RAVEolt, I say
Am späten Abend des 2. Oktober 2008 sollte sie beginnen, die Nachttanzdemo 2008 »Deutschland den ISchlaf rauben - Die Verhältnisse zum Tanzen bringen!«. Sollte.
Zur Auftaktkundgebung am Südbahnhof waren mehrere hundert Teilnehmerinnen erschienen, die sich schließlich im einem spontanen Demozug zum nahegelegenen Schweizer Platz begaben, an dem die Demo auf über 1000 Teilnehmerinnen anwuchs. Über die Gutzkowstrasße sollte dieser Demozug auf die eigentliche Route stoßen, um - so das einvernehmliche Ziel - die Nachttanzdemo (NTD) wie geplant durchzuführen. Drei der geplanten acht Musikwägen hatten es bis hierher geschafft und die Demo begann.
Nach wenigen hundert Metern wurde die Demo durch eine Kette der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) der Polizei aufgehalten, da die angemeldete Route verlassen worden sei. Der Zugang zu dieser war aber nicht möglich, Verhandlungen wurden nicht zugelassen. So tanzten die Leute also erst einma dort, wo sie waren. Schließlich wurde das Polizeikordon enger gezogen und die Demonstration für beendet erklärt, da es aus ihr heraus zu »unfriedlichen« Aktionen gekommen sei. Postwendend bahnte sich die Polizei den Weg zum ersten Wagen und zerschlug die Seitenscheibe. Dabei wurden durch den Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray mehrere Personen zum Teil schwer verletzt Aus der aufgelösten Demo formierten sich spontane Demozüge, die schließlich den Uni Campus erreichen konnten. Dort wurde bis früh morgens gefeiert.
Die NTD gibt es seit über zehn Jahren in Frankfurt, in den vergangenen Jahren konnten tausende Teilnehmerinnen mobilisiert werden. Als eine partypolitische Intervention in den Stadtraum ist sie eine Form, um Inhalte, Proteste gegen beispielsweise Studiengebühren, Innenstadtüberwachung, Gentrifizierungsprozesse und für nicht-profitorientierte politische und kulturelle Räume zu artikulieren. In diesem Jahr stand - passend zur ausgewählten Nacht vom 2. auf den 3. Oktober im Besonderen die Kritik des erstarkenden deutschen Nationalismus auf der Agenda. Die gewählten Themen sprechen unterschiedlich viele Menschen an, jedoch bis zu 2500 Teilnehmerinnen kommen zu einer NTD. Vielleicht ist es die Aufmerksamkeit, die bestimmten Themen entgegengebraucht wird, die Betroffenheit, der Widerspruch gegen städtische Ordnungspolitiken. Vielleicht einfach auch nur die Erwartung einer guten Party.
Die NTD ist aber vor allem auch eine Aneignungspraxis, eine Politik der Sichtbarmachung anderer Formen des Feierns auf der Bühne der Stadt, für jede_n sicht- und wahrnehmbar, als Ausdruckfrom unterschiedlicher Begehren, als Einbruch in die visuelle Kultur des Immergleichen.
Das Forum, Inhalte und Anliegen durch eine politische Demonstration mitzuteilen, sollte 2008 den jungen Menschen verweigert werden. Bereits im Vorfeld wurde versucht, die Durchführung einer Demo in üblicher Form mit restriktiven Auflagen der Versammlungsbehörde zu verunmöglichen. So formulierte die Auflagenverfügung ein Innenstadtverbot und die namentliche Benennung einzelner Wagenverantwortlicher an die Einsatzleitung der Polizei, um bei etwaigen Verstößen gegen die peniblen Lärmschutzauflagen direkte Handhabung zu haben. Dagegen reichte das Vorbereitungsbündnis der NTD - ein Bündnis aus zahlreichen, heterogenen politischen Gruppen, Projekten und Initiativen - umgehend Klage vor dem Verwaltungsgericht ein. Dieses gab dem Bündnis in der Frage des Innenstadtverbots recht und genehmigte vollständig die angemeldete Route: Es sei nicht ersichtlich, warum einige Straßen lärmschutzwürdiger seien als andere. In der Frage der Verantwortlichkeit argumentierte das Gericht: Da es um Verstöße gegen die Lärmauflagen gehe, sei es nicht nötig Daten der Einsatzleitung mitzuteilen. Es reiche aus, sie der zuständigen Versammlungsehörde anzugeben, die im Falle vorgebrachter Anzeigen die Namen aber weitergeben könne. Das Gericht folgte damit zwar nicht der Argumentation des NTD-Bündnisses, dass dadurch das »Recht auf informationeile Selbstbestimmung« nicht gewahrt sei, stellte aber dennoch klar das es sich um eine Maßnahme der Lärmvermeidung handele, obgleich die Stoßrichtung die gleiche blieb. Dem widersprach in der Presse umgehend Frankfurts Ordnungsdezernent Volker Stein, der die Namen für den Fall möglicher »Ausschreitungen« - quasi präventiv - einsammeln wollte. Steins Lesart der Gerichtsentscheidung bestätigte die Befürchtung, dass es um die Sammlung von Daten politisch Unliebsamer geht. So bezeichnete er die NTD im Vorfeld als eine »Zumutung für die Gesellschaft« (FR, 30.9.2008), deren Teilnehmerinnen »alkoholisiert sein und zur Gewalt neigen« werden (ebd.). Das vorderste Ziel der NTD sei gewesen, so Stein im Nachhinein, den Tag der Deutschen Einheit »zu desavouieren« (FR, 7.10.2008). Die Rechte Dritter seien massiv beeinträchtigt. Und natürlich, wir kennen das: Die NTD sei keine Demonstration, die durch das Versammlungsrecht zu schützen sei.
Wie sehr es Stein um Rechte Dritter geht, zeigt der Umstand, dass er in den vergangenen Jahren vermehrt ganze Frankfurter Stadtteile militärisch abschirmen ieß, um Neonazis marschieren zu lassen.
Auch aber war bereits im Vorfeld klar, dass das Bündnis die Auflagen keinesfalls akzepieren würde, auch um einen Präzendenzfall zu vermeiden. Im Zuge der Gesetzesänderungen bezüglich des Versammlungsrechtes in Bayern und Baden-Würtemberg kann befürchtet werden, dass auch in Hessen derartiges spätestens seit den Aussichten auf eine weitere Amtszeit Roland Kochs (CDU) nach der Neuwahl des Landtages im Januar 2009 in Angriff genommen wird. Aus der Befürchtung bereits jetzt einen hessenweiten Präzedenzfall zu schaffen verzichtete das Vorbereitungsbündnis auf eine weitere Klage. Und so wurde der Dinge geharrt, die da kamen.
Wir sehen uns bei der Nachttanzdemo 2009!
Missy Violet