Die IG Metall hat auf Antrag der Verwaltungsstelle Berlin gegen den pensionierten Redaktuer der Gewerkschaftszeitung „Metall“ Heinz Brandt ein Ausschlußverfahren eingeleitet.

Nach Ansicht der IG Metall hat sich Heinz Brand des „gewerkschaftsschädigenden Verhaltens“ verdächtig gemacht, als er auf der Izehoer Kundgebung gegen das AKW Brokdorf erklärte:

Seit Hiroshima wissen wir, was das ist - der Atompilz. Es gibt aber auch den Atomfilz. Gerade als Gewerkschaftler möchte ich Euch vor ihm warnen. Ich spreche im Namen vieler aktiver Mitglieder und Vertrauensleute der Gewerkschaften, vieler verantwortungsbewußter Lohnabhängiger. Unter Atomfilz verstehe ich den reich bezahlten Gewerkschaftsbürokraten, der im Konzernaufsichtsrat und Konzemvorstand mit den Managern der Atomindustrie gemeinsame Sache macht, der mit der Atomlobby unter einer Decke steckt, der mit ihr widerlich verfilzt ist - zu unser aller Schaden.

Er kommt den Lohnabhängigen mit süßen Worten. Er ist es, der überall die Lüge verbreitet, daß dies fehlgeleitete Wachstum den Arbeitsplatz sichert, daß ohne diese hochgepäppelte Energieform die Lichter ausgingen. Wir wollen uns von diesen Atom filzen, diesen Arbeit erverfuhrem, nicht den Verstand oder gar das Lebenslicht ausblasen lassen.

Wenn solch ein Atomfilz den Mund öffnet, so fragt ihn, was er im Jahr einnimmt und ob ihm sein 300.000 DM - Jahreseinkommen flöten geht, wenn er Euch - statt lausen zu machen - die Wahrheit sagt.

Der ,.Atomfilz“ reagierte rasch.

Berlin ist geradezu eine seiner Hochburgen. Der Berliner DGB-Vorsitzende Sickert hatte sich vor einiger Zeit nicht entblödet vor Unternehmern ein Atomkraftwerk in Berlin zu fordern. Berlin ist der Hauptsitz der SIEMENS, deren Tochter , die KWU, führend im deutschen AKW - Bau ist. Die Vermutung, hinter dem Berliner Ausschlußantrag gegen Heiz Brandt stünden diese Atomfilze ist nicht allzu kühn.

Die Berliner Verwaltungsstelle der IG Metall ist zudem noch ein besonders rühriger Kämpfer gegen Gewerkschaftsschädlinge. So veröffentlicht sie in der ,.Metall“ regelmäßig die aus der Gewerkschaft ausgeschlossenen und erspart so den Berliner Metalluntemehmern die Mühe, selbst schwarze Listen unliebsamer Personen zusammenzustellen. Möglicherweise waren auch noch alte Rechnungen mit Heinz Brandt offen: Er hatte sich früher einmal gegen die Berliner Rüstungsfilze gewandt. Einen makabren Anstrich bekommt der Berliner Antrag dadurch, daß Heinz Brandt einst wegen gewerkschaftlicher Betätigung bei SIEMENS - als Herausgeber einer Betriebszeitung - ins KZ verschleppt wurde.

Es geht aber um mehr als um den Amoklauf einer rechten Verwaltungsstelle und „alte Rechnungen“. Der Fall Heinz Brandt ist inzwischen zu einem Fall „ westdeutsche Gewerkschaftsbürokratie“ geworden. Er hat - wie kaum ein Ereignis vorher - deutlich gemacht, wie weit die Gewerkschaftsbürokratie in der Krise vor dem Kapital kapituliert hat:

Da gibt es z.B. in den Gewerkschaften heute den Atomfilz Hans Schwalbach aus Kiel, der im Aufsichtsrat der Nordwestdeutschen Kraftwerke sitzt, zugleich ÖTV-Bezirksleiter und SPD-Landtagsabgeordneter ist.

Da gibt es einen Matthias Breuer, im Vorstand der RWE bis 1974 Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates, der sich bei einem Jahresgehalt von 500 000 DM mit „Elektrogeräten und Arbeitsleistungen auf Firmenkosten“ nebenbei versorgt haben soll und dabei vom Großbankier Abs wohlwollend gegenüber den Aktionären gedeckt wurde.

Da gibt es die Betriebsratsmitglieder der KWU-Mühlheim, zugleich im SIEMENSAufsichtsrat, die die Angst ihrer Kollegen vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes zur peinlichen Demonstration für Atomkraftwerke mißbrauchten, nicht ohne hier und da zusätzlich noch mit Drohungen nachzuhelfen.

Dies ist nur ein einigermaßen repräsentativer Querschnitt. Es gibt viel mehr Atomfilze.

Der Atomfilz aber ist keineswegs das Resultat persönlicher Charakterdeformation einzelner Betriebsräte. Eine Gewerkschaftspolitik, die vor der kapitalistischen Logik total kapituliert hat, die den Kohl des Kapitals nachbetet, man könne die Arbeitslosigkeit nur mit gesteigertem Wachstum bekämpfen, muß die übelsten Formen von Klassenkollaboration bis hin zur offenen Korruption hervorbringen.

Es ist nicht verwunderlich, daß es neben dem Atomfilz auch den Rüstungsfilz gibt, der für Waffenexporte votiert, den Che miefilz, der versucht, jede wirksame Um Weltschutzmaßnahme zu hintertreiben Die als großer Fortschritt gefeierte Mit bestimmung wird unter diesen Umstän den nichts anderes bringen als eine Aus weitung institutionalisierter Korruption Das Ausschlußverfahren gegen Heinz Brandt aber macht noch etwas anderes deutlich. Bisher wollte sich die Gewerkschaftsbürokratie nicht ganz zum Büttel von Unternehmerverbänden und Regierung machen. So befand der DGB immerhin, daß Rüstung nicht deshalb schon zu begrüßen sei, weil sie Arbeitsplätze sichere. Wenn auch nur in Sonntagsreden, trat der DGB für eine saubere Umwelt und eine , .Humanisierung der Arbeitswelt” ein. Dies war nicht mehr als ein Rumgefummel an Symptomen, die bestehenden Verhältnisse wurden dabei nicht in Frage gestellt. Immerhin aber gab es dadurch einen — wenn auch begrenzten — Spiel raum für innergewerkschaftliche Kritik.

Damit scheint die Krise aufgeräumt zu haben. In der Gewerkschaftsspitze herrschte lange keine völlige Übereinstimmung in der Einschätzung des KKWbaues. Glühende Verfechter waren vor allem die Vorsitzenden der Gewerkschaften, deren Mitglieder unmittelbar am Bau und Betrieb der Atomkraftwerke beschäftigt waren — so etwa Sperner von der IG-Bau oder Schmidt von der IGBergbau und Energie. Vorsichtiger äußerte sich etwa die Gewerkschaftsspitze der IG-Holz und auch der Druck und Papier. Zu Anfang April kam es dann überraschend zu einem DGB-Beschluß: die bestehenden Kraftwerke sollten zügig weiter gebaut werden. Neue Genehmigungen sollten aber nur erteilt werden, wenn das Entsorgungsproblem gelöst wäre. Der Sieg des Atomfilzes war fast komplett. * Aber damit nicht genug. Einzelnen Spitzenbürokraten genügte es nicht die Mär von den Arbeitsplätzen der Zukunft, die die Atomenergie sichere, in Beschlüsse zu gießen, man befand darüberhinaus, daß Bürgerinitiativen abzulehnen seien, (so Loderer von der IG-Metall). Damit hatte man zusätzlich noch den bestehenden Parteien das Monopol auf politische Betätigung bescheinigt.

Um dem ganzen die Spitze aufzusetzen scheint die Bürokratie nun auch noch entschlossen zu sein die ganze Gewerkschaft auf den soeben geebneten rechten Weg mit administrativen Mitteln bringen zu wollen.

Für diese Entschlossenheit zeugt, daß man mit dem Vorgehen gegen Heinz Brandt eine ganz neue Qualität in der innergewerkschaftlichen Unterdrückung von Kritik zu erreichen gewillt ist. Wenn Gewerkschaftsausschlüße bisher nur solchen Gewerkschaftern galten, die im Sinne des DGB-Radikalenerlasses einer „feindlichen Organisation” angehörten, so trifft ein Ausschlußverfahren erstmals einen Kritiker, der nichts anderes getan hat, als für sich das selbstverständliche Recht auf Meinungsäußerung in Anspruch genommen zu haben. Außerdem hat Heinz Brandt in Itzehoe zu Recht für eine stattliche Zahl von Atomgegnern in den Gewerkschaften gesprochen.

Es gibt nicht nur zahlreiche Gewerkschafter, die an den Anti-KKW-Demonstrationen teilgenommen haben, es hat auch von Vertrauensleuten, Betriebsräten und Gewerkschaftsmitgliedern selbst aus der Atomindustrie Erklärungen gegen den Bau von Atomkraftwerken gegeben.

Das Ausschlußverfahren gegen Heinz Brandt könnte der Auftakt einer schweren Zerreißprobe in den Gewerkschaften werden.

Wohl um diesen Effekt abzumildern hat man noch schnell eine andere „gewerkschaftsschädigende” Aktivität von Heinz Brandt nachgeschoben:

Im Februar 1977 hatte Heinz Brandt eine Anzeige im Berliner Tagesspiegel mit unterzeichnet, in der aufgefordert wurde nicht in rechtsstehende „neue” Berliner GEW einzutreten, sondern gegen die Auflösung der GEW-Berlin und gewerkschaftliche Unvereinbarkeitsbeschlüsse zu kämpfen.

Aber auch dieses Ablenkungsmanöver hat eher schlafende Hunde geweckt. Die Anzeige wurde unter anderem auch vom Vorstandsmitglied des Schriftstellerverbandes in der IG-Druck und Papier Ingeborg Drewitz mitunterzeichnet. Ganz sisicher wird das Vorgehen gegen Heinz Brandt wegen dieser Unterschrift dazu beitragen den skandalösen Berliner Vorgängen um die Spaltung des GEW-Landesverbandes zusätzliche Publizität verschaffen.

Um ein übriges zu tun hat die Gewerkschaftsbürokratie mit einer Kampagne gegen Heinz Brandt begonnen.

So bezichtigen einige Gewerkschaftsbürokraten Heinz Brandt und einige Journalisten der Lüge. Zunächst sah es so aus, als ob Heinz Brandt mit dem Gewerkschaftsausschluß auch seine Betriebsrente dJi. die innerbetriebliche Rente der IG-Metall, für die er tätig war, verlieren würde. Dies so sagt man heute, sei nicht der Fall, da die Gewerkschaften die gesetzliche Sicherung von Betriebsrenten auch bei Arbeitsplatzverlust erkämpft hätten. Da bleibt dann die Frage offen, weshalb dies in den entsprechenden Bestimmungen der Gewerkschaft diese gesetzliche Regelung noch keinen Eingang gefunden hat. Die Gewerkschaft sollte einmal erklären, ob ihre Betriebsrente nun eine Betriebsrente im Sinne des Gesetzes ist, oder etwas anderes. Sie sollte einmal erklären, warum sie sich dazu nicht klar äußert. Will sie sich ein Disziplinierungsinstrument für Funktionäre nicht aus der Hand nehmen lassen?

Weiter sah es so aus, als ob Heinz Brandt mit seinem Ausschluß aus der IG Metall automatisch auch aus dem Schriftstellerverband in der IG-Druck und Papier herausfliegen würde. Dies so sagt man heute ist laut einem IG-Metall-Geheimbeschluß nicht der Fall. Der automatische Ausschluß gilt nur, wenn ein Ausgeschlossener versucht, in eine andere DGB-Gewerkschaft einzutreten, nicht aber für die Handvoll von Gewerkschaftern, die aufgrund ihrer Tätigkeit in den Gewerkschaften etwa als Redakteur aus beruflichen Gründen Doppelmitgliedschaft in verschiedenen Gewerkschaften haben. Außerdem gelte im Schriftstellerverband eine Klausel, die ganz ausdrücklich die völlig freie Meinungsäußerung von Gewerkschaftsmitgliedern uneingeschränkt sichert.

Die Äußerung von Heinz Brandt in Itzehoe sei dadurch gedeckt. Der DGB sollte einmal erklären, warum eine solche Klausel nicht für alle Gewerschafter gilt; die IG-Metall sollte endlich ihren Geheimbeschluß über den automatischen Ausschluß von Gewerkschaftern offenlegen.

Die angeblichen Lügen waren zwangsläufig Irrtümer, die nur noch weitere skandalöse gewerkschaftliche Beschlüße und Zustände ans Licht brachten.

Indessen hat die Bürokratie bei ihrer Kampagne die seltsamsten Helfer bekommen:

Die „Roten Blätter” des MSB-Spartakus kommentierten die Itzehoer Rede:

„Dabei kann die Bundesregierung bei ihren Spaltungsmanövem auf Provokateure aus ihren eigenen Reihen zurückgreifen. Auf der Itzehoer Großkundgebung erfüllte der, das da’-Starautor Heinz Brandt dieses Geschäft. Anstatt die Profitgier der Energiekonzeme anzugreifen, hatte der pensionierte Gewerkschaftsfunktionär nichts besseres zu tun als die Gewerkschaften zu beschimpfen: Unter Atom filz (Wortspiel des Redners zu Atompilz, F.H.) verstehe ich den reichbezahlten Gewerkschaftsbürokraten... ’ ’’

Bisher war aus dieser Ecke lediglich zu hören, man sei zwar gegen die Atomkraftwerke hier, die Kernenergie in der Hand des sowjetischen und deutsch-demokratisehen Volkes aber sei weniger radioaktiv. Nun beteiligt man sich offen am Kesseltreiben gegen hiesige AKW-Gegner. Auch hier also eine neue Qualität?

Vielleicht sind auch dabei alte Rechnungen im Spiel, für deren Begleichung sich der MSB-Spartakus funktionalisieren läßt. Der Republikflüchtling Heinz Brandt gehört heute zu den schärfsten Kritikern der östlichen Bürokratie, die ihn einst entführen ließ und in Bautzen inhaftierte.

Das Ganze ist ein sagenhafter Vorgang!

Der andere Helfeshelfer in der Kampagne ist der Atomfilz Hans Schwalbach, der gegen Heinz Brandt Strafanzeige stellte, obwohl dieser ihn mit keinem Wort in seiner Rede erwähnt hatte. Man könnte sich über die Anzeige beinahe freuen, weil sich ein Atomfilz dadurch selbst kenntlich gemacht hat und Heinz Brandt, der nach den seltsamen Verfahrensregeln eines Gewerkschaftsausschlußverfahrens sich zur Zeit nicht zu seinem Fall äußern darf, nun Gelegenheit hat, im Zusammenhang mit dieser Anzeige den gewerkschaftlichen Maulkorberlaß zu umgehen. Die Freude aber ist getrübt, wenn man hört, was die Anwälte des Herrn Schwalbach über den aktiven Antifaschisten Heinz Brandt zu bemerken haben:

Er versuche den Eindruck zu erwecken, er würde wieder einmal grundlos verfolgt, „wie es früher geschehen sein mag”.

Was meinen die Herren Anwälte damit? Den KZ-Aufenthalt von Heinz Brandt bei den Nazis, die Haft in Bautzen? Anläßlich seiner Entführung durch den DDR-Staatssicherheitsdienst hatte dieser die ungeheuerlichsten Lügen über Heinz Brandt in Umlauf gebracht. Da war die Rede vom CIA-Agenten Heinz Brandt, gar vom Doppelagenten, der sich wohl zu Unrecht als Opfer fühle. Der Atomfilz versucht offenbar an die Tradition der alten Schmutzkampagne gegen einen unbequemen Kritiker jeder Form von Ausbeutung, Korruption und Bürokratie anzuknüpfen.

Man wird verhindern müssen, daß so vom Kern des Konflikts auf die übelste Weise in der Öffentlichkeit abgelenkt wird. Es geht nicht um die Person Heinz Brandt, es geht um die Komplizenschaft der Gewerkschaftsbürokratie am Mechanismus der Kapitalakkumulation, der für die Unterdrückten statt Emanzipation nur höchstens materielle Gratifikation bereithält und langsam aber sicher die Naturbasis dieser Emanzipation zerstört. Es geht um die Unterdrückung innergewerkschaftlicher Kritik an dieser Komplizenschaft.

* Zumal ja - wie im Falle des zweiten AKW in Philipsburg — „der Nachweis U einer hinreichenden Vorsorge für die Beseitigung von Brennelementen auch durch | einen Vertrag mit dem Ausland erbracht werden kann” (So die F.A.Z. vom 8.6.77 über die unterlaufende Veränderung der bisherigen Entsorgungsstrategie durch die Bundesregierung.) Red.

Jens Huhn

WER NICHT SPURT, FLIEGT RAUS!