Wenn sich sechs Jahre nach Auflösung der Antifaschi-stischen Aktion/Bundesweite Organisation endlich wieder ein bundesweiter Zusammenschluss linksradikaler Gruppen gründet, der das Logo der Antifaschistischen Aktion selbstbewusst im Label trägt, dann ist das eine begrüßenswerte Angelegenheit. Zudem ist es interessant, da sich auch einiges getan haben muss in Hinblick auf Auseinandersetzungen um das zu verfolgende Politikkonzept, waren die vergangenen Jahre doch eine Zeit der Neufindung, nachdem Schröders Propagierung eines >Aufstands der Anständigem im Herbst 2000 weite Teile der autonomen Antifa in eine tiefe Sinnkrise stürzte. Zugleich begann die in den 1990ern begonnene Kritik an traditionslinken Gewissheiten sich langsam in breitere Kreise durchzusetzen. Die dramatisch veränderten Verhältnisse der Welt nach dem Zusammenbruch des Ostblocks kamen nun auch bei den Autonomen an. In Auseinandersetzungen um linken Antisemitismus, jener linke Israelhass der mit einer >Kapitalismuskritik< Hand in Hand geht, die sich im Grunde nur an Erscheinungen der kapitalistischen Welt abarbeitet und ein asketisches Leben jenseits kapitalistischen Konsums« propagiert, hat sich in dieser Zeit eine antifaschistisch ausgerichtete Subkultur herausgebildet, die mit eben jenen traditionslinken Vorstellungen nur noch wenig gemein zu haben scheint. Eine neue Generation undogmatischer Kommunistinnen, die der deutschen Nation grundlegend ablehnend gegenüber stehen, scheint zunehmend die (post)autonome Szene zu bestimmen.

Tatsächlich hat man in dieser gerne als >Popantifa< gelabelten Szene mit allerlei linken Unsinnigkeiten abgeschlossen. In Zeiten der Flexibilisierung des Selbst, wird sich in Anbetracht dessen sich abzeichnender Erschöpfung dem Genuss zugewandt, es wird mit Freuden konsumiert und Pillen schluckend auf den sich abzeichnenden Abgrund zugetanzt. Cyberpunk seems not dead und no future-attitude gehen Hand in Hand mit einem politischen Bewusstsein, dass sich gegenüber so mancher traditionslinken Einfältigkeit als geradezu aufgeräumt verhält. Doch auch wenn der alte Nichtstyle des Flohmarkt-Bundeswehrhosen-Outfits zugunsten von Markenkleidung und Style-Bewusstsein aufgegeben wurde, so ist die Identitätspolitik des Black-Block grundsätzlich beibehalten worden. Man kann den Eindruck gewinnen, dass sich in den Veränderungen der Versuch von Gesellschaftsfähigkeit ausdrückt, welche den 80er-Jahre-Autonomen am Allerwertesten vorbeiging, da sie sich zugleich gegen eine heute verschwundene linksliberale Öffentlichkeit wendeten (berühmt formuliert durch Slime: »ihr seid nichts als linke Spießer«). Insofern muss die politischkulturelle Entwicklung der postautonomen Antifa als Antwortsuchprozess verstanden werden, in dem sich die vollständige Delegitimierung sozialistischer/kommunistischer Kritik nach dem Zusammenbruch des Ostblocks als auch die neue Großmachtstellung Deutschlands und der Staatsantifaschismus widerspiegeln. Wenn mit der hier gezeichneten Skizze auch nicht mehr als wenige, selektive Spotlights eines sehr viel umfassenderen kulturellen Panoramas eingefangen werden, so mag sie doch vielleicht den Kontext aufzeigen, der einen neuen bundesweiten Zusammenschluss antifaschistischer Gruppen in Deutschland ermöglichte.

Diesen Zusammenschluss stellt das 2007 gegründete Bündnis »...ums Ganze!« (uG) dar, bestehend aus verschiedenen antifaschistisch und antikapitalistisch ausgerichteten Gruppierungen; der Startschuss war die Bildung eines großen Sozialrevolutionären Blocks bei den Anti-G8-Protesten in Heiligendamm. Also doch bloß die alte no-global- Szene, nur statt Joint und Sperrmüllkombo Extasy und Kirmestechno? Zur Bestimmung einer politischen Linie hat uG im vergangenen Jahr ein Grundsatzpapier veröffentlicht, dass sich nicht im Sammeln kurzer Gemeinplätze erschöpft, sondern als gut 100 Seiten starke Broschüre eine theoretische Auseinandersetzung um das zu verfolgende Politikkonzept einfordert. Angesichts der traditionellen Theoriefeindlichkeit in der deutschen Linken ist dies ein durchaus ehrenwerter Anspruch, weswegen wir uns auch nicht lange haben bitten lassen, der Aufforderung zum Streit nachzukommen.

In einem Lesekreis wurde also die Broschüre Satz für Satz gelesen - und wir sind aus dem Staunen nicht mehr heraus gekommen. Schon die ersten Sätze und Kapitel sind weder als Diskussionsangebot formuliert, noch eine adäquate theoretische Auseinandersetzung: vereinfachendes Hauptwiderspruchsdenken, linke Schlussstrichrhetorik, ein unmöglicher Umgang mit Geschlechtlichkeit, Rassismus und Antisemitismus und hinter allem steckt die Konkurrenz, auf Kosten jeder Kontingenz. Mit vielem hatten wir gerechnet, aber dass so weit hinter die Einsichten und Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte zurück gefallen, ja eigentlich das Rad neu zu erfinden versucht wird ohne aus alten Fehlern zu lernen, hat uns dann doch überrascht. Dass dieser Unfug innerhalb der PopantifaSzene weitgehend unwidersprochen geschluckt wurde, ist uns letztlich ein Rätsel geblieben. Angesichts der inhaltlichen Brisanz dieses Selbstverständnisses, auf dessen Grundlage immerhin am laufenden Band bundesweit zu Demos mit beachtlichem Mobilisierungspotential aufgerufen wird, scheint ein ignoranter Umgang damit unangemessen. Unsere These und damit die allererste Kritik an der Broschüre ist, dass die Form eine Auseinandersetzung mit den Inhalten erschwert. Es ist eine begriffslose Aneinanderreihung von Setzungen, verpackt in Wortgirlanden einer Pseudodialektik, denen man kaum anders als mit gleichschwebender Aufmerksamkeit begegnen kann, denn ein klar geführtes Argument sucht man vergeblich. Insofern ist es beim ersten lesen schwierig, einen Einsatzpunkt für Kritik zu entdecken, denn einer Nichtargumentation, die sich als Argumentation ausgibt, einfach mit der Kritik, dies sei eine Nichtargumentation beikommen zu wollen, evoziert nur den Widerspruch, dies stimme ja gar nicht. Also Aussage gegen Aussage. Stattdessen muss der Text selbst zum sprechen gebracht werden, bis er seine Widersprüche und das fehlen einer Logik, ja überhaupt das Fehlen auch nur eines Begriffes selbst offenbart. Eine mühselige Arbeit, die einer wirklichen Auseinandersetzung mit der Broschüre im Sinne des Angebotes gleichberechtigten Diskutierens alles andere als entgegen kommt. Ergänzend dazu geht mit der nur schwerlich kritisierbaren inhaltlichen Belanglosigkeit eine Reklamestrategie Hand in Hand, nach der diese Komplettlösung der Praxisfrage selbstbewusst als Fackel der Aufklärung vor sich hergetragen wird. Dass es sich hierbei tatsächlich um Reklame handelt, sagen einige Gruppen des «G-Bündnisses auch offen: so will die Göttinger Gruppe Redical [M] »Werbung für den Kommunismus« oder die frankurter autonome antifa [fl »Marketing für das so unrealistisch wie notwendige Vorhaben [...] machen, die kapitalistische Gesellschaft endlich zu überwinden«. Auf Lesetour pilgerte uG als PR-Manager_in durch die Lande und versuchte ihre Antwort auf die Krise, sowohl die der radikalen Linken als auch die des Kapitalismus, an die Kundschaft zu bringen.

Die Schwierigkeit ohne eingehende Lektüre des Textes, den erläuterten Thesen ernsthafte Kritik entgegenzusetzen, wurde verstärkt durch die Form des Produktes, als ein aufwändig produziertes und vermarktetes Buch. Die äußere Form der Broschüre wird in diesem Kontext zum Komplement der autoritären Setzung von Wahrheit. Schließlich handelt es sich hier nicht um einen kurzen Abriss von Überlegungen zu den eigenen Grundsätzen politischer Arbeit, wie sie in Selbstverständnissen linksradikaler Gruppen stehen, sondern um ein ausgearbeitetes Buch, das suggeriert, dass hier eine intensive Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, aber auch den Kämpfen gegen diese, stattgefunden hat und das deshalb einen Vertrauensvorschuss verdiene. Beim Lesen der Broschüre kommt allerdings eher der Eindruck auf, dass die Verheißung der Wahrheit hier zum Produkt selbst wird, welches gänzlich keinen anderen Zweck mehr hat. Zudem ist es ein Projekt gigantischen Ausmaßes, jeder Kritik kann mit dem Verweis auf die noch anstehenden 2 Bände, die das Gesamtwerk erst komplettieren sollen, ein Vertagungsargument also, geantwortet werden.

Vertagungsargumente sind allerdings nur dann unwiderlegbar, wenn es sich bei der Kritik um den Vorwurf einer Verkürzung handelt. Ein solches Argument führen wir hier nicht. Unsere Kritik richtet sich dagegen, dass das in der Broschüre vorgelegte Politikkonzept in sich grundlegend falsch ist. Es können noch so viele Ergänzungsbände publiziert werden, die Gesellschaftskritik von uG würde dadurch nicht richtiger werden. Der Tenor der hier veröffentlichten Texte ist daher keineswegs, dass einzelne Sachen in der Broschüre fehlen würden, oder >unterbelichtet< sind, sondern dass mit einem derartigen Analyseansatz, bei dem die kapitalistische Konkurrenz als Letztbegründung für alle gesellschaftlichen Prozesse herhalten muss, fast alles schief geht, was so schief gehen kann.

Das heißt allerdings nicht, dass unsere Texte einen gemeinsamen Ansatz verfolgen würden. Vielmehr sind sie aus sehr unterschiedlichen Perspektiven geschrieben. In wieweit diese sich vielleicht sogar gegenseitig widersprechen oder produktiv ergänzen halten wir für eine lohnende Diskussion, die bisher nicht abschließend geführt wurde und in vieler Hinsicht auch nicht im Sinne eines Abschlusses geführt werden kann. Daher kann es sein, dass unterschiedliche Argumentationen am gleichen Ausgangspunkt ansetzen, dann aber wieder auseinander treten und andere Dimensionen der begrifflichen Wüstenei offen legen. Des Weiteren fehlen auch immer noch zentrale Kritikpunkte, die uns wichtig gewesen wären, für die uns aber die Zeit fehlte: eine Kritik aus antirassistischer und postkolonialer Richtung beispielsweise, oder eine eingehendere Kritik der Rhetorik und des Gestus der Broschüre. Vieles aus unseren Diskussionen hat demnach keinen Eingang in diese diskus-Sonderausgabe gefunden, dennoch denken wir, dass wir wichtige und notwendige Kritikpunkte aufgeschrieben haben, die den Anspruch und Inhalt der Broschüre ernst nehmen und ihnen eigene Analysen entgegen setzen. Da allerdings einiges ohne eine Kenntnis der Broschüre wohl schwierig zu verstehen ist, kann sie hier:

https://ivi.copyriot.com/wpcontent/uploads/2010/04/staatweltmarktherrschaftderfalschenfreiheit.pdf

gelesen werden.

AK Grandhotel Abgrund am Institut für vergleichende Irrelevanz