Die P.P. Zahl Veranstaltung
Vorbemerkung
Am 7 Februar fand in dem überfüllten Hörsaal VI eine Solidaritätsveranstaltung für die (politischen) Gefangenen in der BRD statt, in deren Mittelpunkt die Geschichte und Person des Genossen PP. Zahl stand. Wir,die wir das vorbereitet haben, wollten das nicht als einmaliges Ereignis verstehen, als einen Aufschrei, der in Betroffenheit endet. Wir wollten einen Anfang setzen für eine breite Diskussion über die Situation der Gefangenen bzw. den Zustand von Justiz und Staatsschutz in der BRD. Begründet nicht mit analytisch gefaßter BRDRealität, abstraktem Solidaritätsanspruch, sondern ausgehend von Geschichte und Erfahrung der Genossen und Genossinnen im Knast, und ausgehend von uns, die wir noch nicht im Knast sitzen — nicht weil wir alle potentielle Stadtguerilleros wären, sondern weil wir in unserem Alltag immer mehr in den vorverlegten Staatsschutz einbezogen werden.
In diesem Sinne wollen wir mit der Veröffentlichung unseres letzten Briefes an P.P.Zahl (geringfügiggeändert) Intention und Ablauf unserer Veranstaltung und Arbeit zur Diskussion stellen
I
Lieber Peter-Paul Wir haben dir schon lange nicht mehr geschrieben und das liegt wesentlich an unserer Trägheit: Seit der Veranstaltung ist bei uns die Luft raus, wir sind müde und abgeschlaft...
Nach getaner Arbeit sollst dur ruhn . .. Die Veranstaltung war — anstrengend in der Vorbereitung, weil ungewohnt dann ziemlich gut, unsere Ängste, genährt aus den Erfahrungen solcher Veranstaltungen in Frankfurt in der letzten Zeit, waren unbegründet. Ca. 1500 Leute haben sich uns, den Cobler, Sonnemann und Erich Fried angehört, haben wirklieh zugehört, konnten etwas anfangen mit dem Gesagten. Zahl nicht als “Fall“ oder “Heroe”, sondern als Genosse und Literat im Knast, der psychischen und physischen Zerstörung dann ausgeliefert, wenn wir nichts unternehmen.
Daß die anschließende Diskussion nicht mehr richtig stattgefunden hat, fanden wir schade; aber halt das alte Problem: Wie konkretisiert sich im Hörsaal, angefiillt bis zum Rand, die Betroffenheit und das Nachdenken der Einzelnen?
Die Veranstaltung mußt du dir ungefähr so vorstellen:
Dichtgedrängt der Saal voll, die Leute stehen in den Gängen, vorne, auf dem Podium “die” zwei Alten Fried und Sonnemann neben dem Sebstian, wechselnd wir aus der Gruppe, noch - als Diskussionsleiter oder das Feature von Harry vortragend. (Deine Kritik blieb - noch - unberücksichtigt)
Hinten an der Wand groß: Freiheit für Peter Paul Zahl. Wir wollten das aufhängen und mußten es auch, weil die kpdml in ihren letzten Zuckungen noch Sprüche ihrer Zeitung an die Wand gemalt hat. “Vorwärts mit der KPD/ML” über unseren Köpfen - das hätte gestört!
... .Einleitende Worte .. .Bitte, das Rauchen einzustellen . .. Wir überwinden unsere Nervosität... Das Blasorchester (sogenanntes linksradikales) spielt den Anwalt des Schreckens mit Sprecher (Hoffe, du kannst dir bald das Band mal anhören) ... Sonneman, in fünf Schachtelsätzen redet er konzentriert über das Urteil, das 2 ... die Worte wohl setzend Lange dann und auch spannend Cobler, der den Text breiter setzt, über die Genossen in Stammheim, vor allem aber über die K.H.Roth und Roland Otto redet,das Verhalten der Linken kritisiert.. .wenn die Justiz zuschlägt, geht die Linke in Deckung. . . den alltäglichen Staatsterror beschreibt, Konsequenzen andeutet. Insgesamt ähnlicher Tenor wie in der letzten ‘Autonomie’ (hast du die?)... Erich Fried liest dann das Gedicht; die bisher aufmerksamen, manchmal lachenden Gesichter im Saal fallen etwas in sich zusammen. . .Betroffenheit. .. ich sitze oben und halt es da bald nicht mehr aus, will weg, die Nähe von so vielen Leuten wird da unerträglich.fünfzehn Minuten Doors.. Stille — Beifall als Ventil.
II
Um zu erklären, aus welcher Situation die Idee für die Veranstaltung /Seminar/ Solidaritätsarbeit entstand, aus welcher Situation und Begründung sich dann auch der Streik am Fachbereich 10 entwickelt hat und warum beides im Moment mit ziemlichen Schwierigkeiten kämpft, will ich etwas ausführlicher über unsere “Geschichte” erzählen.
Seit längerem diskutieren wir in der Aktionsgruppe, (der Name ist unglücklich und paßt nicht; eher Basisgruppe von Undogmatischen und Spontis), über die Möglichkeit und Notwendigkeit Alltag, Politik und Arbeit zusammenzubringen. Notwendig deshalb, weil wir uns zunehmend einem sinnlosen, verregelten Studium gegenüber sehen, mühsam uns zur Wehr setzend gegen den täglichen Kleinkrieg von oben, und dabei auf der immer neuen Suche nach inhaltlicher Auseinandersetzung, die so organisiert ist, daß Arbeitsergebnisse brauchbar werden, und daß es auch Spaß macht. Die eigene Arbeitssituation ignorieren geht nicht mehr, aber ebenso unmöglich ist es, sich auf die ‘reine Kritik an Inhalten’ oder auf 1/3 Parität in Gremien odermaterielle Forderungenzu beschränken. Kritik am ganzen Apparat, der Institution, an der Ausbildung geistiger Arbeit überhaupt ist notwendig, das schließt mit ein eine Kritik/Auseinandersetzung mit dem theoretischen Produktionsprozeß, mit der Sprache der Wissenschaft (1er), mit den wissenschaftlichen Denkformen. Das heißt schon einiges. Wir müssen uns den gesellschaftlichen Bezug für unsere Arbeit wieder herstellen, müssen kollektive Arbeitsformen entwickeln, greifen also —bei den politischen/sozialen Verhältnissen hier — die Herrschenden an, indem wir Ausbildung - im weitesten Sinn neu bestimmen und darüber nicht Bücher schreiben, sondern praktisch ausprobieren schreiben, sondern praktisch ausprobieren in den Elendsvierteln von Deutschland. Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen begann vor Weihnachten eine Streikdiskussion. Wir haben gesagt, daß die bisherigen Ansätze von Widerstand gescheitert sind, z.B. die immergleichen ParolenKampagnen der selbsternannten Avantgarden, oder das fortlaufende Einklagen von linken Inhalten, von kritischer Theorie in der Gremienhierarchie. Oder verschärfte Anpassung (ich werde es schon schaffen) und / oder die Flucht in alternative Projekte, Entzug.
Gleichzeitig haben wir festgestellt, daß zur Zeit niemand etwas vorschlägt, das in die Situation an der Uni eingreift, daß niemand in der Lage ist, begreiflich zu machen, was an der Uni/gesamtgesellschaftlich abläuft hinsichtlich der Organisation und Funktionsbestimmung geistiger Arbeit. So kamen wir auf den Streik. Aber nicht im üblichen Sinne. Wir wollen unseren Widerstand nicht in Lohnkategorien fließen lassen, um uns damit an die Startlinie der Proleten vor 100 Jahren zurückzubegeben. Wir wollen auch nicht irgendwelche Forderungen, die in ihrer Allgemeinheit inzwischen jeden Sinn eingebüßt haben (Weg mit dem HRG!), an die Spitze stellen von Anfang an und dann die Leute wie Schafe nur noch hinter diesen aufreihen. Wir wollen erst einmal überhaupt Zeit. Zeit für uns, gemeinsam zu diskutieren/tun,was für uns wichtig ist. Gemeinsam uns über die Situation klar werden und dann Forderungen aufstellen. Zusammen praktisch in Arbeitsgruppen Voraussetzungen — inhaltlich und organisatorisch diskutieren/organisieren, um auf eine zukünftige Tätigkeit orientiert am Kampf der Unteren gegen die Oberen vorbereitet zu sein.
Das ging anfangs auch ziemlich gut: die verschiedenen Parteien hatten bald das Nachsehen, über 200 Leute beteiligten sich an jedem Streiktag. Diskussion, Organisation, Aktion ging tendenziell von den Arbeitsgruppen aus, kaum eine Arbeitsteilung. Keine Verwaltungsstrukturen. Doch ‘die’ oder ‘das’Andere erwies sich als stärker, der Streik hatte sich am Ende technisiert, willkürlich hatten sich einige Altgenossen herausgestellt, wurden herausgestellt, die Bewegung fing an, sich selbst zu kritisieren, verfiel in Trauer und Apathie und droht momentan daran kaputt zu gehen.
Die Vorbereitung auf das Seminar ist ein Versuch, dem drohenden Zerfall der Bewegung entgegenzutreten, wenngleich ihr jetziger Zustand nicht gerade Allzuhoffnungsvolles ahnen läßt.
III
Durch die Vorbereitung und Diskussion der Veranstaltung hat sich unser Verhältnis zur Problematik der politischen Gefangenen verändert, auch ausgedrückt in dem, was wir dort vorgetragen bzw. nicht vorgetragen haben: die generelle Kritik, die du bereits an Harrys Feature formuliert hast, trifft ebenso die gesamte Veranstaltung. Was fehlte, war eine Auseinandersetzung mit dem, was du politisch vertrittst oder vertreten hast. Du warst für uns in erster Linie Opfer und in zweiter Linie Literat: Gründe genug, sich mit dir auseinanderzusetzen und für dich einzusetzen, zumal einem das offensichtliche Gesinnungsurteil Solidarität und Identifikation erleichterte, es bedurfte keiner politischen Diskussion, die Fronten waren vom Gericht klar gezogen. Egal wie sich das hier so liest: so war der Ausgangspunkt, der mich motivierte, was für dich zu tun.
Ich will damit nicht sagen, daß das Urteil gegen dich, bzw. die Repression, der die politischen Gefangenen ausgesetzt sind & werden, nicht Grund genug sind, etwas dagegen zu tun. Ich glaube jedoch, daß die Solidarität mit den Gefangenen nicht zufällig die politische Diskussion und damit die Person des Gefangenen, seine politische Identität außerhalb jeglicher Auseinandersetzung läßt. Das liegt wohl mit daran, wie diese Diskussion geführt bzw. rezipiert wurde: nämlich abstrakttheoretische Auseinandersetzung um das Konzept Stadguerilla — eine Auseinandersetzung, die mit der Niederlage der RAF zumindest vorläufig beendet ist; ich halte es auch für müßig, sie in der Form noch einmal aufzurollen und bin mir auch nicht im Klaren darüber, an welchem Punkt sie im Augenblick fortgesetzt werden sollte.
Mit der Absage des größten Teils der undogmatischen Linken an die Strategie der RAF ging die Absage an die Genossen im Untergrund Hand in Hand: gerade so, als ob sie sich voluntaristisch-abstrakt dazu entschlossen hätten, in den ‘Untergrund’ zu gehen und zu kämpfen. Sie standen damit gewissermaßen auf der anderen Seite des Grabens, der die Linke trennt — wenn man sich mit ihnen solidarisierte, dann nicht um ihrer und damit einer gemeinsamen politischen Identität willen, sondern deshalb, weil sie Opfer staatlicher Repression geworden sind. Daß die undogmatische Linke eine gemeinsame Geschichte hat, war zwar vielleicht noch irgendwo im Hinterkopf, es wurde jedoch bei der Auseinandersetzung um die Genossen, die im Knast sind schnell vergessen. Erst allmählich, in der Auseinandersetzung mit dir und über die Aufsätze in der ‘Autonomie’, in denen versucht wird die Lebensgeschichte von K.H.Roth, Werner Sauber und Roland Otto zu schildern, ist die Konkretheit unserer gemeinsamen politischen Geschichte mit ins Bewußtsein gekommen.
Diese Diskussion findet ihren Niederschlag in Überlegungen, die einmal eingehen auf die mangelnde Kontinuität der Diskussion in der Linken in Bezug auf das Verhältnis zu den Gefangenen sowie zum anderen darauf, daß wir uns “nur” mit einem Gefangenen auseinandersetzen.
Seit der Auseinandersetzung um die RAF —Genoss-inn-en bzw. deren Strategie — ausgedrückt in der Geschichte der Roten Hilfen und der Folterkomitees - sind die Diskussionen und praktischen Aktionen eingeschlafen, einzelnen Gruppen quasi übertragen worden (Gefangenenrat) oder sie haben sich spontan entladen wie nach dem Mord an Holger oder Ulrike.
Das ist ein Problem, denn die 'Bewegung’ sagt kaum mehr etwas zu den gesellschaftlichen Veränderungen in der BRD (Gesetzesänderungen, zunehmende Repression, Faschisierung des Alltagsbewußtseins?), sondern ist noch in ihren einzelnen Teilen damit beschäftigt, für sich eine eigene Entwicklung zu organisieren. Da fallen die, deren Möglichkeiten bis zur totalen Isolation eingeschränkt sind, ersteinmal raus.
Sich nur um einen Genossen, der im Knast sitzt, zu kümmern, ist problematisch (die Bomierung auf einen), ist aber auch irgendwo auf Dauer perspektivlos: eine Initiative für PPZ oder eine andere für Karl Heinz Roth und Roland Otto bringen kaum mehr den Druck,die Öffentlichkeit zustande, die heute notwendig ist, um auch nur eine Kleinigkeit von den eigentlich selbstverständlichen individuellen Rechten der Gefangenen zurückzuholen — geschweige denn, sie da raus zu holen.
(Damit ist nichts dagegen gesagt, daß es ziemlich gut ist, daß sich Leute konkret um einzelne Gefangene kümmern).
Aber wir schweigen größtenteils, und es sind heute die Anwälte und einige liberale "Persönlichkeiten”, die da noch etwas machen.
Dazu kommt, daß wir selbst zunehmend Illegalisierung bedroht sind. Das Ausmaß, in dem wir kontrolliert, in Karteien erfaßt und bespitzelt werden, läßt sich wohl nur erahnen (ich denke drei Jahre weiter voraus: ein größeres Watergate als die Abhöraffäre und wir erfahren nebenbei, daß ca. eine Million Bundesbürger "nachrichtendienstlich” erfaßt sind).
Wir schlagen vor, daß darüber eine Diskussion angefangen wird, die allerdings nicht hinter die Entwicklung der letzten zwei Jahre zurückfallen darf ( und damit die Justizkampagne, die der SDS den Bundesbürgern vor zehn Jahren versprochen hat, jetzt anfangen will), sondern an den kurz skizzierten Erfahrungen und Problemen und unserer eigenen Situation ansetzt und versucht, einen breiteren Widerstand auf beide Beine zu stellen als das bisher passiert ist.
IV
Noch ein paar Sätze zur (leidigen) Seminarvorbereitung, die z.Zt. sehr schleppend vor sich geht: Der Zusammenhang mit unseren übrigen Tätigkeiten ist eben nicht ein germanistischer (zur Situation der neueren deutschen Literatur am Beispiel von....) ist auch nicht eine notwendige Solidaritätsübung für linke Germanisten (Zahl-ein/Berufskollege), sondern gerade in Versuch, uns mit dir, deiner Geschichte, was du gesagt/ geschrieben hast (aber auch mit anderen Leuten oder anderen Texten) über unsere Arbeits-/Lebensperspektive klarer zu werden! Verstehst dujdarer zu werden als linke Intellektuelle, die sich teUigen wollen an der Abschaffung aller Machthaber, und sich fragen: Wie,ohne sich selbst dabei rauszulassen!
Übrigens:
Die Institution hat ihren offiziellen Segen erteilt, Dichter Zahl ist in das Vorlesungsverzeichnis (moderne Klassiker) aufgenommen — unter den Auspizien von vier linken Professoren.
Während der Semesterferien trifft sich zur Zeit wöchentlich eine Vorbereitungsgruppe, die aus uns und ca. 20 weiteren Studenten besteht.
Wir rechnen mit einer großen Beteiligung an dem Seminar - und hier beginnen auch schon die Schwierigkeiten.
Was wir nicht wollen, ist ziemlich klar: Wir wollen nicht die Rolle eines “Professorenkollektivs”übernehmen, das anfangs den Studenten eine Themenliste hinknallt und das Seminar voll durchorganisiert hat, um ‘optimale’ - im Sinne der “Seminarfrequenz” — Arbeitsergebnisse zu erzielen, die eh nicht mehr zu erreichen sind, auch nicht von Professoren. Auf der inhaltlichen Ebene wollen wir noch viel mehr nicht:
Wir wollen nicht Goethe durch Zahl ersetzen.
Wir wollen keine philosophische Zerpflückung des literarischen Werkes Zahls.
Wir wollen kein Seminar ohne Diskussion einer Perspektive für eine politische Praxis.
Du siehst also, der Anspruch steht. Und damit stellt sich dann auch das “aber wie” Ein paar Gedanken haben wir uns schon gemacht, die zwar hauptsächlich auf einer technisch-organisatorischen Ebene sich bewegen (es lebe der Inhalt!?): Damit das Seminar auch einmal über den Tellerrand des universitären Ghettos schaut, wollen wir diverse Aktivitäten vorbereiten (Öffentlichkeit hersteilen), damit es die ihm gebührende Publizität auf Dauer beibehält, da die Gefahr der reibungslosen Einverleibung in den Seminaralltag permanent besteht.
Innerhalb des Seminars wollen wir versuchen relativ unkonventionelle Techniken der Textrezeption und -Verarbeitung auszuprobieren, z.B. eine Aufführung und Aufzeichnung deiner Lattmann-Satire auf Video.
Außerdem vielleicht so etwas ähnliches wie einen literarischen Workshop zu machen,entgegen der germanistischen, rein passiv-konsumtiven Verkrüppelung ein anderes, politisches Verhältnis im Umgang mit Texten und Literatur zu gewinnen Dementsprechend unkonventionell wird auch die inhaltliche Arbeit im Seminar sein — hoffen wir