Die Restrukturierung der Hochschule von der Gruppen- zur Dienstleistungsuniversität, die seit 1999 unter dem Label ›Bolognaprozess‹ verstärkt vollzogen wird, hat weit reichende Folgen für Forschung und Lehre (zusammenfassend für Frankfurt und Hessen vgl. Silomon-Pflug 2010). In Frankfurt fiel sie zusammen mit dem Umzug der Universität: 2001 zogen die geisteswissenschaftlichen Fachbereiche in das IG Farben Haus, 2008 folgten Neubauten für die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Thema des folgenden Artikels ist der räumliche Ausdruck, den der Paradigmenwechsel vom Fordismus zum Neoliberalismus darin gefunden hat.

 

Campus Bockenheim

Mit seiner Inbetriebnahme 1973 war der AfE-Turm (im Folgenden: Turm) für kurze Zeit das höchste Gebäude Frankfurts. Architektonisch zeigt er deutliche Bezüge zur Moderne, er trägt sein Stahlbeton-Skelett offen zur Schau und signalisiert Funktionalität und Massenproduktion. Die Ordinarien sind darin Vergangenheit, die Seminarräume flach und die Kritische Theorie in Form der Gesellschaftswissenschaften zu einem breiten interdisziplinären Projekt transformiert, dessen mechanischer Betriebsamkeit etwas tayloristisches anhaftet. An der Universität verkörpert er wie kaum ein anderes Gebäude die ›goldene Zeit‹ des Fordismus, der sich andernorts schon im Niedergang befand. Seine Geschichte beginnt allerdings wesentlich früher.

 

Vorgeschichte: Kritische Theorie und demokratische Architektur

In Folge der Befreiung vom Nationalsozialismus waren an der Universität Frankfurt Anfang der 1950er Jahre einige Außenseiter_innen in entscheidende Positionen gekommen: 1951 wurde das Institut für Sozialforschung (IfS) wiedereröffnet, dessen Leiter Max Horkheimer bald darauf Rektor der Universität werden sollte. 1953 konnte er das stiftungsfinanzierte Studierendenhaus mit folgenden Worten eröffnen:

»Das Glück des unabhängigen Denkens und das Bedürfnis nach Freiheit, das aus ihm folgt, ja mit ihm identisch ist, muss gelernt und erfahren sein; es bedarf der Übung und der Gelegenheit, des Beispiels und des Umgangs. (...) Wie unendlich klein auch das Ausmaß dieses Hauses im Hinblick auf so hoch gesteckte Ziele erscheint, die Wirkung dieser Zelle wird sich aufs Ganze der Universität und weiterhin erstrecken, es wird ihr Zentrum werden.« (Horkheimer 1953)

Im gleichen Jahr hatte Horkheimer den Architekten Ferdinand Kramer, einen Jugendfreund Theodor W. Adornos, aus dem Exil nach Frankfurt geholt und ihn mit dem Wiederaufbau der Universität beauftragt. Kramer stand in der Tradition der Klassischen Moderne und versuchte mit seinen Hochschulbauten an die Ideen der demokratischen Architektur anzuknüpfen, wie sie unter Ernst May mit dem Neuen Frankfurt (vgl. Mohr/Müller 1984) begonnen wurden. Kramer begann seine Tätigkeit mit einem Paukenschlag: Das barocke Haupt-portal des schlossähnlichen Hauptgebäudes (Jügelhaus) ließ er mit dem Bagger einreißen und durch eine transparente Glastürenkonstruktion ersetzen. Dieses Zeichen von Öffnung und Demokratisierung der Universität stieß bei den restaurativen Kräften auf vehemente Ablehnung.

Bei dem Bündnis von Kritischer Theorie und moderner Architektur handelte es sich nicht um eine Liebesbeziehung – den von Kramer eigens für Horkheimer entworfenen Schreibtisch ließ dieser umgehend durch Gelsenkirchener Barock ersetzen, umgekehrt findet sich in den wenigen Schriften Kramers kein Bezug auf die Kritische Theorie. Was beide dennoch verband, war eine inhaltliche Nähe: die entschiedene Gegnerschaft zum Nationalsozialismus und allem, was ihn konstituierte; der Versuch der »Erziehung zur Mündigkeit« und die Idee der Möglichkeit von Aufklärung; ein emphatischer Begriff von Demokratie, der deren soziale Bedingungen wesentlich mit in den Blick nahm. Während für Adorno und Horkheimer die fordistischen Phänomene Massenproduktion und Massenkonsum und deren Vermittlungen im Subjekt ein zentrales Feld der Auseinandersetzung bildete, versuchte Kramer den fortgeschrittenen Stand der Produktivkräfte in seinem »Bauen für die Wissenschaft« (Kramer 1960) fruchtbar zu machen. Materielle Grundlage waren u.a. der institutionalisierte Klassenkompromiss sowie bis dahin ungeahnte wirtschaftliche Wachstumsraten. Im weitesten Sinne standen beide Projekte schon für die Paradigmen von ›Chancengleichheit‹ und ›Mitbestimmung‹, noch bevor diese an der Hochschule institutionalisiert wurden. Gesamtgesellschaftlich betrachtet standen sie dennoch relativ verloren in der Opposition zu den herrschenden Kräften, denn der an sich sozialdemokratische Charakter des Fordismus trug in Deutschland das restaurative Gesicht der Adenauer-Ära. An der Universität äußerte sich dies in der Organisation durch Ordinarien wie in der Besetzung von Lehrstühlen mit Altnazis. Die Hegemonie der kritischen Geister war labil und bedeutete von Anbeginn einen Kompromiss. Zugespitzt ließe sich formulieren, dass Horkheimer und das IfS ein Feigenblatt der Repräsentation bildeten, unter dem alte Traditionen unhinterfragt fortgesetzt werden konnten.

 

Politisierung der Wissenschaft

Der Bruch kam mit 1968. Die studentische Revolte gegen die autoritären Verhältnisse war im Verbund mit dem ökonomischen Interesse nach mehr wissenschaftlich qualifizierten Fachkräften in der Lage, eine Reorganisation der Hochschulstrukturen herbeizuführen. Die Ersetzung der Ordinarien- durch die Gruppenuniversität mit einer verfassten Studierendenschaft korrespondierte mit den studentischen Aktivitäten: selbstorganisierte Seminare und Lesekreise, Cafés und Zeitungen, politische Initiativen und Wohngemeinschaften, Häuserkämpfe und Demonstrationen. Das Graffiti wurde neu erfunden, Plakate und Flugblätter kommunizierten mit dem städtischen Leben.

Genau in diese Zeit hinein wurde der Turm gebaut, er ist der materielle Ausdruck dessen, was sich als Hegemonie der Gesellschaftswissenschaften bezeichnen ließe. In Frankfurt kommt bspw. kaum ein Fachbereich umhin, explizit gesellschaftskritische Themen in den Kanon mit aufzunehmen: in den Wirtschaftswissenschaften wird ein Lehrstuhl mit Schwerpunkt marxistische Wirtschaftstheorie eingerichtet, in den Rechtswissenschaften gewinnen die Grundlagenfächer Rechtstheorie, -geschichte und -soziologie an Bedeutung, und selbst in der Medizin kehren mit dem Institut für Sexualforschung gesellschaftstheoretische Fragen ein. Dieses Bild spiegelt sich auch in der Verlags- und Buchlandschaft: meist kritische Veröffentlichungen zu gesellschaftspolitischen Fragen dominieren die Fachliteratur, so dass selbst der Springer-Verlag Ullstein Schriften von Marx, Thompson oder Althusser veröffentlichen muss, um am Marktgeschehen partizipieren zu können.

Die Gesellschaftswissenschaften verkörpern auch inhaltlich den Fordismus, zentrales Thema ist der »sozialdemokratische Staat« (Christine Buci-Glucksmann), seine Akteure und Institutionen. Hier werden Personal und Wissen insbesondere für Schule, Medien, Sozialdemokratie und Gewerkschaften produziert, auf dem Programm stehen gesellschaftliche Verteilungsfragen, die sich aus der angewachsenen Produktivität ergeben. Tendenziell kritisch ist diese Wissenschaft, weil der Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital im Korporatismus von Staat, Unternehmen und Gewerkschaften zwar befriedet ist, aber als Klassenkompromiss ausdrücklich benannt bleibt – und von links kritisiert wird.

Bemerkenswert ist dabei, dass der fordistische Geist erst in die Hochschule einzieht, als die Krise des Fordismus gerade manifest wird. Die Abschaffung der Ordinarienuniversität fällt Anfang der 1970er Jahre genau in die Zeit, als die Golddeckung des Dollars sowie das System fester Wechselkurse von Bretton Woods aufgegeben wird. 1973 putscht Pinochet in Chile gegen Allende, kurz darauf werden die wichtigsten Ministerien mit den Chicago Boys besetzt. 1974 erhält Friedrich Hayek den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften, 1976 Milton Friedman.

 

IG-Farben Campus

Veränderung der Vorzeichen

In der deutschen Hochschulpolitik wird dieser Paradigmenwechsel zunächst in Form des Doppelbeschlusses von 1977 wirksam, in dem formuliert wird, »die Hochschulen weiter für alle Studierwilligen offen zu halten, aber ihre Finanzen einzufrieren« (Bultmann 1996, 336). Die Versuche zu einer Restrukturierung der Hochschulpolitik verdichten sich in Deutschland nach dem Zusammenbruch des Ostblocks Anfang der 1990er Jahre und werden spätestens mit dem Bolognaprozess verstärkt in die Tat umgesetzt. Die Verbetriebswirtschaftlichung von Forschung und Lehre durchzieht sämtliche Fachbereiche und Studiengänge und ist unvermittelter Ausdruck der neoliberalen Hegemonie: Marktgängigkeit wird zum bestimmenden Kriterium, Konkurrenz und Wettbewerb zu den entscheidenden Mechanismen. Privatagenturen akkreditieren Studienmodule und erstellen Rankings und Evaluationen, alles und jede_r wird quantifizierbar gemacht, kritische Wissenschaft wird abgewickelt.

Für Frankfurt lässt sich dieser Umbruch an Zitaten von zwei Ex-Unipräsidenten festmachen. Werner Meißner, Präsident bis 2001, bezieht sich in seiner Stellungnahme zur »Zukunft der Goethe-Universität« (1999) u.a. auf William Gibbs, den er wie folgt zitiert: »Unsere Studenten wollen keine Bildung. Sie wollen vor allem, was sie mit Bildung kriegen können – bessere Jobs.« (ebd. 148)

Sein Nachfolger Rudolf Steinberg betont in einem Radiointerview die Verlagerung auf »Spitzenleistung« und »Bestenauslese« und erklärt:

»Wir hatten hier in Hessen – und das war das Ergebnis der so genannten Abschaffung bzw. Ersetzung der Ordinarienuniversität durch die Gruppenuniversität – eine Organgliederung, die schlichtweg zur Unregierbarkeit der Universität führte. Dieter Simon, der spätere Vorsitzende des Wissenschaftsrats, hat das bezeichnet als die ›organisierte Verantwortungslosigkeit an den Hochschulen‹. (...) Der Präsident hatte kaum wirkliche Gestaltungsbefugnisse, ein Präsidium gab es nicht. Damit war die Universität wirklich unregierbar.« (Steinberg 2008b)

»Wir brauchten (...) ein Bekenntnis zu einer neuen Philosophie – oder, wenn Sie so wollen, zu einer alten Philosophie –, die aber in den 60er und 70er Jahren in der Goethe-Universität verloren gegangen war.« (ebd.)

An diesen Aussagen wird die Verschiebung deutlich, die sich vollzogen hat: Es geht um Employabilitiy, um eine Ausbildung im Hinblick auf berufliche Praxis, nicht um Theorie und Wissenschaft; es geht um marktgerechte Dienstleistung, die autoritäre Führung erfordert, nicht um Mitbestimmung; es geht um Elite, nicht um Chancengleichheit. Der Umzug der Frankfurter Uni fällt in die Hochphase dieser Entwicklung.

 

Umzug 1: IG-Farben Haus

Der Campus Bockenheim war Ort eines langen Aneignungsprozesses, in dem die dynamischen Kräfte gegen die herrschende Ordnung standen. Ihr Ziel ging über die Reform der Hochschule hinaus und hatte letztlich eine ganz andere Gesellschaft im Sinn. Die Kräfte, welche die Entwicklung des IG Farben Campus bestimmen, stehen für die Wiederherstellung einer autoritären Ordnung. Die Aneignung erfolgt ›von oben‹, der neue Raum wird nach Belieben vorkonfiguriert und besetzt. Nahezu ungebrochen möglich ist dies, weil die gesellschaftliche Hegemonieverschiebung an der Hochschule dazu geführt hat, dass die kritischen Stimmen unter Studierenden und Lehrenden schwach geworden sind, während die Machtbefugnisse des Präsidiums ausgeweitet wurden und keiner demokratischen Kontrolle mehr unterliegen. Möglich ist dies aber auch, weil mit dem Ortswechsel eine kritische Tradition räumlicher Praxis verloren geht.

In Bezug auf das IG Farben Haus beginnt die Aneignung schon vor dem Umzug mit der Umbenennung in Poelzig-Ensemble. Der damalige Präsident Meißner begründet sie explizit mit der »Reinwaschung von national-sozialistischen Bezügen« (Campuservice GmbH o.J., 7). Das IG Farben Gebäude soll von seiner geschichtlichen Verknüpfung mit dem Nationalsozialismus befreit werden, der konkrete Ort vom Kontext seiner Produktion abgeschnitten werden, womit jede Idee von Aufklärung aufgegeben wird. Besonders pikant wird dieser Umgang vor dem Hintergrund, dass die Europäische Zentralbank aufgrund der Geschichtlichkeit des Gebäudes von einer Nutzung absah (vgl. Wagner 1999, 124). Die Universität wurde dagegen als prädestiniert angesehen, da sie als Institution der Aufklärung für eine angemessene Aufarbeitung qualifiziert sei (vgl ebd., 126). Allerdings hat das Präsidium jede Gelegenheit genutzt, um sich einer solchen zu verweigern: Eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Zwangsarbeiter_innen der IG Farben sowie eine Dauerausstellung wurden nur auf öffentlichen Druck hin realisiert, Überlebende aus den Konzentrationslagern durften bei der Einweihung nicht sprechen, der Vorschlag einer Umbenennung des Grüneburgplatzes in Norbert-Wollheim-Platz wurde abgelehnt. Ebenso weigerte sich die Unileitung, das Wandbild des von den Nazis verfolgten Künstlers Georg Heck freizulegen. Während in Bockenheim der kritische Bezug auf den Nationalsozialismus den Ausgangspunkt und eine Konstante bildete, ist die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte auf dem neuen Campus zum unliebsamen Ballast geworden.

Das IG Farben Haus selbst, das 2001 von den geisteswissenschaftlichen Fachbereichen bezogen wurde, bildet schon aufgrund seiner Architektur und vormaligen Nutzung einen Kontrast zum Bockenheimer Campus, wie er größer nicht sein könnte: Durch Hauptverkehrstraßen und parkartige Anlagen getrennt von der umliegenden Stadt, entworfen als »Stadtkrone« (so der Architekt Hans Poelzig) auf einem Hügel, 1929 gebaut als zentrales Verwaltungsgebäude und Repräsentationsbau für einen der damals größten Konzerne der Welt.

»Das Gebäude soll seine Schatten in die kommenden Jahrhunderte werfen und von der Macht und Größe des Unternehmens unablässig reden, wenn seine Zeit längst vorbei ist.« (Georg Friedrich Knoll 1931, zitiert nach Schmal 1999: 47)

Im Gegensatz zur bescheidenen Architektur Kramers wird Herrschaft hier offen zur Schau gestellt , der Campus ist rundherum von Zäunen umgeben, die wenigen Zugänge werden nachts geschlossen. Gegenüber Flugblättern, Plakaten und Graffitis wird eine Politik der zero tolerance praktiziert, jede Spur missliebiger studentischer Aktivität wird von eigens dafür abgestelltem Personal umgehend beseitigt. Ex-Präsident Steinberg gibt allerdings andere Gründe für die weißen Wände an, als die restriktive Ordnungspolitik:

»Die neue Universität in Frankfurt wird die schönste Universität Deutschlands sein. Sie ist das Gegenteil zu dieser abweisenden Beton-Architektur vieler Universitäten, die kein gedeihliches Umfeld für Wissenschaft bietet. Im Poelzig-Bau gibt es auch nach sechs Jahren keinerlei Schmierereien an Wänden oder sonstige Zerstörungen. Ich betrachte das als die zivilisierende Kraft der Ästhetik.« (Steinberg 2008a)

In anderer Beziehung werden denkmal- und brandschutzrechtliche Gründe vorgebracht, um das Studieren so steril wie möglich zu machen: Auf den Gängen gibt es keine Aufenthaltsmöglichkeiten, die Seminarräume sind außerhalb des Seminarbetriebs geschlossen und nur mit professoraler Genehmigung nutzbar, so dass weder für Arbeitsgruppen noch für spontane Treffen Raum zur Verfügung steht.

»Veranstaltungsräume länger als bis 22 Uhr zu beantragen ist ein großer bürokratischer Akt und manchmal bekommt man die Räume auch nicht, wenn sie frei sind. Selbst kulturelle Projekte von Studierenden der Uni Frankfurt (...) müssen Miete für Räume bezahlen. Nach 20 Uhr kann nur das Gelände betreten, wer von den PförtnerInnen des Sicherheitsdienstes auf das umzäunte Gebiet gelassen wird. (...) Musik ist nur in Zimmerlautstärke bis 22 Uhr erlaubt. Dieser Campus ist eben zum Studieren und Repräsentieren, nicht aber zum Diskutieren, Reflektieren, Abhängen und Feiern da. Auf dem alten Campus Bockenheim, wo die Geisteswissenschaften in separaten Häusern untergebracht waren, genügte eine mündliche Absprache mit dem Hausmeister, und schon durften die Plattenteller abdrehen...« (Dellmann 2004, 29)

Für Studierende wird der IG Farben Campus in dieser Phase zu einem Nicht-Ort. Außer den vorgeschriebenen Fachschaftsräumen gibt es keinen Platz für studentische Projekte oder Veranstaltungen, stattdessen werden Räume über ein privates Dienstleistungsunternehmen kommerziell vermietet.

»Im Grunde ist nichts dagegen zu sagen, wenn eine zentrale Koordinationsstelle für alle Veranstaltungen an der Uni, welche die Hörsaalverwaltung entlastet, eingerichtet wird. Doch die 2001 gegründete CampuSERVICE GmbH ist als privater Dienstleister nur dem Unipräsidenten unterstellt und somit nicht rechenschaftspflichtig gegenüber Studierenden oder Fachbereichen. Zudem ist CampuSERVICE vor allem dazu da, externe OrganisatorInnen zu betreuen, die in der Regel repräsentative und kommerzielle Großevents veranstalten und Geld in die Kasse der Uni (und von CampuSERVICE) bringen sollen. Diese Ausrichtung führt beizeiten dazu, dass Institute für Konferenzen keine Räume mehr im IG Farben Haus bekommen, weil sie an einen Career-Monitoring-Challenge-Kick-Off oder an die Deutsche Bank vermietet sind.« (ebd.)

Insgesamt handelte es sich um eine gewaltige Enteignung, die allerdings zunächst nur die geisteswissenschaftlichen Fachbereiche und damit einen relativ kleinen Teil der Studierenden betraf. Die großen Fachbereiche blieben nach wie vor in Bockenheim, die autoritäre Wirklichkeit im IG Farben Haus war damit entfernt und galt als zu unantastbar, um für studentische Interventionen relevant zu werden. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass sich weder bei den Bildungsprotesten 2003 noch 2006 eine studentische Initiative in Bockenheim gefunden hat, die den nahenden Umzug der anderen Fachbereiche thematisiert hätte. Eine solche gründete sich erst im Sommer 2008 – kurz vor dem Umzug der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, und bezeichnenderweise ohne davon Kenntnis zu besitzen.

 

Umzug 2: Die Neubauten

2008 wird das House of Finance als erster Neubau auf dem IG Farben Campus (offiziell: Campus Westend) eingeweiht, das wie kaum ein anderes Gebäude die neoliberale Gesellschaftsformation repräsentiert. Inhaltlich spiegelt es die gewachsene Bedeutung der Finanzmärkte, auf denen die Gewerkschaften keine Rolle mehr spielen, formal handelt es sich um ein kaum durchschaubares Konstrukt von Instituten und privaten Trägerinnen, meistens staatlich finanziert unter dem Deckmantel von Drittmitteln. Im neuen Leuchtturm wird die aufwändige Inneneinrichtung gesponsert von transnationalen Banken, nach denen die Hörsäle benannt sind, in den Werbeprospekten der Stiftungsuni kann damit für Investitionen geworben werden. Der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, erhält eine Ehrenprofessur, und der ehemalige Vorstandssprecher derselben Bank, Rolf-E. Breuer, ist Vorsitzender des Hochschulrats. Nichts könnte den Bruch zu Bockenheim besser verdeutlichen, als dieser Zusammenhang von Sponsoring und Stiftungskapital in Bezug auf ein Projekt, das den gesellschaftlichen Gebrauchswert so ganz anders verkörpert, als einstmals das Institut für Sozialforschung.

Horkheimer stellte 1953 ein stiftungsfinanziertes Studierendenhaus ins Zentrum der neuen Universität, das symbolisch den Beginn der wieder gegründeten Universität markierte. Für den IG Farben Campus ist ein Studierendenhaus erst für 2012 am nördlichsten Rand geplant, wo es durch eine Straße sowie Wohnbebauung vom Campus abgeschnitten sein wird. Es wird nicht einmal Sichtkontakt zu den Universitätsgebäuden bestehen. Die Wahl von Zeitpunkt und Ort kann dem Präsidium dabei als bewusst unterstellt werden: Von Anbeginn hätten im Casino wenigstens Teilnutzungen studentischer Initiativen Raum finden können, spätestens aber mit der Neubebauung hätte ein zentral gelegenes Studierendenhaus mit eingeplant werden müssen. Vor diesem Hintergrund mutet es mehr als zynisch an, wenn Ex-Präsident Steinberg mit Bezug auf das kirchliche Wohnheim behauptet, dass »in der Mitte des neuen Campus nicht das Präsidium, sondern die Studierenden ihren Sitz« bekommen haben (zitiert nach Kuch 2008). Die Studierenden als passive Kund_innen sind willkommen, als organisierte Interessenvertretung werden sie verbannt.

 

Die doppelte Krise

Oben habe ich den Turm als materiellen Ausdruck der fordistischen Gesellschaftsformation beschrieben. Gleichzeitig sind in dem, was der Turm repräsentiert, einige Elemente des neoliberalen Wandels bereits vorweg-genommen: Die Flexibilisierung und Deregulierung der Arbeitsverhältnisse fanden in der studentischen Subkultur ihre positive Begründung, das fordistische Normalarbeitsverhältnis »von der Wiege bis zum Grab« erfuhr hier eine Absage, die sich das Kapital von Seiten der Arbeiter_innenklasse nicht hätte erträumen können. In dieser Hinsicht steht der Turm also ganz auf der Seite seiner Zeit, produziert geradezu die Subjekte des Neoliberalismus.

Die Krise von 1973, mit der die Turm-Ära eingeleitet wurde, konnte der kritischen Theorie und den Ideen von gesellschaftlicher Emanzipation nichts Grundsätzliches anhaben. Sie bedeutete wesentlich einen Perspektivwechsel, eine Veränderung der Fragestellung und Begriffe, weil der Gegenstand sich änderte. Da es einer materialistischen Gesellschaftstheorie aber nicht um Handlungsanweisungen oder Strukturprogramme geht, ist sie prinzipiell unabhängig von Konjunkturen. Die Krise von 2008 dagegen, mit der das House of Finance eingeweiht wurde, bedeutet ein praktisches Scheitern dessen, was gestern noch als »tomorrows thinking« gepriesen wurde. Und so gesehen könnte der Umzug auch eine Geschichte eingeläutet haben, die von herrschender Seite nicht im Geringsten intendiert war… it’s up to do.

 

*.lit

Bultmann, Torsten (1996): Die standortgerechte Dienstleistungshochschule, in: Prokla. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 104, 26.Jg., Nr. 3, 1996, S. 329 - 355

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