Stell die Verbindung her
Für den Themenschwerpunkt Krise haben wir die Ham-burger Band »Die Sterne« als Expert_innenrundefür eineVielzahl ganz unterschiedlicher Aspekte der Krise ange-fragt. Seit der ersten Single »Fickt das System« (1992)singen die Sterne über Krisen in der Alltagswahrnehmungund in Freundjinnenschaftskontexten, über Prekarisie-rung, Beziehungs- oder Finanzkrisen und verbinden dabeiauf mittlerweile neun Alben charmant individuelles Erle-ben von Krisensituationen und Systemkritik.
In dem Interview unterhalten sich reini und malaikavom diskus mit Frank Spilker, Gitarrist und Sänger bei»Die Sterne«, über den Begriff der Krise, aktuelle Ent-wicklungen der Finanzkrise und die Auswirkungen derHartz IV-Gesetzgebungen auf den Bereich der künstleri-schen Produktion.
Frank Spilker / / Wenn ich arbeite, habe ich keinen Leitbegriff wie Krise im Kopf. Wenn man mit so einem Begriff daran geht, stellt man plötzlich fest, das sind ja alles Krisensituationen. Ich frage mich aber auch, worüber man sonst schreiben soll. Es geht ja immer darum, dass man einen Konflikt, eine unaufgelöste Situation hat.
»Riskiobiographie« oder »Universal Tellerwäscher« sind im Grunde auch Songs über -, nicht das Prekariat, das hieß damals noch nicht so -, sondern das Praktikant_innenwesen, etwa in der Unterhaltungsbranche. Da war es damals bereits üblich, dass die Leute umsonst gearbeitet haben und gerne da arbeiten wollten.
diskus / / Uns ist aufgefallen, dass gerade in den ersten Alben, also etwa bei »Universal Tellerwäscher« oder »Risikobiographie« Krise meistens noch auf einer Ebene des individuell Erlebten und der Frage: »Wie verorte ich mich darin?« funktioniert.
Frank Spilker / / Für die frühen Alben kann ich sagen, ein großer Einfluss war New School Hip Hop. Es gab deutschsprachigen Hip Hop nur rudimentär. Wir haben uns damals überlegt: Wir wollten nicht Hip Hop machen, aber wir wollten auch so ähnliche Themen aufgreifen. Diese Edutainment-Idee. Ich versuche nicht, den Leuten ein Startum vorzugaukeln, sondern inszeniere mich als Teil der gesellschaftlichen Beziehungen - nicht Paarbeziehungen, sondern in der Gruppe oder in der Arbeitsumgebung, in dem tatsächlich Erlebten. Heute würde man Prekariat sagen, damals eher Subkultur-Boheme. Das bringe ich auf die Bühne, das versuche ich zu vermitteln. Gerade auf den ersten beiden Platten sind das Themenschwerpunkte, die man auch raus hört. Deswegen auch »Universal Tellerwäscher«.
Verirrt im eigenen Treppenhaus, w ü in der ersten Morgenbrise. Ich fl| hab nichts gegen eine Nachricht. * | Bloß nicht schon wieder diese. Was soll das heißen hier, ich krieg nichts mehr? Ich bin bankrott - Na und? Und ihr? Keine Lust mich überhaupt darum zu kümmern. Diese Scheiße mit dem Geld und ihr Verlauf, reibt dich nur auf.
diskus / / Ihr werdet auf Euren Alben zunehmend politisch konkreter, gerade bei »Das Weltall ist zu weit«. Wenn man dort in die Texte geht, wird schon deutlich, dass das Album auch gesellschaftliche Verhältnisse und die Lebenssituationen von Leuten beschreibt. Ihr habt das Album bei eurem Auftritt auf dem Soziologiekongress in Jena auch selbst als KampfliederAlbum bezeichnet.
Frank Spilker / / Das war fast schon eine Inszenierung. Ich denke nicht, dass wir politischer geworden sind, sondern dass wir das politische Lied, wie man es kennt, inszeniert haben, um klar zu machen, dass das auch geht. Dass das nicht außerhalb unserer Möglichkeiten liegt, außerhalb unseres Kosmos. Die Entscheidung nicht so parolenhaft zu sein, war immer eine ästhetische oder eine strategische. Anfang der 90er konnte man niemandem damit kommen, weil die Parolenhaftigkeit völlig zementiert war, mit Vorurteilen behaftet, entweder eine Alt-68-Ecke oder eine Alt-Punk-Ecke, mit dieser Art von Sprache ist man nicht fresh oder wirkungsvoll. Selbst 2004 oder 2005 war es noch schwierig. Viele Leute reagieren mit einer Abwehrhaltung auf solch eine Deutlichkeit.
diskus // Uns hat das damals sehr gefreut.
Ihr habt das Album ja in einer Zeit rausgebracht, in der Hartz-IV eingeführt wurde und damit eine tiefgreifende Veränderung der Sozialsysteme einher ging. Da fanden wir es eigentlich ganz nett, musikalisch mal wieder konkreter zu werden. Nicht nur das Individuelle zu beschreiben, sondern auch Systemfragen zu stellen, wenn man diese Entwicklung unterbrechen will.
Frank Spilker / / Diese inhaltliche Aussage haben wir ganz am Anfang schon gemacht: »Fickt das System«, aber man muss einfach weiterdenken. Es ist auf jeden Fall künstlerisch interessanter, das System zu hinterfragen als sozialdemokratisch zu fragen, wo man das System ein bisschen erträglicher machen könnte oder wie das richtige Leben im falschen funktioniert. Es ist künstlerisch immer interessanter zu fragen: »Wo ist der Fehler im System?«, auch wenn man mit der eigenen Einschätzung daneben liegt.
Uns ist auch noch einmal aufgefallen, dass viele Songs von »Räuber und Gedärm« sich unglaublich gut auf die aktuelle Finanzkrise münzen lassen. Das hat auch damit zu tun, dass es vorher diesen Finanzhype gab und die völlig überbetonte Wichtigkeit des Finanzwesens. Ich glaube, dass man das in den Jahren vor dieser Krise gespürt hat: Es soll jetzt alles durchkapitalisiert werden, man soll möglichst viel Geld mobil machen für Kapitalanlagen. Es soll möglichst nichts mehr auf dem Sparbuch sein, alles in Aktien. Das kam mir schon ziemlich lange komisch vor. Es gibt diesen Song »Es gibt nichts spannenderes« als Gegenreaktion auf dieses Beballertwerden: »Jetzt leg doch mal dein nicht vorhandenes Geld an«.
diskus / / Wie denkst Du die Krisenstimmung, die ja im Bereich der Finanzkrise sehr aufgedreht ist, mit anderen gesellschaftlichen Bereichen, beispielweise mit Momenten der Prekarisierung zusammen? Glaubst Du, dass sich dort nochmal eine Verschiebung oder Verschärfung der Situation beobachten lässt?
Jedenfalls, wenn mal einmal unten ist, kommt man nicht so leicht wieder hoch. Das muß man erst mal begreifen - aber spüren tut es jeder Idiot!
Frank Spilker // Ich denk gerade darüber nach. Direkt nach unserem Konzert auf dem Soziologiekongress kam jemand im Hotel auf mich zu und meinte, dieses ganze Gerede von Prekariat sei lediglich die Ängste von jungen Akademiker_innen, die den Schritt vom Studium in den Beruf schaffen wollten und man da nicht wirklich von Krise sprechen könne. Und ich kann das ein bisschen nachvollziehen. Ich denke, dass viele Leute, die von Krise reden, Krise auf einem Niveau meinen, wo es wirklich nicht um die Existenz geht, sondern vielleicht um ein bisschen schlechtere Aufstiegschancen. Wenn z.B. Apotheker_innen sich beklagen oder Ärzt_innen, wird das öffentlich sehr breit getreten, aber da kann man eigentlich nicht von Krise reden. Was wirklich ein Einschnitt ist, mal abgesehen von der Weltwirtschaft, ist diese ganze Agenda 2010 oder Hartz IV-Geschichte in Deutschland. Denn das hat wirklich das Leben von Massen verändert und zum Schlechten verändert. Und wie sich das langfristig auswirkt, wird man sehen. Ich denke, dass ist alles noch gar nicht abzusehen. Ich glaube, dass da bei vielen Leuten noch Reserven sind, die irgendwann auch komplett weg sein werden, wodurch es noch mal härter wird.
Gewalt ist keine Lösung und reicht auch nicht als Strategie. Wir rufen ausdrücklich nicht dazu auf doch die, die Druck ausüben um uns in die Knie zu zwingen, die sind gewalttätig während wir nur singen: Hier kommt die Kaltfront - ein Meer der Frische. Nur ohne Fische - alles unberührt. Hier kommt die Kaltfront und zwar die Größte, die es je gab und die Alles zerstört.
diskus / / Es sind auch Entwicklungen, deren Beschreibung ich in Euren letzten beiden Alben mitlesen kann. Aber das finde ich gerade gut, weil ich schon das Gefühl habe, das da noch mal eine qualitative Veränderung eingetreten ist, da es eben auch eine viel breitere Masse trifft weil Sozialversicherungssyteme einfach komplett wegfallen oder bestimmte Möglichkeiten, über die man sich vorher auch temporär finanziell absichern konnte, nicht mehr so einfach nutzbar sind.
Jetzt leg doch mal Dein nicht vorhandenes Geld an
Frank Spilker / / Also ich sehe das in meinem Umfeld. Ich wusste ja teilweise gar nicht, was es alles für versteckte Subventionen und Hilfen früher gab, weil ich als Musiker davon nicht betroffen war. Zum Beispiel konnten sich Leute, die beim Film gearbeitet haben, ähnlich wie Schriftsteller_innen und andere Künstler innen, nach einem Job - auch wenn sie in dem nur zwei Monate gearbeitet haben, arbeitslos melden. Nicht Hartz IV und nicht Sozialhilfe, sondern eben Arbeitslosengeld. Dann auch ein ganzes Jahr oder so und dann haben sie wieder zwei Monate gearbeitet. Das sind ja paradiesische Zustände. Wenn ich mir das überlege, dass ich das könnte, das wäre ja toll. Denn bei einer Rockband ist es ja auch immer so, man ist dann auf Tour, verdient ganz viel Geld. Und wenn man sich dann danach arbeitslos melden kann, auf dem Niveau, das wäre eine tolle Sache. Ist natürlich bei uns nie so, war auch bei Musiker_innen nie so. Aber die Veränderung ist eben die, dass das alles nicht mehr geht, das heißt, du musst mit den zwei Monaten Job, die du hast, das ganze Jahr überleben. Das ist natürlich ein ganz großer Einschnitt und das ist mehr als ein nicht an die Inflation angepasster Lohnausgleich, sondern ein ganz harter Einschnitt, gerade in diesem Bereich der Kulturproduzent_mnen. Vor vier Jahren, vor Hartz IV, konnte man eben noch Schriftsteller sein, jetzt kann man es nicht mehr, jetzt ist man einfach Hartz IV-Empfänger_mnen. Deshalb ist dieser Bereich vielleicht auch interessant, der Bereich der künstlerischen Produktion. Also da hinzugucken, was passiert da. Weil da viel härtere Einschnitte sind als anderswo.
diskus / / Aber das führt doch wahrscheinlich zu erhöhter Konkurrenz, beispielsweise bei der Finanzierung von Projekten. Merkt man das?
Frank Spilker / / Auf jeden Fall. Ich war gerade bei einer Diskussion auf einem Künstler_innenkongress in Hamburg. Da wurden über alle Genres und Schranken hinweg Leute zusammengesetzt, um herauszufinden, was sie auf dem Herzen haben. In den Gesprächen konnte ich heraushören, wie hart dieser Konkurrenzkampf um die Gelder, die noch da sind Kulturgelder, staatliche Gelder - ist. So dass es dort wirklich existenzielle Bedürfnisse gibt, an diese Budgets ranzukommen. Das existiert in der Rockmusik so nicht. Da gibt es diese Gelder nicht oder nur sehr wenig und insofern muss man sich dann auch nicht gegenseitig darum streiten. Es gibt sicherlich auch Konkurrenz, aber die spielt eher auf einer abstrakten Ebene, einer inhaltlichen oder Diskursebene. In der Popmusik geht es immer sehr stark darum, wer den Diskurs dominiert, was auch modeabhängig ist, aber das ist noch mal was anderes als dieses Konkrete: Wer bekommt jetzt wie viel von diesen Budget, das für Kunst da ist, im Haushalt 2007?
diskus // Wobei ich mir vorstellen kann, dass das - vermittelt über Konzerte - auch spürbar ist, weil die Institutionen, die vorher gefördert haben und Konzerte veranstalten konnten, weniger machen können.
Frank Spilker / / Ja, okay. Was gefördert wird, sind ja Jugendzentren und in Hamburg ein bisschen die Clubszene. Das ist aber auch nicht wirklich so, dass du als Musiker_in davon betroffen bist. Sondern dann eher die Clubs selber, die irgendwelche Prämien kriegen für ihre Programmgestaltung. Ich finde, das funktioniert eigentlich alles ganz gut, da habe ich auch nicht das Gefühl, dass es zusammenbrechen würde. Es ist eher so: Je weniger gefördert wird, desto weniger Bands gibt es, die sich dieses Rockband-Leben über-
Der Handel blüht auch wie bescheuert, überall Verträge. Wenn’s nicht mehr liefe, wüßte einer, woran das dann läge.
haupt erlauben können. Es wird also immer mehr eingeengt auf die erfolgreichen Acts. Aber das sind dann auch die, die wirtschaftlich funktionieren und Clubs, die groß genug sind, solche Acts zu buchen, machen dann auch dementsprechend Gewinn.
diskus / / Woran arbeitet ihr jetzt?
Frank Spilker / / Wir haben ein paar neue Stücke und testen die auch auf den Konzerten live aus. Momentan geht es so in eine Raverichtung, frühe 90er-Placienda, aber mit anderen Mitteln. Wir sind ja auch eine Rockband und zehn Jahre später hört sich das einfach anders an. Ein bisschen der Geist von Krautrock und elektronischer Musik. Es ist so eine DanceLogik. Das heißt nicht, dass jetzt elektronische Instrumente einen größere Rolle spielen als vorher. Mann kann es mehr tanzen, aber tanzen war ja auch immer schon wichtig. Es gibt bestimmte Songlogiken und Signale. Gestern auf der Bühne ist mir das wieder aufgefallen. Wenn man ganz lange nichts macht, nur Rhythmus, dann fällt irgendwann bei den Leuten der Schalter: Ah dance, tanzen. Das Tempo der Ereignisse spielt eine wichtige Rolle. Bei einem Song wären die Leute schon längst genervt, weil ein Song eine viel größere Aufmerksamkeit fordert. Wenn eine Band sich vor dem Publikum aufbaut, fordert sie eine ganz andere Aufmerksamkeit von dem Publikum als ein DJ. Es gibt wesentlichere Unterscheidungspunkte zwischen Dancemusik und songorientierter Musik als die Instrumente. Auf jeden Fall macht es mir und der Band gerade sehr großen Spaß, damit zu experimentieren.
Mehr und aktuelles zu »Die Sterne« auf ihrer Homepage https://www.diesterne.de/
Es steigt. Es steigt. Es steigt. Es steigt. Es steigt. Es steigt. Es steigt. Es steigt. Es steigt. Es steigt. Es steigt. Es steigt.
Es hält. Es hält. Es hält. Es hält. Es hält. Es hält. Es hält. Es hält. Es hält. Es hält. Es hält. Es hält.
Ach nein, doch nicht.