Feministische Unterbrechungen
Dieser Text versucht auf Grundlage der Broschüre »Staat, Weltmarkt und die Herrschaft der falschen Freiheit« des ...ums Ganze! Bündnisses das Nachdenken über den Zusammenhang verschiedener Ausbeutungs- bzw. Herrschaftsmechanismen anzuregen. Da beim Lesen der Broschüre der Eindruck entsteht, dass das Ganze, um das es hier gehen soll, nur sehr reduktionistisch auf Teilbereiche kapitalistischer Ökonomie zugespitzt ist, scheint es notwendig zu sein, einige Grundlagendiskussionen der Linken zu betrachten, in deren Überlegungen diese Form des Ökonomismus schon überwunden war.
Dieser Text kann es nicht leisten all die Auslassungen nachzuholen, die der ...ums Ganze! Text macht, ich beschränke mich deshalb im Folgenden auf eine Skizzierung antikapitalistischer-feministischer Debatten, die eine Theoretisierung des Zusammenhangs von Kapitalismus und hierarchischen Geschlechterverhältnissen nicht nur auf der konkreten Ebene alltäglicher Herrschaftserfahrung versuchen, sondern in der abstrakten Bestimmung der Funktionsweise kapitalistischer Herrschaft.
Die Broschüre, die uG im letzten Jahr veröffentlichte, formuliert den Anspruch eine Diskussion über die theoretischen Grundlagen linker Praxis zu eröffnen. Der Beitrag der Broschüre dreht sich dabei in erster Linie um das Verhältnis von Staat und Kapital, weitere Broschüren sollen noch folgen. Auch wenn der Staat im Zentrum steht, werden aber bereits viele Überlegungen zu anderen Themenfeldern andiskutiert, insbesondere zu den »allgemeingültigen« Logiken des Kapitalismus. An diesem Punkt möchte ich beginnen meine Kritik zu entwickeln.
Im Vorwort ihres Textes formulieren ...ums Ganze!:
»Offenbar ist nicht nur an dieser Gesellschaftsordnung etwas verkehrt, sondern auch an ihren Begriffen. Deshalb ist radikale Gesellschaftskritik nicht ohne theoretische Auseinandersetzung zu haben. Nicht ohne eine Kritik der Basiskategorien, in denen sich die bürgerliche Gesellschaft im Alltagsbewusstsein darstellt. [...] Es geht in unserer Darstellung also wesentlich um den Systemcharakter von Herrschaft und Ausbeutung, die sich aus der Struktur der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ergeben. Diese Struktur ist nicht vom Himmel gefallen, und sie folgt auch keinem Masterplan. Dennoch lässt sich Allgemeingültiges über sie sagen.« (uG, S.7)
Leider wird diesem Anspruch im weiteren Verlauf des Textes keineswegs entsprochen. Unter Ausblendung sämtlicher Auseinandersetzungen und Diskussionen der Linken der letzten 40 Jahre wird hier eine Theorie kapitalistischer Gesellschaft entworfen, die so reduktionistisch argumentiert, dass es fast schwierig wird sie zu kritisieren. Denn obwohl das ...ums Ganze! Bündnis hauptsächlich aus postautonomen Antifa Gruppen besteht, scheint es notwendig zu sein, selbst auf die Grundlagen zu verweisen, die bereits mehr oder weniger Konsens innerhalb der autonomen Linken waren.
Dieses Problem beginnt bereits bei der Bestimmung des »Allgemeingültigen«, das sich über die kapitalistische Gesellschaft aussagen lässt. Denn das »Allgemeingültige«, welches in dieser Broschüre herausgearbeitet wird, konzentriert sich hauptsächlich auf den Begriff der Konkurrenz.
Obwohl im vorangegangen Zitat noch darauf verwiesen wird, dass die kapitalistische Gesellschaft nicht vom Himmel gefallen ist, wird der historischen Entstehung und Entwicklung wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Lediglich die Gleichzeitigkeit der Entwicklung von kapitalistischer Produktionsweise und bürgerlichem Staat findet im Text Beachtung. Wobei die Rolle des Staates für die Regulation und Reproduktion einer kapitalistischen Gesellschaft auf das Recht an Eigentum und die Absicherung der Konkurrenzverhältnisse verkürzt wird.
Auch auf eine kritische Befragung der Begriffe der bürgerlichen Gesellschaft wartet mensch beim Lesen des Textes vergeblich.
Im Folgenden möchte ich die theoretischen Annahmen der Broschüre mit feministischen Argumenten zum Verhältnis von Kapitalismus und Geschlecht, oder Patriarchat, konfrontieren.
Eine Kritik sozialistischer Feministinnen an marxistischen Theorien war stets, dass die Frage der Unterdrückung von Frauen oft hauptsächlich als ideologisches Problem entworfen wird; Frauenunterdrückung scheint ein Überbleibsel präkapitalistischer Gesellschaft zu sein und zeigt sich vor allem in der Familie. 1 Die ökonomische oder materielle Seite des Geschlechterverhältnisses wird nicht systematisch mitgedacht. Diese Kritik trifft auch auf die Analyse, die in der UG Broschüre entworfen wird, zu. Geschlecht kommt hier als Kategorie nur im Zusammenhang des Problems »kollektiver Identitäten« vor. Somit wird der Kategorie Geschlecht nicht zugestanden, die Gesellschaft unter kapitalistischer Herrschaft und Ausbeutung maßgeblich zu strukturieren. Stattdessen erscheint Geschlecht nur als eine Variante der Ideologie kollektiver Identität, zu der neben Geschlecht noch »Rasse«, Kultur und Religion gezählt wird. Soweit mensch auch auf den ersten Blick begrüßen sollte, dass mittlerweile der fiktive Charakter von Zweigeschlechtlichkeit in der Linken angekommen zu sein scheint, ist diese Analyse jedoch nicht in der Lage die spezifische Materialität der Kategorie Geschlecht in ihren verschiedenen Dimensionen zu erfassen. 2 Die eigenständige Dynamik, die dem hierarchischen Geschlechterverhältnis als Herrschaftsstruktur innewohnt, ihre gesellschaftlichen Legitimationserzählungen, aber auch die Wandlungen, die sich innerhalb der Kategorien »Mann« und »Frau« vollzogen haben, werden in der Analyse des Ganzen gar nicht berücksichtigt. Stattdessen werden vergangene Kämpfe auch feministischer Aktivistinnen als Dummheit (vgl. UG S.18) diskreditiert und ihnen wird jegliches emanzipatorische Potenzial versagt, wenn sie um Gleichberechtigung, Anerkennung und für eine Verbesserung ihrer Lebenssituation kämpfen.
»Die Forderung nach gleichberechtigter Teilhabe am gesellschaftlichen Verdrängungswettbewerb läuft auf eine Verschiebung seiner Opfergruppen hinaus. Wen an der Sortierung in Unten und Oben nur die ungleiche Repräsentation im Oben stört, der muss sich eben »als Frau«, »als Migrant« oder als »Proletarierkind« nach oben buckeln und treten.« (UG S.28) Das Problem des Textes besteht aber nicht nur auf der Ebene der Diskreditierung vergangener Kämpfe, sondern beginnt bereits in allgemeinen theoretischen Ausgangspositionen, die ich im Folgenden näher bestimmen und in feministischer Perspektive kritisieren möchte. Auch wenn die Diskussionen, die ich hier darstelle, teilweise veraltet erscheinen, ist eine Auseinandersetzung mit den Theoretisierungen eines marxistisch geprägten Feminismus unverzichtbar, da in ihm wichtige Kritikpunkte an den Auslassungen marxistischer Theorie formuliert werden. Weiterführende Diskussionen über beispielsweise Schwächen der verschiedenen feministischen Ansätze aus einer emanzipativen Position heraus wären zwar notwendig, allerdings können diese Diskussionen nur auf der Grundlage der Erkenntnisse feministischer Debatten geführt werden. Da die Broschüre eine von mir bereits häufiger in der Linken beobachtete Ignoranz gegenüber feministischer Theoriebildung aufweist, möchte ich bestimmte Aspekte noch mal ins Bewusstsein rufen, auf deren Grundlage eine Grundsatzdiskussion zu führen sein könnte.
What it's all about
In ihrer Bestimmung der allgemeingültigen Gesetze oder Logiken des Kapitalismus stellen ...ums Ganze! den Begriff der Konkurrenz ins Zentrum. Dies hat weitreichende Konsequenzen für ihre Analyse, da sie durch die Beschränkung ihres Blickes auf Konkurrenz nicht in der Lage sind, danach zu fragen, welche Erfahrungen von unterschiedlichen Gruppen oder Klassen unter der Herrschaft des Kapitals gemacht werden, und welche differenten Lebensbedingungen im Kapitalismus geschaffen werden. Die Perspektive der Konkurrenz und des Verwertungszwangs bei UG führt zu einer Vereinheitlichung unterschiedlichster Positionen und negiert bestehende Konfliktlinien.
»In entwickelten kapitalistischen Ökonomien ist den Menschen ihr Dasein als Privateigentümer und Konkurrenten zu einer unhinterfragten Selbstverständlichkeit geworden. Egal ob sie ihren Lebensunterhalt als Lohnabhängige verdienen müssen, als unternehmerisch >Selbständige<, als Manager oder in irgendeiner scheinselbständig-prekären Hybridgestalt: stets stehen sie in Konkurrenz mit ihresgleichen - um Arbeitsplätze und Beförderungen, um Aufträge und Profite, um Gewinnanteile und Wachstumsraten. Und diese Konkurrenz wird im Kapitalismus niemals enden.«(uG, S.16) Mit der Fokussierung auf Konkurrenz beschränken uG ihre Kritik am Kapitalismus auf einen Teilbereich der Produktion, wobei sie nicht einmal den klassischen Kritikpunkt marxistischer Theorie, nämlich den des Klassenantagonismus, theoretisieren. Etwas später schreiben sie: »Auch die Kapitalisten sind durch das Band der Konkurrenz dazu verdammt, Profit zu machen oder unterzugehen. Trug ist der Sachzwang der Konkurrenz aber, weil er nur in einer historisch spezifischen Form der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion entsteht. Als >Naturgesetz< wirken Konkurrenz und Verwertungszwang nur in Gesellschaften, in denen eine kapitalistische Produktionsweise herrscht, in der also die Menschen ihr Auskommen und Überleben jederzeit im ökonomischen Wettstreit gegeneinander produzieren müssen.« (uG, S.20) Wie ich auch noch mal an späterer Stelle zeigen werde, meinen uG in der Regel nur Männer, wenn sie von Menschen sprechen. In den vorangegangen Zitaten geht es ihnen immerhin nicht um eine Bestimmung eines historisch spezifischen Moments innerhalb der kapitalistischen Entwicklung, in dem diese Aussagen wahr wären, sondern um eine Bestimmung allgemeingültiger Logiken des Kapitalismus. Dass feministische Belange insbesondere in Theorien, die sich vornehmen alles zu erklären, keine allzu große Rolle spielen, ist schon häufig von Feministinnen kritisiert worden. Eine derartige Nichtberücksichtigung in der Theorie eines Bündnisses aus diversen sich als linksradikal verstehenden Gruppen ist jedoch eine bodenlose Unverschämtheit. Schließlich reicht es aus, sich die letzten 70 Jahre kapitalistischer Gesellschaften anzuschauen, um festzustellen, dass Frauen in der Entwicklung kapitalistischer Ökonomien immer wieder von der Produktion ausgeschlossen waren. In Deutschland sind Frauen zum Beispiel erst seit dem Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes am 01.07.1958 berechtigt erwerbstätig zu sein, jedoch nur wenn Ehemann und Kinder durch die Arbeit nicht vernachlässigt werden. Zuvor konnten Ehemänner ihren Frauen verbieten arbeiten zu gehen. Hier zeigt sich, dass die allgemeingültige Aussage, dass »die Menschen ihr Auskommen und Überleben jederzeit im ökonomischen Wettstreit gegeneinander produzieren müssen« schlichtweg falsch ist.
Wenn die Beschreibung und Analyse des Kapitalismus, wie sie von uG gemacht wird, aus feministischer Perspektive nicht haltbar ist, stellt sich die Frage, wie Kapitalismus theoretisiert werden kann unter Einbeziehung der Geschlechterverhältnisse. Dieser Frage haben sich zahlreiche sozialistische Feministinnen gestellt, einige Punkte der Diskussion möchte ich im Folgenden darstellen.
Kapitalismus und hierarchische Ge-schlechterverhältnisse
Für das Verständnis des Verhältnisses zwischen Kapitalismus und hierarchischen Geschlechterverhältnissen spielt der Begriff der geschlechtlichen Arbeitsteilung eine zentrale Rolle. Die Auseinandersetzung mit geschlechtlicher Arbeitsteilung nahm sowohl in der politischen Praxis der 1970er Jahre als auch in den theoretisch-akademischen Diskussionen in der Entstehung der Frauenforschung einen großen Raum ein. Im Vordergrund stand hierbei die von Frauen geleistete Arbeit, sowohl die reproduktive, unbezahlte, als auch die Lohnarbeit, und die Analyse ihrer Bedeutung für die Reproduktion gesellschaftlicher Ausbeutungsverhältnisse.
In Auseinandersetzung mit den Klassikern der marxistischen Theorie wurde festgestellt, dass die Kategorien des Marxismus geschlechtsblind seien. Da eine Auseinandersetzung mit der Sphäre der Reproduktion weitestgehend nicht vorhanden ist, stellte sich die Frage, wie marxistische Kategorien in feministischer Perspektive erweitert und umformuliert werden können.
In dem Bemühen eine materialistische Theorie des Geschlechterverhältnisses zu entwerfen wurde vor allem auf frühe Schriften des Marxismus Bezug genommen. Zentral für viele feministische Arbeiten wurde das folgende Zitat von Engels.
»Nach der materialistischen Auffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese ist aber selbst wieder doppelter Art. Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andrerseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung. Die gesellschaftlichen Einrichtungen, unter denen die Menschen einer bestimmten Geschichtsepoche und eines bestimmten Landes leben, werden bedingt durch beide Arten der Produktion: durch die Entwicklungsstufe einerseits der Arbeit, andrerseits der Familie.« (MEW 21, S 27f.) Dieses Zitat aus dem Vorwort zum Ursprung der Familie gilt vielen sozialistischen Feministinnen als Ausgangspunkt, um feministische und marxistische Theorie zu verknüpfen. Da das Zitat der Familie für die gesamte soziale Reproduktion der Verhältnisse eine ebenso zentrale Bedeutung wie der Produktion von Waren einräumt, kann von hier aus eine materialistische Theorie entwickelt werden, die das hierarchische Geschlechterverhältnis als einen zentralen Bestandteil der kapitalistischen Produktionsweise bestimmen kann. Der Begriff der Produktion umfasst hier nicht nur die Produktion von Waren, sondern auch die Produktion in der Familie, die Produktion von Menschen, nicht nur im biologischen Sinne der Reproduktion der Gattung, sondern im sozialen Sinn der Produktion von Gesellschaftsmitgliedern. 3 Geschlechtliche Arbeitsteilung wird hier also zu einem zentralen Moment gesellschaftlicher Ordnung, auch sie bedingt wie "die Menschen einer bestimmten Geschichtsepoche und eines bestimmten Landes leben«.
Lohn für Hausarbeit- die feministische Hausarbeitsdebatte
Eine der breitesten Debatten innerhalb des marxistischen Feminismus waren die »Lohn für Hausarbeit« Kampagnen, die in den 70ern in vielen westlichen Ländern stattfanden. Die Kampagnen waren ein Versuch antisexistische mit antikapitalistischen Kämpfen zu verbinden. Die Verbindung wurde vor allem auf der Ebene gesucht, die engen Relationen zwischen geschlechtlicher Arbeitsteilung im Bereich des Privaten und der Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, und wie sich diese Aspekte wechselseitig bedingen, zu erkennen. Reproduktive Arbeiten wurden theoretisch als Grundlage der kapitalistischen Verhältnisse gefasst, da sie die männliche Arbeitskraft erst hervorbringen und somit zur Reproduktion und Stabilisierung der gesamten Verhältnisse von zentraler Bedeutung sind. Die Forderung kam von italienischen Feministinnen aus dem Kontext des Operaismus. Im Zuge der Kämpfe um einen Mindestlohn Anfang der 70er in Italien entstand die feministische »Lohn für Hausarbeit«-Bewegung. Einer der wichtigsten Texte für die Diskussion ist der erstmals 1972 veröffentlichte Text »Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft« von Mariarosa Dalla Costa. In diesem Text setzt sie sich mit der Situation der Frauen des Proletariats auseinander und argumentiert, »daß die Hausarbeit produktive Arbeit im Marxschen Sinn ist, das heißt also Arbeit, die Mehrwert produziert.« »Bezüglich der Bestimmung der Lohnarbeit ist immer wieder behauptet worden, daß die Frau bei der Hausarbeit nicht produktiv sei. Tatsächlich trifft genau das Gegenteil zu, wenn man an die enorme Menge gesellschaftlicher Dienstleistungen denkt, die die kapitalistische Organisation in private Tätigkeit umwandelt, indem sie sie der Hausfrau aufbürdet. Die Hausarbeit ist keineswegs spezifische Frauenarbeit. Keine Frau verwirklicht sich mehr oder ermüdet weniger als ein Mann beim Waschen oder Saubermachen. Dies sind gesellschaftliche Dienstleistungen, insofern sie der Reproduktion der Arbeitskraft dienen. Und das Kapital hat eben durch die ihm eigentümliche Familienstruktur den Mann von solchen Funktionen »befreit«, um ihn vollständig »frei« zu machen für die direkte Ausbeutung - nämlich frei, genug zu verdienen, damit die Frau ihn als Arbeitskraft reproduzieren kann.« (Dalla Costa 1973)
Hausarbeit bringt nach Dalla Costa demnach auch eine Ware hervor, nämlich die Ware Arbeitskraft, somit arbeiten auch Frauen für das Kapital.
Der Versuch, die unbezahlte reproduktive Arbeit in die Begriffe der Kritik der politischen Ökonomie zu übersetzen und sie somit als wertbildend denken zu können, wurde von vielen Theoretikerinnen der Hausarbeitsdebatte geteilt. Der in der marxistischen Theorie zentrale Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital, der sogenannte Hauptwiderspruch, wurde auf den Kopf gestellt und die geschlechtliche Arbeitsteilung als zentraler Widerspruch der kapitalistischen Verhältnisse konzipiert. In diesem Sinne bildet die reproduktive, unbezahlte Arbeit der Frauen eine Art unsichtbare Basis für die gesamte Kapitalakkumulation.
Das Besondere der Hausarbeitsdebatte und ihr Verdienst für weitere feministische Auseinandersetzungen mit dem Verhältnis von Kapitalismus und hierarchischen Geschlechterverhältnissen ist sicherlich, dass durch sie erst die Signifikanz der reproduktiven Arbeiten, sowohl für das Kapital als auch für die Reproduktion gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse, erfasst werden konnte. Zwar wurde häufig von anderen Feministinnen kritisiert, dass durch den Fokus auf werttheoretische Überlegungen nur das Verhältnis von Hausarbeit zum Kapital, nicht aber das Verhältnis von Frauen und Männern ausreichend theoretisiert wurde, jedoch wurde einstimmig begrüßt, dass durch die Debatte ein neues Bewusstsein über die Wichtigkeit von Hausarbeit in der Linken geschaffen wurde. Die große Popularität, die insbesondere Dalla Costas Text erreichte, hing aber nicht nur an ihren theoretischen Überlegungen, sondern auch an dem radikalen Gestus des Textes, der prinzipiell zur Verweigerung jeglicher Arbeit unter den Bedingungen des Kapitals aufrief.
»Niemand von uns glaubt daran, daß sich die Emanzipation, die Befreiung, durch die Arbeit vollzieht. Arbeit bleibt immer Arbeit - sei es im Haus oder außerhalb. Die Autonomie des Lohnarbeiters besteht darin, ein »freies Individuum" für das Kapital zu sein; dies gilt für die Frauen nicht weniger als für die Männer. Wer behauptet, daß die Befreiung der Frau der Arbeiterklasse darin liegt, eine Arbeit außerhalb des Hauses zu finden, erfaßt nur einen Teil des Problems, aber nicht seine Lösung. Die Sklaverei des Fließbands ist keine Befreiung von der Sklaverei des Spülbeckens.« und weiter: »Deshalb müssen wir die Hausarbeit als Frauenarbeit, als uns aufgezwungene Arbeit, verweigern, als Arbeit, die die Frauen niemals erfunden haben, die niemals bezahlt worden ist, die man uns unter unsinnigen Arbeitszeiten von 12 oder 13 Stunden täglich aufgezwungen hat, um uns ja den ganzen Tag an das Haus zu fesseln.
Wir müssen das Haus verlassen; wir' müssen den Haushalt verweigern, weil wir uns mit den anderen Frauen vereinigen wollen, um gegen alles anzukämpfen, was die Anwesenheit der Frauen im Hause zur Voraussetzung hat, um uns selbst mit den Kämpfen all derer, die in Ghettos sind, zusammenzuschließen, sei es nun das Ghetto eines Kindergartens, einer Schule, eines Krankenhauses, eines Altersheims oder eines Slums. Bereits das Verlassen des Hauses ist eine Form des Kampfes, weil die gesellschaftlichen Dienstleistungen, die wir erbringen, nicht länger unter diesen Bedingungen ausgeführt und folglich alle die, die außer Haus arbeiten, fordern würden, daß die Last, die bis jetzt von uns getragen wird, genau dahin geworfen wird, wo sie hingehört - auf die Schultern des Kapitals.« (ebd.) Das Beispiel der »Lohn für Hausarbeit« -Debatte verdeutlicht auch, inwiefern die Kritik von ...ums Ganze an vermeintlich staatszentrierten Forderungen politischer Bewegungen ins Leere läuft. Die Diskussion zeigt, dass trotz der konkreten Forderung die Überwindung kapitalistischer Ausbeutung stets das Ziel der radikaleren Aktivistinnen war, die Kämpfe somit einen Raum eröffnet haben, der über das Bestehende hinausweist.
Als ein weiterer Verdienst der Debatte können auch die zahlreichen feministischen Arbeiten, die versuchen die historische Spezifität der Trennung von Produktions- und Reproduktionssphäre in bürgerlich kapitalistischen Gesellschaften nachzuweisen, gelten. In diesen Arbeiten wird gezeigt, dass geschlechtliche Arbeitsteilung und ihre Begründung in natürlichen Differenzen der Geschlechter kein präkapitalistisches Überbleibsel ist, sondern sich erst in kapitalistischen Gesellschaften entwickelt hat. 4 Auch der von einigen Bielefelder Entwicklungssoziologinnen entwickelte Ansatz der Subsistenzproduktion entstand im Kontext der Hausarbeitsdebatte. Mit dem Begriff der Subsistenzproduktion versuchten die Autorinnen den Radius der Debatte, der bisher auf westliche Industriestaaten begrenzt blieb, zu erweitern und die Arbeitsverhältnisse in peripheren Staaten in die feministische Debatte um Hausarbeit zu integrieren. Unter Subsistenzproduktion verstehen sie dabei alle Formen von gebrauchswertorientierter Produktion, aber auch bestimmte Teile tauschwertorientierter Produktion, z. B Prostitution, kleinbäuerliche Produktion, kleines Handwerk, oder sporadische bzw. kurzzeitige Formen von Lohnarbeit. Mit diesem weiten Begriff der Subsistenzproduktion konnte die Hausarbeit in den kapitalistischen Zentren, mit kleinbäuerlicher, handwerklicher Produktion, die eher dem Eigenbedarf dient, in beispielsweise afrikanischen Staaten in einen Zusammenhang gestellt werden. Der zentrale Widerspruch im Kapitalismus wird in dieser Perspektive im Verhältnis von Kapital zur Subsistenzarbeit gesehen. Die Ausbeutung der Subsistenzarbeit insgesamt und vor allem die Ausbeutung des »weiblichen Arbeitsvermögens« garantieren die Kapitalakkumulation und stabilisieren somit die kapitalistischen Verhältnisse. Der Ansatz bezieht sich vor allem auf Rosa Luxemburgs These der fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation. 5 Während jedoch Luxemburg davon ausgeht, dass der Kapitalismus an seine Grenzen stoßen muss, da irgendwann die ganze Welt durchkapitalisiert sei, sehen die Theoretikerinnen des Subsistenzansatzes in der Ausbeutung der Subsistenzarbeit und vor allem in der Ausbeutung des »weiblichen Arbeitsvermögens« eine unerschöpfliche Ressource.
Dieser Ansatz wurde in der radikalen Linken populär, stellte er doch eine Verbindung antisexistischer Kämpfe in den Metropolen mit den Kämpfen der von Armut am stärksten Betroffenen in den Staaten der sogenannten Dritten Welt her. In den aktuelleren Debatten um Arbeit intervenierte der Bielefelder Ansatz mit dem Begriff der Hausfrauisierung von Arbeit, (vgl. Werlhof 1983) Damit sollte der Entwicklung hin zu prekarisierten, affektiven, flexiblen Beschäftigungsverhältnissen Rechnung getragen werden. Die bisher die Hausarbeit bestimmenden Elemente würden in einer Form verallgemeinert, dass Hausarbeit zu einem Modell kapitalistischer Arbeit schlechthin werde. Die These der Hausfrauisierung der Arbeit zielt vor allem auf die Problematisierung sich verschärfender Ausbeutungsverhältnisse. Auf der anderen Seite wird allerdings im »weiblichen Arbeitsvermögen« auch die Möglichkeit von Widerstand gegen und Befreiung von kapitalistischer Ausbeutung verortet (vgl. Mies 2001). 6 Die Skizzierung der verschiedenen feministischen Ansätze und Auseinandersetzungen mit dem Komplex der geschlechtlichen Arbeitsteilung soll deutlich machen, dass eine kapitalismuskritische Perspektive Geschlechterverhältnisse nicht unberücksichtigt lassen darf. Sowohl der Versuch einer abstrakten Bestimmung der Funktionsweise des Kapitalismus, als auch die Auseinandersetzung mit den Transformationen kapitalistischer Gesellschaften, bleibt ohne die Einbeziehung der feministischen Kritiken zwangsläufig unvollständig.
Kapitalismus und Patriarchatzwei Seiten einer Medaille oder voneinan-der unabhängige Formen der Herrschaft?
Ich möchte im Folgenden noch eine zweite feministische Debatte kurz anreissen, die für eine Bestimmung des Verhältnisses von hierarchischen Geschlechterverhältnissen und Kapitalismus von zentraler Bedeutung war: die Patriarchatsdebatte, die hauptsächlich zu Beginn der 1980er Jahre stattfand. Ich beziehe mich hierbei vor allem auf die englischsprachige Diskussion. 7 Die Frage danach, ob die Unterdrückung, Ausbeutung und Diskriminierung von Frauen als Frauen aus der internen Logik des Kapitalismus heraus bestimmt werden kann, oder ob sie Effekte eines zwar mit dem Kapitalismus verbundenen, aber doch unabhängigen Systems männlicher Dominanz sind, ist nicht so leicht zu beantworten. Feministische Diskussionen drehten sich immer wieder um diese Fragestellung und die verschiedenen Theoretiker_innen versuchten sich dem Problem auf unterschiedliche Weise zu nähern.
Ausgangspunkt der Debatte war vor allem der Aufsatz »The unhappy marriage of marxism and feminism: towards a more progressive Union« von Heidi Hartmann. In diesem Text kritisiert Hartmann die Allianz marxistischer und feministischer Kämpfe in der Hinsicht, dass feministische Belange immer nur eine untergeordnete Rolle einnehmen. Zwar gebe es in der marxistischen Theorie vereinzelte Auseinandersetzungen mit der Stellung der Frau, jedoch werde in der Regel nicht das Verhältnis von Frauen und Männern theoretisiert, sondern nur das Verhältnis von Frauen zur Produktion. Eine Befreiung der Frauen sei in dieser Analyse nur mit einem Kampf gegen Kapital und Privateigentum zu erreichen, feministische Kämpfe werden somit unter Klassenkämpfe subsumiert. Sie kritisiert, dass die unterschiedlichen Erfahrungen und Lebenswelten, die Frauen und Männer in kapitalistischen Gesellschaften machen bzw. haben, in marxistischen Theorien nicht ausreichend theoretisiert werden. Auch in den marxistisch-feministischen Diskussionen, wie der hier bereits skizzierten Hausarbeitsdebatte, stehen marxistische Fragestellungen im
Vordergrund. So werde zwar analysiert, inwiefern das Kapital von der unbezahlten Arbeit der Frauen profitiere, die Frage danach, welche Vorteile Männer durch die zahlreichen Arbeiten der Frauen im reproduktiven Bereich genießen, werde aber nicht theoretisch bearbeitet.
Gleichzeitig kritisiert Hartmann am radikalen Feminismus, dass dieser in seinen Untersuchungen der Geschichte patriarchaler Herrschaft zeitweilig ahistorisch argumentiere und durch seinen Fokus auf Bereiche wie Psychologie das Patriarchat eher als kulturelles Phänomen fasse. 8 Im weiteren Verlauf ihres Textes versucht sie, Marxismus und radikalen Feminismus zu verbinden und eine materialistische Theorie der Geschlechterverhältnisse zu entwickeln. Sie geht davon aus, dass Patriarchat und Kapitalismus als zwei voneinander unterschiedene Systeme gesellschaftlicher Ordnung nebeneinander Bestand haben und die Unterdrückung von Frauen in bürgerlichen Gesellschaften als Effekt sowohl kapitalistischer als auch patriarchaler Herrschaft verstanden werden muss.
Patriarchat definiert sie als »set of social relations between men, which have a material base, and which, though hierarchical, establish or create interdependence and solidarity among men that enable them to dominate women.« (Hartmann 1981, S.14) Der Begriff Patriarchat umfasst also nicht länger nur Kindererziehung und psychische Strukturen von Männlichkeit und Weiblichkeit, sondern dehnt sich auf alle sozialen Strukturen aus, die männliche Dominanz ermöglichen. Als materielle Basis des Patriarchats versteht Hartmann demnach vor allem die männliche Kontrolle über weibliche Arbeitskraft und weibliche Sexualität, die unter anderem durch die Institution der Ehe abgesichert wird.
In Anschluss an das bereits weiter vorne verwendete Engels Zitat aus dem Vorwort zum Ursprung der Familie geht Hartmann davon aus, dass für eine materialistische Analyse der Gesellschaft stets zwei Formen der Produktion untersucht werden müssen. Zum Einen die Produktion von Gütern, Waren, Nahrung etc., also die ökonomische Produktion, zum Anderen die Produktion von Menschen, wobei sie hier insbesondere Wert auf die gesellschaftliche Produktion der Geschlechter, also die Prozesse, die Frauen und Männer hervorbringen, legt. Diese verschiedenen Modi der Produktion stehen stets in einem Zusammenhang, sie bestimmen wie »die Menschen einer bestimmten Geschichtsepoche und eines bestimmten Landes leben«. So kann nie ein reiner Kapitalismus oder ein reines Patriarchat bestehen, stets müssen beide Formen gesellschaftlicher Produktion in der Theorie bedacht werden, um ein umfassendes Verständnis von Gesellschaft erlangen zu können.9 Patriarchat und Kapitalismus haben sich in dieser Perspektive zwar historisch ineinander verwoben, es besteht jedoch keine notwendige Verknüpfung eines patriarchalen Modus der Produktion von Gesellschaftsmitgliedern und eines kapitalistischen Modus ökonomischer Produktion. Wie sich geschlechtliche Arbeitsteilung in bürgerlichen Gesellschaften entwickelt und durchgesetzt hat, verdeutlicht sowohl, wie sehr kapitalistische Ökonomie und Patriarchat miteinander verflochten sind, als auch wo das mögliche Konfliktpotenzial der verschiedenen Herrschaftssysteme liegt, da insbesondere bezüglich der Frage, wie weibliche Arbeitskraft eingesetzt wird, patriarchale und kapitalistische Interessen sich gegenüberstehen können. 10 In Auseinandersetzung mit Hartmanns Aufsatz versucht Iris Young ihre Kritik am »dual Systems approach« zu entwickeln. Sie kritisiert an Hartmanns Ansatz bereits die Metaphorik der Hochzeit von Marxismus und Feminismus, da diese Metapher suggeriert mensch könne einfach die besten Einsichten des Marxismus und des radikalen Feminismus vereinen bzw. zusammenfügen, wobei der Marxismus die Kategorien für die Analyse der Produktionssphäre bereit stelle und der Feminismus die Kategorien für die Analyse des Patriarchats. Wenn die marxistischen Kategorien »sex blind« seien, sollten feministische Kategorien der Theorie nicht einfach zugefügt werden, sondern der Feminismus solle die marxistische Theorie übernehmen und reformulieren. Young geht davon aus, dass Patriarchat und Kapitalismus nicht als zwei voneinander unterschiedene Systeme gedacht werden können, sondern dass sie als ein System gedacht werden müssen, das maßgeblich auf der Unterdrückung von Frauen beruht. Um den patriarchalen Kapitalismus verstehen zu können, muss die Kategorie der Arbeitsteilung zum Ausgangspunkt theoretischer Überlegungen werden und nicht der Begriff der Klasse, da Arbeitsteilung viel konkreter zu fassen ist als Klasse und mit dem Begriff der Arbeitsteilung auch die Konflikte in und zwischen Klassen theoretisiert werden können, (vgl. Young 1981, S.51) Young argumentiert, dass die erste institutionalisierte Form der Arbeitsteilung die geschlechtliche Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern war. Aus diesem Grund ermögliche der Fokus auf Arbeitsteilung zum einen die Erfassung aller Facetten männlicher Dominanz, zum anderen die Analyse der gesamten sozialen Beziehungen einer historisch spezifischen Situation. Die Idee einer Theorie, die alles erklären und erfassen kann, scheint meiner Ansicht nach nie eine gute Idee zu sein, da sie dazu neigt verschiedene Widersprüche auf einen Nenner zu bringen. Auch Youngs Ansatz ist nicht in der Lage zu erklären, warum sich eine der bestimmenden Formen von Arbeitsteilung entlang der Achse Geschlecht entwickelt hat. Begrüßenswert an diesem Ansatz bleibt jedoch, dass er die wenig fruchtbaren Spekulationen, ob Kapitalismus auch ohne hierarchische Geschlechterverhältnisse funktionieren könnte, verwirft. Auch ihr Einsatz durch eine andere theoretische Prioritätensetzung in der marxistischen Gesellschaftskritik, feministische Belange zu einem zentralen Bestandteil sowohl der Theorie als auch der Kämpfe zu machen, ist begrüßenswert, jedoch läuft der Ansatz der »one System« Theorie Gefahr, feministische Kämpfe wieder unter dem Klassenkampf zu subsumieren.
Geschlechtliche Arbeitsteilung bei ...ums Ganze!
Nachdem ich verschiedene feministische Diskussionen skizziert habe, möchte ich noch mal kurz auf den Text der Broschüre zurück kommen. In ihrem Kapitel zu »Ideologien kollektiver Identität« gibt es einen kurzen Abschnitt, indem sie auf die geschlechtliche Arbeitsteilung verweisen.
»Die kapitalistische Gesellschaft fußt auf einer konsequenten Trennung von Produktion (»am Arbeitsplatz«) und Reproduktion (»zu Flause«). Denn wesentliche Produktions- bzw. Arbeitsmittel sind für die meisten Menschen kein persönlicher oder kollektiver Besitz. Und diejenigen, die diese Mittel besitzen, arbeiten meist nicht selbst mit ihnen, sondern vernutzen daran fremde Arbeitskraft gegen einen Lohn. Mit der historischen Durchsetzung dieses Lohnarbeitsverhältnisses lösen sich zugleich traditionelle persönliche Abhängigkeitsverhältnisse auf. Die politische Steuerung der Gesellschaft wird damit zu einer eigenständigen öffentlichen Aufgaben Diese spezifische Struktur kapitalistischer Reproduktionsbeziehungen begründet eine bedeutungsvolle Trennung des Lebens in eine »öffentliche« bzw. »ökonomische« und eine »häusliche« und insofern »private« Sphäre. Entlang dieser historisch etablierten, gesellschaftlich objektiven Trennlinie entwickelte sich eine sehr grundlegende Form geschlechtlicher Arbeitsteilung, die in kapitalistischen Krisenverläufen immer wieder neu betont und variiert wurde: die Rolle des Mannes als Familienernährer, und der Frau als beseelter Flüterin von Heim und Kind. Doch beide Zuschreibungen oder »Rollen« ergeben sich erst durch ideologische Vereindeutigung tatsächlicher Verteilungskonflikte. Denn die kapitalistische Produktionsweise erzeugt zugleich eine gegenläufige Tendenz. Eine Tendenz, Geschlechterrollen in Lohnabhängigkeitsverhältnissen einzuebnen: In der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft können Frauen durch Lohnarbeit ein Maß materieller Autonomie von Mann und Familie gewinnen, das ihnen in früheren Gesellschaften verwehrt blieb. Statische, auf persönlichen Hierarchien aufbauende Reproduktionsund Familienbeziehungen mit bindenden Traditionen und Sitten wurden durch den verallgemeinerten Verwertungszwang des Kapitals aufgebrochen, und wenigstens im Prinzip in formelle, staatlich garantierte Rechtsverhältnisse transformiert. Wo sich eine Verwertungschance eröffnet, fragt das Kapital nicht lange nach dem Geschlecht.« (uG, S.71) Die Argumentation ergibt wenig Sinn. Zum Einen wird betont, dass die Trennung der Sphären Privat und Öffentlich eine spezifisch kapitalistische ist, geschlechtliche Arbeitsteilung sich also erst im Kapitalismus herausgebildet habe, dennoch wird gleichzeitig davon ausgegangen, dass die kapitalistische Entwicklung dazu führe, diese Trennung wieder aufzuheben und Frauen aus der Sphäre des Privaten zu befreien. Zum Anderen verwundert dieser Abschnitt, da er im Kapitel zu Ideologien kollektiver Identität auftaucht, indem wenige Seiten zuvor noch behauptet wird, dass Geschlecht als Ideologie kollektiver Identität vor allem die Funktion habe zu entschädigen gegenüber den alltäglichen Zwängen, denen die Menschen in bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften ausgeliefert sind.
Vor dem Hintergrund der dargestellten Debatten wird deutlich, wie wenig sich uG mit den feministischen Kritiken an marxistischen Ansätzen auseinander gesetzt haben. Dass empirisch zu beobachten ist, dass Frauen auch heute noch weniger Lohn bekommen als Männer, sie in "oberen« Positionen deutlich seltener zu finden sind und auch heute noch reproduktive Arbeiten und Kindererziehung weitestgehend in Frauenhand sind, scheinen uG in ihren theoretischen Überlegungen keinerlei Bedeutung zuzugestehen.
Existenzbedingungen und Funktionen desStaates im ...ums Ganze! Universum vs.Feministische Staatskritik
Kommen wir jetzt einmal zur Bestimmung des Staates, der ja wie gesagt eigentlich im Zentrum der Broschüre steht. UG verfolgen hierbei eine rein funktionale Argumentation. Sie schreiben: »Eine dauerhafte Verwertung des privaten Reichtums als Kapital kann nur in einem gesellschaftlichen System des dreien Warentauschs< gelingen, des ausschließlich ökonomischen Widerstreits der Individuen und Unternehmen. Es bedarf also einer Instanz, die außerhalb der kapitalistischen Konkurrenz steht, und die die Voraussetzungen dieser Konkurrenz schützt und zwar gegen betrügerische und gewalttätige Vorgehensweisen, die durch die kapitalistische Konkurrenz selbst motiviert werden. Diese Instanz ist der bürgerliche Staat als Hüter des Rechts. Um Recht und Gesetz durchsetzen zu können, beansprucht er das Gewaltmonopol - das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit gegenüber allen Menschen und ökonomischen bzw. institutionellen Akteuren auf seinem Territorium. [,..]Eine funktionierende kapitalistische Reproduktionsweise als ganze setzt jedoch voraus, dass der ökonomische Verdrängungswettbewerb insgesamt als freie Konkurrenz nach allgemeinen Regeln ausgetragen wird. Der ökonomische Antagonismus vollzieht sich also in der Form des Vertrags zwischen formal freien und gleichen Rechtssubjekten, die sich gegenseitig als Privateigentümer anerkennen. Jedes legale Geschäft fußt auf einem solchen Vertrag. Und diesen Vertrag garantiert der bürgerliche Staat kraft seiner hoheitlichen Monopolgewalt durch ein allgemeines Recht.« (uG, S. 21) Ich möchte jetzt gar nicht diesen Abschnitt mit allen Kritiken, die aus der Perspektive einer materialistischen Staatstheorie formuliert werden könnten, konfrontieren, jedoch will ich auf zwei Punkte hinweisen, die die feministische Staatskritik herausgearbeitet hat. Auch wenn die Auseinandersetzung mit Staat oder Staatlichkeit eher an den Rändern der feministischen Theoriebildung stattfindet, so ist eine Betrachtung der Analysen und Theoretisierungen von Staatlichkeit aus feministischer Perspektive für eine linke Kritik und Praxis unverzichtbar, wenn sie sich die Emanzipation von sämtlichen Herrschafts- und Zwangsverhältnissen auf die Fahnen geschrieben hat. Indem der Begriff der Konkurrenz auch hier in den Mittelpunkt gestellt wird, kann die Frage danach, wie der Staat das hierarchische Geschlechterverhältnis produziert und reproduziert, gar nicht erst gestellt werden. Wie auch in den üblichen Staatstheorien wird bei uG das strukturell männliche Konzept der Staatsbürgerschaft universalisiert, Erfahrungen von Frauen werden systematisch ausgeblendet. Da in ihren theoretischen Ausführungen zum Staat die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit, die für den Liberalismus von zentraler Bedeutung ist, nicht einmal vorkommt, kann hier auch nicht eine feministische Perspektive additiv noch hinzugefügt werden.
Feministische Arbeiten zum Staat haben gezeigt, dass bereits die Begriffe des Gesellschaftsvertrags und des Gewaltmonopols in Frage zu stellen sind. Eine Aufgabe feministischer Kritik ist, die vermeintliche Geschlechtslosigkeit der Begriffe zu hinterfragen und die geschlechtsspezifischen Implikationen, die bereits in diesen Begriffen enthalten sind, zu offenbaren. Der Begriff des Gesellschaftsvertrags kommt zwar im Text der Broschüre nicht vor, die Beschreibung dessen, wie sich Konkurrenz ohne staatliche Intervention äußern würde, erinnert aber sehr stark an das Flobbes'sche Modell des Naturzustandes der Menschen.
Denn das Streben der Menschen geht nach ...umsGanze! »notwendig darauf, den ökonomischen Gegner nieder zu konkurrieren, und dazu alle verfügbaren Mittel zu mobilisieren. Dieser Logik des kapitalistischen Verdrängungswettbewerbs entsprechend, würden sie gegenüber ihren ökonomischen Widersachern auch auf Mittel zurückgreifen, die die Konkurrenzordnung insgesamt zerstören würden: Gewalt, Täuschung, Diebstahl, Erpressung, Sabotage, üble Nachrede etc. Solche Verfahrensweisen können aber keine Regeln des Kapitalismus als gesellschaftlicher Reproduktionsordnung sein.« (ug, S.21) Auch wenn der Begriff Gesellschaftsvertrag nicht benutzt wird, scheint er den theoretischen Überlegungen also implizit, was eine Auseinandersetzung mit ihm an dieser Stelle wichtig macht.
Die Idee des Gesellschaftsvertrags als Legitimation der herrschenden Ordnung beansprucht zwar universell zu sein, bei genauerer Auseinandersetzung mit den liberalen Theorien wird jedoch deutlich, dass dem Gesellschaftsvertrag schon immer ein Geschlechtervertrag zu Grunde lag. Der Gesellschaftsvertrag entpuppt sich als Vertrag unter Männern, der Frauen aus der Sphäre der Öffentlichkeit ausschließt. In allen bürgerlich- kapitalistischen Ländern mussten sich Frauen erst das Wahlrecht erkämpfen. Dies beweist, dass Frauen nicht schon immer Staatsbürgerinnen waren, sondern lange Zeit aus dem Begriff des Staatsbürgertums ausgeschlossen wurden.
Auch der Begriff des Gewaltmonopols zeigt sich in feministischer Perspektive als äußerst problematisch. Denn »das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit gegenüber allen Menschen« (UG, S.21) scheint der Staat gar nicht zu beanspruchen, wenn das Geschlechterverhältnis mitgedacht wird. An diesem Punkt ist es wichtig sich die Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit genauer anzugucken. Während der Staat auf der einen Seite, der Sphäre der Öffentlichkeit, Gewalt monopolisiert, wird in der Sphäre der Privatheit die Gewalt dezentralisiert, auf das männliche Familienoberhaupt übertragen, (vgl. Sauer 2003, S.6) Mechthild Rumpf spricht deshalb auch vom "Mythos des staatlichen Gewaltmonopols«.
»Der Unterwerfung der männlichen Subjekte unter eine souveräne staatliche Macht korrespondiert die Absicherung männlicher Souveränität in der häuslichen Sphäre.« (Rumpf 1995, S. 235) Um diese These des halbierten Gewaltmonopols zu begründen genügt wieder ein Blick auf das Recht. Besonders gut verdeutlicht werden kann die These mit Blick auf die Rechtsprechung bei sexueller Gewalt in der Familie. Bis 1997 war es Frauen nicht möglich eine Vergewaltigung in der Ehe anzuzeigen.
Der zitierte Abschnitt von uG verdeutlicht, dass sie ihrem eigenen Anspruch »eine Kritik der Basiskategorien, in denen sich die bürgerliche Gesellschaft im Alltagsbewusstsein darstellt« zu formulieren, keineswegs entsprechen und wie problematisch eine fehlende Auseinandersetzung mit Begriffen sein kann. Wird der Abschnitt in einer feministischen Perspektive interpretiert, zeigt sich mal wieder, dass Menschen hier nur Männer sein können. Eine herrschaftskritische Perspektive, die wirklich die Überwindung von Staat und Kapital zum Ziel hat, kann sich eine derart verkürzte Kritik kaum leisten. Schließlich möchte ich nicht für eine Welt kämpfen, in der sich nur die Ausbeutung von und Herrschaft über einen Teil aller Menschen erledigt hat.
Mello
//_noten
#l#So wird zum Beispiel in Engels "Ursprung der Familie" die Unterdrückung von Frauen lediglich in der bürgerlichen Familie verortet. Als Ursache für die Unterdrückung von Frauen in der bürgerlichen Familie macht er vor allem das Privateigentum aus. Das männliche Familienoberhaupt kontrolliere die weibliche Sexualität bzw. Gebährfähigkeit, um sicherzustellen, dass das Eigentum vererbt werden kann. Da proletarische Familien kein Privateigentum besitzen, wurde davon ausgegangen, dass Frauen in proletarischen Familien nicht unterdrückt seien, (vgl. auch Beer 1984, S.84)
#2#In der Broschüre wird sichtbar, was passiert, wenn die theoretische Annahme von Geschlecht als ideologischer Fiktion aus ihrem feministischen Theoriekontext entwendet wird und ohne eine Auseinandersetzung mit den Begriffen und der Bedeutung des Ansatzes in andere Ansätze hereingebastelt wird.
#3#Leider ist der Bezug auf Engels problematisch. Im weiteren Verlauf des Ursprungs der Familie wird deutlich, dass er geschlechtliche Arbeitsteilung als natürliche Arbeitsteilung wahmimmt. (vgl. Beer 1984, S.32f)
#4# In ihrem Beitrag zur Sommeruniversität für Frauen 1976 arbeiteten Gisela Bock und Barbara Duden heraus, dass sich erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Modell der bürgerlichen Kleinfamilie hegemonial durchgesetzt hat. Es stellte sich heraus, dass die strikte Trennung von Produktions- und Reproduktionssphäre sich in einem längeren Prozess gewaltsam auf Kosten der Frauen durchgesetzt hat.
#5# Rosa Luxemburg schreibt im Kontext ihrer Imperialismustheorie, dass der Kapitalismus "zu seiner Existenz und Fortentwicklung nichtkapitalistische Produktionsformen als Umgebung" braucht, er also darauf angewiesen sei, sich Gebiete einzuverleiben, die nicht kapitalistisch organisiert sind. (vgl. Luxemburg 1981, S. 316f)
#6#Der Bielefelder Ansatz hat selbstverständlich diverse Schwachstellen, insbesondere im positiven Bezug auf das "weibliche Arbeitsvermögen". Auch dem Begriff der "Hausfrauisierung" stehe ich eher skeptisch gegenüber, das was mit ihm in den Blick genommen werden soll, kann sicherlich mit besseren Begriffen erfasst werden. Interessant ist jedoch, dass der Ansatz Anschlusspunkte für weitere Theorien zum Wandel und zur Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen bietet.
#7#Hier ist vor allem das Buch "Women and Revolution. A Discussion of the unhappy marriage of marxism and feminism." von Lydia Sargent zentral, dass die feministische Diskussion um das Verhältnis von Marxismus und Feminismus dokumentiert.
#8#Einige feministische Arbeiten naturalisieren heute empirisch zu beobachtende Charaktermerkmale der Geschlechter und machen sie damit zu ahistorischen Konstanten der menschlichen Entwicklung. Männliche Dominanz wird in diesen Arbeiten zu dem bestimmenden Moment historischer Entwicklung.
#9#So kann man vom patriarchalen Feudalismus oder von patriarchalen Kapitalismus ... sprechen.
#10#Hartmann belegt diese These in einer Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Norm des Familienlohns. Sie zeigt auf, dass Frauen aus gewerkschaftlicher Organisierung ausgeschlossen waren und dass die Kämpfe für den Familienlohn und für Gesetze, zum Schutz von Frauen und Kindern, von männlichen Arbeitern vorangetrieben wurden, da die Lohnarbeit von Frauen zu einer Destabilisierung klassischer Familienbeziehungen führte, (vgl. Hartmann 1981, S. 26ff) Selbstverständlich sind insbesondere im Bereich der Erwerbstätigkeiten von Frauen gravierende Änderungen eingetreten seit dem 19. Jahrhundert. Die geschlechtliche Arbeitsteilung hat sich durch diese Änderungen allerdings nicht einfach erledigt. Der Begriff soll nämlich nicht nur auf die Trennung von Produktions- und Reproduktionssphäre verweisen, sondern zeigt auch inwiefern sich diese Arbeitsteilung auf dem Arbeitsmarkt manifestiert. So gibt es bis heute Jobs, die als Frauenjobs gelten und auch hauptsächlich von Frauen ausgeübt werden, z.B. Pflegeberufe, Kindererziehung etc.. Frauenjobs sind auch heute noch schlecht bezahlt und genießen wenig Prestige.
#ll#Besonders wichtig war hier das 1988 erschienene Buch "The Sexual Contract" von Carole Pateman. In Auseinandersetzung mit den klassischen Theorien des Gesellschaftsvertrags von Hobbes und Locke bis Rousseau arbeitet Pateman heraus, dass Frauen nicht als Freie und Gleiche, also als Vertragsparteien mitgedacht werden, sondern dass sie nur als Betroffene des Vertrags Vorkommen. Der Gesellschaftsvertrag fußt auf einer Unterwerfung der Frauen im Bereich der Familie bzw. des Privaten bei gleichzeitiger Ausschließung von Frauen aus der Öffentlichkeit.
#12# In Deutschland können Frauen seit 1919 wählen, in Belgien, Frankreich und Italien erhalten Frauen erst in den 40ern volles Wahlrecht, in der Schweiz sogar erst 1971.
//_txt Beer, Ursula 1984: Theorien geschlechtlicher Arbeitsteilung. Frankfurt am Main, New York
Bock, Gisela/ Duden, Barbara 1977: Arbeit aus Liebe - Liebe als Arbeit. Zur Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus. In: Gruppe Berliner Dozentinnen (Hg) 1977: Frauen und Wissenschaft. Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen. Juni 1976. Berlin
Dalla Costa, Mariarosa 1973: Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, www.klassenlos.tk/data/pdf/dalla_costa.pdf
Hartmann, Heidi 1981: The unhappy marriage of Marxism and feminism: towards a more progressive union. In: Sargent, Lydia 1981: Women and Revolution. A discussion of the unhappy marriage of Marxism and feminism. Boston
Luxemburg, Rosa 1981: Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus. In: Gesammelte Werke Band 5. Berlin
MEW 21: Engels, Friedrich 1975 (1892): Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. Marx-Engels-Werke Bd. 21, Berlin
Mies, Maria 2001: Hausfrauisierung, Globalisierung, Subsistenzperspektive. In: Knapp, Gudrun Axeli/ Wetterer, Angelika (Hg): Gesellschaftstheorie und feministische Kritik. Münster
Pateman, Carol 1988: The sexual contract. Cambridge
Rumpf, Mechthild 1995: Staatsgewalt, Nationalismus und Krieg. Ihre Bedeutung für das Geschlechterverhältnis. In: Kreisky/ Sauer (Hg) 1995: Feministische Standpunkte in der Politikwissenschaft. Frankfurt am Main/New York
Sargent, Lydia (Hg) 1981: Women and Revolution. A discussion of the unhappy marriage of Marxism and feminism. Boston
Sauer, Birgit 2003: Staat, Demokratie und Geschlecht - aktuelle Debatten. www.gender- politik-online.de; http://web.fuberlin.de/gpo/pdf/birgit_sauer/birgit_sauer.pdf
Young, Iris 1981: Beyond the unhappy marriage: a critique of the dual Systems theory. In Sargent, Lydia: Women and Revolution