text, text, text und immer wieder text
»queer heißt: nein zu Dichotomie, ja zu Kreativität undkünstlerischer Freiheit.« Der Begriff queer steht nicht nur für Vielfalt und Diversität von geschlechtlichen und sexuellen (Lebens-)Entwürfen, die Heteronormativität entgegenstehen, sondern auch für Entgrenzung, Grenzverwischung und für einen Umgang mit Text, eine Lese- und Schreibstrategie; vielleicht lässt sich queer sogar als eine künstlerische Technik begreifen, die eingefahrenes, dichotomes Denken unterlaufen kann.
Der Sammelband »queere (t)ex(t)perimente« ist im wahrsten Sinne des Titels ein Textexperiment, denn er vereint nicht nur sehr diverse (deutsch- und englischsprachige) Textformate: Gedichte, Textfragmente, Comics, Bilder und akademische, literarische, politische Texte. Er regt darüber hinaus auch an, über Texte als Medium nachzudenken, die sich herkömmlichen Genres entziehen und damit im doppelten Sinne als queer zu bezeichnen sind.
Alle Beiträge kreisen um die Frage eines künstlerischen, intellektuellen oder politischen Aspekts von queer, wobei der Begriff immer wieder aus anderen Richtungen umkreist, man könnte fast sagen, umzingelt wird. Die immer wieder eingestreuten kurzen Annäherungen ist eine Art Fundus, der für Arbeiten an queer und seinen unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen durchstöbert werden kann. Die Texte, die sich dem Problem theoretisch nähern, verweigern sich zumeist der herkömmlichen Form akademischer Texte. Das ist einerseits wohltuend und bringt manchen interessanten Gedanken oder spannende Wortspiele hervor, bleibt jedoch auch unbefriedigend, denn eine konsequente Arbeit an diesen Ideen wird meist nicht geleistet.
Claudia Münzing beispielsweise kategorisiert ihren Text als »Denkanschubser«, als eine Ansammlung von Gedankenfragmenten, Erinnerungssplittern und Assoziationsschnipseln. Das bleibt er leider auch. Und so lassen sich tatsächlich interessante Anschubser finden, einzelne Sätze, die an spannende Diskussionen anknüpfen oder eben solche aufmachen. Doch der dahinter liegende Gedanke entwischt, wenn sich im nächsten Absatz schon wieder freie Assoziationsketten bilden. Konsequenter bleibt sie jedoch an der Frage, welchen Politikbegriff sich mit queer entwerfen lässt. Sie schlägt eine Politik des Einschlusses, aber auch der Störung vor: Mit Ent-Störung meint Münzing die Veränderung von dem, was stört, während queer als Störung der Heteronormativität beschreiben wird. Daran anknüpfend entwirft sie ein Fragment einer queeren Ethik, in dem sie empirische, theoretische, politische und künstlerische Ausrichtungen verknüpft.
Andere Texte wie der einer queer-feministischen »ANALyse geschlechts-differenzierter Körpergrenzen« von Franziska Bergmann oder über den Topos der männlichen Schwangerschaft in der Literatur von Nora Filipp bleiben am klassisch akademischen Stil angelehnt, sind aber wegen ihrer interessanten Fragestellungen spannend zu lesen und zu empfehlen.
Der Frage des Ausschlusses in queeren Zusammenhängen geht Jim Baker nach. Er beschreibt zunächst die alte Debatte um die Benennung von Differenzen innerhalb scheinbar homogener Gruppen wie Schwulen und Lesben und die Ausschlüsse, die eben solche Benennungen, aber auch die Nicht-Benennungen, hervorrufen kann. Stattdessen schlägt er schließlich vor, eher nach Gemeinsamkeiten statt nach Differenzen zu suchen und diese zur Grundlage für eine Community zu machen. Das ist nicht neu, aber immer (noch) virulent als Frage von Zusammenhängen, die plural und divers unter dem queer-Label stehen.
Es lassen sich zahlreiche und vielfältige (Denk-)Anregungen und Ideen in der Aufsatzsammlung finden, die man nicht schon hundertmal irgendwo gelesen hat. Nett ist auch die Abkehr von einer akademischen Textform, die immer wieder viel Gleiches produziert und wenig Platz für Neues lässt. Dennoch kommt in den meisten Texten eine Arbeit an den spannenden Ideen zu kurz, ein Entfalten von Beispielen und Metaphern, so dass vieles lediglich nebeneinander stehen bleibt und teilweise der Gefahr anheimfällt, verloren zu gehen.
Bergmann, Franziska; Moos, Jennifer; Münzing, Claudia (Hg.) (2008): queere (t)ex(t)perimente. fwpf, Freiburg im Breisgau.