GESINNUNGS TÄTERSCHAFT
Sebastian Cobler
Mir geht es darum klarzumachen, wieso es sich hier, bei der Verurteilung von Peter Paul Zahl um Gesinnungsjustiz par excellence handelt, auch und gerade weil hier geschossen worden ist. Denn entscheidend ist doch, welche juristischen Folgerungen aus diesen Schüssen Staatsanwaltschaften und Gerichte gezogen haben. Immerhin ist Zahl, das ist bekannt, in dem nunmehr rechtskräftig gewordenen dritten Urteil auf Weisung des Bundesgerichtshofes wegen versuchten Mordes zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden und nicht mehr wie in dem ersten, vom BGH kassierten Urteil zu vier Jahren wegen schwerem „Widerstand gegen die Staatsgewalt”. Ich will gleichzeitig versuchen, die Parallelen aufzuzeigen, die das Verfahren gegen Peter Paul Zahl mit dem zur Zeit laufenden Prozeß ^egen drei Genossen in Köln verbindet, ich meine den Prozeß gegen * Zu dem Kölner Prozeß finden sich mehrere Analysen ein: „Autonomie” Nr. 5. Zu Zahl in der Dokumentation am Beispiel P.P. Zahl: (Beides im linken Buchhandel erhältlich) Philip Sauber, Roland Otto und Karl Heinz Roth, wobei Philip Sauber nur noch mittelbar der Prozeß gemacht wird, weil er, wie es im zynischen Jargon der Staatsanwaltschaft heißt, „verstorben” ist, durch eine Polizistenhandlung, die man Hinrichtung nicht nennen darf.
Roland Otto und Karl-Heinz Roth stehen vor Gericht, weil sie in eine Schießerei mit der Polizei verwickelt worden sind, bei der Philip Sauber und ein Polizeibeamter erschossen wurden. Roth und Otto sind wegen Mordes angeklagt, obwohl sie nachweislich überhaupt nicht geschossen haben. Es ist, wie zu zeigen sein wird, eine ihnen unterstellte Killer Gesinnung, die ähnlich wie bei Zahl zum Vehikel für den Mord-Vorwurf gemacht worden ist.*
„MÖRDER IST WER....”
Beiden Verfahren liegt also eine Strafgesetzbuchbestimmung zugrunde, die eindeutige Gesinnungsmerkmale trägt. Sie lautet: „Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet”. Ein Angriff auf einen anderen Menschen kann folglich dann und nur dann als Mordversuch oder vollendeter Mord qualifiziert werden, wenn bei dem Angreifer jene „niedrigen Beweggründe gesehen werden; ist dies nicht der Fall, dann kann der Angeklagte schlimmstenfalls wegen versuchtem oder vollendeten Totschlags verurteilt werden, was schon im Hinblick auf die Strafe ein Unterschied wie Tag und Nacht ist. Denn so schwammig, so unbestimmt und vieldeutig die „Mordmerkmale” wie „heimtückisch”, „niedrige Beweggründe” etc. sind, so eindeutig ist die Folge: in jedem Fall bei vollendetem Mord die lebenslange Haft.
Auf welche Art und Weise festzustellen sei, ob ein Angeklagter denn nun wegen Mordes zu verurteilen sei oder nicht, ist dem Wortlaut des Gesetzes selbst zu entnehmen: es kommt auf die „Täterpersönlichkeit” an. Anders nämlich als sonst im Strafrecht üblich, wird der Mord-Paragraph nicht über die Tat, sondern über den Täter definiert: „Mörder ist, wer... ”, heißt es hier ausdrücklich und nicht etwa „wegen Mordes wird bestraft, wer . . . ”. Die Bestimmung ist somit nicht Ausdruck eines Tat-Strafrechts, sondern eines Täter-Strafrechts. Im Vordergrund steht nicht die Tat, sondern die „Persönlichkeit des Täters”, die sich angeblich in der Tat verwirklicht habe. Was dies in einem Prozeß bedeutet, in dem die Angeklagten schon vor dessen Beginn von Staatsanwaltschaften und Presse mit dem Etikett der „gewalttätigen Anarchisten” und „Terroristen” versehen worden sind, liegt auf der Hand.
Handelt es sich wie im Verfahren gegen Zahl um den Vorwurf des Mord-Versuchs - der Unterschied liegt darin, daß dort niemand getötet wurde, sondern nur verletzt worden ist, nach Unterstellung der Staatsanwaltschaft und des Gerichts aber mit Mordabsicht getötet werden sollte dann kann eine mildere Strafe verhängt werden als die, die für das vollendete Delikt vorgesehen ist. Die entsprechende Bestimmung über die Strafzumessung verlangt, bei der Festsetzung der Strafe die Beweggründe und Ziele des Täters zu berücksichtigen — aus der Sicht des Gerichts versteht sich — sowie die Gesinnung, die aus der Tat spricht und den bei der Tat aufgewendeten Willen. Wie diese Beurteilung beim PP ausgegangen ist und bei den drei Angeklagten in Köln, ist bekannt und verweist allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz auf die Praktiken einer Gesinnungsjustiz in diesem Land. „Gewichtige Gründe”, so heißt es in dem Urteil, „sprechen gegen Zahl: er ist von einem tiefgreifenden Haß auf unser Staatswesen ergriffen und setzt sich äußerst intolerant über ein gesellschaftliches und politisches Zusammenleben hinweg. . . . Die Schwere der Tat und die Persönlichkeit erfordern daher die Verhängung einer langen Freiheitsstrafe . . . ”. Ähnlich die Konstruktion der Mordanklage gegen Roland Otto und Karl Heinz Roth: sie hätten eine „polizeifeindliche Einstellung” — man beachte den Ausdruck „Einstellung” —, die bis hin zum Mord-Vorsatz reiche. Dabei komme es gar nicht darauf an, daß Roth und Otto überhaupt nicht geschossen haben — das nämlich wird von der Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage gar nicht mehr behauptet, im Gegensatz zu der vor Prozeßbeginn inszenierten Pressekampagne, in der von dem Mörder und Terroristen Roth die Rede war, der ein Doppelleben führe, morgens Arzt und abends Terrorist — „unter der perfekt sitzenden Maske des Samariters und Menschenfreundes”, so konnte man einen Tag nach der Verhaftung Roths lesen, „zeigt sich die Fratze eines Terroristen, der über Leichen geht”. Die Staatsanwaltschaft behauptet also gar nicht mehr, daß Roth und Otto geschossen haben, sie behauptet das nur von Philip Sauber. Sie sagt aber: darauf komme es gar nicht an. Roth und Otto seien gleichwohl wegen Mordes, wegen vollendeten und versuchten Mordes als Mittäter zu bestrafen. Begründung: sie hätten schießen können und wollen, seien nur nicht mehr dazu gekommen. Im übrigen seien sie für die Philip Sauber angelasteten Schüsse mitverantwortlich: dieser habe „in stillschweigendem Einverständnis” der beiden geschossen. Dies ergebe sich aus den gemeinsamen politischen „Einstellungen der drei, aus der „Solidarität der Tatbeteiligten” wie man in der Anklage liest.
GESINNUNGS USTIZ PAR EXELLENCE
Hier wird also mit Begriffen des politischen Kampfes gearbeitet — kann man Gesinnungsjustiz deutlicher formulieren? Zur „Beweisführung” dienen der Staatsanwaltschaft — ähnlich wie bei der Anklage und Verurteilung Peter Paul Zahls - zurechtgestutzte Biographien der drei, Zerrbilder von drei Menschen, die sich danach geradlinig auf die Delikte hinbewegten, für die sie nach Ansicht der Staatsanwaltschaft geradezu disponiert sind: heimtückische Killer.
Deutlich wird also, daß hier Gesinnungsjustiz in zweierlei Hinsicht praktiziert wird: einmal über die Anklage bzw. Verurteilung nach § 211 StGB, als „Mörder”; politische Anschauungen von Linken, bzw. das, was dann von der Justiz daraus gemacht wird, werden umstandslos unter die „niedrigen Beweggründe” des § 211 subsumiert. Und, zweitens, werden die politischen Anschauungen strafverschärfend berücksichtigt; das Gericht schöpfte beim PP den zulässigen Strafrahmen voll aus — die Strafe für versuchten Mord liegt zwischen drei und fünfzehn Jahren —, nicht ohne zu bedauern, daß eine noch höhere Gefängnisstrafe gesetzlich ausgeschlossen sei.
Sämtliche dieser Strafverfahren, ob gegen die beiden in Köln oder gegen Zahl oder gegen die vielen Namenlosen, die wegen ähnlicher. Delikte angeklagt worden sind und verurteilt werden sollen — alle diese Verfahren sind Ausdruck politischer Justiz, bei der es nicht wie vorgegeben darum geht „Recht zu finden”. Hier geht es darum, staatliche Macht zu demonstrieren, zu setzen und durchzusetzen, politische Gegnerschaft justizförmig auszuschalten, im Zweifel zu vernichten.
Ich glaube, es ist unheimlich wichtig — ich sage das nicht nur, weil hier gerade viel Germanisten im Saal sitzen —, daß wir uns daran machen, die Sprache der Staatsschutzbehörden, der Justiz, von Staatsanwälten und Richtern zu analysieren, die Formen, in denen sie denken und reden, damit man sieht, was ihrem Handeln vorausgeht, mit welchen kriminellen Phantasien sie versuchen, ihre politische Praxis und ihre Handlungsziele uns zu unterstellen, uns zu Terroristen zu stempeln. Damit man sieht, daß ihre Überlegungen und Äußerungen von Projektionen bestimmt werden, mit denen sie versuchen, ihre Umwelt sich ähnlich zu machen. Ich finde, so eine Analyse sollte endlich einmal geleistet werden. Es ist dieser Umgangston der Justiz mit ihren Opfern, der auf die Behandlungsweise dieser Opfer vor und nach der Verurteilung verweist.
18.000, - DM FÜR 15 JAHRE KNAST
Ich habe gestern die Kostenrechnung gesehen, die dem PP vom Gericht jetzt auch noch in den Knast geschickt worden ist. Dort heißt es, er habe 18.000 und ein paar zerquetschte Mark zu zahlen für „seinen Prozeß, der ihm, als hätte er das bestellt, 15 Jahre eingebracht hat. Dieser zynische Wisch ist in eben der Sprache verfaßt, die ich eben meinte, diese entmenschlichte und entmenschlichende Sprache der Justiz: auf der Kostenrechnung steht kurz und knapp: „Wert des Gegenstandes: 18.000 DM”.
Ich will noch etwas zu einem anderen Problem sagen: es wird häufig eingewendet, Zahl habe ja nun einmal geschossen und auch die beiden in Köln Angeklagten seien bewaffnet gewesen. Mit einem Wort: es ist immer sehr schwer gewesen, Solidarität mit den Genossen zu erklären und zu üben, in deren Verfahren von Schüssen die Rede ist. Die bundesdeutsche Linke ist, wenn von Linken geschossen wurd« oder dies auch nur behauptet worden ist, immer sehr schnell in Deckung gegangen. Es ist offensichtlich sehr einfach, einen mit einer Gitarre „bewaffneten” Genossen, wie Wolf Biermann, in solidarischem Jubel zu umgeben, aber es ist offensichtlich sehr viel schwerer sich der Propaganda der Gegenseite über bestimmte Vorgänge zu entziehen oder gar entgegenzustellen, bei denen es um Genossen geht, die in Schießereien mit der Polizei verwickelt worden sind, zunächst mal zu prüfen, was denn da tatsächlich abgelaufen ist. Ich meine, keiner von uns hat das Recht, das zu praktizieren, was wir der Gegenseite vorwerfen, nämlich vorzuverurteilen, hastig das zu tun, was neulich hier in Frankfurt die linke Variante der Vorverurteilung genannt wurde, der Buback in den eigenen Köpfen. Wir sollten uns das in die andere Seite derselben Medaille - ebenso davor hüten, anderen Etiketten zu verleihen, Genossen, denen Schüsse vorgeworfen werden, von uns aus irgendwelche Identitäten als „Helden” oder „Kämpfer” zu verpassen. Denn wenn wir im Zusammenhang mit dem Stammheimer Prozeß gefordert haben, daß die dort Angeklagten das Recht und die uneingeschränkte Möglichkeit haben müssen, ihre politische Identität vor Gericht selbst bestimmen und erklären zu können, dann können jetzt nicht einige daherkommen, um von sich aus dies ersatzweise für die Angeklagten zu tun. Damit das, bezogen auf den Prozeß gegen Zahl klarer wird: Zahl hat deutlich erklärt, was vom ersten Gericht akzeptiert wurde, vom BGH und in dem endgültigen Urteil dann einfach in das Gegenteil verkehrt worden ist, Zahl hat erklärt, daß für ihn nicht der einzelne Polizeibeamte Ziel seines politischen Kampfes sei, sondern das gesellschaftliche System, zu dessen Büttel Polizisten gemacht werden. Gerade diese Erklärung wurde zum Angelpunkt des Verfahrens: der BGH hat dies auf Antrag der Staatsanwaltschaft dann als Trick zurückgewiesen.
WENN GESCHOSSEN WIRD GEHT DIE LINKE IN DECKUNG
Daß Zahl so argumentiere, beweise nur seine Intelligenz — sprich: seine Hinterhältigkeit, seine Gerissenheit, die ihn viel gefährlicher mache als den „normalen” Mörder. Das ist doch die Gemeinheit, die dahintersteckt, hinter dem Urteil gegen PP und hinter der Kölner Anklage, ja, hinter der Kriminalisierungs- und Diffamierungskampagne gegen die Linke überhaupt, und genau das müssen wir aufbrechen und in der Öffentlichkeit deutlich machen.
Ich hatte gesagt, wenn geschossen wird, dann geht die Linke meist in Deckung, statt zu fragen — sowohl bei Zahl, auf den von den Polizisten zuerst geschossen worden ist, als auch in dem Prozeß gegen Roth und Otto, wo die Staatsanwaltschaft behauptet, Philip Sauber hätte als erster geschossen, was ja erst einmal bewiesen werden muß —, statt also zu fragen, warum denn überhaupt geschossen worden ist. Wenn man weiß, in welcher Art und Weise Polizisten hierzulande mit der Schußwaffe umgehen, wenn man weiß, wie dieser Schußwaffengebrauch anschließend von der Justiz gerechtfertigt wird ich bringe gleich ein paar Beispiele — kann man es dann nach all den Auslobungen, den Steckbrief-Aktionen, der Hysterie und Hetze seit Beginn der siebziger Jahre ausschließen, daß jemand möglicherweise in Notwehr, zum Selbstschutz versucht, sein Leben zu retten, Angriffe darauf abzuwehren? Diese Frage muß nicht nur erlaubt sein, sie wäre sogar für jeden seriös arbeitenden Juristen, das heißt: für kaum einen Juristen, genau zu prüfen: gibt es vielleicht fiir die wegen Schießereien mit der Polizei Angeklagten irgendwelche Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe, durch die das ihnen vorgeworfene Handeln straflos wird, Notwehr oder auch Putativnotwehr (jene eigenartige Rechtsfigur, die dann ebenfalls regelmäßig bemüht wird, wenn es darum geht, Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte, die geschossen haben, einzustellen, oder sollte es überhaupt einmal zu Strafverfahren gegen Polizisten kommen -, Freisprüche zu begründen)? Man denke an die eingestellten Ermittlungsverfahren gegen die Polizisten, die bei Eschwege ein Auto beschossen, mit Maschinenpistolen beschossen, das sich ein 14jähriger Junge, er hieß Rudi Frank, zusammen mit ein paar Freunden von seinem Vater stibitzt hatte.
HORRORMELDUNGEN ÜBER POLIZIEFUNK
Nach einer wilden Verfolgungsjagd - die Jungens waren wegen ihrer schlechten Fahrweise einer Funkstreife aufgefallen, die sie dann, ohne Rücksicht auf eben die offensichtlich mangelnde Fahrpraxis durch die Gegend jagten — errichtete die Polizei eine Straßensperre, verbreitete über Funk die Horrormeldung, mit Bomben bewaffnete Gewalttäter seien unterwegs und schossen schließlich auf den Wagen, wodurch Rudi Frank getötet, seine Freunde verletzt wurden. Gegen diese, nicht etwa gegen die Polizeibeamte wurden Strafverfahren eröffnet.
Ähnlich ein Vorfall vom vergangenen Wochenende, heute konnte man darüber in der Zeitung lesen: ein Junge wurde von einem Zivilen in Nürnberg erschossen, der Beamte habe, so erläuterte die Staatsanwaltschaft, „in Notwehr einen Warnschuß auf den Jungen abgegeben”; um Rocker habe es sich gehandelt — wozu man ja wohl nur sagen kann: na, und wenn schon. Und was die Notwehr-These betrifft — eine dreistere Konstruktion kann man sich wohl kaum vorstellen: das muß man sich mal vorstellen, da beansprucht ein Polizist Notwehr und spricht gleichzeitig von einem „Warnschuß” — was denn nun, hat er warnen wollen, oder hat er sich gewehrt? Und: den angeblichen Warnschuß habe er auf den Jungen abgegeben - warnen durch Totschießen, oder was sonst soll das heißen?
Eine noch weitgehendere Argumentation zum Schutz von schießenden Polizeibeamten wurde vom Bundesgerichtshof eingesetzt - ein letztes Beispiel -, um die Erschießung eines „Fürsorgezöglings” durch einen Polizisten zu rechtfertigen. Bas siebzehnjährige Opfer, Dobhardt hieß der Junge, ein kleiner Eierdieb, war aus dem Erziehungsheim ausgerissen, in das man ihn gesteckt hatte, wurde von der Polizei gestellt, konnte sich aber nach einem kurzen Handgemenge losreißen und weglaufen. Was Dobhardt damit tat - in seiner Lage und nach all dem, was er in solchen Heimen, wohin man ihn zurückbringen wollte, erlebt hatte, das einzig richtige: nämlich reißaus zu nehmen - das hatte entsetzliche Folgen: er wurde von einem Polizisten hinterrücks erschossen
DIE POLIZEI EINE ÖFFENTLICHE GEFAHR
Der Schütze wurde vom zuständigen Dortmunder Landgericht zunächst verurteilt - aber nein: nicht wegen Mordes, sondern wegen „fahrlässiger Tötung” zu einer milden Strafe, die auf Bewährung ausgesetzt und dann auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom Bundesgerichtshof in einen Freispruch auf Kosten der Staatskasse umgewandelt wurde. Der Polizist habe rechtmäßig gehandelt, heißt es da. Von dem flüchtenden Jungen sei eine „Gefahr für die Allgemeinheit” ausgegangen, seine Wiederergreifung rechtfertigte auch den Schußwaffengebrauch. Daß er dabei erschossen wurde, sei zwar recht tragisch, beim Umgang mit Handfeuerwaffen aber nun einmal nicht zu verhindern. Punkt Hier wird also eben die Tatsache entlastend für einen Polizisten gewertet, die zu einer Strafverschärfung bei Zahl führte: das Schießen mit einer Pistole, durch das man die Tötung des Angeschossenen billigend in Kauf nehme, was bei einem „Staatsfeind” wie Zahl natürlich Mord-Vorsatz signalisiere, nicht so freilich bei einem Polizeibeamten; denn Polizisten leben schließlich nicht in jenem „Untergrund”, von dem dann immer die Rede ist, sondern in einer Rechtsschutz garantierenden Uniform.
Zu den Pistolen noch eine kurze Zusatzbemerkung: in der Revisionsentscheidung des BGH und dem anschließenden endgültigen Urteil gegen Zahl wird als Strafverschärfungsgrund nicht nur eine PP angedichtete mörderische Gesinnung angeführt, die sich aus seinen politischen Anschauungen ergebe; sie wird auch abgeleitet aus der Art der von ihm mitgeführten Waffe: einer Pistole des Kalibers 9 mm, die — so die Urteile — wie allgemein bekannt sei, in der Regel tödlich wirkende Verletzungen verursache — eine Waffe allerdings, auf die inzwischen die Polizei umgerüstet wird. Man kann sich ausmalen, was passieren würde, wenn jemand daraus schließen würde, daß jeder derart bewaffnete Schupo sozusagen als Verkörperung eines abstrakten Gefährdungsdelikts mit bedingtem Mordvorsatz durch die Gegend laufe
„GRUNDRECHTSWERTE” UND „GRUNDRECHTSUNWERTE” INDIVIDUEN
Mit der geschilderten Freigabe des Schußwaffengebrauchs für Polizeibeamte, wie sie der BGH im Fall Dobhardt praktisch ausgesprochen hat, wird die letzte Hemmschwelle bei Polizeibeamten abgebaut. Folgerichtig spricht die „Hessische Polizeirundschau” unter Hinweis auf ein Gutachten eines namhaften Juristen über den Todesschuß von „grundrechtswerten” und „grundrechtsunwerten” Individuen, mit denen es die Polizei zu tun habe, was nichts anderes ist als eine Vogelfrei-Erklärung bestimmter „Störer”, die dadurch rechtlich ausgebürgert werden. Der Chef des Bundeskriminalamts, Herold, schwärmt denn auch vom Auftrag der Polizei als einer — wohlgemerkt — „gleichsam gesellschaftssanitären Einrichtung”, eine Funktionsbestimmung, die Assoziationen an Kammerjäger und ähnliche Berufe weckt — offensichtlich auch bei Polizeibeamten, wenn man sich deren Schußwaffengebrauch betrachtet: da drängt sich doch der Eindruck auf, daß — eingestimmt durch derartige Berufsbilder, durch die Alltagspraxis und den gerichtlichen Flankenschutz — gegen Verfassung und Gesetz die Todesstrafe praktisch wieder eingeführt wird, im Einzelfall und noch an Ort und Stelle entschieden und vollstreckt von Polizeibeamten
PUTATIVNOTWEHR ALS ENTSCHULDIGUNGSGRUND
Vor diesem Hintergrund davon auszugehen, daß die Inanspruchnahme von Notwehrrechten gegen Polizeibeamte, die einen mit einer Schußwaffe bedrohen, eine gewagte These sei, ist fahrlässig, absolut fahrlässig. Sicherlich: Notwehr gegen Polizisten geltend zu machen, setzt voraus, daß die Beamten rechtswidrig angegriffen haben. Aber wer will dies denn, nach all dem, was man von solchen Polizeihandlungen weiß, ausschließen? Ja, gerade die Staatsanwaltschaften und Gerichte betonen doch in ihren Einstellungsbescheiden zugunsten von Polizeibeamten in der Regel die sogenannte Putativnotwehr, aus der heiaus die Beamten geschossen hätten. Daß deren Schießereien also allein deshalb strafrechtlich irrelevant, nicht verfolgbar sind, weil die Beamten entschuldigt seien. Denn Putativnotwehr ist lediglich ein Entschuldigungsgrund, macht eine Bestrafung mangels Verschulden unmöglich, ist aber kein Rechtfertigungsgrund wie Notwehr. Mit Putativnotwehr entschuldigte Handlungen bleiben somit rechtswidrig, das sagen auch die Gerichte, sonst würden sie ja mit Notwehr für die Polizisten argumentieren. Das heißt, die gängige und geläufige juristische Bewältigung des polizeilichen Schußwaffengebrauchs belegt, daß Polizeibeamte in der Regel rechtswidrig geschossen haben. Und gegen solche rechtswidrigen Handlungen, so steht es im Gesetz, steht jedem Angegriffenen das Notwehrrecht zu. Er kann, das ist völlig unbestritten, dasjenige für ihn erreichbare Abwehrmittel wählen, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr mit Sicherheit erwarten läßt; auf ein weniger gefährliches Mittel braucht er nicht zurückzugreifen, wenn dessen Wirkung für die Abwehr zweifelhaft ist.
Warum soll ausgerechnet bei den Vorfällen, in die Zahl und die drei Kölner verwickelt worden sind, sich nicht abgespielt haben, was in so vielen anderen Fällen doch die Regel war? Warum soll gerade hier — und vor dem Hintergrund der angesprochenen Fahndungs-Hysterie - undenkbar sein, daß Zahl und Sauber in Notwehr rechtswidrige Polizeiangriffe abwehrten? Vielleicht auch nur entschuldbar über eine Notwehrlage irrten?
Dies alles zu prüfen, wäre Aufgabe der Justiz, die das freilich unterlassen hat Stellt einer von uns dann solche Fragen, dann muß er damit rechnen, selbst angeklagt zu werden: wegen „Verunglimpfung des Staates”; denn Notwehrrechte in bezug auf das Handeln der für sakrosankt erklärten staatlichen „Sicherheitsorgane” auch nur zu diskutieren, ist Ausdruck staatszersetzender Gesinnung. Die Verkehrung, mit der hier gearbeitet wird, ist perfekt: während die Polizisten, die geschossen haben, jede denkbare Deckung von der Strafjustiz erhalten, werden diejenigen - falls sie noch am Leben sind — wegen „Widerstand gegen die Staatsgewalt” verfolgt, die Opfer solcher polizeilichen Maßnahmen geworden sind, um anschließend sich dann auch noch diejenigen vorzunehmen, die öffentlich hiergegen protestieren.
„ VERUNGLIMPFUNG DES STAATES”
Mehr noch: sollte es tatsächlich einmal gelingen, gegen Polizeibeamte bis in einen Gerichtssaal vorzudringen, so kann einem dann folgendes passieren, so geschehen im Fall Jendrian, ein während der BaaderMeinhof-Hatz erschossener, versehentlich erschossener Münchner Taxifahrer, erschossen, weil er in der Fahndungs-Hektik für ein RAF-Anhänger gehalten wurde — als wäre das eine Begründung! — da finden sich dann in den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft bezüglich der Polizeibeamten immer nur die Bemerkungen: Schütze 1, Schütze 2, Schütze 3, wie auf einem Schützenfest, Namen aber, Namen fallen dort nicht, jedenfalls wenn’s um die Polizisten geht. Der Antrag der Verteidiger, die als Nebenkläger die Verwandten des erschossenen Jendrian vertraten, die Namen der Schützen bekannt zu geben, damit man sie als Zeugen laden und vernehmen könne, denn sonst kann man sie nicht laden, Schütze 1,2,3 kann man nicht laden, diesen Antrag beschied die Staatsanwaltschaft, hier: das Bayerische Justizministerium negativ: Die Bekanntgabe der Namen werde verweigert. Sie würde die Einsatzbereitschaft der Polizeibeamten in schwierigen Lagen, die eine sofortige Entscheidung über den Gebrauch von Schußwaffen verlangen, beeinträchtigen Dies würde zu einer erheblichen Einschränkung oder sogar entscheidenden Gefährdung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Sicherheitsbereich führen.
DIE POLIZEI IM UNTERGRUND
Wenn also — was anderes heißt das sonst - hier irgendjemand aus der Anonymität, aus dem Untergrund heraus mit Waffen um sich schießt, dann geschieht dies doch wohl durch Polizeibeamte Ich komme jetzt zum Schluß. Die Gesinnungsmerkmale dieser Verfahren gegen PP und die Kölner, diese justizförmige Abrechnung des Staates mit seinen Gegnern, setzt im Grunde nur fort, was sich bereits in den Vorverfahren gezeigt hat: die Beleidigungen und Demütigungen der Genossen nach ihrer Festnahme, die Behinderung der Verteidigung, die Anwendung verschärfter Einzelhaft, jener, wie es der BGH in einem Beschluß zu den Starnmheimer Angeklagten genannt hat, selbstverschuldeten, wohlgemerkt: selbstverschuldeten isolierenden Haftbedingungen, die gegen all die Gefangenen angewendet werden müßten, die nicht der Regel entsprächen, die sich gegen ihre Aburteilung zur Wehr setzten, die sich nicht in ihre Rolle als Angeklagte fügen würden — alles das ist beim BGH nachzulesen, in einem Beschluß wie gesagt, mit dem die Isolationshaft rechtlich abgesegnet worden ist und damit auch jene entsetzlichen physischen und psychischen Folgen, die von den Gutachtern, von den vom Stammheimer Gericht bestellten Gutachtern, bei den Gefangenen festgestellt worden sind.Ich meine, daß wir sehr schnell und sehr massiv durch eine Öffentlichkeitsarbeit, die insbesondere auch den Prozeß in Köln begleiten muß, hier und im westlichen Ausland — im Ausland des Sozialismus als Staatsmacht, befürchte ich, wird man eher Interesse daran haben, aus den hiesigen Erfahrungen beim Umgang mit politischen Delinquenten zu lernen — im westlichen Ausland also über das zu berichten, was mit PP passiert und mit Karl-Heinz Roth und Roland Otto noch passieren soll bzw. bereits diesen angetan wurde. Wir sollten dies auch dem hier bereits angesprochenen Russel-Tribunal, falls es stattfindet, vortragen, damit klar wird, daß die Bundesrepublik nicht etwa nur das Land der Berufsverbote ist Es ist, das sollte uns klar sein, sehr viel zu machen und deshalb hier und schnell etwas zu tun; wir müssen aufhören, immer erst dann zu reagieren, wenn es bereits zu spät ist.