Sich unvorsichtigenveise in »die Traditionen der europäischen Akademien des 18. und 19. Jahrhunderts« stellendformulierte die Stiftung für Kulturwissenschaften inEssen im Dezember 2007 eine Preisfrage, deren Beantwortung in Form eines Essays zu erfolgen habe: »Die Preisfrage lautet: Darf ein Minarett höher sein als ein Kirchturm?« Denn, wer hätte es geahnt, uns fehlt es nicht anOrientierung, sondern: »Um kulturelle Orientierung wirdgerungen, häufig mit Symbolen. Für die Beteiligten gehtes dabei, symbolisch, ums Ganze.«Puh! Nicht so flott, wir bleiben lieber bei der Philosophie,die die Welt eben nicht verändert, sondern nur neu interpretiert: »Für ein Nachdenken über Grundfragen symbolischer Repräsentanz kultureller Orientierung bleibt wenigRaum.« Dieser Raum wird zudem von Minaretten,Kirchtürmen, Kuppeln und anderen Gebäuden (Sparkassen, Banken, Superdomes und V2-Abschussrampen) massiv beansprucht und erschien somit eines Essays würdig(Zitate bis hierher aus dem Ausschreibungstext).

Ein Blick aus unserem Frankfurter Fenster ergab den klaren Befund, dass kapitalistische über religiöse Repräsentanz dominiert. Daher sahen wir es in der für den Essaygegründeten »Forschungsgruppe Integration Frankfurtam Main« als notwendig an, diese Dimension in die Kulturwissenschaften einzubringen, um auf konstruktive Artden Dialog zu suchen, und reichten folgendes (für die diskus gekürztes) Essay ein:

Darf ein Minarett höher sein als ein Kirchturm?

Derzeit verbietet kein Gesetz, ein Minarett höher zu bauen als einen Kirchturm. Baupläne für Kirchen und Minarette müssen sich, wie andere Bauvorhaben auch, an die von Städten und Kommunen vorgegebenen Bebauungs- und Flächennutzungspläne halten, weitere Einschränkungen gibt es derzeit keine. Juristisch lässt sich diese Frage für die Gegenwart also klar bejahen. Fragen wie die des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen scheinen jedoch darauf hinzuweisen, dass ein weiterer Regelungsbedarf bestehen könnte. Vielleicht gibt es gar eine Gesetzeslücke, die zu schließen eine interdisziplinäre Auseinandersetzung erfordert? Wir müssen überlegen, ob es sinnvoll ist, ein Gesetz zu fordern und zu formulieren, welches die Höhe religiöser Bauten reguliert. Denn zusätzlich zu der juridischen Dimension bleibt die kultur- und sozialwissenschaftliche Frage, ob ein bauliches Übertrumpfen anderer Religionen vermieden werden sollte, um eventuelle Gewaltausbrüche von Mitgliedern einer Gesellschaft zu verhindern.

Vorab müssen wir uns allerdings darüber klar werden, dass diese Fragestellung sich nicht an einem demokratischen Ideal ausrichtet. Vergleicht man etwa Entwürfe von demokratischen, sich auf Partizipation und Transparenz verpflichtenden Architektinnen, so stellt man fest, dass diese nicht auf Höhe abzielen, sondern flache Hierarchie, Erreichbarkeit und Transparenz bevorzugen. 1 Von Sozial- und Kulturwissenschaftler_innen oft vernachlässigt, gilt es, die Bedeutung von Architektur für die Subjektkonstitution gebührend zu berücksichtigen - ist sie doch Teil der materialisierten symbolischen Ordnung einer Gesellschaft und wesentlich beständiger als andere Faktoren der Lebens- und Umwelt: Der Wettbewerb um bauliche Superlative ist kein demokratischer, er ist ein Ausdruck von einem machtgeleiteten Repräsentationsbedürfnis und der Selbstinszenierung bestimmter Gruppen.

Deutlich wird diese symbolische Repräsentanz am Beispiel der Geschichte Frankfurts. Lange Zeit war der Frankfurter Dom das höchste Gebäude der Stadt. Der 1972 fertig gestellte »AfE-Turm« der Johann Wolfgang Goethe-Universität hielt mit 116 Metern bis 1975 die Spitzenposition inne. Er war nach seiner Fertigstellung das Gebäude, das der Autofahrer_in signalisierte, welche Stadt vor ihr liegt. Der Turm beherbergte damals wie heute die sozialwissenschaftlichen Fakultäten der Universität - zur Zeit seines Baus war dieser Fachbereich von Vertretern (weniger Vertreterinnen) der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule dominiert, von einer Wissenschaft also, die sich in die Tradition der Aufklärung stellte, für soziale Gerechtigkeit eintrat, die Verbrechen der Nationalsozialist_innen mit unterschiedlichen Methoden zu erklären versuchte und für eine Welt eintrat, in der man »ohne Angst verschieden« (Theodor W. Adorno) sein konnte. Doch nur nach drei Jahren musste die Wissenschaft ihre hervorgehobene Stellung wieder abgeben.

Heute liefern sich Banken und Handel, die beiden einträchtigsten Segmente der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, den Wettbewerb um das größte Gebäude: Fährt man die Neue Mainzer Landstraße entlang, wird man Zeuge des gegenseitigen Übertrumpfens. Von 1990 bis 1997 war der Frankfurter Messeturm mit 257 Metern das höchste Gebäude Europas, dann wurde er vom Frankfurter Commerzbank-Tower um 2 Meter übertroffen (der mit Antenne sogar 300 Meter misst). Der Wettstreit darum, dem Himmel am nächsten zu sein, wird also von den Vertreterjnnen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung unter sich ausgefochten. 2 Eine Untersuchung der erlaubten Bauhöhe von repräsentativen Gebäuden muss die derzeitigen Rekordhalter berücksichtigen. Daher erweitern wir die Fragestellung: Darf eine Moschee oder ein Kirchturm ein Bankgebäude überragen? Daraus ergibt sich wiederum die Frage, ob Deutschland sowohl den höchsten Kirchturm als auch die höchste Moschee bzw. um genauer zu sein, das höchste Minarett der Welt beherbergen möchte. Denn der höchste Kirchturm der Welt ist bereits hier: Der 1890 fertig gestellte 161,53 Meter hohe Turm des Ulmer Münsters ist der höchste Kirchturm der Welt.

Um den Bankgebäuden Konkurrenz zu machen, müsste also ein Kirchturm, der nahezu doppelt so hoch ist wie der derzeit höchste, erbaut werden. Ein Projekt, das sich angesichts des Besuchermangels in christlichen Kirchen nur schwer rechtfertigen ließe. Ähnlich verhält es sich mit dem Bau eines den Commerzbank-Tower übertrumpfenden Minaretts: Das weltweit höchste Minarett ist 210 Meter hoch und gehört zur 1993 fertig gestellten Moschee Hassan II in Casablanca, Marokko. Es geht also nur um den zweiten Platz in der Gebäude-Hierarchie, womit wir hoffen, der Dramatik der Frage einiges an Wind aus den Segeln genommen zu haben: Derzeit konkurrieren zwei Weltreligionen - das Christentum und der Islam - um die Silbermedaille.

Diese Problematik ist aber nicht nur für Statikerjnnen und die Herausforderung suchende Bauherr_innen interessant. Auch Theolog_innen müssten eine Machbarkeitsstudie zur Frage des Überragens von Bankgebäuden in Auftrag geben. Denn sowohl im Koran als auch im alten Testament finden sich bedenkenswerte Äußerungen zum Bau hoher Gebäude: Koran, Sure 28, Verse 38-40: »Und Pharao sagte: >Oh Ihr Vornehmen, ich kenne keinen anderen Gott für Euch außer mir; so brenne mir, o Haman, Ziegel aus Ton und mache mir einen Turm, damit ich den Gott Moses erblicken kann, obgleich ich ihn für einen Lügner erachte.< Und er und seine Heerscharen verhielten sich ohne Recht hochmütig im Lande. Und sie meinten, nie zu uns zurückgebracht zu werden. So erfassten wir ihn und seine Heerscharen und setzten sie mitten im Meer aus. Schau darum, wie der Ausgang der Missetäter war!« Noch deutlichere Vorbehalte müssten Vertreterinnen der christlichen Religionen gegen eine unbegrenzte Höhe ihrer Gebäude haben. Schließlich gehört die Geschichte des Turmbaus zu Babel zu der Grundlagentextsammlung des Christentums. Diese Geschichte besagt, dass der Versuch der Menschen, einen enorm hohen Turm - »mit einer Spitze bis zum Himmel« (Einheitsübersetzung) oder »bis an den Himmel« (Luther-Übersetzung) zu bauen, um sich »einen Namen zu machen«. Dies provozierte Vorbehalte seitens Gottes, der den Menschen zutraute, dass ihnen nun alles gelingen könne, was sie sich vornähmen, was die Allmächtigkeit des Gottes letztendlich relativieren würde. Daraufhin verpasste Gott den Menschen verschiedene Sprachen, sodass sie sich nicht mehr verständigen und den Turmbau nicht fortführen konnten und verstreute sie in die ganze Welt (vgl. Die Bibel, Genesis 11,1-11,9). Deutlich wird die räumliche Ordnung, die Gott den Menschen zuweist: Sie sollen sich horizontal, nicht vertikal ausbreiten.

Falls sich aus dieser Untersuchung ein Gesetzesvorhaben zur Regulierung der maximalen Bauhöhe für Sakralbauten entwickeln sollte, möchten wir Untersuchungen zur Archäologie in Synthese mit Erkenntnissen der Architektur- und Technik-Geschichte anregen. Diese könnten ermitteln, wie weit die Kenntnisse zur Zeit des Turmbaus entwickelt waren und damit einschätzen, wie hoch der Turm zu Babylon höchstens gewesen sein konnte. Dies sollte einen nicht zu überschreitenden Grenzwert für christliche Kirchen,

Synagogen und Moscheen verbindlich festschreiben. Dies erfordert aber zunächst die Beantwortung der Frage, ob der Vergleich religiöser mit kapitalistischer Repräsentanz überhaupt legitim ist. Dazu müssen wir klären, was eine Religion ist und was Banken und Messegebäude mit ihr gemein haben.

Religionen sind Erzählungen, die Außenstehenden meist als befremdlich erscheinen, die aber in ihrem Einzugsgebiet das Verhalten der Menschen bemerkenswert synchronisieren, so dass viele Betroffene diese Phantasien für die einzig erstrebenswerte, akzeptable und schlussendlich mögliche Daseinsform halten. Die derzeit auf der Erde unbestritten mächtigste Erzählung ist der Kapitalismus. Sie beruht auf den so genannten »Marktgesetzen«. Diese fußen auf dem Glauben daran, dass alle Menschen stets versuchen würden, sich gegenseitig zu übervorteilen. Das empfohlene kapitalistische Verhalten ist daher, den Eigennützen möglichst zu maximieren und altruistischem Verhalten keinen Raum zu geben. Dem persönlichen Vorteil wird so Vorrang gegenüber gesamtgesellschaftlichem Nutzen eingeräumt. Weil niemand gerne in der Opferrolle verharren möchte, ist es ratsam, an die Marktgesetze zwar nicht unbedingt zu glauben, aber sie doch zu kennen und zu beherzigen. Hier ist eine erstaunliche Ähnlichkeit zwischen der Erzählung des Kapitalismus und der anderer Religionen zu konstatieren.

Die Gemeinsamkeiten gehen aber noch weiter. Auch der Kapitalismus predigt einen paradiesischen Zustand: den freien Markt. In ihm sind alle Individuen über alle Vorgänge am Markt jederzeit vollständig informiert. Alle Bedürfnisse werden durch Waren befriedigt und die Bedürfnisse entsprechen stets exakt dem Angebot. Die Ökonomie bezeichnet sich selbst als die Wissenschaft des Tausches. Ihr liegen jedoch keine Theorien zugrunde, die versuchen, die Wirklichkeit zu beschreiben . 3 Stattdessen bemüht sie imaginierte Modelle, die keinerlei Bezug zur Realität haben. Das ist bereits erkennbar an fehlenden Definitionen analytischer Begriffe wie >Wert< oder >Nutzen< in der modernen Ökonomie. Stattdessen finden sich Postulate wie >Optimum<, >Effizienz< und >Gleichgewicht<, die keinerlei analytischen Gehalt besitzen. Das Fehlen logischer Grundlagen versuchen die Ökonom_innen durch ausgefeilte Arithmetik auszugleichen, die jedoch nichts beschreibt, als sich selbst. Es gibt in der ökonomischen Lehre keine Markttheorie und so ist sie letztlich zirkulär. [...] Wie eben dargestellt, gibt es gute Gründe, den Kapitalismus als eine der Religion ähnliche Erzählung zu betrachten und in der Frage, wer den höchsten Turm hat und haben darf, zu berücksichtigen. Es gibt jedoch Unterschiede in der historischen Entwicklung von Christentum und Islam auf der einen Seite und dem Kapitalismus auf der anderen Seite. In Europa stellten sich bis vor wenigen Jahrhunderten Gottesdienstverweiger_innen ins soziale Abseits. Noch heute gehört es bei vielen Einwohnerinnen der EU zum guten Ton, unmündige Kinder taufen zu lassen und in einen Religionsunterricht zu schicken. In einigen europäischen und amerikanischen Landstrichen ist die aktive Mitgliedschaft in einer religiösen Vereinigung notwendig für Prestige und Wohlstand. Auch in muslimisch geprägten Weltgegenden ist es in der Regel förderlich, sich religiös zu gebärden. Die kapitalistische Leit-Erzählung hat den Einfluss der klassischen Religionen stark reduziert. Dieser Wandel wird oft nicht bemerkt. Die Ursache dafür ist, dass die Ökonomie sich als Naturwissenschaft tarnt. Das ermöglicht die Mitgliedschaft in (einer) der ortsüblichen Religionsgemeinschaften) und zugleich die inoffizielle, aber gleichwohl erheblich aktivere Teilnahme am Kultus des Mehrwerts. Zudem sind die Möglichkeiten der Beendigung der Mitgliedschaft erheblich reduziert bzw. besteht diesbezüglich ein erheblicher Forschungsbedarf zu den Möglichkeiten der Beendigung der Mitgliedschaft, da kein formal-administrativ gesichertes Austrittsverfahren analog zu dem einiger Religionsgemeinschaften besteht. [...] Doch verlieren wir unsere Ausgangsfrage nicht aus den Augen und kommen wir zurück zur Frage, wer die zweithöchsten Türme bauen darf - Moslems oder Christen. Da dies, wie festgestellt, kein demokratischer Diskurs sein und die gesellschaftliche Akzeptanz daher nicht nach demokratischen Mehrheiten allein bemessen werden kann, scheidet ein Plebiszit zur Entscheidungsfindung letztlich aus. Die gewichtigste Frage bleibt somit, ob es zu einem Bürgerkrieg oder Massaker führen würde, wenn ein Minarett in Deutschland das Ulmer Münster überragte. Es gilt, eine Methode zu entwickeln, die Demokratie und Herrschaft erfassen kann.

Der DUMI Um dieser Frage auf den Grund zu gehen ist es nötig, einen objektiven Maßstab einzuführen, der hilft, eine

Antwort zu finden. Kern dieses Maßes ist die realistische Beurteilung der Machtverhältnisse. Dazu muss zunächst ermittelt werden, wie viel Herrschaft insgesamt im Bezugssystem ausgeübt wird. Wir verwenden dafür den demokratisch unbeherrschten Macht- Index (DUM-Index oder auch DUMI). 4 Ein DUMI von 0 zeigt dabei die ideale Basisdemokratie an, in der nur Institutionen einen exakt definierten Einfluss haben, die direkt und mit imperativen Mandaten von einer überwältigenden Mehrheit gewählt wurden und deren Funktionäre jederzeit absetzbar sind, ebenso wie die gesamte Institution.

Bei einem DUMI von 100 sind sämtliche demokratischen Aspekte beseitigt. Ein DUMI von 100 bezeugt dabei nicht notwendigerweise die Alleinherrschaft eines Diktators. Ein DUMI von 100 kann auch auftreten, wenn verschiedene Interessengruppen einen Krieg um die Macht führen. Zu betrachten ist also nicht allein der Wert des Index, sondern auch, wer welchen Anteil am Index hält. Dies kann für die Erstellung von Prognosen hilfreich sein. In einer fiktiven Region mit einem DUMI von 90 bei einer Aufteilung von 40:40: 10 besteht die Gefahr von Pogromen an der kleinsten auf Herrschaft ausgerichteten Gruppe - die demokratischen Kräfte sind zu schwach, um dem Herrschaftsstreben wirksam etwas entgegenzusetzen; zudem werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach wegen potenzieller Subversion dezimiert werden. In diesem Szenario wird sich mit einiger Wahrscheinlichkeit der DUMI erhöhen, beispielsweise auf 95. Die Aufteilung könnte dann 50:45 betragen ein typisches >Kalter Krieg<-Szenario.

Der DUM-Index ist innerhalb vielfältiger Bezugssysteme anwendbar. In der Praxis kann ein DUMI von 0 beispielsweise in kleinen Organisationen und Verbänden Vorkommen. Hier jedoch untersuchen wir die Frage, ob Minarette höher sein dürfen als Kirchtürme. Da die Frage auf Deutsch gestellt wurde, wählen wir als Bezugssystem den deutschen Staat. Dazu müssen wir feststellen, wer in Deutschland am ehesten ein solches Verbot oder eine solche Erlaubnis durchsetzen könnte - und das sind, ob des formalen und realen Gewaltmonopols des Staates, einzig dessen bewaffnete Einheiten, namentlich Polizei und Militär.

Auch in Deutschland hat die kapitalistische Erzählung den höchsten Einfluss - noch vor den Religionen und dem Nationalismus. Die »Forschungsgruppe Integration Frankfurt am Main« hat für 2006 bei ihrer Untersuchung gesellschaftlicher Machtverhältnisse für Deutschland exemplarisch einen DUMI von 76 ermittelt - mit steigender Tendenz. Mit 54 Punkten bildet der Kapitalismus den höchsten Anteil, neun Punkte verursachen jeweils die beiden christlichen Religionen, je zwei Punkte machen Muslime und Nationalist_innen aus. Die demokratischen Institutionen ordnen sich längst diesem Primat unter und nennen diese Huldigung >Sachzwänge<. Die gängige Bezeichnung dieses Konkordats ist >soziale Marktwirtschaft. An Boden verlieren die nach wie vor nennenswerten demokratischen Kräfte. Immer seltener fallen demokratische Argumentationen auf fruchtbaren Boden, um echte freiheitliche Errungenschaften wie z. B. den freien Zugang zu Bildung und Gesundheitsvorsorge aller durchzusetzen und zu verteidigen. Den DUMI erhöhen neben der Marktwirtschaft noch die beiden christlichen Kirchen, eine muslimische Minderheit sowie der Nationalismus.

Diese Zahlen verdeutlichen, dass das Machtverhältnis von der Frage, ob Minarette oder Kirchtürme höher sein dürfen, unberührt bleibt - es handelt sich nämlich nicht um eine Frage nach zunehmender oder abnehmender Demokratie, sondern nur um eine interne Neuordnung der in den DUMI einfließenden Faktoren: Selbst wenn ein Minarett dem Ulmer Münster den zweiten Rang abläuft, wird das zu keinen größeren Unruhen führen. Mit Terroraktionen von christlicher oder nationalistischer Seite würde der Kapitalismus, wie oben gezeigt mit dem Index-Wert 54 gegenüber dem Indexwert aller Religionen (20), leicht fertig werden.

Wir sollten die demokratischen Institutionen in Deutschland dennoch nicht vernachlässigen - immerhin haben sie nach wie vor einige Bedeutung (Indexwert 24).

Erlaubtes und Erstrebenswertes -Grenzen der Anerkennung

Wir haben die Frage nach dem >Dürfen< nun ausführlich behandelt. Warum befriedigt uns die einfache Antwort nicht? Haben wir die Frage zu eng betrachtet? Hatten wir nicht gehofft, im Verlauf der Untersuchung mehr zu erfahren über den emotionalen und soziokulturellen Wert von Islam und Christentum? Über die Möglichkeit zu freier und gleichberechtigter Ausübung von Religion in gegenseitiger Toleranz? Ob nicht vielleicht eine Ökumene von Christentum und Islam die zerstrittene Welt einen und zu einem friedlichen Miteinander anleiten könnte? Nein, diese Hoffnungen hegten wir nicht. Wir vermissen vielmehr die Untersuchung aufklärerischer und emanzipativer Repräsentanz in der Öffentlichkeit, die Ursachen von Religion sowie Vorschläge zur Gestaltung eines konstruktiven interkulturellen Dialogs.

Um, wie in der Ausschreibung gefordert, zu einer »Kultur der Anerkennung im interkulturellen Diskurs der Gegenwart« zu kommen, dient die Auseinandersetzung darum, wer oder was gesellschaftliche Anerkennung bekommt, als Indiz für das Ringen um kulturelle Orientierung. Hierbei ist nicht zu vergessen, dass Anerkennung zugleich immer die Ablehnung gegenläufiger Ansprüche impliziert. Wenn z. B. Antidiskriminierungsgesetze dazu beitragen, dass Lesben und Schwule eine vertraglich geregelte und mit Rechten ausgestattete Partnerschaft eingehen dürfen, so widerspricht dies dem Anspruch derjenigen, die die Ehe zwischen Mann und Frau als einzig legitime Lebensform installieren möchten. In diesem Sinne wollen wir Anerkennung als ein gesellschaftliches Verhältnis, das von den gegebenen Moralvorstellungen und Kräfteverhältnissen beeinflusst wird, begreifen. Innerhalb dieses Verhältnisses streiten wir für die Anerkennung von aufklärerischen, den Menschen »aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit« (Immanuel Kant) befreienden Ansprüchen. Hinter dieses vor über 200 Jahren formulierte Diktum möchten wir nicht zurückfallen. Wir nehmen emphatisch Position für eine Anerkennung, die der Ausweitung der Freiheit des Individuums in aufklärerischer Tradition verpflichtet ist. Eine Kultur der Anerkennung im interkulturellen Diskurs der Gegenwart müsste also den Raum bieten, stetig neu in Aushandlungen zu treten (Herr Kant ist nicht als Vertreter der Frauenrechte bekannt und auch die Abschaffung der Sklaverei ist nicht so alt wie die Aufklärung - trotzdem halten wir an beiden fest). [...] Wenn Menschen sich für religiöse Erklärungen entschieden haben, gibt es trotzdem gute Gründe, die Anerkennung für eben solche einzuschränken. Der Abschied von der bislang scheinbar gesicherten eigenen symbolischen Ordnung, die Infragestellung des durch sie konstruierten Sinnzusammenhanges ist selbstverständlich ein großer Schritt für die Subjekte. Er ermöglicht allerdings auch Einiges.

Mit diesem Blick auf die Dinge könnte es gelingen, endlich Migrant_innen und nicht-weiße Deutsche nicht mehr als >Problem< zu betrachten, sondern als Individuen mit je nach Schicht- und Bildungshintergrund verschiedenen Ansprüchen und Interessen. Dann würden auch die Absurdität von Vorschlägen, wie z. B. Migrant_innen über religiöse Gruppen anzusprechen, um so deren Integration in die deutsche Gesellschaft zu erreichen, deutlicher erkennbar. Denn nicht selten werden Menschen von derart motivierten Gruppen zur Flucht aus ihrem Land gezwungen. Für unsere Forschungsgruppe, die an demokratischer Teilhabe aller Menschen in einer modernen und globalisierten Welt festhält, führt dieser Ansatz nicht weit genug - wenngleich er die Frage, ob eine Moschee oder eine Kirche größer sein dürfte, dann recht einfach beantworten würde: >Hier< haben sich >die< an >uns< anzupassen, wenn >wir< >dort< sind, müssen >wir< uns >denen< anpassen. In Deutschland müsste also der Kirchturm das Minarett überragen und in Indonesien umgekehrt. In Deutschland dürfen Frauen einen Führerschein machen, in Saudi-Arabien eben nicht. So einfach ist die Sache und man kann sie ganz ohne Argumente regeln. Und es geht auch noch weiter: Da >die< bei >uns< immer noch >die< sind, gelten für >die< bestimmte Regeln: Da können >wir< schon mal Nachsicht üben, wie es eine hessische Richterin tat, als ein Mann seine Frau verprügelte oder, wie es ein Berliner Kollege tat, mildernde Umstände walten lassen, wenn Brüder ihre Schwester ermorden, weil sie sich nicht so verhält, wie es sich in deren Augen gehört - so ist halt )deren< Kultur. Auch hier wird kein weiteres Argument benötigt. Einen Dialog können wir hier nicht erkennen. Neben der klaren Trennung in >wir< und >die< werden gesellschaftliche Realitäten schlicht ignoriert: Dass >die< nämlich ein Teil von >uns< sind: 35 Prozent der in Deutschland lebenden Türk innen sind hier geboren.

Es kann nicht angehen, dass im Namen von >Meinungsfreiheit< und >Religionsfreiheit< gerade diejenigen zurückstecken sollen, die diese Rechte erkämpft haben. Wie alle Freiheiten, so ist auch die Meinungsfreiheit bitter und blutig erkämpft worden und kein für alle Zeiten garantiertes Recht - die Wiedereinführung der Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland ist nicht einmal 70 Jahre her. Es geht, und zwar nicht ausschließlich symbolisch, ums Ganze: Menschen, denen ihre Freiheiten - seien sie politischer oder sexueller Art; betreffend der Ernährung, der Musikauswahl, der Kleidung, der Meinungsäußerung, der Ausübung des Berufs - wichtig sind, und auch Menschen, die ihre Neugier nicht verstecken möchten, die sich einen offenen Zugang zur Welt und den Menschen um sie herum erhalten möchten, die ins Theater gehen möchten oder Kino toll finden, sollten diesen Anspruch, dieses Begehren, diese Forderung nicht im Namen von beleidigten Religionsvertreter_innen aufgeben. Im Übrigen werden auch Überzeugungen von Atomkraftgegner innen, Feminist_innen, Lokführer_innen und Globalisierungsgegner_innen regelmäßig

in Zeitungen, Werbung und sonstigen Medien lächerlich gemacht.

Fazit

Es bleibt festzuhalten, dass es unbedingt erforderlich ist, den DUM-Index in jeder Hinsicht auf möglichst niedrige Werte zu drücken, so dass vor allem das bessere Argument gewinnt und Kultur nicht von religiösen Vorstellungen dominiert wird. Aber nicht nur Religion, auch z. B. Nationalismus ist eine Gefahr für individuelle Freiheit.

Auch eine freie Assoziation freier Individuen muss sich drauf einigen, wie die für alle verbindlichen Vereinbarungen aussehen sollen und ist darauf angewiesen, Widersprüche und unterschiedliche Wünsche, Selbstbeschreibungen und Bedürfnisse auszuhalten. Diese Freiheit, entscheiden zu können, was gesellschaftliche Anerkennung bekommt und was nicht, stellt auf der analytischen Ebene eine andere Kategorie dar als die konkreten Inhalte. Deswegen gilt es, diese Freiheit zu verteidigen und nicht von autoritären, paternalistischen oder kulturrelativistischen Forderungen einschränken zu lassen. Sie bedürfen des ständigen Aushandlungsprozesses und eines nicht nur in Krisensituationen geführten Dialogs. Idealerweise wird den Menschen ein bestimmter Teil ihrer Arbeitszeit als >Sozialzeit< zur Verfügung gestellt, in der sie sich gemeinsam mit ihren Nachbar innen überlegen können, wie sie ihr Zusammenleben gestalten möchten. Die heute scheinbar gezähmte Religion sollte in ihrer Bedeutung für den Lebensalltag ihrer Mitglieder nicht unterschätzt werden. Wir möchten hier niemandem ihr Freizeitvergnügen madig machen - wer gerne adrett gekleidete junge Männer mit schwingenden Weihrauchbehältern zu morgendlicher oder gar abendlicher Stunde bewundert, soll dies selbstverständlich weiterhin tun dürfen.

Das KWI als schlechte Verlierer in

Das Kulturwissenschaftliche Institut Essen konnte sich jedoch leider nicht unserer Argumentation anschließen undsagte daraufhin den gesamten Wettbewerb kurzerhand ab,wie das folgende Schreiben dokumentiert. So formulierteProf. Dr. Jürgen Straub: »Ich möchte Ihnen weiterhin mitteilen, dass die Entscheidung, keinen Preis zu vergeben,keineswegs bedeutet, dass nicht interessante Arbeiten eingegangen wären. Wir tragen uns auch mit dem Gedanken,ein kleines Symposium zu veranstalten, in dem wir ausgewählte Arbeiten in einem vielleicht etwas größeren Kreiszur Diskussion stellen. Allerdings ändert das nichts an derwohlbedachten Entscheidung, keine der eingegangenenArbeiten zu prämieren. Diesbezüglich will ich gerne zugestehen, dass die Preisfrage vielleicht nicht optimal gestelltwar und auch der verfügbare Platz zu knapp bemessenwar. Die Jury hat sich mit diesen Aspekten durchausselbstkritisch befasst. Wir werden unsere Erfahrungen beider nächsten Ausschreibung einer Preisschrift berücksichtiget!.«

Wir hätten die 6 000 Euro Preisgeld ja gerne für dieweitere Forschung unserer Forschungsgruppe verwendet(immerhin sind Spesen bei den Redaktionssitzungen bislang nicht gerade üppig gewesen). Da der Rechtsweg wieimmer ausgeschlossen ist, bleibt uns nur, die Einladung zubestätigen: Wir sehen uns beim Symposium!

Die Forschungsgruppe IntegrationFrankfurt am Main sind:Sarah Dellmann, Martin Hauptmann, Iris d'Orville Die ungekürzt Fassung des Essays der Forschungsgruppe ist zu finden im Internet unter der Adresse: http: / / www.diskus.copyriot.com/ 08-1 / minarett_und_kirchturm.pdf //_noten #1 Der Architekt Ferdinand Kramer (1898-1985), der in der Nachkriegszeit mit dem Bau von Universitätsgebäuden der Universität Frankfurt am Main beauftragt wurde, machte dies zu seinem Programm, in dem er etwa den engen Eingang zum Hauptgebäude verbreitern und durch eine Glasfassade ersetzen ließ und das Direktorenzimmer im Erdgeschoss einrichtete.

#2 Allein der Frankfurter Fernsehturm überragt mit 337,5 Metern alle Bankgebäude der Stadt. Ob dies Ausdruck der Vormachtstellung der Medien und der Kommunikation in einer vernetzten Welt sind, darf jedoch bezweifelt werden, da hier nicht repräsentative Beweggründe die Höhe bestimmten sondern schlicht die Notwendigkeit zur Zweckerfüllung, somit kann hier nicht von Gestaltungsfreiheit die Rede sein. Auch befindet er sich nicht im repräsentativen Zentrum, sondern am nördlichen Stadtrand, in der Nähe eines Autobahnkreuzes.

#3 Ausführlich bei Prof. Michael R. Krätke: Neoklassik als Weltreligion? in: Loccumer Initiative kritischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Hg.): Kritische Interventionen. Flugschrift Kritischer Wissenschaft, Bd. 3, Die Illusion der neuen Freiheit. Realitätsverleugnung durch Wissenschaft, Hannover 1999, 100-144.

#4 Zum DUM-Index vergleiche: Forschungsgruppe Integration Frankfurt am Main (Hg.): Gesellschaftliche Machtverhältnisse - Methoden zur Erfassung von Demokratiebewusstsein. Unveröffentl. Vortragsmanuskript, Frankfurt am Main 2006.