Verdächtige Versuchsanordnungen

Eigentlich scheint schon der Versuch eine schlechte Idee zu sein: Religion, Kultur, race und Geschlecht als Ideologien kollektiver Identität zusammenzufassen und diese gemeinsam unter der Überschrift >mobile Frontverläufe gesellschaftlicher Konkurrenz< als einen thematischen Block unter vielen abhandeln zu wollen. Dennoch wird in der Broschüre des ...umsGanze!- Bündnisses (im Folgenden uG) genau selbiges versucht und die Begründung dieses Versuchs gleich am Anfang in dem programmatischen Kapitel Kritik umsGanze gegeben: »Den strukturellen Konflikten dieser Herrschaftsordnung [dem Kapitalverhältnis] entspringen immer wieder Ideologien kollektiver Identität (Kapitel 14-17). Sie kreisen um Rasse, Geschlecht, Kultur und Religion, und finden ihre staatsbürgerliche Zusammenfassung im Nationalismus und Nationalsozialismus.« (uG, 18) Klar wird hier, dass es in dieser Gesellschaft strukturelle Konflikte gibt, welche als Teil des Kapitalverhältnisses zu verstehen sind. Herrschaft und strukturelle Konflikte sind demnach begründet im Kapitalverhältnis und in diesem zu verorten. Kultur, Religion, race und Geschlecht (im Folgenden KRrG) sind demnach selber keine Strukturkategorien gesellschaftlicher Konflikte, sondern es gibt im uG-Kosmos kollektive Identitäten, die den Konflikten des Kapitalverhältnisses entspringen und dann um KRrG kreisen. Um im Bild zu bleiben müssten KRrG demnach irgendwie Mittelpunkte von Kreisbewegungen kollektiver Identitäten sein, deren Verortung erstmal unklar bleibt. Die grundlegende Struktur von Gesellschaft und Herrschaft ist das Kapitalverhältnis, diesem »entspringen immer wieder Ideologien kollektiver Identität« - wie sie das machen und wo sie nach diesem Sprung landen bleibt unklar. Diese sind allerdings nicht gleichzusetzen mit KRrG, sondern haben sie als Mittelpunkte ihrer ständigen Kreisbewegungen. Wo diese Mittelpunkte in der gesellschaftlichen Topographie zu finden sind wird nicht gesagt - nur dass die um sie Kreisenden eine Zusammenfassung erleben; eine Operation, die eigentlich das abrupte Ende von Kreisbewegungen bedeutet 1 selbst wenn sie »staatsbürgerlich« geschieht. Allerdings bleibt auch noch das Problem, dass diese Bewegung des staatsbürgerlichen Zusammenfassens (also eine Bewegung die eigentlich ein Stillstellen bedeutet) gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten geschieht: denn sie werden nicht im Staatsbürger zusammengefasst, sondern »im Nationalismus und Nationalsozialismus« 2 - womit auch das (grammatische) Subjekt, das dieses Zusammenfassen ausführt im Vagen bleibt.

Da aber scheinbar der Versuch die metaphorische Versuchsanordnung zu dechiffrieren nur noch mehr Verwirrung erzeugt, könnte vielleicht genau dies die rhetorische Idee sein: das Kreisen der Ideologien dient dazu die strukturellen Konflikte zu verdecken, die Entschlüsselung der eigentlichen Probleme der Herrschaftsordnung zu verwirren, zu erschweren, ja letztendlich zu verunmöglichen 3 . So ließe sich dies auch in den Kontext des ganzen Projekts stellen, der zwei Sätze vorher formuliert ist: »Von hier aus [der analytischen Position, wie sie sich der Broschüre entfalten wird] soll begründbar werden, was an konkreten politischen Problemlagen und Ideologien eigentlich das Problem ist« (uG, 18). Das Kreisen, Verwirren, Verunmöglichen von klaren Bestimmungen scheint wohl ein Problem der Ideologien zu sein, die den eigentlichen strukturellen Konflikten entspringen um dann kreisend die hermeneutische Zugänglichkeit zu verunmöglichen.

Brutkasten kreisender Frontverläufe

Um also mehr darüber zu erfahren, was an den Ideologien kollektiver Identität eigentlich das Problem ist, blätter ich vor zum entsprechenden Kapitel 14. Dies beginnt damit, dass uG die Hoffnung des Manifests der Kommunistischen Partei zitieren, dass die bürgerliche Gesellschaft sich dadurch auszeichne, dass der »rührend-sentimentale Schleier [...] abgerissen« sei und sich die tatsächlichen Verhältnisse »als das nackte Interesse, als die gefühllose >bare Zahlung<« offenbaren. Dies sei allerdings nicht der Fall, vielmehr sei es so dass, »sich gerade der Kapitalismus als Brutkasten obskurer Ideologien [präsentiert]. Wo die vorausgesetzte , Autonomie' des bürgerlichen Individuums beständig durch unpersönliche Zwänge der Verwertung frustriert wird, versprechen Imaginationen kollektiver Identität Entlastung und Orientierung. Zu ihren wirkmächtigsten zählen >Rasse<, Geschlecht, Kultur und Religion. Sie wurden und werden noch immer als unumstößliche Eigenschaften vorgestellt, die den Kern der Persönlichkeit ausmachen, und zugleich die Zugehörigkeit zu einer übergeordneten Gruppe garantieren. Sie scheinen dem nackten ökonomischen Interesse und der politischen Willensbildung vorgeordnet, außer Reichweite der gefühllosen >bare[n] Zahlung<« (uG, 65).

Das eigentliche Problem der Ideologien ist also, dass sie etwas verdecken oder verschleiern. Sie scheinen so, als ob sie außerökonomisch wären und tun so, als ob sie nicht Teil der politischen Willensbildung wären 4 - was sie aber eigentlich sind. Dadurch verschleiern und verhindern sie eine Erkenntnis der eigentlichen Zumutungen der strukturellen Konflikte kapitalistischer Konkurrenz, denen sie ja entspringen. Was wiederum heißt, dass uG meinen, dass der Kapitalismus eigentlich die Brutstätte der Ideologien ist, diese sich aber so präsentieren als hätten sie einen Brutkasten gar nicht nötig - als wären sie natürlicher Teil des gesellschaftlichen und individuellen Lebens. Würde sich der Kapitalismus als Brutkasten präsentieren, dann wäre ersichtlich, dass er künstlich in die eigentlich natürlichen Prozesse eingreift, um sie seinen Zwecken anzupassen - er würde also die Verschleierung als Brutkastenprodukt ausstellen. Und das er dies nicht tut, sondern ihm der Schleier der Ideologien entspringt (er ihn also selber produziert und nicht nur ausbrütet) um die Zumutungen, die aus seinem eigentlichen Wirken resultieren, zu verdecken, scheint ja das eigentliche Problem zu sein 5 .

Darüberhinaus sind KRrG nicht mehr die Mittelpunkte des zusammengefassten Kreisens, sondern die wirkmächtigsten »Imaginationen kollektiver Identität«, die »Entlastung und Orientierung« versprechen. Diese Ideologien, die Vorstellungen einer kollektiven Identität sind, haben also ihren Sprung ins Dasein dem Versprechen zu verdanken für die Frustrationen der Autonomie des bürgerlichen Individuums Entschädigung leisten zu können. Da nicht der Platz ist um den ganzen Komplex von KRrG zu erörtern, werde ich mich im Folgenden auf die Analyse von Geschlechtlichkeit konzentrieren. In diesem Zusammenhang wird wichtig, dass uG meinen, dass die Frustrierung der Autonomie 6 nur »durch unpersönlichen Zwänge der Verwertung« geschieht. Wie die Geschichte der feministischen Kritik immer wieder aufgezeigt hat, ist die Konzeption des autonomen, bürgerlichen Individuums die Universalisierung des männlichen Standpunkts. In der bürgerlichen Gesellschaft fällt das allgemeine mit dem männlichen Rechtssubjekt zusammen, das sich selbst nur als autonom setzen kann, indem er die Abhängigkeit auf die Position der Frauen verschiebt und die eigenen verleugnet. So waren schon die in der Französischen Revolution ausgerufenen Menschenrechte nicht Rechte, die für alle galten, sondern Rechtssubjekte, also Menschen, waren nur die Männer. Und auch alle Versuche der Gleichstellung, die bis dahin unternommen wurden und alle Erfolge, die sich erkämpft wurden, verweisen immer wieder darauf, dass sich daran bis heute nicht viel geändert hat. Aufgrund des Ursprungs des bürgerlichen Rechtssubjekts aus patriarchalen Strukturen, kann auch die rechtliche Gleichstellung (die besser ist als nichts) die strukturelle Benachteiligung nicht aufheben - faktisch werden Frauen immer noch schlechter bezahlt, sind öfter von Armut betroffen, sind Opfer patriarchaler Gewalt und werden in Politik, Wirtschaft und Kultur nur als Ausnahmeerscheinungen geduldet Wenn nun uG davon ausgehen, dass die Identifizierungen einer Person kompensierend der Frustration ob der Beschneidung der individuellen Autonomie entgegenwirken, dann ist damit ausschließlich die männliche, weiße, deutsche Subjektposition gemeint 7 . Denn eine geschlechtliche Position, der selber beständig der Status als autonomes Individuum abgesprochen wird - wie es von Mario Barth bis zum Schwangerschaftskonfliktgesetz ständig geschieht - kann nicht für die ökonomischen Zumutungen Kompensation leisten 8 . Vielmehr kann dieser theoretische Versuch einer Ableitung gar keinen Erklärungsansatz für die Vielfältigkeit von Lebensformen bieten, denn wie sollte daraus verständlich werden, dass es illegalisierte Migrant_innen ohne Pass gibt? Worin die Entlastung und Orientierung dieser »Imagination kollektiver Identität« liegt, bleibt unklar 9 .

uG wiederholen somit die ausschließende Struktur des Rechtssystems, da sie nicht darauf reflektieren können, dass es Menschen gibt, die in dessen Strukturen nicht Vorkommen, oder notwendig von diesen ausgeschlossen sind. Da diese kein Recht auf Rechte haben und damit auch keine Autonomie zugesprochen bekommen, haben sie bei uG nicht mal mehr das Recht auf eine Ideologie kollektiver Identität, denn um diese auszubilden müsste ja erstmal ihre Autonomie frustriert werden, auf die sie aber gar kein Recht haben.

Igitt, igitt: Natur

Geschlechtlichkeit wäre also nicht im Sinne von uG zu fassen als zu kompensatorischen Zwecken aus der kapitalistischen Konkurrenz abgeleitete Ideologie kollektiver Identität, sondern scheint Gesellschaft und die in ihr sich befindenden Subjekte struktureller zu prägen. Geschlechtlichkeit ist demnach eine gesellschaftliche Strukturkategorie, die sich nicht aus der Ökonomie ableiten lässt, aber vielfältig mit dieser in Beziehung steht.

Zur Kritik und Weiterführung der Überlegungen des «G-Bündnisses werde ich einen anderen Ansatz vorstellen mit dem der Zusammenhang von Geschlecht und Sexualität, den ich hier Geschlechtlichkeit nenne, besser zu begreifen ist. Ein Ansatz der sich an der Dekonstruktion und den queertheories orientiert.

Die zentrale Idee bei Judith Butlers Überlegungen zu Geschlecht ist, dass die Trennung zwischen >sex<, >gender< und >desire< 10 selber sozial konstruiert ist. Indem sie aufzeigt, dass es keinen Rückgriff auf die scheinbar vordiskursive Natur geben kann, der nicht bereits kulturell kodiert ist, verdeutlicht sie, dass auch ein Bezug auf den scheinbar >natürlichen< oder biologischem Körper diesen immer erst diskursiv produziert 11 . Das Reden über oder der Bezug auf das >sex< ist also immer auch dessen soziale Produktion. Die Idee des >sex< ist damit genauso sozial konstruiert und diskursiv produziert wie die des >gender< - eine genaue Trennung der beiden ist demnach nicht (mehr) möglich. Dies bedeutet nun nicht, dass Butler behauptet, dass es den Körper nicht geben würde, oder das >sex< gleich >gender< wäre. Es bleiben zu unterscheidende Phänomene, die zwar auf die gleiche Weise produziert werden, aber in unterschiedlichen, vielfältig miteinander verknüpften Diskursen, die unterschiedliche Funktionsweisen haben und über verschiedene Herrschaftsmechanismen funktionieren. Wichtig ist, dass es egal ist, ob es etwas >Vordiskursives< oder >Natürliches< gibt, oder geben könnte, da es selbst wenn dem so wäre, keine Möglichkeit eines >reinen< Zugriffs darauf gäbe. Jeder Zugriff auf >Natur< ist immer strukturiert durch die Kategorien und Begriffe mit dem er vollzogen wird und produziert damit immer auch erst performativ den Bereich, über den versucht wird Aussagen zu treffen.

Von so etwas Ähnlichem scheinen auch uG schon einmal gehört zu haben: »>Rasse<, Geschlecht, Kultur und Religion werden in kritischer Absicht häufig als >Konstrukte< bezeichnet. Der Hinweis auf ihre Bestimmung in >umkämpften Diskursen< soll daran erinnern, dass Identitätszuschreibungen immer auch Herrschaftsverhältnisse repräsentieren« (uG, 66).

Abseits des ironischen Untertons der Beschreibung ist vor allem der letzte Halbsatz von Bedeutung. Denn wenn Identitätszuschreibungen von KRrG Herrschaftsverhältnisse repräsentieren, dann folgt daraus, dass sie selber keine Herrschaftsverhältnisse sind. So wie die Bundestagsabgeordneten selbstverständlich nicht die Wählerinnen sind, sondern sie lediglich repräsentieren - also deren Willen abbilden und ihm entspringen. Hinter den Zuschreibungen kollektiver Identität läge demnach das eigentliche Herrschaftsverhältnis, dass über KRrG lediglich repräsentiert wird. D.h. die Idee von Geschlechtlichkeit als einem kulturellen Konstrukt wird nicht ernst genommen, sondern so nebenbei in die eigene Theorie der Konkurrenz als Letztbegründung für alles eingemeindet. Denn die kritische Absicht, die darin liegt z.B. Geschlechtlichkeit als Konstrukt zu analysieren (und nicht nur zu bezeichnen) bestünde gerade darin zu verdeutlichen, dass nichts >hinter< dieser Konstruktion liegt - es also keinen Ursprung aus der Natur, der Ökonomie oder der Schöpfung gibt. Geschlechtlichkeit als

kulturelle Konstruktion ist genau als diese Konstruktion ein strukturelles Herrschaftsverhältnis, ohne das sich die derzeitige Gesellschaft nicht denken lässt. Die Unumgänglichkeit der Identifizierung mit einem Geschlecht ist nicht die Repräsentation eines hintergründigen Herrschaftsverhältnisses, sondern selbst ein Herrschaftsverhältnis, dem sich Subjekte nicht entziehen können.

Maßeinheiten historischen Unverständnis-ses

Diesem falschen Verständnis folgend findet demnach auch eine Intervention in die Zwangsverhältnisse der Vergeschlechtlichung bei uG wenig Gehör: »Doch der Versuch, über >Diskursintervention< so etwas wie >Identitätspolitik< zu betreiben, greift zu kurz. Mit einem Mindestmaß an historischem Bewusstsein lässt sich erkennen, dass solche >Diskurse< stets im Zusammenhang gesellschaftlicher Verteilungskonflikte Bedeutung gewinnen und sich wandeln, bei Verschiebungen im jeweiligen System gesellschaftlicher Herrschaft« (uG, 66-67).

Abgesehen von der unverschämten Dreistigkeit und Ignoranz mit der hier Kämpfe um die rechtliche Anerkennung von homo-, trans-, poly-, etc.-sexuellen Personen, illegalisierte Migrant_innen, staatenlose Flüchtlinge und allen anderen, denen eine anerkannte Identität verweigert wird, einfach als zu kurz gegriffen abgebügelt werden, mit der ich mich hier leider nicht ausführlich genug beschäftigen kann, ist vor allem die Entgegensetzung von >Diskursintervention<, >Identitätspolitik<, >Diskursen< und dem »System gesellschaftlicher Herrschaft« überraschend. Es gibt in dieser Konstellation gesellschaftliche Verteilungskonflikte (also die omnipräsente gesellschaftliche Konkurrenz), die Identitäten und Diskursen Bedeutung verleihen - oder sie Bedeutung gewinnen lassen. Veränderungen von Diskursen oder Identitäten ergeben sich demnach nur, wenn sich die Verteilungskonflikte, die das System der gesellschaftlichen Herrschaft sind, verändern. Eine Intervention in Diskurse ist für uG deshalb Unsinn, da diese selber nicht Gesellschaft und auch keine Herrschaft sind, sondern nur von der kapitalistischen Konkurrenz Bedeutung bekommen haben, deren Herrschaftsverhältnis also repräsentieren. Die Konstitution vergeschlechtlicher Subjekte als eine Naturalisierung eines strukturellen Herrschaftsverhältnis, das in der Aufteilung der Welt in zwei und nur zwei Geschlechter resultiert und über diese funktioniert, wäre demnach bedeutungslos, gäbe es nicht die Zumutungen der Ökonomie. Die naturalisierte Geschlechtlichkeit ist für uG als kollektive Identität sowas wie ein diskursives Entschädigungsgebäckgedeck, das über das eigentlichen System gesellschaftlicher Herrschaft drapiert wurde als »ideelle Entschädigung für erfahrenen Ausschluss« (uG, 67). Wenn am Arrangement oder der Ausstattung des Angebots etwas geändert würde, wäre diese demnach nur Mitarbeit am Entschädigungsschleier, der über den eigentlichen Problemen hängt.

Würde allerdings tatsächlich mit einem Mindestmaß an historischem Bewusstsein gearbeitet, wäre erkennbar, dass Geschlechtlichkeit als ein strukturelles Herrschaftsverhältnis auch unabhängig von ökonomischen Zumutungen Bedeutung hat. Die historische Analyse der Entstehung des modernen Modells heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit, wie sie beispielsweise von Michel Foucault vollzogen wurde, zeigt, dass Zweigeschlechtlichkeit kein Nebenprodukt kapitalistischer Entwicklung ist, sondern wesentlicher Bestandteil der Realität moderner Gesellschaften. Wie Foucault über eine genealogische Untersuchung nachweist, können Subjekte nur innerhalb der heteronormativen Matrix der Zweigeschlechtlichkeit intelligibel sein, d.h. es gibt einen gesellschaftlichen Zwang zu einem eindeutigen Geschlecht und einer entsprechenden sexuellen Orientierung. Sie kommen also erst vergeschlechtlicht als Rechtssubjekte und somit als Teilnehmerinnen an der kapitalistischen Konkurrenz in Frage. Verschiedenste Diskurse 12 (medizinische, psychologische, religiöse usw.) produzieren erst in ihrer Verknüpfung im 19. Jahrhundert die Auffassung von Körpern als zwei strikt getrennte Geschlechter und die vom Begehren als einem heteronormativem. Menschen konnten danach nur noch Frauen oder Männer sein und eine der Heterosexualität widersprechende Praktik galt nun nicht mehr als Sünde o.ä. sondern als Krankheit oder gar Charakterdisposition, die zu heilen wäre. Diese Matrix der Diskurse konstituiert sich, indem sie sich von ihren eigenen Unmöglichkeiten abgrenzt. Sie wird konstituiert, indem sie diese als ihr scheinbares Außen verwirft und sie erzwingt Konstitution, indem diese Unmöglichkeiten in einen Bereich des Nicht-Sagbaren, Nicht-Lebbaren verdrängt werden. War die_der Homosexuelle im 18. Jahrhundert noch ein_e gestrauchelte_r Sünder_in, so wurde aus ihr_ihm im 19. Jahrhundert eine eigene pathologische Spezies, die weggesperrt und geheilt werden musste.

Dieses Außen wird allerdings immer als die Möglichkeit des Undenkbaren innerhalb seiner Diskurse aufgehoben - muss aufgehoben werden, da die Verdrängung, wie Sigmund Freud nachgewiesen hat, nie endgültig sein kann, sondern der ständige Akt des Verwerfens das Verworfene immer auch anruft. Das Verworfene sucht also die sich über es konstituierenden Diskurse heim, ist Teil von ihnen, als ihre dünnsten und äußersten Ränder. Die Annahme, die Produktion und die Zuschreibung bzw. Einschreibung einer Geschlechtsidentität muss also erstens in der Verwerfung von Uneindeutigkeit und unter Abgrenzung zu der einen möglichen anderen geschehen und zweitens unter dem Postulat des heterosexuellen Begehrens über die Verwerfung und Abgrenzung von anderen Begehren.

Geschlechtlichkeit als gesellschaftliche Strukturkategorie zu verstehen ermöglicht so zu erkennen, dass schon die Aufteilung der Möglichkeiten überhaupt ein lebbares Leben zu führen, in den Bereich des gesellschaftlich Anerkannten, ja des Menschlichen, zu gehören ein Herrschaftsverhältnis ist. Die Herausbildung einer geschlechtlichen Identität erfolgt unter der Bedrohung der Repression von Positionen, die kein normales Leben versprechen. Gleichzeitig legitimiert sich die gesellschaftliche Ordnung über diese prekarisierten Positionen, da die Wirkmächtigkeit einer gesunden und natürlichen Normalität nur vor dem Hintergrund und der Bedrohung des >Unnatürlichen<, >Anormalem, >Kranken< funktionieren kann. Subjekte sind folglich nur als eindeutig vergeschlechtlichte überhaupt befähigt Subjekte zu sein und an den Verteilungskämpfen kapitalistischer Konkurrenz teilnehmen zu können 13 . Entgegen der Analyse von uG können also Geschlechterverhältnisse nicht kapitalistischen Herrschaftsverhältnissen entspringen, sondern funktionieren als eigenständiges Herrschaftsverhältnis, das Gesellschaft grundlegend strukturiert.

Aus der Konkurrenz gepurzelt

Die Entstehung von Subjektpositionen oder Kollektiven Identitäten« erklären sich uG aber nicht aus der historischen Entwicklung der Gesellschaft, sondern bleiben bei dem Ableitungsverhältnis aus der kapitalistischen Konkurrenz: »In ihrer konkreten Entstehung, Zusammensetzung und Veränderung verarbeiten sie [die Identitätszuschreibungen] dessen Konfliktlagen [des global integrierten Kapitalverhältnisses] auf vereindeutigende Weise: Als mehr oder weniger spontane Versuche, inmitten einer umfassenden und in stets wechselnden Abhängigkeiten ausgefochtenen Konkurrenz eine eindeutige und stabile Handlungsbasis zu entwerfen. Eben einen kollektiv versicherten Standpunkt persönlicher Identität, einer widerspruchsfreien Identität inmitten widersprüchlicher Zumutungen von Staat und Kapital« (uG, 67).

Der entlassene Opelarbeiter scheint sich in dieser Art von Kosmos spontan zu denken: >Ach Mist, ab jetzt ALG I, aber immerhin evangelisch«. Die Absurdität dieses Gedankens wird dadurch gesteigert, dass diese Perspektive die Voraussetzung dafür überhaupt bei Opel gearbeitet haben zu können nicht fassen kann: einen gültigen Pass in dem entweder männlich oder weiblich steht, einen festen Wohnsitz, eine Arbeitserlaubnis etc. - wobei dies nur die rechtlichen Voraussetzungen sind. So wird deutlich, dass der Versuch Subjektpositionen ausschließlich als Reaktion auf ökonomische Konfliktsituationen zu interpretieren in eine analytische und logische Sackgasse führt: das zu erklärende Resultat (weißer, deutscher, evangelischer Mann zu sein) wird zur Zugangsbedingung seiner eigenen Ursache (nicht mehr für Opel arbeiten zu dürfen und sich deshalb nach Kompensation umschauen).

Prozesse der Subjektkonstitution um Geschlechtlichkeit, Klasse und race sind also komplexer und schwieriger zu fassen als mit einem spontanen Ableitungsversuch aus ökonomischer Frustration. Die Trias von race, dass und gender als miteinander verbundene Subjektivierungsformen zu fassen, die Gesellschaft grundlegend strukturieren, kann aus dieser Sackgasse heraus führen.

Judith Butler analysiert in diesem Zusammenhang in ihrem Buch Psyche derMacht einen Komplex, den sie »Subjektivation« nennt.

Dieser bezeichnet den Prozess in dem ein Individuum in der Unterwerfung unter die bestehende gesellschaftliche Ordnung und in der Annahme ihrer Normen zu einem handlungsfähigen Subjekt wird. Diese Subjektivation besteht in einer dreifach paradoxalen Situation: 1) das referentielle Paradox: in Anschluss an Michel Foucault beschreibt Butler Macht als produktiv; es gibt demnach die Macht, die das Subjekt hervorbringt. Dies bedeutet allerdings, dass die Macht, die die Subjekte hervorbringt, die sie beherrscht gleichzeitig abhängig davon ist, dass sie von genau diesen Subjekten in einem (für beide konstitutiven) Akt angenommen, wieder eingesetzt re-produziert wird. Beispielsweise muss sich den Regeln, Normen und Gesetze der Sprache unterworfen werden, um Verständlichkeit und eine Sprecher_innenposition gewinnen zu können, gleichzeitig ist Sprache aber auch abhängig davon, dass sie gesprochen wird, da sie sonst eine tote Sprache wäre 2) das grammatikalische Paradox: es gibt demnach im Sprechen über oder von der Subjektivation ein Subjekt der Subjektivation. Allerdings kann es gar kein Subjekt vor der Subjektivation geben (es konstituiert sich ja erst durch diese), »das Subjekt« dient also, um überhaupt von der Subjektivation sprechen zu können, um sie analysieren zu können, als sprachlicher/grammatikalischer Platzhalter. Es ist demnach »ein Subjekt« in seiner ganzen Unmöglichkeit und Unbestimmtheit. 3) das zeitliche Paradox: die Subjektivation ist nach Butler also ein paradoxer Knotenpunkt - zwar geht die Macht/gesellschaftliche Ordnung/Norm dem Subjekt voraus, ist aber gleichzeitig abhängig von den Momenten ihrer Re-Artikulation, d.h. sie ist nur in ihrem Vollzug wirkmächtig - in dem das »Subjekt in the making« eben die Macht wieder einsetzt, von der es selber dazu ermächtigt wird. Dies ist allerdings kein einmaliger Akt, sondern das phantasmatische Postulat einer kohärenten Identität erfordert den (unbewussten) Prozess der ständigen Wiederholung und Sedimentation der Subjektivation. Das Paradoxe in der Analyse dieses Prozesses ist, dass die Gleichzeitigkeit, Komplexität und Pardoxalität in der Linearität von Sprache nicht wiederzugeben ist. Dazu sind die Subjekte mit den Kategorien ihrer Unterordnung leidenschaftlich verhaftet, da sie ihnen eine spezifische Art gesellschaftlichen Lebens ermöglichen.

Diese widersprüchliche Struktur der ständigen Einschlüsse und Verwerfungen, der Unterwerfung und Ermächtigung kann von uG aufgrund völlig falscher Prämissen nicht gefasst werden. Ausgangspunkt und Ursprung von allem ist nicht die gesellschaftliche Komplexität in ihrer historischen Gewordenheit, sondern immer und immer wieder die Konkurrenz. Denn die konkrete Entstehung »kollektiver Identitäten« ist ja, wie oben zitiert, eine vereindeutigende Verarbeitung der kapitalistischen Konfliktlage. Subjekte sind dadurch nicht Nexus verschiedenstartiger Anrufungen, paradoxer Verwerfungen und widersprüchlicher Positionen, sondern entstehen: »Ja]ls mehr oder weniger spontane Versuche, inmitten einer umfassenden und in stets wechselnden Abhängigkeiten ausgefochtenen Konkurrenz eine eindeutige und stabile Handlungsbasis zu entwerfen. Eben einen kollektiv versicherten Standpunkt persönlicher Identität, einer widerspruchsfreien Identität inmitten widersprüchlicher Zumutungen von Staat und Kapital« (uG, 67). Schwarze Feminist_mnen haben wiederholt den Widerspruch artikuliert gegen rassistische Unterdrückung zu kämpfen und gleichzeitig gegen die sexistischen Strukturen der Schwarzen Community vorzugehen, marxistische Feminist_innen hatten wiederholt das Problem thematisiert solidarisch mit der Arbeiterklasse sein zu wollen und dabei deren patriarchales Gefüge zu kritisieren. Ich finde diesen Staat, in dem ich lebe, aus einer emanzipatorischen Perspektive ganz besonders abschaffenswert, bin aber froh, dass er mir ermöglicht nahezu kostenfrei zu studieren - und gleichzeitig weiß ich, dass dies nur möglich ist, weil dies ganz viele andere Menschen aus dieser Hochschule ausschließt und nur möglich ist, weil ich eine Menge anderer Lebensweisen verworfen habe. Eine eindeutige und stabile Handlungsbasis scheint eine Identität also nicht zu sein und die Widersprüche scheinen auch nicht nur von Staat und Kapital produziert zu werden, sondern dem Prozess der Subjektivation immanent zu sein. Denn gerade die Brüche, Widersprüche und Komplikationen in der Bestimmung der eigenen Handlungsbasis verweisen darauf, dass es nicht möglich ist, ein einfaches Ableitungsverhältnis zu bestimmen, mit dem dies alles zu erklären sei. Es ist sogar gefährlich und falsch so zu tun als ob.

Die paradoxe Situation des Subjektivationsprozesses, die Notwendigkeit der beständigen Re-Artikulation der Identifikationen und ihrer Widersprüche wäre nämlich genau der Ort, an dem subjektive Handlungsmacht zu bestimmen wäre. In den Momenten der Irritation und der wiederholenden Widersprüchlichkeit eröffnet sich die Möglichkeit der Reflexion und der Handlung. Wenn, wie oben gesagt, die gesellschaftliche Ordnung abhängig ist vom Wiederholungszwang (einem Zwang sich ihr zu unterwerfen und sie wieder einzusetzen), dann ergeben sich in diesem Nexus von objektivem Zwang und subjektiver Ermächtigung Gelegenheiten Irritationen, Verschiebungen und Veränderungen wirkmächtig werden zu lassen. Gerade die Stabilität der ständigen Artikulation des Immer-Gleichen ist der Prozess ihrer eigenen Destabilisierung. Die Erklärung für gesellschaftliche Veränderung, revolutionäre Gesten und Taten, alltägliche Subversionen und radikale Kritik ist nur möglich, wenn derartige Momente der Brüchigkeit und Instabilität denkbar sind.

fail with consequence...

Doch der «G-Kosmos zeichnet sich durch Automatismus und spiegelglatte Oberflächen aus. Identifikation geschieht hier automatisch: »Die Sorge um die staatlichen Reproduktionsbedingungen des Kapitals ist im entwickelten Kapitalismus eine automatische Gefühlslage der verstaatlichten Individuen« (uG, 49) und: »die Identifikation mit der Nation bleibt ein automatisches Bedürfnis der kapitalistisch vereinzelten Individuen« (uG, 74). Wo es vereindeutigte Positionen und widerspruchsfreie Identitäten (die sowohl individuell als auch kollektiv sind) gibt, da gibt es auch nur automatische Gefühlslagen und Bedürfnisse«. Unbewusstes, Verworfenes, Widersprüchliches und Verunsicherndes scheinen die Bewohnerinnen des «G-Staates nicht zu kennen. Dem entsprechend sind sie aber auch nur willfährige Dienerinnen von Staat und Kapital, die sich, unfähig anderes zu fühlen, frisch, fromm, fröhlich und (scheinbar) frei ganz automatisch mit ihren Identitäten versöhnen um von den ganzen Zwängen der Konkurrenz erleichtert zu sein. Wie gesagt: >Zwar an der Grenze zu Spanien fast ertrunken und dann verhaftet worden um abgeschoben zu werden, aber immerhin Marokkaner«.

Politische Handlungsfähigkeit ist so nicht zu denken und so können uG auch gar nicht erklären, wie sie denn, bei all dem Automatismus, überhaupt in die Lage gekommen sind ihren eigenen Text schreiben zu können, denn eigentlich müssten sich die Autor_innen automatisch so pudelwohl in der Haut ihrer kollektiven Identität fühlen, dass sie ein Pamphlet über die Großartigkeit deutsch zu sein hätten produzieren müssen, würden sie ihrer eigenen Analyse entsprechend handeln. Der grundlegende Fehler, Identitäten als widerspruchfrei und als aus der kapitalistischen Konkurrenz abgeleitet zu denken und dabei noch zu versuchen so etwas wie Geschlechtlichkeit als »kollektive Identität« zu fassen, wirft somit den eigenen Anspruch des Projekts umgehend auf den Kopf und bringt die Verhältnisse zum Marschieren, statt zum Tanzen.

Dem gegenüber wäre Identität zu fassen als ein phantasmatisches Ideal: eine postulierte Einheit und Kohärenz, der die Subjekte ständig hinterher laufen, die sie wiederholt zu erreichen versuchen, an deren Unerreichbarkeit ihre eigenen Realität aber beständig scheitern muss. Identität bildet sich über die Identifizierung mit Idealen. Diese Ideale sind gesellschaftliche Positionen, die eine Möglichkeit kultureller Anerkennung und Lesbarkeit versprechen. Als solche sind sie aber grundlegend phantasmatisch: d.h. in ihrer Idealität nie zu erfüllen. Es gibt demnach ein strukturelles Missverhältnis zwischen Identität und Verkörperung. Die realen Personen scheitern immer an den Idealen, mit denen sie sich identifizieren und die sie für andere vielleicht figurieren. Das Ideal als Position innerhalb einer symbolischen Ordnung, das Identität anbietet und zur Identifizierung aufruft, ist somit notwendig von den realen Menschen, die sich auf es beziehen, verschieden. Bruce Willis figuriert in der gesammelten stirb langsam-Reihe als John McClane ein bestimmtes Ideal von Männlichkeit, mit dem sich unterschiedlichste Menschen identifizieren (wenn vielleicht auch nicht bewusst), gleichzeitig kann aber weder Bruce Willis als reale Person, noch die Personen, die sich an McClane anlehnen diesem Ideal genügen - die Verkörperungen scheitern zwangsläufig, werden deshalb aber umso energischer wiederholt.

Dazu wird es dadurch auch möglich, Subjekte in einer Vielzahl von, sich zum Teil auch widersprechenden, Identifizierungen zu analysieren. Zum einen gibt es für verschiedene Positionen unterschiedliche Ideale, die von mit anderen gesellschaftlichen Strukturen Zusammenhängen: Bruce Willis verkörpert ein anderes Ideal von Männlichkeit als z.B. Harald Schmitt oder Woody Allen. Zum anderen Identifizierungen in einer Person zueinander und zu deren Lebenswirklichkeit im Widerspruch stehen: gerade weil bestimmte Ideal andere Positionen ausschließen und eine reale Entsprechung mit diesen Idealen nicht herzustellen ist, ergeben sich immer Widersprüche, Verwerfungen und Scheitern. Kohärenz und Selbstidentität sind daher immer aufgeschobene Versprechen wobei die Wirkmächtigkeit des Begehrens danach zu einer kontinuierlichen Spirale aus performativer Produktion von Identität(en) und ihren Unmöglichkeiten führt. Und wie oben beschrieben ruft genau dieser Prozess seine Verwerfungen und Brüche immer wieder auf und wird von ihnen heimgesucht.

...lose with eloquence and a smile...

Von hier aus zeigt sich der strukturelle Fehler Geschlechtlichkeit überhaupt als »kollektive Identität« fassen zu wollen. uG nehmen die Ein- und Auschlüsse als tatsächlich vereindeutigende Prozesse, die widerspruchslos zu einer kohärenten Identität führen. Die gesellschaftlichen und individuellen Konsequenzen dieser Mechanismen sind die gleichen: Abbilder der kapitalistischen Konkurrenz: »Denn in einer Gesellschaftsordnung, die auf Konkurrenz und Ausbeutung basiert, kann sich Persönlichkeit' nur als System charakterlicher Angriffs- und Verteidigungspositionen entwickeln. Und jeder Entwurf widerspruchsfreier Identität (als Teil eines Kollektivs) überspielt reale gesellschaftliche Konfliktlagen und reale gesellschaftliche Ohnmacht, zugunsten tüchtiger Handlungsfähigkeit im Interesse der eigenen Clique« (uG, 67).

Wichtig ist hier, dass überall wo Gesellschaft steht »kapitalistische Konkurrenz« gemeint ist, denn wie ganz am Anfang gezeigt, entspringen nur dieser strukturelle Konflikte und individuelle Ohnmacht. Dazu wird hier die Gleichsetzung von kollektiver und individueller Identität deutlich, zwischen der uG in ihrer ganzen Broschüre tatsächlich keinen Unterschied machen. Dieser Entwurf der Identität, die personal wie kollektiv einfach die gleiche und darüber hinaus auch widerspruchsfrei ist, tappt dabei in die Falle des Phantasma der Kohärenz. Denn was bei uG ausgeschlossen wird, ist tatsächlich außen und spielt für die Subjekte nur noch eine versichernden und bestätigende Rolle im Sinne von Menschen, die nicht zur eigenen Clique gehören. Die eigenen Grenzen, die gleichzeitig die des Kollektivs sind, sind glasklar. Sie stehen unumstößlich fest und müssen daher verteidigt werden. Verwerfungen ergeben sich also nur im Ausschluss anderer Menschen aus dem eigenen Kollektiv, die sich dann aber wieder ihre eigenen Entschädigungsidentität über die Identifizierung mit KRrG in einem anderen Nationalstaat suchen, gegen den dann wiederum konkurriert und sich abgegrenzt werden kann. Verwerfungen innerhalb des Subjekts, Brüche in kollektiven Imaginationen und Irritationen der postulierten Kohärenz also die Idee eines konstitutiven Außen - kann von dem Ansatz von uG gar nicht gedacht werden. So kann nicht erklärt werden, wie Heterosexualität über eine verweigerte und unmögliche homosexuelle Identifizierung entsteht, es melancholische Verhaftungen mit den eigenen Unmöglichkeiten gibt und wie solche Prozesse Subjekte und die Gemeinschaften, in denen sie leben, grundlegend prägen. Psychoanalytische Theorie ist innerhalb der Broschüre nicht »unterbelichtet«, wie eine Frankfurter Vertreterin des Bündnisses auf der Vorstellung der Broschüre meinte, sondern konzeptionell und begrifflich gar nicht integrierbar. Begehren kommt ausschließlich als Identitätsbegehren vor und funktioniert wie Gefühlslagen automatisch als solches ist es individuell wie kollektiv identisch und hat die alleinige Aufgabe die Zumutungen der Konkurrenz zu kompensieren.

So wird zum Abschluss hoffentlich der ganze Unsinn des Versuchs Geschlechtlichkeit als »kollektive Identität« zu fassen deutlich. Die widerspruchsfreie kollektive Identität einzelner Personen, diene ja dazu »tüchtige Handlungsfähigkeit im Interesse der eigenen Clique« herzustellen. Das hieße, dass alle Menschen, die sich in diesem Nationalstaat als >Mann< identifizieren als gemeinsame Clique identische Interessen haben und diese tüchtig handelnd durchsetzen. Undenkbar ist in diesem Zusammenhang, dass ein homosexueller Landwirt aus Schleswig-Holstein andere Interessen und Handlungsmöglichkeiten hat, als ein Sohn eritreischer Migrantjnnen, der in Kaiserslautern Germanistik studieren möchte. Was die feministische Kritik für das Kollektivsubjekt >Frau< gezeigt hat, gilt auch für andere vergeschlechtliche Postionen: Die Imagination einer kollektiven Identität ist die Universalisierung der hegemonialen Mehrheit: im Falle des Feminismus die Position heterosexueller, weißer Mittelstandfrauen; im Falle des wG-Bündnisses die Position weißer, deutscher Mittelstandjungs 14 - denen ihre Heterosexualität so selbstverständlich ist, dass sie gar nicht drüber reden brauchen. Gerade die Kritik Schwarzer und post-kolonialer Feminist_innen an der Idee eines global sisterhood hat gezeigt, dass unter die Kategorie der Geschlechtlichkeit viele verschiedene Positionen und Identitäten fallen, die auf unterschiedliehe Weise vom Zwangssystem der heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit betroffen sind. Dieses verbindet sich darüber hinaus über vielfältige und widersprüchliche Prozesse mit anderen Kategorien gesellschaftlicher Herrschaft wie race und Klasse. Subjekte sind dabei der Nexus dieser vielfältigen und widersprüchlichen Anforderungen, Verhaftungen und Anrufungen. Die Kategorien, Normen, Gesetze und Identitäten, denen sie sich dabei unterwerfen müssen um eine Art gesellschaftlicher Lebensfähigkeit und Handlungsmöglichkeit zu erlangen, sind eben keine widerspruchsfreie Handlungsbasis für Interessenspolitik im Namen der eigenen Clique, sondern selber Moment von Zumutung, Zwang, Verunsicherung, (Glücks)Versprechen und Ermächtigung.

Die politische Aufgabe bestände diesbezüglich darin auf die Brüche, Widersprüche, Verwerfungen, Verunsicherungen und Heimsuchungen in eigentlich sicher Geglaubtem zu insistieren und zu versuchen diesen gerecht zu werden. Geschlechtlichkeit und Begehren wären nicht als augenfällige Positionen wundersamer Handlungsmacht zu begreifen, sondern aufzuzeigen, wie sie durch ihre eigenen Unmöglichkeiten und Widersprüche strukturiert und durchbrochen werden. In Gesten der Entidentifizierung und des Scheiterns wäre auszumachen wie z.B. die Ausstellung eindeutiger Männlichkeit immer wieder versucht sich ihrer Gespenster zu entledigen, wie heterosexuelle Männerbünde von homo-, poly- und weiteren vielfältigen Sexualitäten heimgesucht werden und versuchen sich diesen zu entziehen. Über solche Momente der Verunsicherung und der Brüchigkeit der (eigenen) Position(en) wäre eine Kritik der falschen Freiheit möglich. Oder wie Jessica Benjamin schon vor über zwanzig Jahren schrieb: »[EJine Theorie oder Politik, die Widersprüche nicht aushält, die das Irrationale leugnet, die die erotischen, phantastischen Momente des menschlichen Lebens hinwegzusanieren versucht, [kann] nicht ein authentisches Ende der Herrschaft antizipieren, sondern nur noch das Feld räumen«.

Chanandler Bong

// noten

#1 Es sei denn es würde sich um ein metaphorisches Sonnensystem handeln, in dem alle Kreisbewegungen von Planeten um eine Sonne zusammengefasst werden was hier Sonne, Planeten und Monde wären, übersteigt allerdings meine hermeneutischen Fähigkeiten. Auch weiß ich nicht ob es Sonnensysteme gibt, in denen der Sonne irgendwas Kreisendes entsprungen ist, dass dann aber um was anderes als diese Sonne seine Bahnen zieht. Auch wäre in dieser Metapher unser Sonnensystem der Nationalismus und gleichzeitig auch der Nationalsozialismus - und das verstehe wer will.

#2 Zur Fragwürdigkeit der Geschichtspolitik siehe »Wie hoch ist die Zeit?« in diesem Heft.

#3 In der japanischen Zeichentrickserie »Mila Superstar« rund um das Leben der Volleyballspielerin Mila Ayuhara, gibt es eine Folge, in der die gegnerische Mannschaft einen wundersamen Angriff vollführt, bei welchem drei Spielerinnen gleichzeitig zum Schmetterschlag hochspringen und eine vierte vor ihnen einen Salto vollführt, sodass es für Mila und ihre Mitspielerinnen unmöglich ist zu erkennen woher der Ball denn nun kommt und wohin er fliegen wird. Ungefähr so ähnlich stelle ich mir das Kreisen der Ideologien im «G-Kosmos vor.

#4 Eine Zusammensetzung die nicht zufällig ist und die Broschüre durchzieht: politisch ist nur was ökonomisch ist, alles andere sind Kämpfe im oder um den falschen Schein.

#5 Das soll hier allerdings keine Erbsenzählerei um Bedeutungen sein, sondern verweist darauf, dass der Begriff der Ideologie in der Broschüre selber vage und unbestimmt bleibt. Das mag daran liegen, dass scheinbar noch ein ganzer Band dazu in der Mache ist, führt aber hier zu den beschriebenen Verständnisschwierigkeiten. Die meiste Zeit wird von uG Ideologie im Sinne von »falschem Schein« benutzt, der über den tatsächlichen Verhältnissen liegt. Er bleibt somit auch immer Schein, der zu durchschauen oder zu lüften wäre, und hat selber keine materiellen Auswirkungen.

#6 Die Autonomie des bürgerlichen Individuums ist innerhalb der Broschüre die Autonomie von Rechtssubjekten: »>Autonomie< bedeutet in der kapitalistischen Gesellschaft eben doch nicht, dass man tun kann, was man will oder was man vernünftigerweise tun sollte. Sie bedeutet im Wesentlichen, dass man jederzeit einen legalen Vertrag abschließen, d.h. eine Geschäftsbeziehung eingehen kann (und zum Überleben auch muss) - sofern sich nur jemand findet, der selbst ein privates Interesse an diesem Geschäft hat« (uG, 27). Die Frustrierung der Autonomie, zu deren Kompensation Ideologien kollektiver Identität dienen, besteht demnach darin, dass diese Autonomie der Rechtssubjekte durch Ausbeutung und Zwang der Verwertung eingeschränkt wird.

#7 Dass Frauen in der Broschüre kein handlungsfähiger Subjektstatus zu kommt, lässt sich auch in der Rede von Frauen als Manövriermasse ablesen: »In Verwertungskrisen sind Frauen immer wieder nationalökonomische Manövriermasse: sie verlieren tendenziell früher ihren Lohnarbeitsplatz, und bekommen ihn meist nur zu schlechteren Konditionen zurück« (uG, 72). Die strukturelle Benachteiligung von Frauen scheint hier erfasst zu werden, aber eine eigene Position des Widerstands oder der Handlungsmacht in diesen Prozessen scheint ihnen nicht zuzukommen.

#8 Die Absurdität der Argumentation wird vielleicht klar, wenn man sich die konkreten Überlegungen dahinter vorstellt. Einer unterbezahlten Raumpflegerin, die für viel zu wenig Geld viel zu lange am Tag Hotelzimmer säubern muss, eine Gefühlslage zu unterstellen die besagt: >Naja, scheiß Job und kaum Kohle, aber wenigstens bin ich 'ne Frau< oder gar: >Naja, scheiß Job und kaum Kohle, aber als Frau gehöre ich nun mal an den Putzeimer« ist in ihrem Automatismus (s.u.) eine Unverschämtheit. Es ist natürlich nicht unmöglich, dass es solche Identifikationen geben kann - genug Frauen sitzen bei Mario Barth im Publikum und Nationalismus ist auch in illegalisierten Communities nicht unbekannt - sie zum Enschädigungsautomatismus zu machen ist aber problematisch.

#9 Zynisch ist es in diesem Zusammenhang auch in der Fußnote zum Autonomiebegriff zu formulieren: »juristisch wird bereits der Kauf bzw. Verkauf einer Semmel als Vertragsverhältnis gefasst« (uG, 27). Das es einen strukturellen Unterschied zwischen dem rechtlichen Schutz des Privateigentums und dem von Staatsbürgern gibt, ist so nicht zu denken, sondern scheint in eins zu fallen.

#10 Butler unterscheidet zwischen dem anatomischen Geschlecht (sex), der sozialen Geschlechtsidentität (gender) und der Geschlechtsidentität (gender identity - der Zusammenhang zwischen sex, gender, Begehren und Sexualität).

#11 Butlers Konzept basiert auf der Annahme, dass jeder Bezug auf irgendetwas immer schon strukturiert, begrenzt und ermöglicht wird durch das Bedeutungssystem, in dem er stattfindet. Wahrnehmung und die Vermittlung eben dieser ist demnach ermöglicht, geprägt und begrenzt durch die Kategorien, Möglichkeiten und Grenzen der Sprache. Wobei Sprache bei Butler jede Art von Bedeutungsproduktion meint und somit die Grundlage jeder möglichen Gesellschaftlichkeit bildet. Jede Anwendung, also in der Konsequenz eigentlich jegliche Handlung, bestätigt dieses Bedeutungssystem wieder und muss auf jenes zurück greifen. In einer ständigen Bewegung wird das Bedeutungssystem, in dem die Bewegung stattfindet, demnach bestätigt und immer wieder neu eingesetzt, d.h. konstituiert. Performativität bedeutet in dieser Figur, dass sprachlichen Handlungen das, was sie scheinbar benennen immer auch erst möglich machen bzw. produzieren. Die sogenannten Dinge oder die Natur, auf die sich Sprache bezieht, liegen nicht außerhalb ihrer, sondern werden durch sie produziert. Damit ist auch der Körper, als die scheinbar natürliche Ursache unserer Geschlechtlichkeit, eine performative Materialisierung der sozialen Beziehungen, Handlungen und Praktiken, die über ihn, durch ihn und mit ihm hervorgebracht werden. Diese performative Produktion ist allerdings keine beliebige, sonder eine durch bestimmte Normen, Regeln, Codes und Sanktionen streng orchestrierte die letztlich in der heteronormativen Zwangsmatrix mündet.

#12 »Nach Foucault sind Diskurse eine Menge von Aussagen, die demselben Formationsgebiet zugehören, wie z.B. der Klinik, der Psychiatrie, der Sexualwissenschaft oder der Ökonomie, und die auf geregelte Weise soziale Gegenstände wie Wahrheit, Realität und Normalität bzw. Wahnsinn, Lüge und Abweichung sowie die ihnen entsprechenden Subjektivitäten produzieren. Diskursive Formationen - als Definitionsmacht zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt konstruieren ihre Untersuchungsobjekte unter dem Scheinargument der Entdeckung (die Psychoanalyse erfindet das Unbewusste, die Sexualwissenschaften kreieren die Homosexuellen), und sie regulieren, was sagbar ist und was nicht gesagt werden kann.«

#13 Diese Unterscheidungen zwischen Normalität und »Unnatürlichem«, »Anormalem«, »Krankem« etc. findet dann wiederum seinen Ausdruck in der rechtlichen Ordnung der Gesellschaft, in der festgeschrieben steht, wann Menschen nicht mehr als Subjekte zählen - z.B. ab welchem IQ eine Person als «schwachsinnig« gilt und einen Vormund braucht, also nicht mehr als autonomes Rechtssubjekt zählt.

#14 Wer hier die Deutungshoheit besitzen lässt sich an der allerersten Fußnote ablesen: »Dieser Text verwendet bei Gattungsbegriffen das grammatische Maskulin. Wir sind uns der Diskussion um die sprachliche Repräsentation anderer geschlechtlicher Identitäten bewusst, vertreten dazu aber keine einheitliche Position« (uG, 16). Dadurch gibt es im «G-Kosmos nur männliche Bezeichnungen und die so benannten Herren sind sich zwar anderer Lebensformen bewusst oder haben von Diskussionen um diese gehört, scheinen sie aber nicht in ihr Repräsentationsreich aufnehmen zu wollen. Als »Kompromiss« setzt sich so die reaktionärste aller Möglichkeiten durch, die von Anfang an die Universalisierung der männlichen Position als einzig sinnvolle und mögliche setzt.

Dies zeigt auch, dass uG Brüche, Verunsicherungen und Irritationen lieber zu ignorieren scheint, denn das immer gleiche Argument, das gegen sprachliche Repräsentationen jenseits des männlichen Mainstreams aus der Mottenkiste der Reaktion gekramt wird, ist: «Das stört die Lesbarkeit«. Die Idee, dass es genau darum geht: um Störungen, die den männlichen Normalbetrieb verunsichern und somit Reflexionen über diesen anregen könnten, scheint den Deutschlehrern im Bündnis nicht nachvollziehbar zu sein.