Mescalero und die Verfolger seines Gedankenganges

Die Erwägungen des Göttinger Mescaleros zur Ermordung Siegfried Bubacks sind wegen ihrer großen Ehrlichkeit wichtig, aber auch wegen der Genauigkeit, mit der ihr Verfasser die Entwicklung seiner Empfindungen, Gedanken und Bedenken beschreibt. Wer so ehrlich berichtet, gibt sich natürlich auch Blossen. Wenn hier unter anderem auch von diesen die Rede sein wird, so nicht, um ihn abfällig zu beurteilen, sondern im Gegenteil, weil er durch seine Aufrichtigkeit Worte gefunden hat, an die man anknüpfen kann, um daraus zu lernen.

Von Anfang an aber sei festgestellt: die Betrachtungen des Göttinger Mescalero sind eine der eindrucksvollsten M i ß b i 1 1 i g u n g e n der Ermordung Siegfried Bubacks, die wir kennen. Seinem Text Billigung oder gar Befürwortung des Mordes an Siegfried Buback und dessen Mitfahrern (auch ihren Tod hat Mescalero keineswegs mit Stillschweigen übergangen!) vorzuwerfen oder Ermunterung zu ähnlichen Morden, ist eine völlige Verkennung oder Verdrehung des Textes. Es ist nicht mehr möglich, sich der Meinung zu entziehen, daß Journalisten und Politiker, die diese unsinnige Anschuldigung tatsächlich erheben, entweder durch Vorurteile völlig verblendet oder böswillig sein müssen oder beides.

Wenn irgendetwas imstande ist, Schwankende, die sich etwa versucht fühlen, ähnliche Gewalttaten zu begehen, doch noch zum Nachdenken zu überreden und von ihrem Tun abzubringen, dann kann das ein Text wie der des Göttinger Mescalero fertigbringen. Ein solcher Text ist auch als innerlinke Kommunikation zu verstehen. Wollte Mescalero Gedanken und Gefühle linker Studenten etwa den Lesern der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vermitteln, so würde er sich vermutlich anders verständlich zu machen suchen. Wenn man seine Betrachtungen als das nimmt, was sie sind und was sie wollen, so kommt man zu dem Ergebnis, daß sie viel besser imstande sein werden, Menschen von politischen Morden wie dem an Buback abzuhalten, als irgendeine der salbungsvollen oder empörten Äußerungen von Politikern und Establishment Journalisten. Alle auf diesen Text hin gegen Mescalero oder seine Veröffentlicher geplanten, getroffenen oder angedrohten Maßnahmen sind im Effekt Anschläge gegen die Demokratie und helfen höchstens weitere politische Morde zu provozieren.

Wir wollten, wir könnten sicher sein, daß einige der über den Göttinger Mescalero besonders laut und aktiv Empörten nicht überhaupt heimlich die Absicht haben, „Linksextremisten” weiterhin in diese Richtung zu drängen, um dann wie Metternich, als Sand Kotzebue ermordet hatte, einen großartigen Vorwand zur Vernichtung aller Linken zu haben.

Der Artikel läßt aber auch Schwierigkeiten und Entfremdungen von Linken in der BRD erkennbar werden. Mescalero ginnt mit einer Erklärung seiner Sprache: es seien Rülpser, die zu einer Kontroverse beitragen sollten. „Dialektik und Widerspruch — das ist mir alles piep-egal.” Diese Laxheit zeigt auf die Entfremdung zwischen vielen sozialistischen Intellektuellen aus der 68er Protestbewegung, die an den Universitäten arbeiten, und den Sozialisten, die sich als Spontis, Stadtindianer oder Mescaleros begreifen. Die Entfremdung ist ein Ergebnis enttäuschter Hoffnungen. In der ersten Hälfte der siebziger Jahre erwartete ein großer Teil der sozialistischen Linken eine schnellere Veränderung der politischen Verhältnisse in der BRD und zwar zum Besseren, zu mehr Demokratie und Gerechtigkeit, kurz: eine Verstärkung der sozialistischen und demokratischen Strömungen. Diese Erwartungen galten auch der Entwicklung anderer Länder: Italien, Chile, Portugal zum Beispiel. Die marxistische Theorie, mit der und aus der diese Hoffnung von vielen geschöpft wurde, wurde mit den nicht eingelösten Erwartungen in die Ecke gestellt (ein Beispiel dafür ist das Buch Andre Glucksmanns „Köchin und Menschenfresser”; siehe die Rezension von Lothar Baier in der Frankfurter Rundschau sowie von Thomas Schmidt in der Autonomie Nr. 4). Daraus hat sich in Teilen der Linken eine äußerliche Theoriefeindlichkeit entwickelt, die sich sprachlich auch in einigen Abschnitten des Artikels von Mescalero zeigt, in einem Verzicht auf akademischer Arbeit zugeschriebene Genauigkeit. Aus diesem Grund ist es eine Sprache, die sich in erster Linie an die „undogmatische Scene”, „die Bewegung”, an Personen mit einem gleichen oder ähnlichen Bewußtsein wendet, einem Bewußtsein, das auf einer gemeinsamen Geschichte beruht. Als Beispiel dafür steht der Satz: „Wie wir allmählich schon davon runter sind, stellvertretend für andere zuhandelnodereinePartei aufzubauen.”

Die Sprache und das Denken sind geprägt von der politischen Isolierung, die gegenüber der sozialistischen Linken in der BRD geübt wird. Eine Folge ist dann, daß Mescalero sich in erster Linie an die wendet, von denen er glaubt, am ehesten verstanden zu werden. Aus der Isolierung entsteht die Angst vor einer noch stärkeren Isolierung. Unter dieser Perspektive wird jedoch auch die politische Realität der BRD wahrgenommen. Mescalero hält das Kräfteverhältnis, in dem die Linke steht, für fast völlig zuzementiert: „Daß irgendwo im Konzert dieser politischen Eunuchen, die von der Herstellung der ‘öffentlichen Meinung* leben (gut leben), sich eine einzige kritische Stimme erheben würde, daran glaubt wohl von uns keiner mehr”. Er sieht nur noch „gleichgeschaltete Medien”. Damit nimmt er zugleich eine schlechte Tradition der sozialistischen Bewegung auf: das „Lagerdenken”, das alle Widersprüche und Ereignisse auf den einzigen Gegensatz zwischen der „einen reaktionären Masse” und der richtigen sozialistischen Gruppe oder Organisation reduziert. So werden für Mescalero die Menschen, die in den Medien arbeiten, zu Agenten einer politischen Strategie, ohne daß er sieht, inwieweit sie selber Opfer der Entfremdung sind und kein Bewußtsein ihrer eigenen Lage entwickelt haben oder entwickeln konnten. Die Frage danach ist jedoch eine Bedingung für eine Politik, die auf Veränderungen zielt: für sie ist die Hoffnung unentbehrlich, daß sich im Prinzip alle Menschen ändern können.

Mescalero sieht die Presse und den Funk als scheinbar festgefügte Legitimationsfassade. Auf Grund der Abhörskandale und anläßlich des Prozesses gegen Roland Otto und Karl-Heinz Roth hätten sich Risse und Brüche ergeben, „die wir ausnützen müssen”. „Diese Chance ist vorerst vorbei.” Wenn die Öffentlichkeit nur deshalb beachtet werden muß, weil ihr eine politische Bedeutung zukommt, so wird sie nur noch zu einem taktischem Kampfplatz.

Der Linke muß sich dann wie ein Guerilla auf feindlichem Gebiet fühlen, der Risse und Brüche zum Nachstoßen ausnützt. Die Freund-Feind-Bilder Herolds und Bubacks werden auf diese Weise akzeptiert und verinnerlicht. Deren Ziel ist erreicht: die Linke handelt mit dem schlechten Gewissen, alles was sie täte sei eh illegal, morgen säße man doch im Arbeitslager oder Gefängnis. Mescalero gebraucht in einer solchen Haltung den Begriff „die Strategie der Bubacks”. Erst aus diesem vom politischen Gegner übernommenen Freund-Feind-Denken heraus — selber ein Ereignis der Entfremdung — kann die ,klammheimliche Freude” über den Abschuß von Buback” entstehen.

Gut ist daran die Ehrlichkeit, mit der Mescalero seine Gefühle und ihren Hintergrund beschreibt; daß er ihren Ursprung in der gesellschaftlichen Entfremdung nicht erkennt, ist nicht seine Schuld, sondern das Ergebnis einer Politik, die der Bundesjustizminister Vogel so zusammenfaßte: Wer sich um Verständnis von Gewalttaten bemühe, müsse als Sympathisant von Terroristen moralisch isoliert werden.

(Das hat der Frankfurter lhv, der Studentenverband der FDP gleich in die Praxis umgesetzt: auf den im Kasten abgedruckten Beschluß des Frankfurter Studentenparlaments, der auch von 2.000 Studenten auf einer Vollversammlung verabschiedet wurde, antwortete er an die FAZ, ohne sich einer Diskussion im Studentenparlament zu stellen: Der Antrag stelle eine glatte Billigung von Mordanschlägen dar. Wer ambivalente Gefühle sage, meine doch in Wirklichkeit nichts anderes als Genugtuung.)

Daß Mescalero den Generalbundesanwalt nicht leiden konnte, werden ihm solche politischen Gegner verübeln, mindestens offiziell, auch wenn manchen in Wirklichkeit Siegfried Buback wenig bedeutete und sie ihn, als er lebte, nur unter Druck setzten, noch energischer vorzugehen. Für Ablehnung und Feindseligkeit gegenüber dem Generalbundesanwalt, die Mescalero zeigt, gab es guten Grund. Siegfried Buback hat der deutschen Justiz auch in westlichen Demokratien alles andere als einen guten Namen gemacht. Der englische Pastor Paul Östreicher, Leiter der britischen Sektion von amnesty international, der Buback und Prinzing kennengelemt hatte, berichtete, er halte Prinzing für einen liberalen und gerechten Richter (später hat er diese Meinung revidiert), Buback aber für „einen ganz finsteren law-and-order Mann”.

Trotz der angegeben Gründe, aus denen heraus zu erklären ist, daß Mescalero eine klammheimliche Freude über den Tod des Generalbundesanwaltes empfand, sollte man sich klarmachen, daß dies ein verdinglichtes Gefühl ist. Auch auf Grund des schwersten Vorwurfes gegenüber einem Menschen: daß er andere Menschen getötet hat — ist sein Tod nicht zu bejahen; wenn das Attentat auf Carrero Blanco anders zu beurteilen ist, sind dafür andere Gründe ausschlaggebend: es war Ausdruck eines demokratischen Volkswiderstandes, der sich in Notwehr gegen einen tyrannischen und kriminellen Herrscher richtete. Die zukünftigen politischen Aussichten des Franco-Faschismus wurden ganz wesentlich verschlechtert.

Freude ist jedoch in keinem Fall am Platz, wenn ein Mensch getötet wird* „Ein Mensch, das ist immer ein Inbegriff von Hoffnung, von Erwartung: er erwartet etwas vom Leben, das Leben erwartet etwas von ihm. Die Abstraktion davon fällt den Faschisten, der Staatsgewalt, der Exekutive leicht. Wir fordern aber von der Linken, daß sie, wiewohl sie in ihrem intellektuellen Ausdruck mit Abstraktionen lebt, hier nicht abstrahiert.” (P. Brückner, B. Sichtermann Gewalt und Solidarität, Berlin 1974 S. 16).

Trotz der Ansätze von Entfremdung, die aus der klammheimlichen Freude über den Tod Bubacks sprechen, erkennt Mescalero diese Gefahr und leht ein solches Handeln und Denken ab. „Woher könnte ich, gehörte ich den bewaffneten Kämpfern an, meine Kompetenz beziehen, über Leben und Tod zu entscheiden? ... ich denke immer noch, daß die Entscheidung zu töten oder zu killen bei der herrschenden Macht liegt.” Der ganze zweite Teil des Artikels, in dem Mescalero diese Überlegungen anstellt, weist nicht mehr die sprachlichen Entfremdungserscheinungen auf, die im ersten Teil zu finden waren. „Was wir auch tun, es wirft immer ein Licht auf das, was wir anstreben. Wir werden unsere Feinde nicht liquidieren, nicht in Gefängnisse und nicht in Arbeitslager sperren und deswegen gehen wir doch nicht sanft mit ihnen um.” Mescalero zeigt damit ein Bewußtsein, das vielen Bürgern der BRD, die von ihren schießeifrigen ‘Beschützern* in den letzten Jahren umgebracht worden sind, das Leben gerettet hätte, wenn es in einigem Umfang bei Politikern, Polizisten und Verwaltungsbeamten vorhanden gewesen wäre. (Um nur zwei Fälle zu nennen: ein vierzehnjähriger Junge, der auf einem Bau spielt, in dem bekannterweise öfter Kinder gespielt haben, wird von einem Polizisten erschossen; ein Schäfer, der mit einem Viehwagen ein totes Schaf aus seiner Herde von der Weide holt, wird von zivilen Beamten auf offener Straße, ohne daß sie sich zu erkennen geben, gestoppt, und die Beamten erschießen ihn, der keine Waffe bei sich führt, während er in seinem Wagen sitzt.)

Es ist kaum eine größere Heuchelei vorstellbar, als daß Politiker nichts zu diesen Toten sagen und zu den Verhältnissen, die zu ihrem Tod führten, daß Politiker dazu schweigen, daß im Iran aus der BRD heimkehrende iranische Staatsbürger auf Grund der Information staatlicher Organe der BRD, die damit gegen die Verfassung handelten, auf viehische Weise gequält und ermordert worden sind — und das aller Wahrscheinlichkeit nach in viel mehr Fällen als in der BRD Menschen von Guerillagruppen umgebracht worden sind — , während diese Politiker die Verurteilung des Mordes an Generalbundesanwalt Siegfried Buback dazu benutzen, die Abschaffung der für sie natürlich unbequemen demokratisch gewählten Studentenvertretungen zu fordern.

Wolfgang Bock / Erich Fried

* Allerdings ist heimliche Freude oder Schadenfreude gegenüber mißliebigen Menschen ein so allgemeiner menschlicher Zug, daß schon Aristoteles die Guten als jene definierte, die von dem, was die Bösen tatsächlich tun, nur träumen. Eine berühmte Passage bei Heinrich Böll handelt von der Vorstellung, wie sich eine Fischgräte in Axel Springers Hals querlegen möge.