P.P. Zahl über: Periklis Korovesis, Die Menschenwärter, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Armin Kerker, Raith-Verlag/päd. extra, München 1976, DM 10,80

"Der Präsident hat die Agentur gebeten, entweder den Amtsantritt Allendes zu verhindern oder Allende zu stürzen. Er hat Sie ermächtigt, wenn erforderlich, für dieses Unternehmen 10 Millionen Dollar auszugeben. "

Sagte am 16. September 1970 Richard Helms zu seinen Untergebenen von der CIA. Am Tage zuvor

„fand eine Versammlung im Weißen Haus statt, an der Präsident Nixon, Henry Kissinger, Berater des Präsidenten in Fragen der nationalen Sicherheit (...), Richard Helms, Direktor der CIA, und John Mitchell, Justizminister, teilnahmen. Thema dieser Besprechung war die Lage in Chile. ” (Zitate: CIA, Geo-Verlag, Düsseldorf, ’76)

Die Pläne von Nixon und Kissinger, der CIA und von ITT gingen drei Jahre später in Erfüllung. Massenmörder Kissinger erhielt für seine menschenfreundliche Tätigkeit den Friedens-Nobelpreis.

In Griechenland hatten es die Amerikaner leichter. Für den Putsch der Obristen im April 1967 bedurfte es nur weniger Mittel: Papadopoulos und Cie. standen zum Teil direkt auf den Lohnlisten der CIA

„Man wurde zu Hause, in der Regel nachts, verhaftet und in ein Polizeigefängnis eingeliefert. (. . .) Man hing von der Laune der Herrschaften ab, die allen deutschen Regimen ihren Eid geschworen hatten. ” (Eugen Kogon, Der SS-Staat, Stockholm, 1947, S. 99)

Korovesis’ Geschichte ist einfach: er saß mit einem Freund zusammen in der Wohnung. Es kamen Staatsschützer. Bücher wurden beschlagnahmt, die Wohnung demoliert, Korovesis eingeliefert, gefoltert, entlassen. Ein ganz normaler Bericht über ganz normale Zustände in einem ganz normalen NATO-Land.

Wer foltert? Und warum? Was macht Menschen disponibel für die Folter? Ist sie ungewöhnlich? Welche Schäden erleidet der Gefolterte? Wie gesund sind die Folterer? Spätestens nachdem er gefoltert wurde, begriff Korovesis, in welchem Lande er lebt, mit welchem System er es zu tun hat, welche Mechanismen der inneren Kolonisierung zu greifen beginnen, hat das Volk ein wenig andere Anschauungen über freedom and democracy entwickelt, als die Multis und der Große Bruder in der NATO Folter heißt: den Riß, der durch die Welt verläuft, den zwischen Herrschaft und Knechtschaft, zwischen Kapital und Lohnarbeit, zwischen denen, die über andere disponieren, und denen, über die disponiert wird, an sich selbst körperlich erfahren. Niemand ist mehr, der er war, wurde er der Folter unterzogen. Der Gefolterte wird irre oder — in Haß, Liebe und Wissen präziser denn zuvor. Ein Drittes gibt es nicht. Es gibt keine Welt, in der Folterer und Gefolterte gleichermaßen heimisch sind. Im Gefolterten wird die allgemeine Schizophrenie, der Irr-Sinn, die Zwangsspaltung in der arbeitsteiligen Welt aufgebrochen. Der Gefolterte existiert in diesem Prozeß doppelt: als Leidender und als Chronist seines Leidens

„Die Selbsterhaltungsinstinkte hatten aufgehört zu funktionieren. Als ginge mich die ganze Tortour nichts an. ”(48)

Folter wird in einer Welt, in der die Widersprüche sich zuspitzen, immer alltäglicher, ist normales Herrschaftsinstrument geworden. Der Prozeß der inneren Kolonisierung, jener Prozeß, in dem jeder, der Widerstand leistet, zum „Nigger", „Juden”, Anarchisten”, „Untermenschen” wird, in dem ein militantes Nein! Strafbestand ist, wird Folter zum normalen Mittel der Repression; wo der Andere, der Gegner, der „Staatsfeind” zum bösen Prinzip schlechthin wird, werden ganz normale Beamte zu Folterern, wie zu anderen Zeiten Bademeister oder Landgendarmen. Unsere Vorstellungen vom Folterer als der „blonden Bestie” in SS-Uniform, mit blauen Augen und blankgewichsten Stiefeln und sadistischer Freude am Quälen, ist geprägt von der ,,Bewußtseins”-Industrie, die Gründe und Motive der Folter geflissentlich verschweigen oder verdrängen mußte, um am falschen Schein zu profitieren. So konnte Dachau zu einer Kultstätte der Fremdenverkehrsindustrie werden wie der Drachenfels; mit dem Bilde des Folterers verbinden sich Erinnerungen an Standfotos, die Schauspieler wie Horst Frank oder Peter van Eyck zeigten; vermengen sich in letzter Zeit schlechtverdaute Theorien aus der Psychoanalyse: Folter als pornografische Schwarze Messe für sexuell Gestörte. Nichts falscher als das.

,Aufgrund des ,Berufsreinigungsgesetzes’ mußten von 85.000 Polizeibeamten im Reich fast 2.700 aus dem Dienst (Paul Rieme, Kleine Polizeigeschichte, S. 42). Die restlichen 96 % aller Polizisten erwiesen sich als tragbar - „staatstragend” (Eugen Kogon, Der SS-Staat).

Korovesis schildert den echten Typus des Folterers, die graue Maus der Repressionsindustrie:

„Er sei selbst nur ein kleiner Angestellter mit Frau und Kindern (. ..) Ich habe für alles, was ich getan habe - erzeigte mir ein Dossier - Befehle, ich ßhre nur Befehle aus. Politik interessiert mich nicht. Welche Regierung dran ist, ist mir egal. Ich habe meine Anweisungen. "(93)

In der BRD befindet sich unter ca. 7000 NS-Verurteilten kein einziger Richter. Für Beamte gab es den § 131. Der Kommentator der Nürnberger Gesetze, welche die Abschlachtung von 6 Millionen Juden juristisch absicherten, Herr Globke, wurde Adenauers Rechte Hand. Der NS-Staat war ein Rechtsstaat.

„Die Idee des Rechtsstaates ist im neuen Deutschland nicht verlassen, sie ist und wird vielmehr vertieft. "(Der Gerichtssaal, 1933, S. 52)

Das Griechenland der Junta war ein Rechtsstaat. Es gibt immer Gesetze für oder gegen irgendetwas. Daneben gibt es Betriebsunfälle. Die werden abgeurteilt. Der Folterer aus Leidenschaft, der Hobby mit Beruf verbindet, schießt halt ein wenig über das Ziel hinaus. Dies ist manchmal nicht statthaft, Berufung hin, Berufung her. Statthaft ist eine administrative Tätigkeit, die von den Anderen - den Gefolterten und ihren „Sympathisanten”unstatthaft genannt wird. Statthaft ist, was der Staat erlaubt. Denn, nicht wahr?, der Staat verkörpert den verfaßten Willen der Bürger. Sagt der Staat.

„Folterungen stellen also nichts anderes dar als die Zerschlagung bereits des Ansatzes, jedes Versuchs der Verteidigung und Organisierung jener gesellschaftlichen Klassen, die den ,ökonomischen Fortschritt’ bezahlen müssen. (. ..) Sie gehört zu den stets paraten Disziplinierungsmethoden einer herrrschenden Klasse, deren einziges Mittel zur Durchsetzung ihres Zieles die offene und unverhüllte Gewalt ist. (10/11)

Ein Staat, der nicht bereit ist, seine treuesten und uneigennützigsten Diener, die (zuweilen auch folternden) Beamten vor den Widrigkeiten schwankender Zeitabläufe - zu denen leider auch Regierungsoder Systemwechsel gehören - zu schützen, gibt sich selbst als Prinzip auf. Der seinen Job tuende und dabei keiner Leidenschaft frönende, knüppelnde Polizist, der Arzt, der die Elektroden anlegt, der Herr des Morgengrauens, der, natürlich zur Abwendung einer großen Gefahr, Wanzen setzt, sie sind Hoheitsträger, mithin sakrosankt, ihr Status sorgt für automatischen Rechtsschutz, kein Minister, der es ernst meint mit dem Staat, der sich nicht vor sie stellte

„Ein Berufungsgericht in Athen hat am Wochenende vier ehemalige hohe Polizeioffiziere auf freien Fuß gesetzt, die wegen Folterung politischer Gefangener während der Zeit der Diktatur verurteilt worden waren. (...) Die Urteile... wurden aufgehoben, die Haftstrafen . .. in Geldstrafen umgewandelt.”(FR, 7. Febr. 1977)

„Es gibt Grenzen, Herr Lambrou! Es gibt Menschenrechte. .kommunistische Propaganda! Nur die Kommunisten reden so, und das interessiert mich nicht.”(39) „Athen, 12. Okt. 76: Der frühere Chef der Sicherheitspolizei, Vassilis Lambrou, erhielt eine zehnmonatige Freiheitsstrafe. Der Verurteilte legte Berufung ein und wurde vorläufig auf freien Fuß gesetzt. ” (FAZ, 13. Okt. 1976)

Der ein wenig über das Ziel hinausgeschossene Folterchef unterliegt dem gleichen Bußkatalog, wie der Bademeister, der seine Mütze unvorschriftsmäßig oder statt der vorgeschriebenen weißen eine grün-rot-karierte Hose zur Schau getragen hatte. Korovesis:

„Dieses Buch wäre niemals geschrieben worden, wenn die friedliebenden und objektiven Menschen in der ganzen Welt nicht durch ihr Desinteresse und ihr Schweigen dazu beigetragen hätten, die Folter aufrechtzuerhalten und zu verlängern (der Gesandte des Internationalen Roten Kreuzes, Marti; der amerikanische Senator Pousisky, englische Abgeordnete der ,Frazer-Kommission’, für die diese Dienste’, so die Sunday Times, ,außerordentlich lukrativ waren’”. (A. d. Nachwort.)

„Triff die Entscheidung, es gibt kein Erbarmen! Es gibt nur sie und uns. Wir? Wer sind wir? Du weißt es nicht. Du weißt nur eines klar und sicher. Zwischen denen und uns gibt es keine Brücke. Sie gehören zu einer anderen Welt.” (46)

Es gibt zwei Arten der „Einvernahme” (Folter): die „zivilisierte” und die „wissenschaftliche”. Korovesis erlebte sie beide . Die „zivilisierte” ist seit der Antike bekannt. Sie bezweckt, dem Opfer in möglichst kurzer Zeit mit Gewalt Informationen zu entlocken. Da wird geprügelt, gezwackt, gestochen. Der Kontakt zwischen Folterer und Gefoltertem ist unmittelbar - das hilft dem Gefolterten, seine Identität durch Übertragung von Haß zu bewahren. Du hast ein Gegenüber, und sei es ein Teufel in Menschengestalt. Dem Opfer wird die Verantwortung für die Dauer und Härte der Mißhandlungen zugeschoben:

„Wenn du weiter kein Mitleid mit dir selbst hast... sag schon .. .”(57)

Dein Schatten steht neben dir und sieht zu, wie du gefoltert wirst. Du entwickelst Widerstandsfähigkeiten, die du dir nie zugetraut hättest. Du und deine du und deine Stimme, ihr entwickelt euch auseinander. Die Überreizung durch den Schmerz schafft eine alptraumartige Klarheit. Du wirst nicht reden. Dur wirst reden. Dann kannst du nicht mehr reden Reden ist möglich bei Menschen. Das Zeitgefühl verschwindet völlig. Eine Stunde oder 1000 Stunden, wo ist da der Unterschied? Es ist immer die längste Zeitspanne, die du kennst. Du unterscheidest die verschiedenen Techniken der Folterer. Sie fragen dich irgendetwas. Was geht das dich an? Mit so etwas redest du nicht. Reden aber - das ist deren Kriterium, nicht deines, nicht das der Gefolterten

Ich hatte gehört, daß auf Makronissos viele von der Folter stumm geworden sind.” (29)

Bei Besinnung sein, das ist: fremdsein. Die Besinnung verloren, das ist: bei sich sein. Wo die Logik der Folter herrscht, entwikkelt dein Körper eine eigene, eine andere. Korovesis geht durch den ersten Kreis der Hölle. Aber die „zivilisierteEinvernahme” bricht ihn nicht, entlockt ihm nichts. Zudem ist Griechenland in Sachen Folter unterentwickelt. Trotz amerikanischer Importe. Er bleibt nicht allein. Nach jeder Tortur wird er in seine Zelle zurückverbracht.

„Ein Mädchen sang ein verbotenes Lied Andere fielen ein. Eine Greisenstimme schlug vor, ein Lied aus dem Widerstand zu singen. Das Lied wurde angestimmt Es war unglaublich. (30) Ich fühlte mich unter Genossen. Ich hätte mir nicht träumen lassen, daß es mitten im Rachen des Löwen einen solchen Widerstand geben könnte. Ich fühlte mich hervorragend. ” (31)

W I R — lautet eine Kapitelüberschrift. Korovesis weiß: ich bin nicht allein Widerstand hatte in Griechenland schon immer eine große Tradition - gegen die Türken jahrhundertelang, gegen die NaziBesetzung, gegen die Junta. Einige seiner Zellennachbarn hatten schon unter den deutschen Faschisten, nach dem Bürgerkrieg und unter Karamanlis gesessen. Sie geben die Fackel des Widerstands an die nächste Generation weiter, und sie lehren das Überleben.

„Aber um zu siegen, müssen wir sterben können, und um sterben zu können, müssen wir das Leben lieben. ”(92)

„und forscher und ärzte mit verchromtem blick/. . . prüfen das herz/ prüfen das herz und den lauf des blutes/ sind jung wie wir und leicht/ wie unter dem apfelbaum/ stecken elektroden an die ohren/ stecken elektroden an die hoden/ stecken elektroden an die spitze der brüst/ und phoenix steigt aus der asche/ phoenix aus dem korydallos...”

(Aus: 24 Stunden für die Freunde)

Aber der Fortschritt bricht sich auch in Griechenland Bahn. Unerbittlich. Spezialisten aus den Vereinigten Staaten verfeinern die „Einvernahme ”, benutzen französiche Forschungsergebnisse (aus dem Algerienkrieg; siehe: Fanon: Die Verdammten dieser Erde), lehrten, die „zivilisierte” gegen die „wissenschaftliche Einvernahme” auszutauschen. Korovesis wird den Handarbeitern entrissen und den wissenschaftlichen Spezialisten überstellt. Doch so verfeinert die Methoden wirken, sie zielen lediglich auf den Körper ab. Auch sie lassen dem Gefolterten seine Identität - und ein Gegenüber. Das Gegenüber ist in der Isolation der Folter die Welt. Was bleiben wird, ist „tödliches Mißtrauen” (58). Der Gefangene weiß: er ist

„offensichtlich Kriegsgefangener und völlig unvorbereitet, unserem Jahrhundert zu begegnen” (59).

Er durchschreitet den zweiten und dritten Kreis der Hölle: die Folter mit elektrischem Strom und - die Isolationsfolter:

„Es war nicht wie in der Asphalia, wo du merkst, daß es in der Zelle nebenan noch andere wie dich gibt. Hier war man in völliger und absoluter Isolation von allem Menschlichen. ”(64)

Diese Folter ist für ihn neu und - am schrecklichsten. Denn vermittels dieser feinsten, gemeinsten, ausgeklügelten Methoden soll der Antagonismus Folter-Gefolterter auf Kosten der Identität des Gefangenen aufgehoben werden. Der Feind, wird suggeriert, dein größter Feind, das bist du selbst. Wo nur eines ist, dein Leib, und niemand dir gegenübertritt, ihn zu quälen, und er ist gequält, da soll der Mensch sich selber Feind werden, an sich irre, soll die Zwangsgespaltenheit in sich versöhnen, indem das Ich, die Identität aufgegeben wird.

Die Isolationsfolter ist nicht neu; schon Balzac schrieb:

„Zwischen der Einsamkeit und der Folter ist genau derselbe Unterschied wie zwischen einer Nervenkrankheit und einer chirurgischen Krankheit. Sie ist das Leiden, multipliziert mit dem Unendlichen . . . Dieser grausige Zustand der Seelenfolterung, der in gewissen Fällen, zum Beispiel im Politischen . . . ungeheuerliche Dimensionen annimmt ...”

(aus: Glanz und Elend der Kurtisanen)

dieser , „grausige Zustand” betrifft Korovesis nun nicht mehr. Nie mehr. Er weiß, daß er Teil eines kollektiven Kampfes, eines kollektiven Widerstands, eines kollektiven Lemens ist. Niemand und nichts wird ihm dieses Wissen nehmen können Außer: der Tod. Dieser hat nun, nach all der Qual, den Schrecken für ihn verloren Er weiß:

„Um dem Faschismus entgegenzutreten, der herrschenden Repressionsform des Monopolkapitalismus, muß man sein Essen essen, es ist das einzige, was einem bleibt. "(64)

Die „Menschenwärter”, Vertreter einer unmenschlichen, sich auf Freiheit, Frieden, Christentum berufenden Todeskultur, haben keine Macht mehr über ihn. Wenn sie je Argumente gehabt haben sollen, haben sie diese beim ersten Schlag der Folter verloren. Die Roboter der Unmenschlichkeit, die „Beamte, die nur ihre Befehle ausüben”, die schlagstarken Automaten der westlichen Zivilisation, werden hilflos dem Substrat aus Hoffnung, Liebe, Solidarität, Glück, Glücksversprechen, dem gequälten Opfer gegenüberstehen. Was sie auch machen, sie kommen nicht durch. Spätestens nach der Folter ist aus dem Opfer ein unerbittlicher Gegner der Macht geworden, ein Kämpfer, einer, der weiß, daß das Kriterium der Henker: der Verrat, seines: die Menschlichkeit ist.

Korovesis „hatte das Glück”, eingebettet zu sein in eine starke, selbstbewußte Opposition, die mehr war als eine Gemeinschaft von Gefolterten; einmal - und für alle Zeit - zu wissen, daß die Folterer die Unterworfenen sind, daß in ihnen das System der Lohnarbeit seinen tiefsten, weil verdinglichsten Höhepunkt hat; daß die Gegenwelt zerstört werden wird.

„Geht in die Gefängnisse, und ihr erfahrt, was für ein Kampf um unser Leben geführt wird. Zu verzweifeln wäre ein Luxus und bedeutet, zurückzuweichen vor denen hier. Ihr habt eure Prüfung bestanden, aber das schwerste ist die Prüfung des anderen, bei dem man glaubt, nicht mehr tun zu können als zuzusehen. Aber das stimmt nicht. Man kann immer etwas tun. Zeig ihm, dass du stolz auf ihn bist. Deine Zuversicht hilft uns allen. Die Hoffnungslosigkeit betrifft nicht nur dich, sie trifft uns alle. Begreife, daß von jetzt an keiner mehr nur noch für sich allein entscheidet. “(85)

„ Ihr habt noch nichts gesehen und erlebt. Ihr seid in den Jahren des Verrats und des Schweigens aufgewachsen. Jahrzehntelang schlachten sie uns nun schon ab und stopfen uns das Maul. ... Nichts anders! Aber damit ist jetzt Schluß! Ihr werdet damit Schluß machen, auch wennihr es selbst noch nicht wißt.“ (92)

Die Folterer in Griechenland sind zur Zeit beurlaubt. In Vor- und Nachwort weisen Korovesis und Marios Nikolinakos darauf hin, was es für die Opfer der Junta bedeutet, nach wie vor in der Gegenwart ihrer SS leben zu müssen, die von Karamanlis und Co. gedeckt wird, gedeckt werden muß - siehe oben. Unter dem Mantel des Schweigens lebt die Folter weiter. Die Zuschauer sind ,JFeiglinge oder Verräter“ (Fanon), aber dies sind moralische Begriffe, und der Prozess der inneren Kolonialisierung in den Metropolen kennt keine Moral. Korovesis beschreibt die Solidarität der Gefolterten, an die Solidarität der Noch-nicht Gefolterten appelliert er nicht. Die Noch-nichtGefolterten zensieren sich selbst, sie wissen, was geschieht, hier in der BRD, dort, in Chile, in Spanien; sie wissen, warum dies geschieht. Drohung und Gewalt der Legalität erdrosseln, was über amnesty-intemational-Hilfe hinausgehen könnte. Ein christlich-demokratischer Ministerpräsident in der Bundesrepublik wiB Folter in gewissen Fällen angewandt sehen, Herr Albrecht von Niedersachsen (FR vom 15.7.1976) Nach zagen Protesten zieht er dies Zitat ausdrücklich zurück - die Kritiker sind still und übersehen geflissentlich, daß die Forderung nach Folter strukturell aus seinem Text hervorgeht. Herr Kissinger schreibt seine Memoiren. Verlage überbieten sich dafür; auch ein Eichmann tötete persönlich niemanden, ein Himmler folterte nicht persönlich.

In der Bundesrepublik zählt, wer die Folter abgeschafft sehen will, schon zur Fundamentalopposition. Nicht in diese Ecke gerückt zu werden, verweigern viele schon eine simple Unterschrift unter Petitionen. Was in Grichenland oder hier wirklich geschieht, lernen jene, die der Gefahr entgehen wollen, wohl erst in den Gefängnissen, in den Lagern. Der Faschismus, so Fidel Castro bei seinem letzten Besuch in Chile, lernt schneller.

Es wird kein Entkommen geben. Wer morgen kein Stück schreienden, blutenden Fleisches sein will, muß heute, mit anderen zusammen, das Schweigen im Lande durchbrechen. Es gibt nur eine Welt. In der wird immer mehr gefoltert, solange wie wir es zulassen.

Peter-Paul Zahl