Die erinnerungs- und geschichtspolitischen Auseinandersetzungen mit der und um die Goethe-Universität seit des Bezugs des IG Farben Campus haben immer wieder eine Geschichtsvergessenheit seitens des Universitätspräsidiums und der Institution Universität als Ganzer an den Tag gelegt. Doch selbst wenn die Goethe Universität sinnvolle Forderungen umsetzt, bleibt die Form, in der sie dies tut, zu kritisieren. Ihr Umgang mit der eigenen Geschichte im Nationalsozialismus im Allgemeinen und mit der Geschichte des IG Farben Campus im Besonderen folgt einem paradigmatischen Muster: der Einordnung des Zivilisationsbruchs Auschwitz in eine allgemeinere Geschichte. Dieses Muster soll im Folgenden an drei Gegenständen analysiert und kritisiert werden.

Der Umzug auf den IG Farben Campus war bekanntermaßen von Anfang an von erinnerungs- und geschichtspolitischen Auseinandersetzungen begleitet. Ein angemessener Umgang mit dem neuen Campus wurde vehement eingefordert, denn an diesem Ort befand sich die Hauptzentrale der IG Farben AG, eines gigantischen Chemiekonzerns, der in mehrfacher Hinsicht am Zweiten Weltkrieg und der Shoah beteiligt war: nicht nur durch die aktive Unterstützung des Nationalsozialismus im Hinblick auf Rohstoffe, Technik und Material, sondern auch durch das Vorantreiben medizinischer Experimente an KZ-Häftlingen, der Beteiligung an der DeGeSch, dem Unternehmen, das Zyklon B herstellte und an die SS lieferte, und schließlich durch die Einrichtung und Finanzierung des Konzentrationslagers Auschwitz III – Monowitz, durch welches bis zu 30.000 Menschen ermordet wurden. Eine Universität, so wurde argumentiert, die einen solchen Ort bezieht, muss sich mit der Geschichte dieses Ortes auseinandersetzen.

Diese lange und zähe Auseinandersetzung hat schließlich einige Erfolge erzielt, wie viele wissen: es gibt Gedenkplatten, das Norbert-Wollheim-Memorial und eine Dauerausstellung im IG Farben Haus. Nun, 2014, wurde der Forderung den Grüneburgplatz in Norbert-Wollheim-Platz umzubenennen, nachgegeben. Den Ort IG Farben Campus, wie wir ihn entgegen der offiziellen Sprachregelung Campus Westend nennen, hat das verändert. Teile seiner Geschichte sind zugänglich gemacht worden. Doch der Umgang mit dieser Geschichte folgt allzu oft dem genannten erinnerungspolitischen Muster.

 

Erstens

In der Dauerausstellung des IG Farben Hauses zeigt sich dieses paradigmatische Muster Frankfurter Universitätskultur. Bereits der Titel der Ausstellung lässt es erahnen: Von der Grüneburg zum Campus Westend. Und so beginnt die Darstellung der Geschichte dieses Ortes mit den Obstbäumen von Goethes Onkel, die vom Eigentümer der Grünen Burg gekauft wurden, schreitet fort zum sogenannten Irrenschloss des Heinrich Hoffmann, in welchem Alois Alzheimer, die nach ihm benannte Krankheit entdeckte und erforschte, springt zur Erbauung des IG Farben Hauses, den IG Farben selbst und ihrer Verstrickung in den Nationalsozialismus hin zur Nutzung des Geländes durch die amerikanischen Streitkräfte, um vorerst mit dem sogenannten Campus Westend zu enden. Der »Palast des Geldes« wie Theodor Heuss einst das IG Farben Haus nannte, wird in dieser Geschichtsschreibung zum »Ort des Geistes«, um es mit den Worten des Architekten Ferdinand Heide zu sagen, der für den Ausbau des Campus zuständig war. Alles Geschehene scheint gleich bedeutend zu sein, eine Geschichte voll Höhen und Tiefen eben. Das zeigt sich auch in dem Duktus, in welchem die Frankfurter Universität über ihre eigenen Geschichte redet:

»Was hat diese Universität in ihren vergleichsweisen kurzen 100 Jahren Geschichte nicht alles erlebt und überlebt. […] Die Entwicklung der Goethe-Universität ähnelt einer Fieberkurve mit heftigen Ausschlägen nach oben und unten. Nur eines verlässt sie nicht: eine offenbar unzerstörbare Lebensenergie.«

Der Zivilisationsbruch Auschwitz wird bruchlos eingereiht und in seiner Besonderheit übergangen.

 

Zweitens

Dass die Universitätsleitung nichts gelernt hat, zeigen neue Auswüchse dieses erinnerungspolitischen Musters. Im Rahmen des Jubiläumsjahres der Goethe-Universität, die 2014 einhundertjähriges Bestehen feiert, macht die Universität mit Plakaten in der Stadt auf sich aufmerksam. Darauf ist neben dem sogenannten Body of Knowledge in großen Lettern zu lesen: Visionäre. Pioniere. Wegbereiter. Darum stehen, arrangiert wie das Ergebnis eines Brainstormings, scheinbar unzusammenhängende Begriffe. Wie genau dieses Brainstorming stattfand, also wer wann welchen Einfall hatte, ist bislang ungeklärt. Jedenfalls finden sich auf dem Plakat unter anderem Worte wie Unter den Talaren, Starke Frauen, Riedberg, Sturm und Drang, Jüdische Stifter, Musentempel, Verlorene Denker, Westend und einige mehr; und dann, das Wort: Holocaust. Dieses Wort steht da, unter den Obertiteln: Visionäre. Pioniere. Wegbereiter. Man fragt sich, ob sich dieses Plakat vor Drucklegung noch mal jemand durchgelesen hat. Auch hier gilt, was über eine andere diskursive Untat an dieser Universität geschrieben wurde, dass das kaum als schlechtes Wortspiel gelesen werden kann, sondern als »bemerkenswerte Fehlleistung und unerträglichen Hohn auf die Opfer« verstanden werden muss. In dieser inhaltsleeren Allgemeinheit gehalten stört sich auch an der Aufführung des Ereignis Holocaust niemand. Dass Joseph Mengele in Frankfurt promovierte, darüber besser kein Wort, und dass Frankfurt Studierende ausgezeichnetes Engagement an den Tag legten, als es 1933 darum ging sogenannte entartete Bücher auf dem Römerberg zu verbrennen, verschweigen wir es lieber. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte folgt Lippenbekenntnissen – und da ist es auch mal notwendig Holocaust irgendwo unzusammenhängend mit dazuzuschreiben. Sie ist aber kein tatsächlicher Versuch die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten.

 

Drittens

Eine Kernforderung der Auseinandersetzungen um den IG Farben Campus war die von Überlebenden des KZ Monowitz 2004 vorgetragene den Grüneburgplatz in Norbert-Wollheim-Platz umzubenennen. Norbert Wollheim, selbst Überlebender des KZ Monowitz, verklagte erfolgreich die IG Farben AG in den 50er Jahren in einem Musterprozess. Zehn Jahre lang hat die Universitätsleitung diese Forderung abgelehnt und alles getan, dass es nicht so weit kommen konnte. Gnädiges Zugeständnis war eine Kommission, die das Norbert-Wollheim-Memorial auf dem Campus einrichten durfte. Doch immer wieder wurde die Forderung nach der Umbenennung von Studierenden, Überlebenden und dem Fritz-Bauer-Institut vorgebracht. Der letzte Höhepunkt dieser Auseinandersetzung fand 2014 statt. Fast eintausend von der Initiative zur Umbenennung des Grüneburgplatzes in Norbert-Wollheim-Platz gesammelte Unterschriften, darunter von namhaften Professor_innen, Briefe aus der jüdischen Gemeinde und von Überlebenden, Resolutionen vom Studienkreis deutscher Widerstand und eine neu entflammte Debatte darüber in Ortsbeirat und Senat zwangen das Präsidium schließlich zum Einlenken. Im Juli beschloss der Senat der Goethe Universität, den Ortsbeirat aufzufordern, den Grüneburgplatz umzubenennen. Den Beschluss dazu fasste letzter im September dieses Jahres. Sicherlich ein Erfolg; an den wohl auch kaum noch wer glaubte. Leider „zehn Jahre zu spät“, wie die Jungle World treffend titelte. Besonders perfide ist, dass die Universitätsleitung ankündigte, die Adresse der Universität mittelfristig zu verlegen, sodass nicht – wie gefordert – der Norbert-Wollheim-Platz adressgebend und damit alltäglich vor Augen geführt werden wird. Außerdem konnte man sich auch in diesem Fall nicht dazu durchringen, dieser einen Umbenennung, die ihr nötige Aufmerksamkeit zu Teil werden zu lassen. Vorgeschlagen wurde ein „Gesamtpaket“ – das alte erinnerungspolitische Muster. Umbenannt werden im selben Atemzug andere Plätze und Straßen auf dem neuen Campus nach namhaften Persönlichkeiten aus unterschiedlichsten Phasen der Geschichte der Goethe-Universität. Dass Wollheim dagegen mit dieser Geschichte nichts zu tun hat, stellte selbst das Präsidium einst als Gegenargument fest. Doch, dass Wollheim gerade deswegen, nämlich allein durch sein Verhältnis zu diesem Ort und der Geschichte der IG Farben AG, einen besonderen Umgang verdiene, darauf kamen sie nicht. Erneut wurde die spezifische Geschichte dieses Orts eingereiht in eine Gesamtgeschichte und damit nicht in ihrer Tragweite berücksichtigt.

Die drei Fälle stellen Beispiele dar anhand derer gezeigt werden kann, was an der Frankfurter Universität mit Aufarbeitung der Vergangenheit gemeint ist.

Zu betonen ist hingegen die Singularität des Zivilisationsbruchs Auschwitz, die eben als Bruch nicht einfach so auf eine Kette von Ereignissen aufgereiht werden kann, sondern einen eigenständigen Umgang verlangt. Das ist sicherlich keine neue Bemerkung, sondern die fast schon alte Leier, die ungehört verhallt. Dennoch, die Erfolge der letzten Dekade, von unermüdlich kämpfenden (studentischen) Initiativen, Überlebenden und dem Fritz-Bauer-Institut durchgesetzt, haben gezeigt, dass es sich lohnen kann, diese Leier immer wieder anzustimmen.