Das, was ich hier heute abend zu sagen habe, das sage ich als Verteidiger eines Mitglieds der Roten Armee Fraktion und das bedeutet nicht, daß ich etwa ein Parteigänger der Politik dieser Roten Armee Fraktion bin.

Zugleich heißt das aber auch, daß ich mich keinem aber auch gar keinem der von hohen Funktionsträgern im Staatsapparat der Bundesrepublik ausgegebenen Denkund Redeverboten unterwerfen werde.

Es scheint mir notwendig, weil das die aktuelle und wichtigste Frage ist, was die Gefangenen in Stuttgart angeht, daß ich etwas sage, zu der Frage der Haftbedingungen.

Jede Verteidigung wird sinnlos, wenn sie nicht das Leben der anvertrauten Gefangenen zu retten imstande ist. Und die Verteidigung, die auf sich alleingestellt ist, ist in der Tat ohnmächtig. Wir haben das über Jahre erfahren müssen, daß etwa die Ausschöpfung rechtlicher Prozeduren kaum einen Erfolg bringen kann. Und die Situation hat sich wirklich in den letzten Stunden dramatisch zugespitzt. Die Verantwortlichen stellen die Gefangenen vor eine makabre Alternative: nämlich entweder infolge des Hungerstreiks zu sterben, oder infolge einer lebensgefährlichen Maßnahme — bei Grudrun Ensslin ist das ärztlicherseits ausdrücklich bestätigt worden, und zwar nicht von irgendeinem, den man als Sympathisant verdächtigen könnte, sondern von einem neutralen, vom Gericht ausgewählten Gutachter — einer lebensgefährlichen Maßnahme, nämlich der Zwangsemährung. Nun hat dieser Gutachter ausdrücklich bestätigt und gesagt, wenn das angewendet wird, ist das mit hoher Lebensgefahr verbunden. Dann ist die dritte Möglichkeit, der einzige Ausweg, der ebenfalls von den neutralen Gutachtern vorgeschlagen und dringend angeraten wird, nämlich die Änderung der Haftbedingungen. Eine Forderung, die seit zwei Jahren auf dem Tisch des Gerichts und der übrigen Verantwortlichen liegt, die wird nicht erfüllt. Und das ist die Forderung, die sich darauf richtet, daß die Isolationshaft aufgehoben wird und die Gefangenen mit jeweils Gruppen von fünfzehn politischen Gefangenen zusammengelegt werden, eine doch sehr gemäßigte Forderung, doch eigentlich nicht so etwas, was nun den Staat ins Wanken bringen könnte, und man wundert sich über die Dreistigkeit, mit der in der Öffentlichkeit seitens der Verantwortlichen gegenüber einer solchen Forderung operiert wird.

Aber lassen Sie mich in dem Zusammenhang auch noch etwas hinzufügen, wie sich die psychologische Situation vielleicht infolge des letzten Stadiums des Verfahrens verändert hat, und das scheint mir doch heute sehr bedeutsam, ein Kommentar in der Zeitung ,Die Welt’vom heutigen Tage. Da wird also eine Art Resümee gezogen und da heißt es, wie gefährlich so ein Hungerstreik sei, es könnten Angeklagte durch Hungerstreik die Verhandlung stören und generell Unruhe verursachen — man fragt sich, wie das eigentlich funktionieren soll. Und der Vorschlag: Um die Gegenwehr auszuschalten, wäre an sedierende Mittel zu denken; sedierende Mittel,das sind Mittel, mit denen der Gefangene - wie man das in der Psychiatrie nennt — ruhig gestellt werden sollen, und. das ist ja nun ein Eingriff, der anderswo immer so heftig kritisiert wird, nämlich medikamentöse Behandlung von politischen Gefangenen. Hier tut sich die Tür s.chon einen Spalt auf dazu, und wir haben es ja erlebt, daß das, was in solchen Kommentaren, zunächst einmal in solchen Gazetten geschmiert wird, das wird später nach nicht allzu langer Zeit dann politische Wirklichkeit. Also ein Unterstreichen des Ernstes der Situation. Nun, soviel zu den Haftbedingungen.

Jetzt zu den Vorgängen in dem Prozeß: Ich glaube, ich kann darauf verzichten, Ihnen noch einmal alle Stationen des Verfahrens hier darzustellen, angefangen mit Ausschluß von Verteidigern, Vorenthaltung von Akten, Schaffung neuer Gesetze, Geheimakten, deren Geheimhaltung so gerechtfertigt wurde,daß deren Bekanntwerden den Bestand des Staates gefährden würde, die Aktenaffäre Mayer/Prinzing, die Abhöraffäre, das Vordringen von Geheimdiensten in die Sphäre des Gerichts usw. usf. — das ist, glaube ich, inzwischen allgemein so bekannt, daß es nicht notwendig ist, das noch einmal darzustellen. Aber wichtig ist, das System zu erkennen, und da darf ich vielleicht auf ein Zitat zurückgreifen des Bundesministers, der für Recht zuständig sein soll, der mit deutlicher Zielrichtung auf das Stammheimer Verfahren noch vor dem Urteil in den letzten Tagen erklärt hat, es gäbe in der Bundesrepublik keine politischen Prozesse, wer das bestreite, betreibe gezielte Begriffsverwirrung, die den Nährboden für Gewalt und Terror bereite. Zugleich hat dann der Minister noch weiter ausgeführt, wer sich um Verständnis von Gewalttaten bemühe, müsse als Sympathisant von Terroristen moralisch isoliert werden. Lassen Sie mich im Vorgriff auf spätere Ausführungen sagen: Wo war dieser Herr eigentlich, als hier in der gesamten Bundesrepublik, von der gesamten kapitalistischen Presse um Verständnis für die Bombenangriffe auf Vietnam geworben wurde. Wo hat dieser Minister seine Stimme erhoben und hat gesagt, diese Leute müssen moralisch isoliert werden? Aber das ist keine einsame Parole dieses Ministers, das ist eine Parole, die sich überall wiederfindet, und die von vielen und von den Medien, den uns hier beherrschenden Medien, an vielen Stellen vervielfältigt wird. Aber, was heißt es eigentlich, wenn Verständnis bereits als eine moralische Untat bewertet wird, mit dem dem Terror Vorschub geleistet werde. Man sollte doch denken, daß Verständnis die allererste Voraussetzung, Verstehen, Verstehen ist doch die allererste Voraussetzung, um überhaupt ein Urteil sich zu bilden und man kann ja jetzt, nachdem das Urteil gesprochen ist, vielleicht auch denken, diese Richter, die dieses Urteil gesprochen haben, die haben sich einem solchen Verständnis auch verschlossen, wenn man den Gleichklang sieht. Der Minister sagt: Keinen politischen Prozeß gibt es in der Bundesrepublik, ja, da kann natürlich ein Richter nicht einen Tag später sagen, das ist ein politischer Prozeß. Da muß er sagen: die Politik bleibt vor der Tür. Wer Verständnis unterdrücken will, der erwartet kein neutrales Urteil, sondern er will jemanden verfemen, verfeinden, er will ihn zum Feind erklären und das hat sich wiederum vor dem Urteil darin ausgedrückt, daß der Bruder jenes Ministers, der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz in einer Fernsehsendung, die im ZDF ausgestrahlt wurde, die Forderung aufgestellt hat: die Mörder müssen endlich verurteilt werden. Das sind nur Einzelpassagen, kleine Bruchstücke aus einer massiven,über Jahre dauernden Propaganda, die über uns hinweggegangen ist. Und das kann man aus dieser Propaganda lernen, daran kann man nämlich genau das Gegenteil lernen, was mit dieser Propaganda erreicht werden soll, daß eben das Stuttgart-Stammheimer Verfahren kein normales Verfahren gegen gewöhnliche Kriminelle war und ist, sondern nichts anderes als ein Instrument innerhalb eines groß angelegten Feldzuges psychologischer Kriegsführung, in dem die Gerichtsverhandlung nur eine Etappe, nur sozusagen ein Gefechtsfeld von vielen ist. Und die Zielrichtung ist ganz eindeutig auszumachen: die Mitglieder der Roten Armee Fraktion sollen als gewöhnliche Kriminelle ohne jeden politischen Anspruch dargestellt werden, der politisch-militärische Charakter der Auseinandersetzung zwischen dem Staatsapparat und der Roten Armee Fraktion soll geleugnet werden. Wir sind in der Richtung nicht etwa pessimistisch oder, sagen wir mal, in Resignation verfallen. Wenn so etwas vorgetragen wird, soll dieser Eindruck nicht entstehen. Ich bin der Meinung — ich glaube, da spreche ich für die gesamte Verteidigung - daß der Versuch dieser psychologischen Kriegsführung ein solches Ergebnis zu erreichen, gescheitert ist. Er mußte scheitern, weil sich die Behauptung von dem angeblich normalen Strafprozeß mit dem wahren Charakter der Auseinandersetzung zwangsläufig nicht in Übereinstimmung bringen läßt, da die Reaktionsweisen des Staatsapparates allein von der politisch-militärischen Zweckmäßigkeit bestimmt werden und das können Sie ja überall sehen, durchgängig durch den gesamten Verfahrensablauf müssen diese Maßnhamen notwendigerweise in Widerspruch zu der angeblichen Normalität geraten. Sie können das ja äußerlich schon an dem Prozeßgebäude sehen: dies ist eine Festung, eine militärische Festung, nach militärischen Gesichtspunkten konzipiert, und da wird es ja sinnlich anschaubar, daß die Justiz längst den Bereich der Normalität verlassen hat und in dieses Konzept eingemeindet worden ist. Man kann beobachten, daß da ein Generalkonzept vorliegt bei der politisch-militärischen Bekämpfung der Stadtguerilla in der Bundesrepublik und ich darf vielleicht dazu einige Beispiele nennen, die das erkennbar werden lassen. Ein erstes Beispiel: In Westberlin haben mehrfach Manöverübungen der dort stationierten US-Truppen gegen Terroristen stattgefunden. Und auch in der Bundesrepublik sind mehrfach solche militärischen Manöver unter Einsatz militärischer Verbände gegen Terroristen durchgeführt worden, unter anderem in der Schwäbischen Alb. Wir sind da weitgehend auf die öffentlichen Informationen angewiesen, daher daraus können Sie das schon ablesen, es mag sogar jenseits der öffentlichen Information noch sehr viel mehr in dieser Richtung stattgefunden haben, als wir wissen. Aber jeder, der das wenige, was ich Ihnen jetzt hier genannt habe, weiß, der muß sich doch die Frage stellen: Seit wann sind denn eigentlich militärische, seit wann werden militärische Verbände zur Bekämpfung gewöhnlicher Krünineller eingesetzt? Das zweite Beispiel: In der Bundesrepublik sind Spezialeinheiten innerhalb des Bundesgrenzschutzes aufgestellt worden, die nach einem spezifisch militärischen Konzept der Counter-Guerillakriegsführung ausgebildet, ausgerüstet und organisatorisch zusammengefaßt sind. Auch das wiederum muß man sich fragen: Seit wann gehört das in den Bereich der sogenannten gewöhnlichen Kriminalität? Ein drittes Beispiel: Auf deutschem Boden sind entsprechende amerikanische Spezialeinheiten für die anti-subversive Kriegsführung stationiert. Also hier der deutliche Zusammenhang zwischen der Bundesrepublik und dem US-Militärapparat. Viertens: Das strategische und taktische Konzept für die Operation dieser militärischen Verbände ist von dem US-Verteidigungsministerium entwickelt und von dem Verteidigungsminister der Bundesrepublik,sowie später auch von anderen westeuropäischen Staaten übernommen worden. Und wer das nicht glauben will, der kann das nachlesen in einer Schrift, die ist im Jahre 1976 erschienen unter dem Titel: Politik durch Gewalt, Herausgeber Herr Tophoven, sogenannter Spezialist für Terrorismus und da können Sie das nachlesen, daß eben diese Konzeption ursprünglich aus dem US-Verteidigungsministerium stammt. Fünftens: Innerhalb der NATO wird diese anti-subversive Kriegsführung nach einem gemeinsamen Konzept koordiniert. Das ist bekanntgeworden aus einem Artikel der Frankfurter Rundschau, ich glaube aus dem Jahre 1975, wenn ich das richtig im Kopf habe, in der dieses Papier erwähnt wird. Sechstens: An der Bekämpfung der Roten Armee Franktion sind auch die Geheimdienste einschließlich des Bundesnachrichtendienstes und des CIA beteiligt. Daß der CIA daran beteiligt ist, das wissen wir aus verschiedenen Berichten, nicht zuletzt auch aus Gesprächen, mit ehemaligen Agenten des CIA,und daß der Bundesnachrichtendienst sich an der Bekämpfung beteiligt, das ist spätestens allen klargeworden aus der Abhöraffäre, in der das offiziell zugegeben worden ist. Und da wiederum darf man fragen, muß man fragen: Seit wann wird denn der Bundesnachrichtendienst zur Bekämpfung gewöhnlicher Kriminalität eingesetzt. Und siebtens, und das ist ein sehr wichtiger Punkt: Wesentlicher Bestandteil des taktischen und strategischen Konzepts des Anti-Guerillakampfes ist eine breit angelegte psychologische Kriegsführung Ja, das internationale Institut für ConflictStudies, von dem manche Leute meinen, es sei ein CIA-Institut, ich will das nicht behaupten, nachher krieg ich eine einstweilige Verfügung, ist zu teuer, aber dieser Bericht aus dem Jahre 1975 unter der Überschrift ,,Neue Dimension der Sicherheit in Europa”, in dem heißt es unter Kapitel Nr. 6,Psychologische Kriegsführung: „Der Kampf gegen den Terrorismus ist primär ein Kampf um Bewußtsein”.

Und als ein weiteres Beispiel, die Feindbeschreibung, auch wiederum in dem Buch von Tophoven „Politik durch Gewalt”, obwohl’s ja sowas gar nicht geben soll, wenn Sie mal manche Kommentare in den Zeitungen lesen, da heißt es ja immer Politik durch Gewalt, das gibts überhaupt gar nicht, also Politik hat mit Gewalt nie was zu tun. Es wird ja stets behauptet, wenn Gewalt und Politik sich verbinden, ist es immer gleich Kriminalität, ich komme darauf zurück.

Also das Feindbild in diesem Buch von dem Kommandeur des Spezialeinsatzkommandos GSG 9 des Bundesgrenzschutzes, Ulrich Wegener, und der schreibt in diesem Buch, (damit keine Mißverständnisse auftreten, das ist genau diese Spezialeinheit zur Bekämpfung der Stadtguerilla,) über den Feind, den er bekämpfen will: „Die Terroristentruppen waren auf ihren jeweiligen Auftrag vorbereitet, waren straff geführt, waren gut ausgerüstet und schwer bewaffnet, sie waren mit Masse paramilitärisch ausgebildet, Planung und Durchführung ihrer Aktionen erfolgten nach Grundsätzen und Methoden der Guerilla-Kriegsführung, eine politische Zielsetzung und ein ideologischer Hintergrund waren erkennbar, die meisten Aktionen waren dazu bestimmt, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf ihre besonderen politischen Probleme zu richten.” Soweit die Feindbeschreibung. Und das unterscheidet sich doch ganz gewaltig von dem, was jetzt dem staunenden Publikum in Stammheim vorgemacht werden soll.Und die maßgeblichen Vertreter oder maßgeblichen Vertreter des Staatsapparates haben sich auch längst dazu bekannt, daß es sich um einen Krieg handelt, so etwa der Präsident des Bundeskriminalamtes, Dr. Herold, der auch gesagt hat, „Man kann das nicht auf die subjektive Ebene verlagern”, hat er gesagt, „was wäre denn eigentlich, wenn wir uns Baader, Meinhof, Raspe, Ensslin wegdenken, wäre dann das Problem gelöst?” Da sagt er: „nein, mitnichten, das ist eine Widerspiegelung objektiver politischer, ökonomischer Gegebenheiten, das Auftreten des Terrorismus ist ein Ausdruck dieser Widersprüche im politisch-ökonomischen Bereich.” Es ist auch interessant, was der Physiker und Philosoph Friedrich von Weizsäcker kürzlich zu dem Problem nach einem Bericht in der Frankfurter Rundschau von heute gesagt hat: auf das Problem des Terrorismus eingehend erklärte dieser Friedensforscher: „Der Terror, den wir heute haben, wird nicht aufhören; die einzige mögliche Lösung sei, den Terror zu überwinden, indem man ihn überflüssig macht”, „denn Terror sei ein Zeichen für ungelöste Menschheitsprobleme”.

Ich glaube, es ist schon auch nützlich, um das, was psychologische Kriegsführung ist und was in der Tat in manchen Köpfen viel Unheil anrichtet, zu erkennen, einmal einige dieser Instrumente näher zu analysieren. Da ist zu erinnern, daß der Staatsapparat in einer widerlichen, infamen Kampagne nie aufgehört hat, der Öffentlichkeit weiszumachen, es sei eine ganze Reihe von Anschlägen auf das Konto der RAF zu schreiben. Dieses Konto, das wird eröffnet etwa mit Vergiftungen des Bodensees mit Nuklearbomben, mit Raketenanschlägen auf Fußballstadien, mit Giftgasdiebstählen, übrigens, der Giftgasdiebstahl, der ist besonders interessant, weil diese Nachricht, die kam genau, sehr gezielt mit einem glänzenden Timing vor dem Beginn der Hauptverhandlung in Stammheim. Es kam dann in den Schlagzeilen heraus, diese Nachricht: Giftgasdiebstahl aus Bundeswehrdepot in Munsterlager oder wo das war, und überall war Alarmstufe eins und es war die Feuerwehr unterwegs, ganze Kompanien vom BGS werden aufgestellt, und später ging die Nachricht wieder zurück, wurde immer kleiner und kleiner, irgendwann mal dann nach zwei Wochen, auf Seite vier oder fünf, da hieß es dann, „man weiß überhaupt nicht, ob Giftgas gestohlen worden ist”. So funktioniert das.

Viel dramatischer und viel bedeutungsvoller ist die Tatsache, daß es Sprengstoffanschläge gibt, die wirklich stattgefunden haben, nämlich Sprengstoffanschläge, die besonders massenfeindlich sind, nämlich auf eine ganze Reihe von Hauptbahnhöfen in Großstädten der BRD 1974 in Bremen, 1975 in Hamburg, in Nürnberg. Was das Interessanteste ist, daß sofort, wenn so was bekannt wurde, ist es sofort die RAF; die RAF hat sich davon distanziert, aber das gibt’s auch wieder nur in kleinen Zeilen. Die RAF wird dafür verantwortlich gemacht und nun schreiben wir heute das Jahr 1977 und niemand weiß, was aus den Ermittlungsverfahren geworden ist. Man möchte gerne wissen, was ist denn eigentlich ermittelt worden, was ist denn nun an den Behauptungen dran. Wir hben in den Verhandlungen in Stammheim den Versuch gemacht, das aufzudecken, wir haben Fragen gestellt in der Richtung, u.a. an den Präsidenten des BKA Herold, der von sich selbst sagt, er habe eine Art von Informationsmonopol, und die Frage scheiterte daran, daß Dr. Herold dafür keine Aussagegenehmigung erteilt wurde. Wer denkt, das ist eine Spekulation von irgendwelchen verrückten Verteidigern, den muß ich daran erinnern, daß es ja auch Konflikte ähnlicher Art anderswo gibt, und da können Sie, darf ich Sie verweisen auf einen Artikel in der Zeitung die „Times”, was ich davon entnommen habe aus einer Ausgabe des „Spiegel” vor zwei Wochen und da berichtete die „Times” über sogenannte dirty tricks, schmutzige Tricks, der englischen Besatzungsarmee in Nordirland, die Sprengstoffanschläge selbst veranstaltet, um am nächsten Tag zu sagen, das war die IRA. Und wenn man weiß, daß hier bei Bekämpfung der RAF auch solche Dunkelmänner-Organisationen beteiligt sind, kriminelle Vereinigungen wie der CIA, kann man sich unschwer vorstellen, daß solche schmutzigen Tricks doch hier auch angewandt werden und dann kann man verstehen, warum keine Aussagegenehmigung erteilt wird. Denken Sie doch einmal an die Abhöraffäre, da hat man, um das zu rechtfertigen, mit einem sogenannten Notstand, ein Begriff, mit dem man nun schon seit Jahren hantiert, übrigens nicht die neue Erfindung der Minister Schiess und Bender, das muß man ganz ausdrücklich sagen, die können also die Urheberrechte da nicht einklagen, sondern das hat schon der Minister Maihofer im Jahre 1974 für sich reklamiert, als er in strafbarer Weise Prozeßunterlagen aus Stuttgart Stammheim in einer Broschüre unter die Leute gebracht hat. (Das ist ein Delikt, wenn man Prozeßunterlagen,bevor darüber in mündlicher Verhandlung gesprochen worden ist, im Wortlaut publiziert und da hieß es auch, es ist ein rechtfertigender Notstand gewesen.) Ja, und in dem Zusammenhang dieser Abhörmaßnahmen, da hat man mit großem Getöse die Behauptung aufgestellt, es sei eine Kindesentführung, Geiselnahme auf Kinderspielplätzen geplant gewesen aus den Zellen mit Hilfe der Anwälte, eine Gruselgeschichte, die natürlich den Menschen, die sowas hören,die Haare sträuben läßt. Und wie’s dann an’s Beweisen ging, da war nichts mehr, da hieß es zwar noch in irgendeiner dunklen Andeutung, es gäbe irgendein obskures Tonband, auf dem ein Gespräch von Ulrike Meinhof mit ihrem Anwalt aufgezeichnet sei auf dem sie die Möglichkeit einer Kindesentfiihrung erwähnt habe, aber solche dunklen Andeutungen, die sind ja wohl nicht ausreichend, da muß man einmal das Tonband vorlegen und dann kann man erst sagen, was ist denn an solcher Behauptung dran. Ich behaupte: es ist eine glatte,eine ganz abgefeimte und gezielte Lüge, die unter’s Volk gebracht werden soll und es ist bezeichnend, daß man dann, als es an das Beweisen ging, die Vorlage des Tonbandes abgelehnt hat.

Wenn wir das Fazit ziehen von zwei Jahren Stuttgart-Stammheim-Verhandlung und das ist ja nicht der Zeitraum, der alein interessant ist, sondern fünf Jahre Strafverfahren, dann kann man das nur so zusammenfassen, daß man sagt, von der rechtsstaatlichen Fassade ist aber auch nicht nur ein kleines Bruchstück übriggeblieben und das ist der Grund, daß das Triumphgeschrei, was man eigentlich hätte erwarten können, doch sehr zaghaft ausgefallen. Wenn ich mir die Zeitungen angucke, natürlich, es werden jetzt in der Presse Lobeshymnen angestimmt, „gerechtes Urteil”, „Die Rechtsstaatlichkeit hat sich bewährt”, und ähnliches, aber es klingt doch recht zaghaft, wenn man mal zwischen den Zeilen zu lesen versteht, abgesehen natürlich von Unverschämtheiten, die eine Zeitung, wie die Frankfurter Allgemeine verfaßt, wenn etwa in einem Artikel von Herrn Reissmüller, auch von heute, gesagt wird, „der Rechtsstaat hat den jetzt verurteilten Mitgliedern der RAF kein rechtliches Haar gekrümmt”, das ist doch wohl ein Abgrund an Unverschämtheit, aber ich meine, man kann wirklich zur Tagesordnung übergehen, was man von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu halten hat, das wird vielleicht aus früheren Kommentaren deutlich, nämlich aus einem Kommentar vom 28.12.1972. Da beschäftigt sich die FAZ unter der Überschrift „Anklagen oder Diplomatie” mit der Erklärung des damaligen schwedischen Ministerpräsidenten Olaf Palme, der den Vietnamkrieg der US-Armee als Völkermord schließlich dann doch bezeichnet hat, und da sagt die FAZ dazu, das seien „seltsam peinliche Tiraden”. Nun fühl ich mich sehr geschmeichelt, wenn die gleichen Blätter hinsichtlich der Schlußerklärung der Verteidiger vor zwei Tagen das gleiche Vokabular verwenden und auch von Tiraden sprechen.

Ich sagte eingangs schon, das Gericht war nicht eine neutrale Instanz, es sollte nur den Schein einer neutralen Instanz geschaffen werden und wenn man einen Gewährsmann braucht, sozusagen aus dem bürgerlichen Lager, dann darf ich vielleicht erwähnen eine Äußerung des früheren Generalbunde sanwalts Güde, der in einem Artikel in der Zeitung „Die Zeit” vom 15.4.77 u.a. folgendes geäußert hat: „Das gesamte Verfahren gegen die Anarchisten leidet unter einer entscheidenden Unordnung, niemand, der aus einiger Entfernung beobachtet, kann mit Sicherheit erkennen, wer die maßgebende Verantwortung trägt, das Justizministerium, das Innenministerium, das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz oder gar Landesminister und Landesämter oder nicht doch der Generalbundesanwalt, den die Gerichtsverfassung, die Strafprozeßordnung zum verantwortlichen Herrn des Verfahrens machen.” Soweit das Zitat von Herr Güde. Daran ist mehreres interessant, erst mal, ich weiß nicht, ob das in der Eile passiert ist, in der Aufzählung fehlt völlig das Gericht, das ist offenbar eine quantite negligeable, daß er den Geheimdienst vergessen hat, naja, das kann man als eine Verdrängung vielleicht ansehen, aber ein Irrtum ist natürlich in dieser Beurteilung, nämlich er meint, das sei alles das Ergebnis einer Planlosigkeit, das ist natürlich völlig falsch, das ist sehr planvoll, das massive Hineinwirken der staatlichen Exekutive in einen solchen Prozeß, wie’s sich durch die ganze Prozeßdauer bemerkbar gemacht hat, durch Sondergesetze, durch Sondermaßnahmen, durch Beratungen im Kabinett, man hat den Prozeß ja sogar im Kabinett beraten, und wie’s nachher schwierig wurde mit der Frage der Verhandlungsunfähigkeit, da hat auch vorher, bevor das Gericht seinen Beschluß gefaßt hat, diesen Beschluß auf den man gleich nochmal eingehen sollte, nämlich in Abwesenheit weiterzuverhandeln, da hat sich dann auch vorher der Bundesminister, der für das Recht zuständig sein soll, geäußert und hat gesagt, ja nun, wenn’s nicht weitergeht, dann müßt ihr halt in Abwesenheit verurteilen, dafür haben wir ja doch einen neuen Paragraphen gemacht, den § 231 a der StPO und das ist dann doch die richtige Methode, die angewendet werden soll.

Also nicht ein Enklave war das Gericht, eine neutrale Enklave sondern nur ein Schein, der geschaffen werden soll, als Instrument einer psychologischen Kriegsführung, so wie man das nachlesen kann von einem Fachmann für Counter-Guerilla-Kriegsführung, dem britischen General Kitson, der gesagt hat, die Justiz hat die Aufgabe einer propagandistischen Verkleidung bei der Bekämpfung von Guerilla.

Und was war nun in einem solchen Prozeß die wichtigste Aufgabe? Abgesehen davon, daß man das natürlich irgednwie zu Ende bringen muß. Die wichtigste Aufgabe war zweifellos die, daß man sich gegen jegliche politisch-rechtliche Argumentation der Verteidigung im Bereich dieser Anklagevorwürfe verbarrikadiert, und das hat das Gericht perfekt getan, auch wiederum durch das Urteil. Man hat sich nicht darauf eingelassen, einmal zu diskutieren und die Beweise entgegenzunehmen, was war die Funktion der militärischen Einrichtungen in Frankfurt und in Heidelberg, die mit Sprengstoffanschlägen der Roten Armee Fraktion angegriffen worden sind. Wir hatten nicht nur ganz detailliert ausgearbeitete Beweisanträge angeboten mit vielem Material in dieser Richtung. Wir haben sogar Zeugen präsent gemacht, die eigentlich nur unter ganz besonderen Voraussetzungen vom Gericht zurückgewiesen werden dürfen. Auch da hat das Gericht von vornherein gesagt, das machen wir nicht, und hat diese gesamten Anträge nur mit dem lakonischen einen Satz beschieden: ein Nothilfe- oder Widerstandsrecht, das solche Anschläge rechtfertigt, bestand nicht. Das war die einzige Begründung, die wir da gehört haben. Nun muß man sich ja fragen, warum eigentlich, warum hat eigentlich ein Gericht das nötig, warum muß der Staatsapparat einer solchen politischen und rechtlichen Auseinandersetzung über Programm und Praxis einer Guerillafraktion, der RAF, ausweichen, warum kann er sich einer solchen Auseinandersetzung nicht stellen? Und das, ich glaube, das kann man so schlagwortartig sagen, das liegt daran, daß wir hier in der BRD zu beobachten haben einen rapide zunehmenden Legitimationszerfall der staatlichen Macht. Das ist das entscheidende STichwort. Wenn sie sich einmal angucken, heute, was überall sich ereignet, was die Tagesdiskussion beherrscht, da ist viel von Korruption die Rede. Aber das ist ja eigentlich nur die Oberfläche, die nun allmählich ins Feuer gerät. So muß man das vielleicht ausdrücken Viel tiefer liegt doch die moralische Korruption, die moralische, politische Korruption, die geht viel weiter zurück. Und die geht schon auf den Zeitpunkt zurück, in dem es bei der Gründung der BRD nicht gelungen ist, zu einer radikalen Umkehr zu kommen, hier in Deutschland, sondern man eine Kontinuität aufgenommen hat, zum Staatsapparat des Dritten Reiches. Man hat sich nicht in der tradition des politischen Widerstands gegen das Dritte Reich weiterentwickelt, des Widerstands gegen den Faschismus. Darin liegt trotz aller scheinbaren Abgrenzungen, trotz aller scheinbaren Entnazifizierung, eigentlich der Geburtsfehler der BRD. Und sie können das, da müßten wir lange darüber reden, und ich will das heute abend jetzt nicht tun, aber ich will ein kleines, ein ganz winziges, aber sehr bedeutsames Symptom dafür erwähnen. Es ist in der gesamten Justizgeschichte der BRD nicht ein einziger Richter, sogenannter Richter, aus dem Dritten Reich verurteilt worden — nicht ein einziger! Und nicht einmal jener Verbrecher, der an über 200 Todesurteilen des Volksgerichtshofes beteiligt war, der Richter Rehse, der katholische Geistliche, die sogenannte wehrkraftzersetzende Äußerungen gemacht haben sollen, hat hinrichten lassen. Und ich muß Ihnen sagen, für mich ist ein solcher Mensch, der kalt in irgendeinem Kittel ohne persönliches Risiko aus seinen staubigen Akten menschliches Leben vernichtet, das ist für mich wirklich die tiefste moralische Verkommenheit, die ich mir überhaupt vorstellen kann.

Und nun hören Sie einmal, was das freisprechende Urteil, mit dem dieser Richter Rehse freigesprochen wurde, was dort in der Begründung zu lesen ist. Ich zitiere:

„Jeder Staat, auch ein totalitärer, hat ein Recht auf Selbstbehauptung. Es kann ihm in Krisenzeiten kein Vorwurf daraus gemacht werden, wenn er zu außergewöhnlichen und abschreckenden Mitteln greift.“

Soweit das Zitat.

Das ist das Rechtsbewußtsein, das diese BRD bestimmt hat und bestimmt.

Nun haben wir ja immer wieder das Wort „Notstand“ gehört. Ein juristischer Begriff. Wr lesen doch immer wieder in den Zeitungen - und lassen Sie mich das jetzt etwas zusammenhanglos sagen, vielleicht läßt sich der innere Zusammenhang einer solchen Ausführung dann erkennen - es wird doch immer wieder in den verschiedensten Publikationen gesagt, also wer politische Ziele mit Gewalt verfolgt, der ist ein Krimineller, das ist die Formel, die man verwendet. Und da ist es eben wichtig, wenn in dieser Auseinandersetzung versucht werden soll eine Abgrenzung zwischen Politik und Kriminalität, da ist es einmal wichtig zu untersuchen, welches Vokabular wird verwendet, welche juristischen Begriffe werden geltend gemacht. Und da eben dieser Begriff „Notstand“. Strafbares, also illegales Verhalten von Ministern wird mit einem solchen Begriff „Notstand“ gerechtfertigt. Und das ist für alle, die sich dann an der Diskussion innerhalb des Staatsapparates beteiligen, eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Und Gerüchte und Lügen, die in die Welt gesetzt werden, reichen aus, um einen angeblichen Notstand plausibel zu machen. Aber wieder demgegenüber, das Rehse-Urteil, in dem es darum ging, Widerstandsaktionen zu beurteilen im Dritten Reich, in dem es darum ging, ob das illegal war, nach der damaligen sog. Rechtsordnung, oder ob nicht das Überschreiten der Legalität im Dritten Reich aus dem Gesichtspunkt des übergesetzlichen Notstands gerechtfertigt war. Da sagt ein Urteü eines Westberliner Gerichts, wir konnten nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellen, ob während des Dritten Reiches für derartige Widerstandsaktionen ein übergesetzlicher Notstand vorhanden war. Und wieder jetzt - wieder ein Schritt zurück wir haben gesagt, gut, wenn wir uns auf die Begriffe einlassen sollen, die der Staatsapparat im Stammheimer Verfahren verwenden will, gut, wir sind auch dazu bereit. Wir wollen nicht nur politisch argumentieren, wir argumentieren rechtlich, aus dem Völkerrecht, meinethalben sogar mit strafrechtlichen Begriffen. Da haben wir gesagt, dann wollen wir mal prüfen: Waren diese Aktionen gegen Frankfurt, Heidelberg, nicht aus dem Gesichtspunkt der Nothilfe gerechtfertigt? Da hätte man natürlich als erstes einemal prüfen müssen: Gab es einen Notstand? Und dann hätte sich allerdings erst einmal das Augenmerk darauf richten müssen: Was passierte denn in Vietnam? Und da haben wir eben die Behauptung aufgestellt: Da passiert ein Völkermord! Und wir haben die Behauptung aufgestellt, dieser Völkermord, der passiert mit aktiver Unterstützung der BRD, ich sage nicht der BRD, nein, des Staatsapparates der BRD!

Und der passiert mit Unterstützung der Militärmaschine der Amerikaner in der BRD! Und wer das nicht glaubt, der soll doch mal die Tatsachen zur Kenntnis nehmen! Bitte, nehmen Sie die Tatsachen zur Kenntnis, ich kann Ihnen vorlesen aus der Zeitschrift „Europäische Wehrkunde“.

Da steht:

„Die US-Landstreitkräfte in Europa erholen sich schnell von den negativen Auswirkungen ihrer Verwendung als Ersatzbasis für Vietnam. “

Das ist eindeutig! Die Bundesrepublik war das logistische Glacis zur Steuerung der müitärischen Einsätze in Vietnam. Und wir wissen es aus authentischer Quelle, aus Informationen der Ex-CIA-Agenten, die es uns eindeutig anhand von Fakten bestätigt haben. Aber man hält sich da die Ohren zu! Und warum hält man sich die Ohren zu?! Weil man in diese Verbrechen verstrickt ist!

Aber, lassen Sie mich Schritt zurück machen noch bei dem Begriff nochmals einen Wir sind immer ,.Notstand“. In einem solchen Zusammenhang, Widerstand gegen den Völkermord in Vietnam, läßt man den Begriff „Notstand“, „Nothilfe“ nicht gelten. Aber in einem anderen Zusammenhang, da läßt man ihn sehr gern gelten, nämlich wenn es wiederum um die sogenannte jruistische Bewältigung von Untaten während des Dritten Reiches geht. Da brauchen Sie nur mal nachlesen, mit welcher juristischen Akrobatik man sich um den Befehlsnotstand gekümmert hat. Und wenn ein Gericht, das vor wenigen Stunden ein Urteil in einem politischen Prozess verkündet hat, es sei kein Institut für Rechts- .... für Zeitgeschichte, dann muß man wissen, daß man sich in solchen NS-Prozessen durchaus Zeitgeschichtler, um solche Dinge zu untersuchen, geleistet hat. Da war dann kein Aufwand zu schade, um die Behauptung eines Befehlsnotstandes zu prüfen. Das geht also in die Richtung: Wie werden juristische Begriffe verwendet, wann werden sie gar nicht erst zugelassen zur Argumentation vor Gericht und wann werden sie langwierig untersucht. Aber es geht auch um das Vokabular. Da will ich zwei Worte herausnehmen: „kriminell“ und einen anderen, schlagwortartigen Ausdruck: „Terrorist“. Und natürlich sind für alle, die sich an diesen Hetzkampagnen beteiligen, Mitglieder der RAF Kriminelle. Aber nun dürfen Sie mal hören, was ein Richter in einem NS-Prozess gesagt hat: Das war ein Prozess, der hier in Frankfurt stattgefunden hat, im Jahre 1973. In diesem Prozess erhielt der Polizeihauptkommissar Johannes Kuhr eine Freiheitsstrafe von 2 1/2 Jahren, weil er an Exekutionen in Pinks beteiligt war, wo russische Juden mit Peitschen in die Gruben getrieben und dort getötet wurden. Kranke erschoß man in Betten. Gegen Frauen und Kinder, die sich versteckt hatten, wurden Handgranaten eingesetzt. Und von diesem Angeklagten Kuhr sagte dann der Vorsitzende des Schwurgerichts in der Urteilsbegründung, ich zitiere:

„Keiner der Angeklagten ist kriminell und ohne das NS-Regime hätten sie niemals vor einem Schwurgericht gestanden. Sie handelten in Übereinstimmung mit ihrer Umwelt, nicht gegen sie und nicht einmal aus Kreisen der Justiz regte sich Einspruch.“

So das Zitat. Und das

(Zwischenruf: Der Mann ist heute Vorsitzender der Staatsschutzkammer beim Landgericht Frankfurt!)

Das wäre ja eine schöne Tradition schöne Kontinuität! Das ist eine ganz wichtige Definition: wenn sich Gewalt, mag sie noch so scheußlich, so unmenschlich sein, wenn sie im Interesse des Staates verläuft, wenn sie den Interessen des kapitalistischen Staatsapparats zur Geltung, zur Durchsetzung verhüft, dann ist sie nicht kriminell! Denn er handelte ja in Übereinstimmung mit der Umwelt und nicht gegen sie! Aber wer gegen sie handelt, der ist ein Krimineller. Und deshalb darf z.B. auch heute noch nach einer Entscheidung eines bundesrepublikanischen Gerichts ein kommunistischer Widerstandskämpfer, nämlich Fiete Schulze, der gewaltsam gegen das Terrorregime im Dritten Reich gekämpft hat und dann mit dem Fallbeil hingerichtet wurde, der darf auch heute noch in der BRD als Mörder bezeichnet werden! Das sind die Symptome.

Aber gehen wir über zu einem anderen Wort: „Terrorismus“ - „Terrorist“. Dieses Wort hat eine sehr lange Tradition. Sie können nachlesen in einer Schrift von Bertrand Rüssel aus dem Jahre 1965 „Appell an das Gewissen Amerikas“, wo er sagt, bereits die amerikanischen Freiheitskämpfer, die gegen koloniale Unterdrückung im amerikanischen Befreiungskrieg gekämpft haben, die hat man damals als Terroristen bezeichnet. Und Terroristen nennt man natürlich auch die Befreiungskämpfer im südlichen Afrika, in Rhodesien, in Südafrika, in Südwestafrika. Man nennt Terroristen und hier in der BRD nenn man sie so, die gegen Franco gekämpft haben, man nennt Terroristen und nannte Terroristen die Amerikaner, die sich gegen ihre eigene Regierung gestellt haben, um diesen mörderischen, verbrecherischen Krieg in Vietnam zu beenden, - Terroristen. Und sie können diese Liste verlängern! Immer wenn es um Befreiung vom Imperialismus geht, wird dieser Begriff verwendet in einer bestimmten propagandistischen Zielrichtung. Und das muß einem nun wiederum zu denken geben. Warum wird nun eigentlich auch auf Mitglieder der RAF dieser Begriff angewendet? Und was heißt es denn eigentlich, daß umgekehrt, wenn ein Herr Vorster hierher kommt, ein Herr Vorster, der es zu verantworten hat, daß auf den Strassen von Südafrika Hunderte von Kindern brutal niedergeschossen werden, in Gefängnissen verschmachten, zu Tausenden Kinder in Gefängnisse geworfen werden, der wird hier auf freundliche Einladung der BRD empfangen! Und da kommt niemand auf den Einfall zu sagen: das sei ein Terrorist! Und dieses Beispiel möge für viele stehen.

Die politische Szene in der BRD, und das ist das zweite Element, das neben diesem Geburtsfehler, den ich genannt habe, eine sehr wesentliche und bestimmende Rolle hat, für das, was sich politisch bei uns ereignet und darstellt: Das ist die Unterwerfung unter den amerikanischen Imperialismus. Man kann durchaus das so formulieren, daß die BRD so eine Art von Kolonie des US-Imperialismus geworden ist. Das ist ein durchaus richtiger Begriff. Wir sind politisch und ideologisch und ökonomisch kolonisiert. Und wenn wir einmal daran denken, das ist vielleicht nur so ein kleines Phänomen, das das erkennen läßt, eine Äußerung des gegenwärtigen Bundeskanzlers, der gesagt hat: Wir sind alle Amerikaner - das hat ja nicht nur eine humoristische Qualität. Welche Konsequenzen kann das eigentlich für uns hier in der BRD haben? Und da sollte man sich sehr ernsthaft damit beschäftigen, wie wir eigentlich in die Strategie, in die militärische Strategie des US-Imperialismus eingebettet sind. Und dann darf ich nochmal zitieren den Friedensforscher Weizsäcker aus dem Artikel der FR vom 29.4. 1977 unter der Überschrift, in der schon erkennbar wird, was er sagen will:

„NATO-Strategie für Deutsche - mörderisch

Die Planung der flexiblen Anstwort - also flexible response, wie das so heißt - setze voraus, daß die Deutschen zum Selbstmord bereit seien. “

Das heißt konkret, daß die ganze Strategie darauf angelegt ist, Mitteleuropa zum Gefechtsschauplatz zu machen. Und dann bleibt hier nicht ein Stein auf dem anderen! Und dann werden wir hier alle wie wir hier sitzen - verbrannt! Das mag Ihnen sehr pathetisch Vorkommen, das ist aber ganz nüchterne Realität.

Und wer hat die Entscheidung, ob wir verbrannt werden oder nicht verbrannt werden? Die Entscheidung liegt einzig und allein bei den USA. Einzig und allein! Wer es nicht glauben will, der kann es heute nachlesen in der FAZ in einem Interview mit einem gewissen Herrn Dregger, der über Informationen aus dem militärischen Bereich verfügen soll. Das ist die Perspektive, die man uns bietet: Kriegsschauplatz zu werden! Und dann fängt noch das Nachdenken erst an: Was ist jetzt eigentlich politisch in der BRD auf der Tagesordnung? Aber damit will ich meine historischen Ausflüge in die Vergangenheit und in die Zukunft beenden und nur noch etwas zum Schluß sagen, was vielleicht noch anknüpft an einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung, der sich angehört hatte, was ich vor zwei Tagen zu dem Stuttgart Stammheimer Verfahren zu sagen hatte und der sich durch meine Tiraden, wie er sich ausgedrückt hat, irritiert zeigte und gemeint hat, also ich hätte bisher immer noch meinen guten Ruf zu wahren verstanden, aber nun hätte ich ja offenbar den Verstand verloren, denn ich hätte ja in dem Zusammenhang des Stammheimer Verfahrens von Nothilfe gesprochen und nun stellt er sich selbst die Frage und offenbar auch mir: Wer denn nun eigentlich um Hilfe der RAF gebeten habe? Und die Antwort kann ich ihm heute abend geben.

1972 wurde ein Artikel veröffentlicht in dem Zentralorgan der südvietnamesischen Befreiungsfront. Und in diesem Artikel wurde über die Bombenanschläge auf die militärischen Einrichtungen in Frankfurt und Heidelberg berichtet. Dieser Artikel trug die Überschrift, und ich zitiere diese Überschrift, weil ich sehr genau aus Gesprächen weiß, die ich mit Vertretern der Befreiungsfront geführt habe, daß diese Vertreter sehr genau ihre Worte abzuwägen wissen. Die sind sehr, sehr vorsichtig, aber auch sehr bestimmt, in dem, was sie sagen. Dieser Artikel trug die Überschrift: „ Hilfe für Vietnam!“ Und da kann der Herr Kommentator von der Süddeutschen Zeitung nachlesen, wer es als Hilfe empfunden hat.

Man darf für die Gefangenen der RAF sagen: das Urteil in Stammheim verblaßt gegenüber diesem Urteil der wahren Vertreter des vietnamesischen Volkes!