, als ich noch Student war. Eines aber ist klar: daß sie es nicht wiedergewinnen werden, wenn sie nur versuchen, wieder das zu werden, was sie waren. Die Welt hat sich sehr verwandelt und Ihre Universiäten müssen sich wandeln, wenn sie in der Welt bedeutungsvoll sein wollen. Ich habe von einigen Dingen gesprochen, die an dieser Universität geschehen sind und die mir als ein wichtiger Beitrag zur modernen Erziehung in diesem Lande erscheinen. Wenn der Geist dieser Anfänge sich in Ihrem Institut verbreitet und auf andere Universitäten überspringt, so befinden Sie sich auf dem richtigen Wege — nicht rückwärts, sondern vorwärts zu neuer Bedeutung. Die Universität Frankfurt verdient beglückwünscht zu werden für die Wegweisung in dieser Richtung.

Ich möchte auch bei dieser Gelegenheit nicht versäumen, den Staat Hessen dazu zu beglückwünschen, daß er Ihnen diese Möglichkeit der Erziehung eröffnet hat. Es ist dies das einzige Land in der Bundesrepublik, wo Bürger eine Universität kostenlos besuchen können. Es ist offensichtlich, daß dies nicht alle Probleme löst, um allen qualifizierten Studenten den Zutritt zur Universität zu ermöglichen. Aber es ist eine Barriere weniger und das ist nur gut.

Politik verdirbt den Charakter nicht

Bisher habe ich hauptsächlich über diese Universität und ihr Curriculum gesprochen. Ich möchte mich nun Ihren Studenten zuwenden. Aus ihren Reihen und denen anderer hoher Lehranstalten werden diejenigen kommen, die einen großen Teil der führenden Stellungen im Gemeinwesen der Nation ausfüllen werden Das Schicksal des neuen Deutschland ist mit Ihrem eigenen unlösbar verwoben. Ihre Zukunft beruht auf der Lebenskraft einer demokratischen Bundesrepublik, so wie das Gedeihen der Bundesrepublik von Ihnen abhängt..

Ich glaube, für Deutsche, und besonders für junge Deutsche, ist die Zeit gekommen, nicht weiter die Frage zu debattieren, ob die Demokratie die richtige Regierungsform für das deutsche Volk ist oder nicht. Demokratie ist die einzige Regierungsform, in der ein Volk sich entwickeln und frei und ohne Furcht leben kann. Demokratie mit all ihren Debatten kann mehr Kraft schaffen -— physische, psychologische, wirtschaftliche und geistige — als irgendeine andere Form der menschlichen Gesellschaft.

Der große italienische Staatsmann Cavour hat einmal gesagt: „Eine parlamentarische Regierung hat so wie andere Regierungen ihre Hindernisse und dennoch ist sie mit diesen Hindernissen besser als alle anderen. Ich mag wohl manchmal mit der Opposition ungeduldig werden und mich ihr lebhaft widersetzen; aber dann, beim Nachdenken, freue ich mich über diese Opposition, weil sie mich zwingt, meine Ideen besser zu erklären und meine Anstrengungen zu verdoppeln, um die öffentliche Meinung zu gewinnen. Glauben Sie mir, die schlechteste .Kammer' ist dem brillantesten Vorzimmer noch immer vorzuziehen.“

Beherzigen Sie diese Worte und denken Sie daran, daß in der demokratischen Regierungsform bewußt dafür gesorgt ist, daß Kritik geübt wird und Verbesserungen vorgeschlagen werden können. Konzentrieren Sie sich auf diese Verbesserungen; arbeiten Sie innerhalb dieser Regierungsform mit ihr; seien Sie positiv dazu eingestellt. Geben Sie solche Gedanken wie .Politik verdirbt den Charakter' auf. Wenn Sie glauben, daß die Regierung in Bonn unwirksam ist, dann fragen Sie sich, wie sie besser gemacht werden könnte. Ihre politische Apathie, falls Sie so eingestellt sein sollten, bedeutet Schlimmeres als bloße Wirkungslosigkeit in einer Welt, in der es so viele gefährliche Ideologien gibt. Diesen kann man nur dadurch eiltgegentreten, daß man sich interessiert, Anteil nimmt, und sich für die Möglichkeiten begeistert, eine wirksame demokratisch-politische und soziale Ordnung aufzubauen.

Ich weiß, daß der deutsche Student einen harten Existenzkampf führt und daß er sich für seine Erziehung mutig durchschlägt gegen beinahe unüberwindliche finanzielle Schwierigkeiten. Angesichts niedrigen Einkommens und hoher Preise kann er sich kaum mehr über Wasser halten. Aber diese Schwierigkeiten versperren nicht wirklich die Selbstentwicklung auf einer breiteren Basis.

Politische Verantwortung tragen

Was kann nun ein Student tun, um im politischen Leben der Bundesrepublik seinen Teil zu tun? Ich würde sagen, daß das erste, was getan werden kann, darin besteht, daß Sie die Entscheidung treffen, daß überhaupt etwas getan werden muß. Es geht nicht an, daß Sie für alles den Politikern oder den Kultusministern die Schuld in die Schuhe schieben. Auch Sie sind ein Teil des Volkes und wenn das Volk seine Meinung ändert, so müssen die Politiker und die Kultusminister ihre Meinung ändern. Aber Ihre eigene Meinung muß sich zuerst ändern. Sie müssen davon überzeugt sein, daß es eine politische Verantwortung gibt, die niemand in einer Demokratie scheuen darf Dies ist das Gegenteil vom Neutralismus, der scheinbar der bequemste Weg für den einzelnen ist. Natürlich ist das ein Trugschluß; Neutralismus führt zur Zerstörung der demokratischen Gesellschaft und damit schließlich zum Ende der Einzelpersönlichkeit. Ich bin sicher, daß Sie nicht den bequemen Weg wählen. Sie wollen das richtige tun, ganz gleich, was die Kosten, oder wie gefahrvoll es erscheinen mag.

Ihr nächster Schritt wäre dann meiner Meinung nach, daß Sie das politische Leben ernst nehmen. Man kann den großen Fragen dieser Tage nicht gleichgültig gegenüberstehen: den Bestrebungen zur politischen und wirtschaftlichen Verschmelzung Europas; dem Schumanplan; der Frage der europäischen Union; der Entwicklung der Weltorganisation durch die Vereinten Nationen; den großen Problemen der Flüchtlinge nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt. Es genügt nicht, daß diese Dinge durch die Entscheidungen und Aktionen weniger Staatsmänner geregelt werden, ja, sie können gar nicht so geregelt werden.

Alle politische Intelligenz, die bei den Nationen der westlichen Welt mobilisiert werden kann, muß hier herangezogen Werden. Professoren müssen ihre Rolle spielen und es gereicht der Universität Frankfurt zur Ehre, daß eines ihrer Fakultätsmitglieder die Führung der deutschen Delegation zum Schumanplan in Paris erhielt und nunmehr Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten wurde. Ein Professor, der seine Bürgerpflicht ernst nimmt, wünscht sich stets aufgeschlossene Studenten.

Sie, meine Studenten, können sich auf Ihre Rolle vorbereiten. Der Schritt, der hier kürzlich seitens des ASTA dieser Universität unternommen wurde, nämlich die Errichtung eines Referates über die Probleme der europäischen Integration, ist ein Beispiel dafür, was Studenten tun können. Sie können politischen Parteien beitreten; wenn die bestehenden einer Reformation bedürfen, so können sie bei diesem Prozeß mitwirken, indem sie von innen mitarbeiten, nicht aber indem sie abseits stehen und kritisieren. Um diese Rolle intelligent zu spielen, bedarf es großer Vorbereitungen. Vieles davon sollte während Ihres Studiums getan werden und als ein Teil dieses Studiums.

Entscheiden, was wichtig ist

Niemand soll glauben, daß sich für das Studium der Prinzipien und Theorien der sozialen und politischen Wissenschaft keine Zeit erübrigen läßt oder daß dieses Studium nicht in den akademischen Rahmen paßt. Es war Ihr eigener Friedrich Naumann, der warnte: ,Ist erst einmal die Bildung unpolitisch geworden, dann wird auch die Politik ungebildet.' Und was die Zeit anbelangt, so gibt es immer Zeit für das Wichtigste. Wie ich schon vorher sagte, es ist an Ihnen, zu entscheiden, was wichtig ist und dafür Platz zu schaffen. Sie mögen es sogar für notwendig halten, Ihre Erfindungsgabe spielen zu lassen, um die ,Alten' zu erziehen. Wenn sie Ihnen nicht die großzügige liberale Erziehung zuteil werden lassen, die Sie benötigen, um den Problemen des modernen Lebens entgegenzutreten: wenn außerdem zuviel Wert gelegt wird auf die Ansammlung von Fakten und Sonderkenntnissen, dann allerdings könnten Sie diejenigen sein, die die Oeffentlichkeit davon in Kenntnis setzen. Sie haben Ihre Zeitschriften und Sie können Briefe an die Zeitungen und an politische Persönlichkeiten schreiben.

In der Vergangenheit haben europäische Studenten ein lebhaftes politisches Interesse gezeigt. Man braucht nur an die Barrikaden von 1830 und 1848 zu denken. Heute ist es nicht notwendig, die Barrikaden zu besteigen; es gibt andere Wege, auf denen man sich an den täglichen Bürgerpflichten beteiligen kann. Und wenn es nicht einmal möglich ist, die Zeit zu finden, um sich über diese Probleme zu informieren, dann müssen vor allem die Zeit und die Möglichkeit zu solcher Information verlangt werden.

beglückwünscht zu werden für die Wegweisung in dieser Richtung.

Ich möchte auch bei dieser Gelegenheit nicht versäumen, den Staat Hessen dazu zu beglückwünschen, daß er Ihnen diese Möglichkeit der Erziehung eröffnet hat. Es ist dies das einzige Land in der Bundesrepublik, wo Bürger eine Universität kostenlos besuchen können. Es ist offensichtlich, daß dies nicht alle Probleme löst, um allen qualifizierten Studenten den Zutritt zur Universität zu ermöglichen. Aber es ist eine Barriere weniger und das ist nur gut.

Politik verdirbt den Charakter nicht

Bisher habe ich hauptsächlich über diese Universität und ihr Curriculum gesprochen. Ich möchte mich nun Ihren Studenten zuwenden. Aus ihren Reihen und denen anderer hoher Lehranstalten werden diejenigen kommen, die einen großen Teil der führenden Stellungen im Gemeinwesen der Nation ausfüllen werden Das Schicksal des neuen Deutschland ist mit Ihrem eigenen unlösbar verwoben. Ihre Zukunft beruht auf der Lebenskraft einer demokratischen Bundesrepublik, so wie das Gedeihen der Bundesrepublik von Ihnen abhängt..

Ich glaube, für Deutsche, und besonders für junge Deutsche, ist die Zeit gekommen, nicht weiter die Frage zu debattieren, ob die Demokratie die richtige Regierungsform für das deutsche Volk ist oder nicht. Demokratie ist die einzige Regierungsform, in der ein Volk sich entwickeln und frei und ohne Furcht leben kann. Demokratie mit all ihren Debatten kann mehr Kraft schaffen -— physische, psychologische, wirtschaftliche und geistige — als irgendeine andere Form der menschlichen Gesellschaft.

Der große italienische Staatsmann Cavour hat einmal gesagt: „Eine parlamentarische Regierung hat so wie andere Regierungen ihre Hindernisse und dennoch ist sie mit diesen Hindernissen besser als alle anderen. Ich mag wohl manchmal mit der Opposition ungeduldig werden und mich ihr lebhaft widersetzen; aber dann, beim Nachdenken, freue ich mich über diese Opposition, weil sie mich zwingt, meine Ideen besser zu erklären und meine Anstrengungen zu verdoppeln, um die öffentliche Meinung zu gewinnen. Glauben Sie mir, die schlechteste .Kammer' ist dem brillantesten Vorzimmer noch immer vorzuziehen.“ Beherzigen Sie diese Worte und denken Sie daran, daß in der demokratischen Regierungsform bewußt dafür gesorgt ist, daß Kritik geübt wird und Verbesserungen vorgeschlagen werden können. Konzentrieren Sie sich auf diese Verbesserungen; arbeiten Sie innerhalb dieser Regierungsform mit ihr; seien Sie positiv dazu eingestellt. Geben Sie solche Gedanken wie .Politik verdirbt den Charakter' auf. Wenn Sie glauben, daß die Regierung in Bonn unwirksam ist, dann fragen Sie sich, wie sie besser gemacht werden könnte. Ihre politische Apathie, falls Sie so eingestellt sein sollten, bedeutet Schlimmeres als bloße Wirkungslosigkeit in einer Welt, in der es so viele gefährliche Ideologien gibt. Diesen kann man nur dadurch eiltgegentreten, daß man sich interessiert, Anteil nimmt, und sich für die Möglichkeiten begeistert, eine wirksame demokratisch-politische und soziale Ordnung aufzubauen.

Ich weiß, daß der deutsche Student einen harten Existenzkampf führt und daß er sich für seine Erziehung mutig durchschlägt gegen beinahe unüberwindliche finanzielle Schwierigkeiten. Angesichts niedrigen Einkommens und hoher Preise kann er sich kaum mehr über Wasser halten. Aber diese Schwierigkeiten versperren nicht wirklich die Selbstentwicklung auf einer breiteren Basis.

Politische Verantwortung tragen

Was kann nun ein Student tun, um im politischen Leben der Bundesrepublik seinen Teil zu tun? Ich würde sagen, daß das erste, was getan werden kann, darin besteht, daß Sie die Entscheidung treffen, daß überhaupt etwas getan werden muß. Es geht nicht an, daß Sie für alles den Politikern oder den Kultusministern die Schuld in die Schuhe schieben. Auch Sie sind ein Teil des Volkes und wenn das Volk seine Meinung ändert, so müssen die Politiker und die Kultusminister ihre Meinung ändern. Aber Ihre eigene Meinung muß sich zuerst ändern. Sie müssen davon überzeugt sein, daß es eine politische Verantwortung gibt, die niemand in einer Demokratie scheuen darf Dies ist das Gegenteil vom Neutralismus, der scheinbar der bequemste Weg für den einzelnen ist. Natürlich ist das ein Trugschluß; Neutralismus führt zur Zerstörung der demokratischen Gesellschaft und damit schließlich zum Ende der Einzelpersönlichkeit. Ich bin sicher, daß Sie nicht den bequemen Weg wählen. Sie wollen das richtige tun, ganz gleich, was die Kosten, oder wie gefahrvoll es erscheinen mag.

Ihr nächster Schritt wäre dann meiner Meinung nach, daß Sie das politische Leben ernst nehmen. Man kann den großen Fragen dieser Tage nicht gleichgültig gegenüberstehen: den Bestrebungen zur politischen und wirtschaftlichen Verschmelzung Europas; dem Schumanplan; der Frage der europäischen Union; der Entwicklung der Weltorganisation durch die Vereinten Nationen; den großen Problemen der Flüchtlinge nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt. Es genügt nicht, daß diese Dinge durch die Entscheidungen und Aktionen weniger Staatsmänner geregelt werden, ja, sie können gar nicht so geregelt werden.

Alle politische Intelligenz, die bei den Nationen der westlichen Welt mobilisiert werden kann, muß hier herangezogen Werden. Professoren müssen ihre Rolle spielen und es gereicht der Universität Frankfurt zur Ehre, daß eines ihrer Fakultätsmitglieder die Führung der deutschen Delegation zum Schumanplan in Paris erhielt und nunmehr Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten wurde. Ein Professor, der seine Bürgerpflicht ernst nimmt, wünscht sich stets aufgeschlossene Studenten.

Sie, meine Studenten, können sich auf Ihre Rolle vorbereiten. Der Schritt, der hier kürzlich seitens des ASTA dieser Universität unternommen wurde, nämlich die Errichtung eines Referates über die Probleme der europäischen Integration, ist ein Beispiel dafür, was Studenten tun können. Sie können politischen Parteien beitreten; wenn die bestehenden einer Reformation bedürfen, so können sie bei diesem Prozeß mitwirken, indem sie von innen mitarbeiten, nicht aber indem sie abseits stehen und kritisieren. Um diese Rolle intelligent zu spielen, bedarf es großer Vorbereitungen. Vieles davon sollte während Ihres Studiums getan werden und als ein Teil dieses Studiums.

Entscheiden, was wichtig ist

Niemand soll glauben, daß sich für das Studium der Prinzipien und Theorien der sozialen und politischen Wissenschaft keine Zeit erübrigen läßt oder daß dieses Studium nicht in den akademischen Rahmen paßt. Es war Ihr eigener Friedrich Naumann, der warnte: ,Ist erst einmal die Bildung unpolitisch geworden, dann wird auch die Politik ungebildet.' Und was die Zeit anbelangt, so gibt es immer Zeit für das Wichtigste. Wie ich schon vorher sagte, es ist an Ihnen, zu entscheiden, was wichtig ist und dafür Platz zu schaffen. Sie mögen es sogar für notwendig halten, Ihre Erfindungsgabe spielen zu lassen, um die ,Alten' zu erziehen. Wenn sie Ihnen nicht die großzügige liberale Erziehung zuteil werden lassen, die Sie benötigen, um den Problemen des modernen Lebens entgegenzutreten: wenn außerdem zuviel Wert gelegt wird auf die Ansammlung von Fakten und Sonderkenntnissen, dann allerdings könnten Sie diejenigen sein, die die Oeffentlichkeit davon in Kenntnis setzen. Sie haben Ihre Zeitschriften und Sie können Briefe an die Zeitungen und an politische Persönlichkeiten schreiben.

In der Vergangenheit haben europäische Studenten ein lebhaftes politisches Interesse gezeigt. Man braucht nur an die Barrikaden von 1830 und 1848 zu denken. Heute ist es nicht notwendig, die Barrikaden zu besteigen; es gibt andere Wege, auf denen man sich an den täglichen Bürgerpflichten beteiligen kann. Und wenn es nicht einmal möglich ist, die Zeit zu finden, um sich über diese Probleme zu informieren, dann müssen vor allem die Zeit und die Möglichkeit zu solcher Information verlangt werden.

Ich möchte klarstellen, daß, wenn ich hier eine verstärkte Studentenbeteiligung und ein verstärktes Interesse am politischen Leben der Bundesrepublik vorschlage, ich damit nicht empfehle, daß die Universitäten politische Tummelplätze werden oder daß der Hörsaal politisiert werden soll. Die Universität soll und muß eine Stätte des Lernens bleiben, der Suche nach objektiver Wahrheit, eine Stätte, wo Männer und Frauen mit Ideen und gutem Willen diskutieren und lernen. Was ich meine ist, daß der junge Mann oder die junge Frau, die studieren, um Philosophen, Anwälte, Aerzte oder Lehrer zu werden, gleichzeitig studieren sollten, wie man in der Praxis ein guter Bürger wird.

Ich habe hier heute eine persönliche Note angeschlagen, weil ich als Frankfurter Mitbürger ein tiefgehendes Interesse für diese Universität empfinde und damit ein tiefgehendes Interesse für alle deutschen Universitäten Im Rahmen unserer Möglichkeiten haben wir im letzten Jahr versucht, den deutschen Schulen und Universitäten zu helfen, —• zu helfen, die Möglichkeiten für die deutsche Jugend zu erweitern.

Ich möchte diese Gelegenheit wahrnehmen, um zu erklären, daß wir Amerikaner auch weiter zu helfen wünschen, — im Austausch von Studenten und Professoren mit den Vereinigten Staaten und anderen Ländern und damit, daß wir Einrichtungen für das Gemeinschaftsleben an deutschen Universitäten schaffen. Wenn einmal die Zeit kommen wird, der Stadt Frankfurt und anderen Städten einige der Gebäude zu übergeben, die wir für unseren eigenen Stab gebaut haben, dann hoffe ich, wird es möglich sein, einige dieser Gebäude für Studentenheime oder Hörsäle zur Verfügung zu stellen.

Nach meinen zwei Jahren in Deutschland möchte ich Ihnen sagen, daß eine meiner großen Hoffnungen für die Zukunft dieses Landes bei den jungen Menschen liegt. Ich stimme mit einem prominenten deutschen Professor überein, der kürzlich sagte, daß der deutsche Student von heute, verglichen mit dem Studenten nach dem ersten Weltkrieg, aufgeschlossener, mehr international und sozialdenkend sei

Liberale und tolerante Gemeinschaft

Demokratie kann zu allen Zeiten praktisch gelebt werden, auch zu der Zeit, die man als Student verbringt. Man kann nur hoffen, daß das Studentenhaus und das Studentenwohnheim, deren Grundsteinlegung wir heute feiern, alle Formen demokratischer Studentenaktivität entfalten werden. Ja, so wie ich unterrichtet bin, ist schon entschieden worden, daß den Wünschen der Fakultät und der Studenten gemäß dieses Haus ein internationales Zentrum werden soll, um der Verbrüderung, der Gleichheit und Freiheit aller Menschen zu dienen.

Junge Leute kommen zu mir und sagen: ,Es gibt keine Zukunft in Deutschland — für die Jugend sind Deutschlands Tage vorbei.“ Ihnen sage ich: ,Es hat niemals eine Periode in der deutschen Geschichte gegeben, in der die Notwendigkeit zur Entwicklung einer energischen und vorurteilslosen Jugend größer war. Eine Jugend, deren Energie auf konstruktive Ziele gerichtet ist, die sich nicht von Demagogen an der Nase herumführen läßt, kann dazu beitragen, aus Deutschland eine große liberale und tolerante Gemeinschaft zu machen.“ Das Vollbringen dieser Aufgabe könnte entscheidend bei der Lösung der Weltfragen sein, denen wir heute gegenüberstehen.

Keine Zukunft? Sie haben die Gelegenheit, eine neue Gemeinschaft von Menschen zu schaffen, die erhobenen Hauptes in Freiheit daherschreiten. Niemals zuvor hat es eine solche Zukunft für die deutsche Jugend gegeben.