editorial
Im vergangenen Jahr erschien der erste Teil der .. .umsGanze!- Broschüre mit dem Titel »Staat, >Weltmarkt< und die Herrschaft der falschen Freiheit - Zur Kritik des kapitalistischen Normalvollzugs«. Das ...umsGanze!- Bündnis ( uG ) besteht aus einigen Antifa-Gruppierungen aus Köln, Hannover, Bochum, Berlin, Göttingen und Frankfurt und wurde nach eigenen Angaben gegründet »um linksradikale Gesellschaftskritik überregional zu organisieren und handlungsfähig zu machen. « (uG, 7) Es erscheint zunächst sinnvoll, wenn die oft eher als praxisorientiert wahrnehmbaren Politikformen der Antifa-Gruppen um theoretische und damit womöglich reflektierende Auseinandersetzungen bereichert werden. Die Broschüre des «G-Bündnisses ist der Versuch einer solchen theoretischen Auseinandersetzung. Wie die Texte des Ak Grand Hotel Abgrund in dieser Ausgabe zu zeigen versuchen ist das vorläufige Ergebnis - zwei weitere Broschüren sollen der ersten folgen - schlecht. Denn unbeachtet aller Kapitalismuskritik der vergangenen Dekaden fungiert alleine der Begriff der kapitalistischen Konkurrenz in der «G-Broschüre als das Element in dem alle Probleme und Antagonismen zusammenfallen. Folglich hängt die Beseitigung aller Probleme auch alleine von der Beseitigung des kapitalistischen Konkurrenzverhältnisses ab.
Die Angst einer unreflektierten Übernahme der monokausalisierten und simplifizierten Kapitalismuskritik von uG durch andere Gruppen oder Personen, erscheint angesichts der unbefriedigenden und streckenweise anstrengenden Lektüre unbegründet. Weil aber letztlich doch viele Veranstaltungen und Demonstrationen in den letzten Jahren von uG organisiert und veranstaltet wurden, lag der Redaktion des diskus sehr daran dem AK Grand Hotel Abgrund den Raum zu geben die Broschüre aus verschiedenen Perspektiven zu kritisieren Es kann hilfreich sein zu erkennen an welchen Stellen schon in der Konzeption des wG-Bündnisses Fehler gemacht wurden, wenn zum Vergleich ein ähnliches Projekt der vergangen Jahre herangezogen wird. Ein ähnliches Projekt wäre das schon im Jahr zweitausendundsieben zunächst in Frankreich veröffentlichte Buch »LTnsurrection qui vient« des anonymen Comite invisible. Dieses Buch hat ebenfalls revolutionäre Theorie und Praxis im Fokus. Zwar ist der Vergleich mit dem Buch »LTnsurrection qui vient« sicherlich zu viel Ruhm für »Staat, >Weltmarkt< und die Herrschaft der falschen Freiheit« aber auf dieser Folie lassen sich schnell zwei elementare Unterschiede identifizieren die folgenreich sind: Erstens ist die Form der Gegenwartsanalyse bei beiden Manifesten grundlegend unterschiedlich, zweitens hat das einen grundliegend unterschiedlichen Umgang mit Identität in beiden Manifesten zur Folge.
»L'Insurrection qui vient« erschien vergangenes Jahr in englischer Übersetzung mit dem Titel »The Corning insurrection« in MIT Press und hat seitdem ungewöhnlich viel Aufsehen erlangt. Nicht nur, dass das Buch sich nach Erscheinen rasch verkauft hatte (30 000 Exemplare in der ersten Woche), es wurde aus dem französischen bereits in mehrere Sprachen übersetzt und der konservative Fernsehmoderator Glenn Beck, hat im Fernsehsender Fox, der Broschüre ganze zehn Minuten seiner Sendung gewidmet (was unterhaltsam auf Youtube dokumentiert ist). Diese Aufmerksamkeit ist der «G-Broschüre bislang vorenthalten. Das liegt sicherlich auch in den beiden oben genannten elementaren unterschiedlichen Formen der Gegenwartsanalyse und dem Umgang mit Identität beider Broschüren begründet.
Die Gegenwart- eine schöne Scheiße
Beide Manifeste widmen sich erwartungsgemäß der Gegenwart, dies jedoch mit unterschiedlichen Ansätzen. Während das anonyme Comite invisible in der Gegenwartsbeschreibung auf zynisch-optimistische Weise den Zusammenbruch des Kapitalismus bevorstehen sieht, liefert das wG-Bündnis eine erneute Erklärung wie der gegenwärtige Kapitalismus funktioniert und weshalb er ihrer Ansicht nach funktioniert Im Abriss wird in »LTnsurrection qui vient« dem derzeitigen Kapitalismus eine fatale Krise attestiert. Es wird dabei weniger Wert darauf gelegt, warum es bestimmte Probleme gibt sondern vielmehr darauf zu zeigen, dass diese nicht mehr zu lösen sind. Beispielsweise wird darauf hingewiesen das sich soziale Auseinandersetzungen immer seltener pazifizieren lassen. (Was wohl auch auf den Eindruck der Aufstände in den französischen Banlieues in 2006 zurückzuführen ist). Die gegenwärtigen ökologischen und ökonomischen Krisen erschweren ein anhaltendes Vertrauen in das kapitalistische System weil deren kleiner werdenden Zyklen uns kaum noch den Atem lassen. Die Zeiten des sicheren Wachstums sind vorüber. Außerdem werden die postfordistischen Arbeitsverhältnisse und die Kommunikationsverfahren angeprangert und indas Licht eines Endzeit-Stadiums gerückt.
Es braucht, selbst wenn Mensch optimistischer Auffassung gegenüber der Entwicklung des Kapitalismus ist, in dieser Zeit nicht viele Anstrengungen um die pessimistische Grundtendenz des Comite invisible zu mindestens nachzuvollziehen. Schließlich hat der Begriff >Krise< in den Jahren nach dem Erscheinen im Verlag La Fabrique in Frankreich 2007 im öffentlichen Diskurs mehr und mehr an Gewicht gewonnen. Ob nun die Polizei weniger in der Lage ist der Situation auf den Straßen Herr zu werden sei dahin gestellt, aber die Verschärfung der Krisen und die großen Schwierigkeiten der handelnden Akteur_innen diese zu erklären, geschweige denn zu vermitteln, dass diese unter Kontrolle sind, lässt sich nur schwer leugnen. Die Konzeption in den ersten sieben Bezirken, wie die Kapitel hier benannt werden, eine nahezu apokalyptische Gegenwart zu zeichnen ist also nicht nur unbegründet. Außerdem verzichtet die anonyme Gruppe darauf, theoretische Apparaturen oder Modelle zu entwickeln, die ein identitäres oder zu mindestens theorietraditionelles Einverständnis verlangen.
Anders liegt der Fall bei der «G-Broschüre. uG versucht in zwanzig Kapiteln auf etwa hundert Seiten verschiedene, als problematisch identifizierte Aspekte des Kapitalismus zu benennen und zu erklären. Es werden dabei weder aktuelle theoretische und wissenschaftliche Diskurse auf gegriffen, noch wird auf vergangene Debatten Bezug genommen. Die kapitalistische Gesellschaft wird sozusagen neu beschrieben. Dementsprechend würde zunächst auch hier zutreffen, dass es keiner Identifizierung mit einer bestimmten Theorie-Tradition bedarf um mit der Erklärung des Kapitalismus von uG d'accord zu gehen. Anders als beim Comite invisible wird aber bei der Gegenwartsanalyse weniger Wert auf die Darstellung der Unlösbarkeit bestimmter Probleme gelegt als versucht, die eine wahre Ursache für alle bestimmten Probleme zu penetrieren.
So liegt allen Betrachtungen und Bewertungen der Broschüre stets eine Generalthese zu Grunde. Diese These wird schon auf der ersten Seite des Textes angeführt: die Ursache allen Übels und aller Probleme der gegenwärtigen Gesellschaftform sei die kapitalistische Konkurrenz. Die einzelnen Kapitel des Buches kommen kaum ohne den Begriff der Konkurrenz aus. Das führt beispielsweise dazu, dass auch das notwendig falsche Bewusstsein von kollektiven Identitäten bei uG dieser Konkurrenz geschuldet ist. Es bleibt hierbei stets unbeachtet ob diverse Theoretiker_innen, vom dt. Idealismus bis hin zur Postmoderne, für die Konstruktion von Identitäten andere Ursachen identifizierten, denn Grundlagen der Gesellschaftswissenschaften werden nicht aufgegriffen und nicht genannt. Weil aber ständig irgendeine neue Wahrheit in der Broschüre erklärt wird, ist der Verzicht auf Theorie weniger erfrischend als zermürbend. Die eingereichten Erklärungen sind an vielen Stellen, wie der AK GrandHotel Abgrund im diskus zeigen wird, unbefriedigend.
Please join me baby!
Die ausgegebenen Thesen werden auch nicht mit Widersprüchen oder widerlegten Gegenpositionen konfrontiert. Das hat zur Folge, dass die Sätze und Aussagen nicht rückgebunden werden an nachvollziehbare Strukturen sondern stets erklärend vorangeschritten wird. Die ungewöhnliche Dichte an diesen nicht diskutierten Thesen kann das Gefühl erwecken von dem Text überrannt zu werden, denn das hohe Tempo mit dem die Thesen ohne jegliche Gegenthese an einem vorbeisausen hat zur Folge dass die Aufmerksamkeitsspanne sinkt. Die Broschüre kommt damit als eine Sammlung an unhintergehbaren Wahrheiten daher und wirkt nicht als Diskussionsangebot, wie im Vorwort suggeriert wird, sondern vielmehr als aggressives Pamphlet.
Deswegen ist mit der Generalthese aus dem Vorwort auch prinzipiell schon vorgegeben worauf sich, der Ansicht von uG nach, linke Theorie und Praxis in Zukunft konzentrieren muss, wenn sie nicht wie bisher »die Konflikte und Verzweiflung, die die kapitalistische Konkurrenz fortwährend produziert« verschieben möchte. Emanzipation geht bei uG also ausschließlich über die Abschaffung des kapitalistischen Konkurrenzverhältnisses.
Es gilt festzuhalten, dass die Ansätze beider Projekte sich wesentlich unterscheiden. Während uG versucht zu erklären, warum bestimmte Probleme im derzeitigen Kapitalismus gibt (alles Konkurrenz), versucht das Comite invisible zu beschreiben, wie diese Probleme zu bewerten sind und wie sie sich darstellen (Sie stellen sich als unlösbar dar).
Mit der bei uG in der Konzeption der Broschüre angelegten Klärung des Warum wurde sich selber ein Problem auferlegt, dass nur schwer zu lösen ist. Denn letztlich kann der Versuch einer Erhellung auf so wenigen Seiten nur scheitern. Dabei ist weiterhin fraglich, ob tatsächlich eine Grundlage geschaffen wurde, um gemeinsam linksradikale Politik überregional organisieren und durchführen zu können, wie es im Vorwort heißt. Denn vor dem Hintergrund einer so ausschließenden Grundlage (alles Konkurrenz) lassen sich nur schwerlich Bündnispartner_innen finden.
Denn politische Arbeit, die zu anderen Ergebnissen kommt und pragmatisch Politik betreibt, die nicht auf das »Ganze« zielt, wird von uG schlichtweg beschimpft: »In herrschaftskritischer Perspektive sind meist sämtliche Alternativen pragmatischer Politik gleichermaßen falsch. Pragmatismus und Dummheit gehen in der bürgerlichen Welt ineinander über.« (uG, 7) Das trifft nicht nur unsere Arbeit sondern es werden sämtliche soziale Bewegungen die unter großen Anstrengungen und gegen harte Widerstände mit mehr oder weniger Erfolg für einen angenehmeren Lebensalltag innerhalb des bestehenden kämpften, desavouiert. Die Ergebnisse dieser Kämpfe, also ein Mehr an Freiheiten innerhalb des gesellschaftlichen Lebens der Akteur_innen, werden, der These von uG konsequent folgend, dann auch nicht als Erfolge der »pragmatischen« Bewegungen verstanden. Diese Errungenschaften gelten uG durchweg als Epiphänomene der alles umfassenden kapitalistischen Logik. In Bezug auf die Handlungen konkreter Akteurinnen in der emanzipatorischen Frauenbewegungen bedeutet diese These dann folgendes: »Statische, auf persönlichen Hierarchien aufbauende Reproduktions- und Familienbeziehungen mit bindenden Traditionen und Sitten wurden durch den verallgemeinerten Verwertungszwang des Kapitals aufgebrochen, und wenigstens im Prinzip in formelle, staatlich garantierte Rechtsverhältnisse transformiert. Wo sich eine Verwertungschance eröffnet, fragt das Kapital nicht lange nach dem Geschlecht« Es war demnach der kapitalistische Automatismus und weniger das pragmatische gesellschaftliche Engagement einzelner Akteurinnen, die hier eine gesellschaftliche Teilhabe ermöglichten. Damit fällt die konkrete politische Praxis in die Sphäre der Epiphänomene und wird obsolet. Würde dies zutreffen, hätte uG auch recht damit wenn sie Pragmatismus mit Dummheit identifizieren.
Wer sich also vor der Gretchenfrage, entweder irgendwie das Konkurrenzverhältnis abzuschaffen oder Dummheiten zu betreiben, drücken möchte kann eigentlich nicht dem Bündnis Gefolge leisten wollen, auch wenn in zwei weiteren Pamphleten in Zukunft noch mehr erklärt werden wird. Damit wird also trotz des fehlenden theoretischen Apparats, ein identitäres und theoretisches Einverständnis verlangt, auf dessen Grundlage dann erst »linksradikale Politik überregional [...JHandlungsfähig« (uG, 7) gemacht werden soll.
Da macht es sich das Comite invisible wesentlich einfacher. Weil dort wie oben kurz erläutert lediglich die andauernde Krise attestiert wird, braucht sich das revolutionäre Subjekt nicht mit einer bestimmten Konkurrenz-Theorie oder einer bestimmten Generalthese zu identifizieren. Es braucht lediglich unabhängig von Partei und Gruppierung zu sabotieren, blockieren und destabilisieren. Und diese revolutionäre Intervention wird beim Comite invisible dem revolutionären Subjekt sehr leicht gemacht. Hierin liegt ein weiterer Aspekt der wohl das große Aufsehen von »L'Insurrection qui vient« erklärt. Es wird nach den ersten sieben Bezirken in denen die Krise in allen Sphären der Welt identifiziert wird so etwas wie eine Anleitung zur Revolution vorgelegt. Sowohl die Sabotage der Verkehrsknoten als auch die Vorbereitung auf die bevorstehenden Ausnahmesituationen mittels Wissen um die autonome kommunale Organisation von Suppenküchen werden bei dieser Anleitung berücksichtigt. Demgegenüber fällt dann auch ganz geschwind auf, dass es uG bei all der (fehlenden)Theorie letztlich versäumt zu erklären wie das kapitalistische Konkurrenzverhältnis jetzt denn genau abgeschafft werden soll. Es geht eben nur nicht mit Pragmatik, irgendwie dann aber auch nicht mit pragmatischer Sabotage.
diskus red