Antifaschistischer Revolutionismus.
Die folgenden Bemühungen gehen von dem Phänomen aus, dass die bei ...ums Ganze! (uG) organisierten Gruppierungen zwar weitgehend aus dem Spektrum des autonomen Antifaschismus hervorgegangen sind, dieser jedoch in Theorie und Praxis dieses Bündnisses nur mehr eine untergeordnete Rolle spielt. Statt sich als Kommunist_in in einer Zeit nach dem Scheitern der sozialen Revolutionen, nach der Shoah und nach dem Zusammenbruch des Ostblocks grob gesagt mehr oder weniger damit zu begnügen, die Demokratie gegen den Faschismus zu verteidigen, wird von der >Postantifa< seit wenigen Jahren wieder ein Bewegungskonzept vertreten, dass trotz alledem >aufs Ganze< zu gehen beansprucht. Abgewandt wurde sich dabei zuallererst von der Subjektkritik, was, wie zu zeigen sein wird, ernste Konsequenzen für die von uG vertretene Gesellschaftskritik insgesamt hat. Es ist eine Abwendung, die konsequent zu Gunsten der gesellschaftlichen Verhältnisse vollzogen wird, wodurch die Kritik an der »falschen Freiheit« auf die Negation einer jeden Möglichkeit von Kausalität durch Freiheit hinaus läuft. Dass dennoch im Schlusskapitel der Broschüre eine unverkennbar kantische Melodie angestimmt wird, rundet den antiaufklärerischen Charakter der Broschüre nur ab. Missliebige Widersprüche empirischer Art, die der propagierten Bewegungspolitik im Weg stehen, werden mittels eines im Baukastensystem willkürlich zusammen gepuzzelten Theoriekonstruktes einfach umgangen; wenn dabei offensichtlicher Unsinn heraus kommt, wird mit Koketterie nachgewürzt. Die nach dieser Methode ausbuchstabierte Kritik an den deutschen Zuständen, mündet in einer selbstbewusst als Fackel der Aufklärung vor sich hergetragenen Schlussstrichtheorie.
Die Deutschen als Antifas - wie soll man da noch Praxis machen?
Der Versuch einer Bestimmung von revolutionärem Antifaschismus als eigenständiges Konzept linksradikaler Praxis ist nicht neu. Bereits in der aus den späten Neunzigern stammenden Grundsatzbroschüre DasKonzept Antifa der Antifaschistischen Aktion Berlin war die Parole »Antifa ist der Kampf ums Ganze« Programm: »Konsequenter Antifaschismus begreift [...] den Kampf gegen den Faschismus auch als Kampf gegen die gesellschaftlichen Bedingungen, aus denen heraus die Bereitschaft der Menschen entsteht, faschistische Denkmuster anzunehmen [...]. Konsequenter Antifaschismus hat deshalb eine revolutionäre, antikapitalistische Ausrichtung.« (Antifaschistische Aktion Berlin, 6f) Das Miteinbeziehen einer retrospektiven Analyse und Kritik jener gesellschaftlichen Verhältnisse, die Nationalsozialismus und Faschismus hervor brachten und die fortbestehen, war und ist eine >konsequente< Weiterführung des Notwehrkonzeptes der Antifaschisti-schen Aktion aus der Spätphase der Weimarer Republik.
Neben der Untersuchung von objektiven Bedingungen impliziert eine solche Analyse auch die Berücksichtigung einer subjektzentrierten Perspektive. Denn die Bereitschaft der Menschern für faschistische und antisemitische Propaganda (u.a.) liegt nicht in der Ideologie begründet, sondern in der Regressivität des Individuums, das auf die Ideologie abfährt, obwohl es diese doch rational als solche durchschauen könnte. Nur deshalb funktioniert der gegenwärtig von uG kritisierte Nationalismus als zentrales Konstrukt jenes Populismus, mittels dessen das Klasseninteresse des Kapitals weitgehend unwidersprochen Gemeinnützigkeit beanspruchen kann und auf diese Weise die in der Krise verstärkt aufscheinenden sozialen Gegensätze verschleiert werden. Ideologiekritik, die sich gegen diese falsche Identität von Subjekt und Objekt wendet, muss daher immer auch die affektive Besetzung von Ideologie, die Vermitteltheit von Heteronomie und Autonomie im Handeln der Individuen, mitreflektieren. Der Ökonomie kommt aus dieser Perspektive eine gewichtige Rolle zu, weil der Unterwerfung unters Tauschprinzip instrumentelle Beziehungen entsprechen, die als Denken in Kollektiven und Ressentiments gelingende Intersubjektivität der Tendenz nach verunmöglichen. Theodor W. Adorno fasst diesen Missstand unter dem Begriff der »Kälte, des Grundprinzips der bürgerlichen Subjektivität, ohne das Auschwitz nicht möglich gewesen wäre« (Adorno 1966b, 356). Nicht die Affekte an sich sind demnach das Problem, sondern dass sie sich ans Falsche, an Ideologien heften, die von den konkreten Emotionen abstrahieren. Nichts wäre hinsichtlich Auschwitz angemessener, als offene Empörung und Parteilichkeit für die Opfer - doch gerade daran krankt die deutsche >Geschichtsaufarbeitung<.
Dass die Deutschen sich dennoch seit einem guten Jahrzehnt als antifaschistisch geläuterte Aufarbeitungsweltmeister_innen inszenieren ist ein Problem, an dem das Weltbild der Autonomen scheiterte. Ansinnen der Autonomen war es, das Dasein des unter das Kapitalverhältnis subsumierten narzisstischen Sozialcharakters zu durchbrechen, indem dem Leben als entindivualisierte Arbeitsdrohne die Entwicklung eigener Konzepte von Alltag entgegengesetzt wurde. In diesem, dem narzisstischen Sozialcharakter diametral entgegengesetzten Selbstverständnis, musste die Fähigkeit zur Introspektion mittels Bekenntnis zur autonomen Gesinnung als absolut gesetzt werden. Eine von der Illusion möglicher, reiner Autonomie lebende positive Identität. Immerhin wurde durch diesen praktischen Kultus des Individuums das utopische Moment von Unmittelbarkeit und Selbstbestimmung als Idee bewahrt, es, einem verzweifelten Rettungsversuch gleich, nicht einfach aus der Verantwortlichkeit für sein Handeln entlassen. Mindestens intuitiv hatte man begriffen, dass es trotz aller konstatierbaren Entsubjektivierungstendenz in der Gesellschaft gilt, nur umso verzweifelter an der Fähigkeit des Individuums zu Kritik und Utopie festzuhalten - wie verkümmert diese auch sein mag. »Die einzig wahrhafte Kraft gegen das Prinzip Auschwitz wäre Autonomie, wenn ich den Kantischen Ausdruck verwenden darf; die Kraft zur Reflexion, zur Selbstbestimmung, zum Nicht-Mitmachen« (Adorno, 1966a, 93). Dass der »bürgerlichen Kälte< entsprechend ein autonomes Konzept von Solidarität entgegengesetzt wurde, in dessen Zentrum der Alltag als explizit politisch verhandelt wurde, hatte so besehen durchaus aufklärerischen Charakter. Bei aller gebotenen Kritik an konkreten Positionen und Ausformungen der von den Autonomen betriebenen Politik können die im Zuge einer kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen, konkreten Lebensbedingungen entwickelten sozialen Experimente durchaus als ein progressiver und für diese Bewegung auch wesentlicher Charakterzug begriffen werden.
Dennoch ist es rückblickend nicht überraschend, dass der nach dem Anschlag auf die Düsseldorfer Synagoge im Oktober 2000 vom Kanzler ausgerufene »Aufstand der Anständigen« die letzten historischen Ausläufer der verschworenen Gemeinschaft traditionsautonomer Antifaschist_innen auf Jahre hin nachhaltig verunsicherte. Jene Teile der Autonomen, die ihre Identität wesentlich in Abgrenzung zum Bürgertum mit seiner »falschen Freiheit< begründeten, sahen sich nun von einer ordentlichen und anständigen Bürgerwehr gegen den Faschismus ihres wichtigsten Betätigungs- und Selbstbestätigungsfeldes beraubt. Wie ist damit umzugehen, dass jener, einer totalitaristischen Denke verpflichtete »Bürger» plötzlich »das Glotzen sein lässt» und sich in die Demo einreiht? Mit der bloßen Denunziation bürgerlicher Freiheiten als »falsch» jedenfalls, ließ sich dieses Phänomen nicht angemessen begreifen. Obwohl der »Aufstand der Anständigen« hinsichtlich des seit der Annexion der DDR zu beobachtenden und bis heute andauernden kulturellen Bestrebens zur Konstruktion einer positiven, widerspruchsfreien Identität der deutschen Nation nach Auschwitz nicht mehr als eine Fußnote darstellen mag, ist dieses Ereignis daher zu einer gewichtigen Wegmarke für die Autonomen geworden. Während die antifaschistische Bürgerwehr den negativen Standortfaktor »Stiefelnazis» in den Fokus nahm, verlagerte sich die Perspektive der autonomen Antifa zusehends auf die Mitte der Gesellschaft. Spätestens jetzt wurde auch der Rückgriff auf subjekttheoretische Überlegungen ein unumgängliches Scharnier, um eine angemessene Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen im Postnazismus üben zu können. Es fand damit eine theoretische Weiterentwicklung statt, über die sich von der »reinen Autonomenlehre» zusehends entfernt wurde.
Der Weg aus der Krise
Seit zwei Jahren nun pilgert das «G-Bündnis durchs Land, um der autonomen Antifa den Weg aus ihrer Identitätskrise zu weisen. Man gefällt sich in der Rolle einer Wunderheiler_in, die mit erhobenem Zeigefinger kritisch bemerkt, dass »[hjäufig [...] viel Papier produziert [wurde], um das zu legitimieren, was man ohnehin schon politisch treibt oder treiben wollte« (uG, 105), jetzt aber sei das richtige Gegenmittel mehr oder weniger gefunden. Die >Krise< der autonomen Antifa wurde dabei offenbar nicht primär als Ergebnis von Unzulänglichkeiten der theoretischen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft interpretiert, sondern anhand von praktischen Gesichtspunkten. So wurde ein Weg eingeschlagen, der zwar von der als praktische Querfront empfundenen Nähe zum >Bürgertum< weg führt, gleichzeitig damit aber auch dem Antifaschismus, zumindest dem nun vertretenen Selbstverständnis nach, der Rücken gekehrt.
Im Wesentlichen besteht der von uG angepriesene way out aus einer praktischen Schwerpunktverlagerung innerhalb des Politikkonzeptes der Antifaschistischen Aktion. Die Gewichtung soll demnach nicht länger auf einem Antifaschismus liegen, der konsequenterweise »den Kampf gegen den Faschismus auch [!] als Kampf gegen die gesellschaftlichen Bedingungen, aus denen heraus die Bereitschaft der Menschen entsteht, faschistische Denkmuster anzunehmen« (Antifaschistische Aktion Berlin, 6), begreift. Stattdessen fand eine Verschiebung statt hin zu einem Bündnis, das sich genau umgekehrt aufgrund einer Sozialrevolutionären Ausrichtung auch notwendig als antifaschistisch definiert: »Das ...ums Ganze!-Bündnis wurde gegründet, um linksradikale Gesellschaftskritik überregional zu organisieren und handlungsfähig zu machen.« (uG, 7) »Und für einige Bevölkerungsgruppen macht es einen Riesenunterschied, ob die regierende Sozialpolitik >arbeitnehmerfreundlich< ist oder nicht. Deswegen beteiligen wir uns als Bündnis auch [!] an bestimmten sozialen Protesten oder an Aktionen gegen Nazis.« (uG, 110) Mit diesem Richtungswechsel wurde sich von der Idee der Antifaschistischen Aktion , ein Bündnis für Antifaschist_innen - fernab jeder Parteizugehörigkeit oder zu leistenden Lippenbekenntnissen für den Kommunismus - zu sein, verabschiedet. Nazis bekämpft man bei uG nicht zuallererst, weil sie aufgrund ihrer menschenverachtenden Ideologie und dem daraus folgenden Handeln bekämpfenswert sind, sondern weil sie der Bewegung auf ihrem Weg zum Kommunismus im Weg stehen. Um diese Abwendung vom Antifaschismus als Handlungsmaxime dennoch im Kontext des autonomen Antifaschismus verorten zu können, wurde das Selbstbild der Autonomen verblüffenderweise schlicht auf den Kopf gestellt, was tunlichst als Fortschritt ums Ganze zu verschleiern versucht wird. Der Preis für den Ausweg aus der linken Handlungsunfähigkeit ist, dass das Subjekt einer, gegen jedwede Möglichkeit ungegängelter Erfahrung, als hermetisch abgeschlossen begriffenen Totalität und damit der Hoffnungslosigkeit überantwortet wird. Ein Richtungswechsel von der autonomen zur heteronomen Antifa, an dessen logischem Schluss gegenteilig zur einst kolportierten reinen Autonomie als Szenekollektiv nun die Abwendung vom Subjekt steht: »Die Sorge um die staatlichen Reproduktionsbedingungen des Kapitals ist im entwickelten Kapitalismus eine automatische Gefühlslage der verstaatlichten Individuen.« (uG, 49) »Nationale Identität ist also eine allgemeine, objektive Gedankenform kapitalistischer Vergesellschaftung, ein einheitliches, aus struktureller Bedrohung geborenes Bedürfnis.« (uG, 79).
Es ist zwar richtig, die affektive Besetzung von Ideologie im Zusammenhang mit Gefühlen zu begreifen, doch ist Nationalismus keine »Gefühlslage« und schon gar keine »automatische«, wenngleich sich Propaganda bestimmte Gefühle zu Nutze macht. Nationalistische Propaganda macht sich v.a. das Gefühl der Angst zu Nutze, was in der - von uG aufgegriffenen (uG, 97ff) - derzeit zu beobachtenden Propaganda des Kabinetts Merkel auch leicht einsehbar ist. 1 Dass diese populistische Leier in weiten Teilen der Gesellschaft auf Affirmation trifft, die Menschen der Sachzwanglogik folgend ihren Gürtel widerstandslos enger schnallen, spricht Bände nicht nur über die Verbreitung nationalistischen Gedankengutes in Deutschland, sondern auch über die Verfasstheit der Subjekte. Es war daher wohl nur eine Frage der Zeit, könnte man meinen, bis resignierte Bewegungslinke mit der Einschätzung hausieren gehen würden, dass selbst noch die berüchtigte >Lurchethese< 2 aus der »Dialektik der Aufklärung« eine Euphemisierung des spätbürgerlichen Sozialcharakters darstelle. Adorno allerdings ging es bei derlei auf ein »Primat der Ökonomie über die Psychologie« (Adorno 1955, 48) verweisenden Subjektverortungen keineswegs um die Tötung des Subjekts, ein Vorwurf der ihm nicht zuletzt auch gerne von Vertreterinnen der reinen AutonomenLehre gemacht wird. Im Gegenteil stand dahinter das verzweifelte Ansinnen festzuhalten an dem Widerspruch zwischen Individuum und Gesellschaft, obwohl und gerade weil ersteres diesen der Tendenz nach nur mehr regressiv zum Ausdruck zu bringen vermag: »Weil es der objektiven Möglichkeiten nach der Anpassung nicht mehr bedürfte, genügt einfache Anpassung nicht mehr, um es im Bestehenden auszuhalten.
Die Selbsterhaltung glückt den Individuen nur noch, soweit ihnen die Bildung ihres Selbst missglückt, durch selbstverordnete Regression.« (ebd., 69f) Indem Adorno auf diese Weise von einem innerhalb des Bestehenden notwendig regressiven Individuums ausgeht, trägt er dem subjektiven Prinzip »bürgerliche Kälte« Rechnung, und »trotzdem geht die Möglichkeit der Freiheit innerhalb der schuldhaft verstrickten Totalität real auf. Immer wieder erfahren sich intermittierend die Subjekte als der Möglichkeit nach frei und als unfrei in der Wirklichkeit. Und frei dürfte man [...] jede Handlung nenne[n], die durchsichtig bezogen ist auf die Freiheit des Ganzen.« (Adorno 1964/65, 370) Die Bedingung dafür ist das Vermögen sich wirklich auf eine Sache einzulassen statt dumm machen zu lassen, die Reflexion auf den Reflex.
Es geht also um intellektuelle Arbeit deren Unangenehmlichkeit darin besteht, dass es weitaus leichter und auch prestigeträchtiger ist der ewig erfahrenen Fremdbestimmtheit autosuggestiv ein Schnippchen zu schlagen, indem sich die Handlungsfähigkeit als Teil einer progressiven Avantgardebewegung in die Tasche gelogen wird. »Die transzendente Methode, die aufs Ganze geht, scheint radikaler als die immanente, welche das fragwürdige Ganze zunächst sich vorgibt. Sie bezieht einen der Kultur und dem gesellschaftlichen Verblendungszusammenhang enthobenen Standort, [...] von dem aus das Bewusstsein die Totalität, wie sehr sie auch laste, in Fluß bringen vermag. Der Angriff aufs Ganze hat seine Kraft darin, dass um so mehr Schein von Einheit und Gleichheit in der Welt ist, wie gelungene Verdinglichung, also Trennung. Aber die summarische Abfertigung der Ideologie [...] tut jener Ganzheit wiederum zuviel Ehre an.« (Adorno 1949, 26) Indem die heteronome Antifa zur theoretischen Begründung eines bewegungspolitischen Kampfes ums Ganze von einem Subjekt ausgeht, das qua definitionem die Fähigkeit zu Kritik und Utopie überhaupt nicht mehr beinhalten kann, huldigt sie dem Primat der Ökonomie geradezu und geht damit der Ideologie auf den Leim. »Indem sie das Ganze wie mit einem Schwamm wegwischen wollen, entwickeln sie Affinität zur Barbarei, und ihre Sympathien sind unweigerlich mit dem Primitiveren, Undifferenzierteren, wie sehr es auch im Widerspruch zum Stand der geistigen Produktivkraft selber stehen mag. Die bündige Verleugnung der Kultur wird zum Vorwand, das Gröbste, Gesündeste, selber Repressive zu befördern, zumal den perennierenden Konflikt von Gesellschaft und Individuum, die doch beide gleichermaßen gezeichnet sind, stur zugunsten der Gesellschaft zu entscheiden" (ebd., 26f). Auf diese Weise wird den Menschen die Verantwortung für ihr eigenes Handeln abgesprochen; die Verantwortung dafür den Mut zu haben, sich ihres Verstandes ohne Leitung einer_eines Anderen zu bedienen. Angesichts dieser düsteren Aussichten hat man offenbar auch bei uG kalte Füße bekommen, weswegen im Schlusskapitel der Broschüre, zum Zwecke rückwirkender Schadensbegrenzung, noch einmal auf die Gretchenfrage - wie haltet ihrs mit dem Subjekt? zurück gekommen wird. Selbstkritisch und wohl auch ein bisschen zerknirscht wird diesbezüglich eingeräumt: »Den Generalplan haben wir gerade verschlampt. Aber eins ist klar: Der Austritt der Menschen aus ihrer selbst geschaffenen Unmündigkeit muss das Werk bewusster Individuen sein. Und da gibt es sicher noch Einiges zu diskutieren.« (UG, 111)
Schielen auf die Masse als selbst verordnete Regression
Da man es bei uG in Sachen Gretchenfrage also eigentlich besser weiß drängt sich die Frage auf, warum, anstatt einen angemessenen Umgang damit zu suchen, die gesamte Broschüre hindurch schlicht so getan wird, als wäre das Problemfeld der Subjektkritik für das angestrebte Politikkonzept nicht von Belang. Es ist eine Groteske die von dem Unwillen zeugt jene real existierenden Widersprüche auszuhalten, denen man sich mit dem Festhalten an einer Idee von Befreiung ausgesetzt sieht in Zeiten, in denen die objektiven Bedingungen einstweilen gegen eine_n stehen. Denn in der Tat: Eine Gesellschaftsordnung, in der die menschliche Persönlichkeit praktisch nicht als Zweck an sich selbst, sondern bestenfalls als Akzidens anerkannt wird, begünstigt alles andere als einen Sozialcharakter, dessen Vermögen zur Introspektion über das eines scheinbaren (!) >Nationalautomaten< hinausgeht. Wer angesichts dieses elendigen Daseins keine Kritik führt, die der bürgerlichen Gesellschaft ihre uneingelösten Versprechen vorhält, sich stattdessen einem Primat der Theorie über die Empirie zur Legitimation von Praxis um ihrer selbst willen verpflichtet, wendet sich von der Realität ab. Von einer Hinwendung zu dieser wäre erst wieder zu sprechen, wenn das revolutionäre Bewegungskonzept auf die These vom Nationalautomaten rückbezogen werden würde, was dann allerdings >automatisch< auch die nachhaltige Diskreditierung jedes Sozialrevolutionär ausgerichteten Politikkonzeptes als mindestens unterschwellig nationalrevolutionär zur Folge hätte.
In diese, einer intellektuellen Kapitulationserklärung gleich kommende double-bind Situation, nämlich dem eigenen Konzept nach mit jenen Leuten auf die Straße gehen zu wollen gegen die man eigentlich demonstriert, konnte sich uG nur manövrieren, indem der praktische Ansatz eines positiven, Sozialrevolutionären Bewegungskonzeptes theoretisch über aller Kritik verortet wurde. Damit wurden die wenigen Anknüpfungspunkte verschüttet, die wie verzerrt auch immer doch zumindest einen Ansatz von Selbstreflexion innerhalb der eigenen linksradikalen Gemeinschaft darstellten. Gegenüber dem Selbstverständnis der Autonomen, zu deren Zeit ein reflexiver Umgang mit der eigenen Praxis immerhin sporadisch stattfand, etwa in Kontroversen um die Ausübung von Militanz als einem notwendigen Übel, das immer auch für eine >männliche< Politikform, für einen Habitus der Stärke, Zielstrebigkeit und des konsequenten Handelns steht, stellt dieses Konzept einen deutlichen Rückschritt dar.
Stattdessen hat es eine gewisse Note infantilen Trotzes dazu gewonnen, kann doch die Abwendung vom Subjekt und damit der einseitig gegenüber der Gesellschaftsordnung erhobene Schuldvorwurf immer auch als Abwehrmechanismus funktionieren; die Schuld am alltäglichen Unglück wird ausschließlich dem Äußeren zugeschrieben, allem wird Schuld zugewiesen, nur dem eigenen Selbst nicht. Die Kritik des (eigenen) Alltags kann auf diese Weise bequem umgangen werden. Entsprechend funktioniert der antifaschistische Revolutionismus durchaus als attraktive, ein rebellisch-avantgardistisches Gefühl versprechende Ideologie, ohne dass ihre Apologet_innen sich auch nur einen Augenblick genötigt fühlen müssten, über die eigene, sozialisatorisch beschränkte Perspektive hinaus zu denken. Solcherart subjektiv-radikales Gedankengut verbietet sich vielmehr qua vorgegebener Theorielinie von selbst. »Die narzisstische Gratifikation, im Geheimnis zu sein und mit anderen Erlesenen einig, befreit, sobald es über die nächsten Interessen hinausgeht, von der Realitätsprüfung, an welcher das Ich alten Stils, laut Freud, seine vornehmste Aufgabe hatte.« (Adorno 1959,117) Entsprechend verbissen behauptet sich diese Perspektive als weder begrenzt, noch anschlussfähig an Subjektkritik, sondern als holistisch. Mit der Panik der_des Ausweglosen wird eine neue Spielart von Marxismus erfunden, in der beispiellos beliebig schlicht alles als aus der Ökonomie ableitbar behauptet wird. »>Rasse<, Geschlecht, Kultur und Religion« (uG, 65) werden, ohne auch nur den Ansatz einer Herleitung zu liefern, als abgeleitet gesetzt. Von der »nationalsozialistischen Ideologie« über Rostock-Lichtenhagen bis wahlweise auch zum Pogrom von Johannesburg (uG, 78) - es ist alles eine Soße, die, geht man nur aufs Ganze, lässig mit der Fahne der Antifa-schistischen Aktion im Arm als Nebenwiderspruch erledigt werden kann. Die durchaus bedeutsame Frage, was für Charaktere sich eigentlich durch Form und Inhalt eines bestimmten Politikkonzeptes angesprochen fühlen, muss dabei ebenso vernachlässigt werden wie das historische Faktum, dass der Nationalsozialismus selbst eine Bewegung war, sich immer auch als Bewegung begriffen hat.
>Zivilisationsbruch<. Ein guter Begriff inschlechter Gesellschaft
Nicht vergessen hat man bei uG immerhin, dass das maßgeblichste Kriterium, durch das sich das deutsche Projekt Nationalsozialismus von anderen Faschismen unterscheidet, der Vernichtungsantisemitismus ist. »Nirgendwo sonst begannen Staat und Staatsbürger als reale »Volksgemeinschaft« einen Raub- und Vernichtungskrieg. Und nirgendwo sonst konnte ein eliminatorischer Antisemitismus zum bejubelten Staatsprogramm werden.« (uG, 82). Der Name Auschwitz steht dafür. Für ein historisch singuläres Verbrechen an der Menschheit, das als Ausbuchstabierung der Ratio in eine Maschinerie zur Menschenvernichtung eine der modernen Zivilisation innewohnende, autodestruktive Tendenz aufgezeigt hat, die jede positive Geschichtsteleologie der Aufklärung nachhaltig desavouiert. Adorno sah sich durch diese historische Erfahrung zur Verlagerung des gesellschaftskritischen Fokus auf die Subjekte veranlasst, deren Vermögen zur Introspektion als Bedingung autonomen Handelns offenbar grundlegend in Frage zu stellen ist. Da uG stattdessen versuchen diesem Misstrauensvotum gerecht zu werden indem sie es ignorieren, mit allerlei rhetorischer Finesse um das Subjekt herum schreiben, muss die Frage erlaubt sein welcher Stellenwert der historischen Erfahrung von Auschwitz eigentlich in diesem Konzept noch zukommen kann. Zuvor muss dafür jedoch erörtert werden, welche Bedeutung eine subjektzentrierte Perspektive dabei hat.
Den Zusammenhang zwischen jener, der Zivilisation innewohnenden, autodestruktiven Tendenz und der Shoah hat der amerikanische Historiker und Soziologe Dan Diner in Reaktion auf den Historikerstreit Ende der 1980er mit dem Begriff des >Zivilisationsbruchs< zu fassen versucht: »Das Ereignis Auschwitz rührt an Schichten zivilisatorischer Gewißheit, die zu den Grundvoraussetzungen zwischenmenschlichen Verhaltens gehören. Die bürokratisch organisierte und industriell durchgeführte Massenvernichtung bedeutet so etwas wie die Widerlegung einer Zivilisation, deren Denken und Handeln einer Rationalität folgt, die ein Mindestmaß antizipatorischen Vertrauens voraussetzt; ein utilitaristisch geprägtes Vertrauen, das eine gleichsam grundlose Massentötung, gar noch in Gestalt rationaler Organisation, schon aus Gründen von Interessenkalkül und Selbsterhaltung der Täter ausschließt.« (Diner 1988, 7) Der Kontext, auf den sich Diner in seinen Ausführungen bezieht, ist offenbar die Dimension der subjektiven Erfahrung der Gräuel des nationalsozialistischen Vernichtungswahns. »Nicht [durch] die wirklichkeitsgetreue Rekonstruktion des Menschheitsverbrechens«, so Diner, »sondern anhand des eingetretenen Dementis von auf Selbsterhaltung und Überleben gerichteten Denk- und Handlungsformen wird der Bruch offenbar, den Auschwitz zivilisatorisch tatsächlich bedeutet.« (ebd., 8f) Er rekurriert damit insbesondere auf den bereits 1945 verfassten Aufsatz »Individuum und Terror« von Leo Löwenthal, der darin auf der Grundlage von seitens ehemaliger Konzentrationslagerinsass_innen geschilderten Erfahrungen des Lagerterrors zu ergründen versucht, was für eine eigentümliche Logik diesem »modernen Terror« inne wohnt. Das von den Überlebenden Erfahrene dechiffriert Löwenthal als eine Form totaler Verdinglichung, als eine Degradierung menschlicher Individuen zum »Rohmaterial« einer Vernichtungsmaschinerie. In den Schlüssen, die er aus dieser deskriptiven Perspektive subjektiver Erfahrung zieht, ist das von Diner geführte Argument einer »Widerlegung der Zivilisation« implizit enthalten. Löwenthal bestimmt es als die Zerstörung des »Kausalzusammenhang^] zwischen sozialem Verhalten und Überleben«, wodurch »das Individuum mit nackter Naturgewalt - d.h. mit einer unnatürlich gewordenen Natur - in der Gestalt des allmächtigen Terrorapparates« konfrontiert ward (Löwenthal 1945,167).
Diese »Atomisierung des Individuums«, auf die die Logik des SS-Terrors abzielte, hat auch nach Löwenthal ausdrücklich seine Wurzeln in der modernen Zivilisation. Der subjektiven Erfahrung, aus der heraus die Zivilisation als unwiederbringlich >zerbrochen< dechiffriert wird, steht die gesellschaftliche Praxis des bruchlosen Weitermachens konträr gegenüber. Der Begriff Zivilisationsbruch ist daher ein parteiischer, der seinen Sinn im Widerspruch zu jenem positivistischen Geschichtsverständnis hat, das die Shoah als eine Art zivilisatorischen Unfall verhandelt, in dessen Zuge im Gegensatz zum kapitalistischen Normalvollzug die Politik das Primat über die Ökonomie erlangt habe. Eben weil die Errichtung einer parlamentarischen Demokratie in Deutschland nicht den kulturellen und gesellschaftlichen Bruch bedeutete, als welcher diese Entwicklung seitens der deutschen Geschichtsschreibung geadelt wird, gilt es diese Wunde offen zu halten.
Die Vereinnahmung des Begriffs durch die Zivilgesellschaft
Paradoxerweise jedoch hat sich ausgerechnet der eine radikale Gesellschaftskritik implizierende Begriff des Zivilisationsbruchs als allgemein anerkannte Sprechweise in der >Zivilgesellschaft< eingebürgert. 3 Vor diesem Hintergrund scheint es durchaus angebracht zu untersuchen, auf welche Weise dieser Begriff im Zuge seiner Vereinnahmung für die Konstruktion eines positiven Selbstverständnisses der deutschen Nation nach Auschwitz seine Parteilichkeit einbüßt. Der Ansatzpunkt für die Vereinnahmung - soviel soll diesbez. zumindest als These angebracht werden - liegt darin begründet, dass Diners Begriff zwar die Perspektive der subjektiven Erfahrung gewichtet, dies allerdings explizit nur aus Perspektive der Opfer, nicht gleichzeitig auch aus der der Täter_innen tut. Letzteres würde unweigerlich die Frage aufwerfen, was denn die Menschen »zu dem Unsäglichen« trieb, »das in Auschwitz nach weltgeschichtlichem Maß kulminierte« (Adorno 1966a, 88). Der Weg zur Beantwortung dessen führt über die Frage nach dem Täter_innenprofil auch und v.a. der gewöhnlichen Deutschen. Er führt zu jenem narzisstischen Sozialcharakter der für das subjektive Prinzip »bürgerliche Kälte« steht, ein Charakter den Adorno in Hinblick auf die gesellschaftlichen Bedingungen seiner Vorherrschaft auch als »Typus des verdinglichten Bewußtseins« bezeichnet: »Erst haben die Menschen, die so geartet sind, sich selber gewissermaßen den Dingen gleichgemacht. Dann machen sie, wenn es ihnen möglich ist, die anderen den Dingen gleich.« (ebd., 98) Diese abstrakte Bestimmung des Täter_innenprofils stellt für Adorno jedoch nicht mehr als eine Ausgangsthese dar, mittels der er auf eine Geschichtswissenschaft insistiert, die aus Solidarität mit den Opfern den Fokus auf die Täter_innen legt: »Bei Versuchen, der Wiederholung von Auschwitz entgegenzuwirken, schiene es mir wesentlich, zunächst Klarheit darüber zu schaffen, wie der manipulative Charakter zustande kommt, um dann durch Veränderung der Bedingungen sein Entstehen, so gut es geht, zu verhindern. Ich möchte einen konkreten Vorschlag machen: die Schuldigen von Auschwitz mit allen der Wissenschaft verfügbaren Methoden, insbesondere mit langjährigen Psychoanalysen, zu studieren, um möglicherweise herauszubringen, wie ein Mensch so wird. [...] Allerdings dürfte es schwierig sein, sie zum Reden zu bringen« (ebd.).
Einen bedeutsamen Beitrag, die Täterinnen »zum Reden zu bringen«, stellt die Studie »Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust« des Historikers Daniel Jonah Goldhagen dar. Die mikrosoziologische Methode, die dieser Studie zu Grunde liegt, kommt dem von Adorno vorgeschlagenen Ansatz, die Täterinnen auf die Couch zu legen, sehr nahe: Wenn man bloß klinisch saubere Beschreibungen der Tötungsvorgänge gibt, dann verzerrt man damit das gesamte Erscheinungsbild des Mordens, man blendet die Gefühlsanteile aus und verhindert damit jedes wirkliche Verstehen. [...] Deshalb vermeide ich den klinischen Ansatz und versuche die Gräuel und Grausamkeiten zu vermitteln, mit denen die Ereignisse für die Täter verbunden waren - was natürlich nicht heißt, daß diese den Schrecken auch immer empfanden. [...] Wollen wir deren Weitsicht verstehen, dann müssen wir uns jedes grausame Bild deutlich machen, das sie erblickten, uns jeden Angst- und Schmerzensschrei ins Gedächtnis rufen, den sie zu hören bekamen.« (Goldhagenl996, 38) Die am Beispiel eines Reserve-Polizeibattaillons durchgeführte Untersuchung der Täter_innenmotive willkürlich rekrutierter Durchschnittsbürgerinnen und -bürger beweist, was zahllose Überlieferungen von Erinnerungen der Opfer mindestens erahnen lassen: Ein antisemitisch motivierter Vernichtungseifer war auch bei ganz gewöhnlichen Deutschen als Regelfall festzustellen. Jede und jeder Deutsche (bis auf jene die Regel bestätigenden Ausnahmen) hat im NS gemordet, ihre_seine Opfer gefoltert und gedemütigt, oder wäre dazu bereit gewesen, wenn sich ihm_ihr die Möglichkeit dazu aufgetan hätte! 4 Folgt man der Goldhagenstudie und ihren Implikationen, so ergibt sich ein Bild, das dem Selbstverständnis des neuen Deutschlands, in dessen Kontext gewöhnliche Deutsche als larmoyante >Zeitzeug_innen< in Infotainment-Produktionen aus der Feder eines Guido Knopp etwa abgefeiert werden, aufs Schärfste widerspricht. Zwar wird in der deutschen >Geschichtsaufarbeitung< der subjektiven Perspektive der Opfer pflichtgemäß ein Stück weit Berechtigung eingeräumt, vorrangig motiviert ist dieses Zugeständnis jedoch durch das Interesse an der eigenen in die Verbrechen des NS verstrickten Familienhistorie, die im Zuge dieser >Aufarbeitung< eine Umarbeitung zu einer von Entbehrungen und Leid durchzogenen Opfergeschichte erfährt. 5 Der sog. >zweite Historikerstreit<, den die Goldhagenstudie auslöste, manifestierte sich entsprechend als antisemitisch aufgeladener, jeder Wissenschaftlichkeit spottender Abwehrdiskurs. 6 Eine antifaschistisch motivierte Aufarbeitung der Vergangenheit, die sich schonungslos mit den Bedingungen der Shoah auseinandersetzt, um den Anfängen zu wehren, aus der Geschichte lernen zu können, sähe ganz bestimmt anders aus.
Goldhagen hat mit seiner Studie jenes Täter_innenprofil belegt, das im Begriff des Zivilisationsbruchs von Diner implizit angedeutet und bei Adorno aus Perspektive der Ökonomie auf den Begriff des verdinglichten Charakters gebracht ist. Die deutsche Geschichtspolitik selbst gibt der Parteilichkeit des von Diner geprägten Begriffs Recht, gerade aufgrund dessen spezifischer Vereinnahmung für das neue Deutschland. »Das Widerstreben, das Phänomen des Terrors in all seinen Implikationen rückhaltlos zu erforschen, ist in sich selbst ein unterschwelliges Symptom des Terrors.« (Löwenthal 1945,163) So besehen stellt sich selbst die Stattgabe eines doch als irgend vorhanden eingeräumten Rechtes der Opfer der Shoah auf einen Platz in der Geschichte als geheucheltes Interesse dar. Im Zuge der Vereinnahmung des Begriffs Zivilisationsbruch wird die Dimension der subjektiven Erfahrung des NS-Terrors aus Perspektive der Opfer nur soweit >zur Kenntnis< genommen, wie es zur Legitimation der eigenen Opferrolle notwendig ist. Eine widerwillige, halbwegs pflichtgemäße Solidarität, würde doch jede wirkliche Parteinahme einen früher oder später in Widerspruch mit dem eigenen, positiven Bezug auf die Täter_innennation bringen. Damit, mit der Abspaltung der Dimension der_des gewöhnlichen deutschen Durchschnittstäterjn ist der Begriff des Zivilisationsbruchs so effizient um seine Parteilichkeit gebracht, dass von ihm nicht mehr als eine inhaltsleere bis rätselhafte Ruine geblieben ist. Er ist zu einer Metapher und damit zu einer rhetorischen Figur deformiert worden, die ihrer Natur nach weder wahr noch falsch, sondern höchstens brauchbar oder unbrauchbar sein kann. Die Vereinnahmung der Kritik geht mit der Verwischung des Begriffs Hand in Hand.
Pioniere der Gegenaufklarung
Doch wer nicht bloß vom Besonderen abstrahiert, sondern es systematisch negiert, das Subjekt ausschließlich über seine Vergesellschaftung begreifen will, pflegt immer schon ein kein der Wahrheit verpflichtetes, sondern instrumentelles Verhältnis zur Theorie. Hier können Begriffe nie mehr als eigentlich Metaphern sein, sind substituier- und kombinierbar, frei nach Gusto. Und so kommt es, dass uG davon absehen, den Begriff des Zivilisationsbruchs gegen seine Verwischung, die Kritik gegen ihre Vereinnahmung zu verteidigen. Anstatt den Vereinnahmungsversuch als Bestätigung des Begriffs gesellschaftskritisch zu wenden, wird sich von der »kritisch gemeinte[n] Metapher des >Zivilisationsbruchs<« distanziert, weil sie sich eben als unbrauchbar erwiesen habe, seit sie - die Metapher (!) - »im politischen und zivilgesellschaftlichen Diskurs der Berliner Republik selbst ein Stück Ideologie und Begriffsverweigerung« geworden sei (UG, 83). Die Degradierung des Begriffs zur Metapher wird hier also nicht als Mechanismus der Begriffsverweigerung erkannt, sondern es wird munter in den Mechanismus eingestimmt, obwohl man die Begriffsverweigerung an sich kritisch sieht. Ein Trugschluss, in dessen Konsequenz sich von der Kritik abgewandt und die Widersprüche, die im Mechanismus der Begriffsverweigerung immerhin einseh- und kritisierbar sind, in blinder Flucht nach vorn aufgelöst werden. Perspektivisch verlagert sich der Zivilisationsbruch dabei vom Konkreten, der historischen Erfahrung von Auschwitz, zum Abstrakten, der (als komplett aus der Ökonomie abgeleitet gesetzten) Kausalität des Nationalsozialismus, um dann folgerichtig als solcher nicht mehr erkennbar zu sein: »Dass die nationalsozialistische Ideologie in kapitalistischer Konkurrenz und Krise gründet, bedeutet auch: Der Nationalsozialismus war kein >Zivilisationsbruch<, sondern Ausdruck jenes konstitutiven Selbstwiderspruchs bürgerlicher Freiheit, der auch im zivilisierten demokratischen Alltag spürbar ist.« (ebd.) Damit haben die Schwierigkeiten von Erinnerungspolitik, gegen das Vergessen zu arbeiten in Zeiten, in denen nur noch sehr wenige Überlebende der Shoah vom Unvorstellbaren berichten können, als geschichtsunbewusste Beliebigkeit ihren Niederschlag im Konzept der Antifaschistischen Aktion gefunden. Zwischen Demokratie und Faschismus ist kaum mehr ein Unterschied feststell-, bzw. »spürbar«, zumindest der Behauptung nach nicht. Der Ableitungswahn, schlicht alles aus der Ökonomie und der ihr idealtypisch entsprechenden bürgerlichen Freiheit erklären zu wollen, verstellt den Blick bereits auf Mindeststandards bürgerlicher Faschismuskritik<, darauf, dass der Faschismus den Freiheitsspielraum der Einzelnen, bis hin zur Vernichtung, radikal beschneidet. Auf diese Weise mündet die mittels Abwendung vom Subjekt vollzogene Abstraktion von konkret erfahrbarem Leiden de facto in einer Abwendung von den Opfern des Vernichtungswahns; paradoxerweise in Abgrenzung von der Täter_innennation, die, wenn sie zwar auch nichts von der Perspektive der Täter_innen wissen will, so doch zumindest die der Opfer nicht vollends negiert.
Die methodische Abwendung von der Realität, in deren Zuge uG das Empirische dem zur Begründung der eigenen Praxis erdachten Theoriekonstrukt unterordnet, gibt sich so als eine Form von Gegenaufklärung zu erkennen, die rücksichtslos alle Widersprüche platt macht, die der politischen Neufindung als Sozialrevolutionäre Bewegung den Weg versperren. Solidarität und Parteilichkeit weichen dem Habitus einer Berufspolitiker_in, die in gefälligem Layout und lockerer, sich popularisiert gebender Schreibe einen rollback zurück in eine neue Form bewegungslinker Politik propagiert, bei der zwar nicht notwendig der antifaschistische Anspruch auf der Strecke bleiben muss, wohl aber dessen inhaltliche Substanz. Denn »wer sich in seinem politischen Urteil nicht ständig blamieren will, der muss sich kritisch und unvoreingenommen [!] mit den Strukturen dieser Gesellschaft beschäftigen.« (uG, 105). Eine Unvoreingenommenheit, in deren Konsequenz analog zur Theoriebildung auch zur deutschen Geschichte ausschließlich ein instrumentelles Verhältnis erkennbar ist.
Dadurch ist nicht bloß jede substantielle Kritik an der deutschen Ideologie im Postnazismus verunmöglicht, es wird dieser auch noch selbstbewusst zugearbeitet. Während die Deutschen nicht trotz, sondern aufgrund von Auschwitz weitermachen als handele es sich um eine bloße Fußnote innerhalb der Zivilisationsgeschichte, hat die >Postantifa< es aufgrund dessen aufgegeben dem Schlussstrich zu trotzen und vollendet ihn stattdessen in einer Weise, die noch hinter den Staatsantifaschismus der >Zivilgesellschaft< zurück fällt. Denn während letztere immerhin noch für das >trotz< kritisiert werden kann, sich immerhin zu einem halbwegs pflichtgemäßen Handeln genötigt sieht, fallen bei uG die Begrifflichkeiten selbst dem Rotstift zum Opfer, mittels denen eine substantielle Kritik gegen das bruchlose Weitermachen geführt werden könnte. Stattdessen werden die Subjekte vorbehaltlos zu Nationalautomaten degradiert und damit aus ihrer Eigenverantwortlichkeit entlassen. Im Umkehrschluss hat dies zur Folge, dass eben der »nationalsozialistischen Ideologie« selbst eine Kausalität durch Freiheit zugesprochen wird, irgendwo muss diese schließlich ihren Ursprung haben. »Wo die [...] >Autonomie< des vertragsfähigen Individuums im täglichen Verwertungsprozess immer wieder überfordert und ökonomisch massenhaft durchgestrichen wird, entspringt nationalsozialistische Ideologie« daher, so uG, »spontan« (uG, 79), was antifaschistisch motiviertes Handeln - das Bestreben »den Anfängen zu wehren< natürlich ungemein erschwert, gesetzt den Fall eine solche Motivation wäre überhaupt noch denkbar.
Im Zuge der Auflösung aller gesellschaftlichen Widersprüche in Heteronomie ist die Form bei uG endgültig zum Inhalt geworden. Ein wesentlich unkritischer Bewegungsrummel, der in letzter Konsequenz der deutschen Ideologie zuarbeitet. Denn was käme der sich antifaschistisch geläutert gebenden Nation wohl besser zupass, als den Persilschein zum endgültigen Schlussstrich ausgerechnet von radikalen Kritikerinnen des Nationalismus ausgestellt zu bekommen? Ein knappes Jahrzehnt nach dem >Antifasommer<, haben Teile der autonomen Antifa endlich ihre Identitätskrise überwunden und tragen nun ihren eigentümlichen, bescheidenen Teil zum Projekt Aufarbeitungsweltmeister_in bei. Das desaströse Ergebnis eines Politikkonzeptes, mittels dessen das Ende der Gesellschaftskritik zu Gunsten des Praxisfetischs endgültig zementiert wird.
Alexander Frank
//_noten
#1 Im Wesentlichen zielt die von Merkel vertretene Re-Lektüre des Konzeptes der sozialen Marktwirtschaft von Ludwig Erhard auf einschneidende Sozialreformen ab. Begründet werden diese mit einem bestimmten, als zwingend zu beschreiten angesehenen Weg zur wirtschaftlichen Weltspitze, denn was für Deutschland gut ist - so die Krux dessen - könne schließlich für deutsche Staatsbürgerinnen nicht schlecht sein. Wären die Deutschen nicht leicht einzuschwören auf Führungsambitionen aller Art, man könnte es glatt Klassenkampf von oben nennen, doch braucht es hierfür immer noch zwei miteinander kämpfende Klassen. Der Nationalismus erweist sich in solchen Fällen als traditionsbehaftete, sichere Bank, um trotz sozialer Einschnitte den Klassenkompromiss herzustellen. Jenen die an der (neuen) sozialen Marktwirtschaft nicht mitarbeiten wollen, die >Sozialschmarotzer< und >Reformbremsen<, werden als außerhalb des Kollektivs stehend bestimmt, was nichts anderes als die Drohung des Ausschlusses aus selbigem meint. »Nationale Identität« ist folglich kein »aus struktureller Bedrohung geborenes Bedürfnis«, sondern die Entscheidung liegt bei den Subjekten, ob sie sich von dem Angebot des Nationalismus angesprochen fühlen, sich von der entsprechenden Propaganda instrumentalisieren lassen (wollen), oder nicht.
#2 Horkheimer / Adorno 1947, 59
#3 Die Verbalakrobatik des späten Joschka Fischer kann für dieses Phänomen als exemplarisch gelten. In seiner viel beachteten, bei der UN-Sondersitzung zum 60. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee gehaltenen Rede, bezeichnete er die Shoah als »einen Zivilisationsbruch ohne Beispiel«, ein Verbrechen das »immer Teil der deutschen Geschichte« sein würde, weswegen »[d]as Existenzrecht des Staates Israel und die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger [...] immer unverhandelbare Grundposition deutscher Außenpolitik bleiben« werden. Wie verlässlich die Israelsolidarität jenes Staates, für den der Vizekanzler das Wort führte tatsächlich ist, zeigt bereits ein Blick auf die deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen zu dieser Zeit, in denen die Berliner Republik als wichtigste Importpartnerin des Mullahregimes fungierte. Anstatt jene zu bekämpfen die das Existenzrecht Israels negieren, beschränkt sich die Berliner Republik jovial darauf Israel ein Recht auf Existenz zuzugestehen, wodurch dieses überhaupt erst zur Disposition gestellt wird. Sie vollführt damit einen Akt der Doppelmoral, in dessen Konsequenz die Fortexistenz der deutschen Nation nach Auschwitz als ebenso selbstverständlich wie vernünftig bestätigt wird. Dass der gesamte Pathos der Rede schlussendlich auf eine moralische Rechtfertigung und Protegierung der Beteiligung deutscher Truppen an Kriegseinsätzen im Ausland abzielt vervollständigt das Bild einer relativen Parteilichkeit für Israel, die abhängig ist von dem Nutzen, den die BRD sich davon auf internationaler Ebene verspricht.
#4 Mit diesem, vor allem deskriptiven Ansatz hinsichtlich der Täter_innenprofile, liefert Goldhagen einen kaum zu überschätzenden Beitrag zu jener von Adorno geforderten Erforschung der Täter_innengenese, die auf theoretischer Ebene zwei grundsätzliche Schlüsse nahe legt. Zum einen erfährt Adornos Idealtypus des »verdinglichten Charakters« eine Bestätigung, wodurch entgegen dem von Goldhagen vertretenen, bürgerlichen Gesellschaftsbegriff der Warentausch als Vergesellschaftungsprinzip ins Zentrum der Kritik rückt. Zum anderen ist dieses Prinzip aber für eine Erklärung der Entstehungsbedingungen der Shoah nicht hinreichend. Es waren nicht ganz normale Menschen, sondern »ganz normale Deutsche« die diese Verbrechen begangen haben. Eine Kritik der postnazistischen Gesellschaft kann sich daher nicht darauf beschränken, die Kontinuität gesellschaftlicher Strukturen und Bedingungen zu kritisieren. Es muss sich zuallererst dem gesellschaftlichen Bewusstsein gestellt werden; einer Empirie, an der sich Überlegungen zum Verhältnis von Subjektkonstitution und kapitalistischer Vergesellschaftung entwickeln und bestätigen lassen, die jedoch nicht aus letzterer ableitbar ist.
#5 Siehe dazu Welzer / Möller / Tschuggnall 2002
#6 Siehe dazu Küntzel / Thörner / u.a. 1997, insb. 43f
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Adorno, Th. W. (1949): Kulturkritik und Gesellschaft, in: Kulturkritik und Gesellschaft I, Gesammelte Schriften 10.1, Frankfurt a.M. 1997
Ders. (1959): Theorie der Halbbildung, in: Soziologische Schriften I, Gesammelte Schriften Bd. 8.1, Frankfurt a.M. 1997
Ders. (1964/65): Zur Lehre von der Geschichte und von der Freiheit, in: Nachgelassene Schriften 13, Frankfurt a.M. 2006
Ders. (1966a): Erziehung nach Auschwitz, in: Kadelbach, G. (Hg.): Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt a.M. 1971
Ders. (1966b): Negative Dialektik, in: Gesammelte Schriften 6., Frankfurt a.M. 1997
Ders. (1955): Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, in: Soziologische Schriften I, Gesammelte Schriften Bd. 8.1, Frankfurt a.M. 1997
Antifaschistische Aktion Berlin (ca. 1995): Das Konzept Antifa, ohne Ort
Diner, D.: Vorwort des Herausgebers, in: Zivilisationsbruch. Denken nach Auschwitz, Frankfurt a. M. 1988
Goldhagen, D. J.: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996
Horkheimer, M. / Adorno Th. W. (1947): Dialektik der Aufklärung, in: Horkheimer Gesammelte Schriften 5, Frankfurt a. M. 1987
Küntzel, M. / Thömer, K. / u.a.: Goldhagen und die deutsche Linke, Berlin 1997
Löwenthal, L. (1945): Individuum und Terror, in: Schriften 3, Frankfurt 1990
...ums Ganze! (2009): Staat, Weltmarkt und die Herrschaft der falschen Freiheit. Zur Kritik des kapitalistischen Normalvollzugs, ohne Ort
Welzer, H. / Möller, S. / Tschuggnall, K.: »Opa war kein Nazi«. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt a.M. 2002