Immer wieder das Gleiche
Mit dem Einzug der Turm-Fachbereiche in das PEG-Gebäude und umliegende Containerburgen auf dem neuen Campus ist der Umzug der Universität Frankfurt nahezu abgeschlossen. Inwiefern das zu infrastruktureller Überlastung und einer grundsätzlichen Änderung der Studienbedingungen an den entsprechenden Fachbereichen führen wird, wird sich in den nächsten Monaten zeigen und so ist zu hoffen – auch Gegenstand hochschulpolitischer Auseinandersetzungen sein. Auch wenn die hochgradig blamablen Pannen des gesamten Umzugs und die auch architektonisch implementierte autoritäre Wende der gesamten Universitätsverwaltung zur Zeit die drängenderen Themen sind, sollen an dieser Stelle aus gegebenem Anlass noch einmal einige grundsätzliche Bemerkungen zum neuen Campus gemacht werden, die sich auf seine Geschichte beziehen.
Dabei wäre es falsch, Hochschulpolitik – verstanden als Auseinandersetzungen um den Charakter von Universität heute – und Geschichtspolitik – verstanden als Auseinandersetzungen um Formen historischen Erinnerns und Gedenkens – schlechthin voneinander zu trennen. Vielmehr als um die Frage, wie – was auch immer das sein soll – ein sinnvoller Umgang mit der Geschichte des Ortes gefunden werden könnte, geht es darum, diese als einen notwendigen Bezugspunkt von Reflexionen bewusst zu machen, die sich darauf beziehen, was intellektuelle Arbeit, Wissenschaft und Bildung heute sein könnten und was das für ihre institutionellen Bedingungen an der Universität bedeutet. Nicht ohne Grund ist ein zentrales Moment der studentischen Hochschulpolitik am neuen Campus auch der Bezug auf die Geschichte der IG Farben. Und nicht ohne Zufall lässt sich das ganze Elend offizieller Hochschulverwaltung und -vermarktung besonders drastisch erkennen, erinnert man an die Geschichte des Ortes und der Universität als Institution.
Es existiert die Idee, den Platz zwischen Hörsaalzentrum und dem Casino-Anbau symbolisch nach Norbert Wollheim zu benennen – einem Überlebenden des Konzentrationslagers Buna/Monowitz, der in den 1950ern die ersten Entschädigungsklagen gegen die IG Farben angestrengt hatte. Es hat mittlerweile eine mehr als zehnjährige Tradition, an die Geschichte des Campus zu erinnern, indem der Name Wollheims für solche Widmungen verwendet wird. Im Zuge des Bildungsstreiks und der Besetzung des Casino-Gebäudes im Winter 2009 wurde die Goethe-Universität von Studierenden symbolisch in »Norbert-Wollheim-Universität« umbenannt. Auch nach der gewaltsamen Räumung des Casinos konnten in den folgenden Wochen regelmäßig Workshops im Rahmen der ausgerufenen Norbert Wollheim-Universität stattfinden. Seit 2008 existiert auch das Wollheim-Memorial, das nur deshalb entstehen konnte, weil seit dem Einzug der Universität in das IG Farben-Haus 2001 gefordert wurde, den Grüneburgplatz in Norbert-Wollheim-Platz umzubenennen. Mit dem Namen Wollheim verbinden sich in den letzten zehn Jahren also die Forderungen nach einem bewussten Umgang mit der Geschichte des Ortes sowie mit dem Memorial auch ihr einziger nennenswerter Erfolg. Ist dieses Einfordern – das Bewusstsein darüber, dass sich der historischen Reflexion zu stellen wäre – allzu gut begründet, so droht doch der Name Wollheim alleine auch zu einer Hohlformel zu werden. Das wird vielleicht an einer Anekdote deutlich: Während einer Namenslesung anlässlich des 27. Januars im Foyer des IG Farben-Hauses, einem Versuch also am Befreiungstag von Auschwitz an die hinter abstrakten Zahlen verschwindenden Namen der einzelnen Opfer von Buna/Monowitz zu erinnern, kamen auch zwei Studierende vorbei, die sich darüber unterhielten, dass es hier wohl um »irgendwas mit Norbert Wollheim« ginge. An dieser Stelle wird deshalb noch einmal in sechs Schritten eine grobe Skizze 1. der Bedeutung der IG Farben, 2. ihrer Nachgeschichte, 3. des Umgangs der Universität mit all dem, 4. einer Kritik der universitären Selbstvermarktung an diesem Ort und 5. der Bedeutung für eine politische Kultur an der Hochschule entworfen. Abschließend wird versucht anzudeuten, welche Konsequenzen sich daraus für eine kritische Hochschulpolitik und ein Studium am IG Farben-Campus ziehen lassen könnten. Worum geht es eigentlich jenseits einer Umbenennung?
1. IG Farben im Nationalsozialismus
Auf dem angeblich schönsten Campus Deutschlands, für den sich immer mehr der offizielle Name ›Campus Westend‹ durchsetzt, stehen eben jene Gebäude, in denen bis 1945 die Interessengemeinschaft Farbenindustrie AG, kurz IG Farben, ihren Hauptsitz hatte. Was war die IG Farben und warum wurde sie 1945 von den Alliierten aufgelöst?
Nach mehreren Fusionsschritten bestand ab 1925 unter dem Namen IG Farben ein Zusammenschluss der größten deutschen Unternehmen der Chemie-Industrie wie BASF, Bayer, Hoechst, AGFA und Cassella. Damit bildete die IG Farben praktisch ein Monopol, das zentrale ökonomische Bedeutung in Deutschland hatte und auch international zu einem entscheidenden Akteur wurde.
Ende der Zwanziger ließ der Chemiekonzern den Architekten Hans Poelzig den Hauptverwaltungssitz in Frankfurt bauen. Poelzig schaffte es, dem erforderten Verwaltungsbau gewissermaßen die Ästhetik des Monopols zu verleihen. Genau das meinte Theodor Heuss, als er das Haus 1929 einen »Palast des Geldes« nannte. Diese Formulierung heute noch als Kürzel für die Nutzung des Hauses durch die IG Farben zu verwenden (siehe unten), stellt aber eine grobe Verharmlosung dar.
Denn ab 1933 wurde die IG Farben zu einem der entscheidenden Rackets des Nationalsozialismus. Allerdings nicht, weil hinter dem Faschismus das Kapital gestanden hätte: Bis 1933 war die IG Farben vielmehr Angriffsziel des antikapitalistischen Ressentiments der Nazis gewesen. Im Stürmer standen Karikaturen des »Isidor G. Farber« für das international vernetzte ›jüdische Finanzkapital‹ ein. Die IG Farben waren also nicht – wie in John Heartfields bekannter Collage – die Millionen, die hinter Hitler standen. Von Interesse sind sie vielmehr als Beispiel für den rasanten und bereitwilligen Anpassungsprozess des deutschen Bürgertums an den Nationalsozialismus und seine Bedingungen. Es geht also nicht darum, dass der Nationalsozialismus wesentlich im Akkumulationsinteresse wurzeln würde, sondern darum, wie schnell sich ein Konzern von internationaler Bedeutung, der personell fest in den wissenschaftlichen und ökonomischen Eliten des deutschen Bürgertums verankert war, in die barbarische Krisenlösung der Nazis integrieren konnte.
Erstes Scharnier hierfür waren die zu Beginn der 1930er als Fehlinvestitionen zum Scheitern verurteilten, weil nicht konkurrenzfähigen Produktionen von Leuna und Buna, zwei auf Kohlenstoff basierenden und damit importunabhängigen Alternativen für Gummi und Benzin. Erst Verträge mit den wirtschaftspolitisch an Importunabhängigkeit orientierten Nazis sicherten auf Jahre den Absatz, der im Zuge des Krieges massiv ansteigen sollte. Die IG Farben ließ langjährige jüdische Mitglieder von Aufsichtsrat und Vorstand fallen: 1936 war fast der komplette Vorstand Mitglied der NSDAP und bestand zum Großteil aus bekennenden Nationalsozialisten; alle jüdischen Vorstandsmitglieder waren entlassen worden, darunter auch der Nobelpreisträger Fritz Haber; 1938 war schließlich der gesamte Konzern bis hinunter zu den Angestellten und Arbeitern ›judenrein‹. Durch die 1935 gegründete »Vermittlungsstelle W« war die IG Farben gemeinsam mit der Wehrmacht ein Motor der Umstellung auf Kriegsproduktion und wurde schließlich auch in die Kriegsplanung und -führung einbezogen. Durch den Zugriff auf Rohstoffe und Vorteile bei der Übernahme großer Teile der chemischen Industrie in den überfallenen und besetzten Ländern profitierte der Konzern unmittelbar von der Expansion des Reichs.
Aufgrund des steigenden Bedarfs am Kautschuk-Ersatz Buna fiel in Verhandlungen der IG Farben mit dem Reichswirtschaftsministerium 1941 der Entschluss, ein neues Werk zu bauen und zwar in Monowitz, einem Ort nahe dem KZ Auschwitz. 1942 wurde die IG Auschwitz gegründet und sollte einmal die größte chemische Industrieanlage Osteuropas werden. Auf der Baustelle wurden neben deutschen Fachkräften und Zwangsarbeitern aus ganz Europa zunehmend auch Häftlinge aus dem Konzentrationslager Auschwitz eingesetzt. Zu Beginn mussten diese täglich einen mehrere Kilometer langen Fußmarsch zur Baustelle zurücklegen, der vielen die letzten Kräfte raubte. Aufgrund dieses »Verschleißes« entschied die Leitung der IG Auschwitz gemeinsam mit der SS noch 1942 die Gründung des Lagers Buna/Monowitz bzw. Auschwitz III – einem firmeneigenen Konzentrationslager. Mindestens 25-30.000 Häftlinge – Schätzungen liegen sehr viel höher – fielen hier der Vernichtung durch Arbeit zum Opfer, wurden auf der Baustelle ermordet oder bei einer der Selektionen in die Gaskammern von Birkenau geschickt. Doch nicht nur mit der Ausbeutung von und der Vernichtung durch Zwangsarbeit war die IG Farben am deutschen Massenmord beteiligt: Die Firma DeGeSch, deren Anteilseigner die IG Farben war, verkaufte der SS das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B. Ab 1941, nach dem Beschluss der »Endlösung der Judenfrage«, wurde das Giftgas auf Wunsch auch ohne beigemischten Warnstoff geliefert und in den Gaskammern eingesetzt.
Darüber hinaus waren Mitarbeiter der IG Farben auch an Menschenversuchen in verschiedenen Konzentrationslagern beteiligt, vor allem in der Forschung nach einem Mittel gegen Fleckfieber: Hierfür wurden Häftlinge infiziert und mit dem Gegenmittel behandelt; wer beides überlebte wurde ermordet.
Anders als zahlreiche andere deutsche Unternehmen profitierte die IG Farben also nicht einfach von ›Arisierung‹ und Zwangsarbeit, sondern war aktiv an der nationalsozialistischen Politik und auf zahlreichen Ebenen am Massenmord beteiligt. Das Haus, in dem einige von uns studieren, ist auch das Haus, in dem Entscheidungen hierüber getroffen wurden.
2. Die Auflösung der IG Farben
Nach der deutschen Niederlage wurde die IG Farben entflochten, also in die Gründungsfirmen aufgelöst: Agfa, BASF, Bayer, Cassella, Hoechst und andere. Von den 23 bei den Nürnberger Prozessen angeklagten Vorstandsmitgliedern der IG Farben wurden 13 verurteilt. Nach auch vom Bundestag initiierten Amnestie-Gesuchen wurden sie allerdings schon 1951 aus der Haft entlassen, meist um kurz darauf in den neuen alten Firmen wieder im Vorstand zu sitzen.
Als Rechtsnachfolge traten aber nicht die alten Gründerfirmen auf, sondern wurde die IG Farbenindustrie AG in Liquidation (IG Farben i.L.) gegründet, die bis 2003 bestand. Die Ansprüche, mit denen die IG Farben i.L. umgehen sollte, waren keineswegs die der ehemaligen Zwangsarbeiter auf Entschädigung, sondern vielmehr die der Angestellten auf ihre Rente.
Der Verantwortung für die ehemaligen Zwangsarbeiter haben sich weder die Nachfolgeunternehmen noch die Rechtsnachfolge je wirklich gestellt. Eingeforderte Entschädigungszahlungen fanden nur auf öffentlichen Druck hin, für einen eingeschränkten Teil der ehemaligen Zwangsarbeiter_innen und in geringer Höhe statt. Das gilt für die Zahlungen der IG Farben i.L. nach der von Wollheim angestrengten Klage wie auch für die Zahlungen der 2000 gegründeten Stiftung EVZ, an der sich die Nachfolgeunternehmen beteiligten. Nicht die Verantwortlichkeit, sondern wirtschaftliches und nationales Image und das Abwehren möglicher weitergehender Forderungen gaben jeweils den Ausschlag. Das präsentierte man als ein Zeichen guten Willens – ein Schuldeingeständnis war damit ausdrücklich nicht verbunden.
Einige dieser Nachfolgeunternehmen nahmen übrigens im Spätsommer 2009 an einer Tagung der Gesellschaft deutscher Chemiker teil, die im Casino auf dem IG Farben-Campus stattfand. Das Personal der Tagung trug T-Shirts auf die folgender Satz gedruckt war: »Chemiker haben für alles eine Lösung«. Dabei handelt es sich offensichtlich nicht nur um ein schlechtes Wortspiel, sondern um eine bemerkenswerte Fehlleistung und unerträglichen Hohn auf die Opfer.
3. Wohin mit welcher Geschichte?
Nach dem Abzug der US Army, die das Gebäude seit 1945 als europäisches Hauptquartier nutzte, fiel Mitte der 1990er die Entscheidung, die Goethe-Universität in das IG Farben-Gebäude ziehen und auf dem umliegenden Gelände den neuen Campus errichten zu lassen. Das geschah auf Initiative des ehemaligen Uni-Präsidenten Werner Meißner, der auch den Namen »Poelzig-Ensemble« prägen sollte, den er ausdrücklich mit dem Wunsch einer »Reinwaschung von nationalsozialistischen Bezügen« verband. Nach einer derart ungeschickten Aussage entbrannte natürlich Streit. Der folgende Präsident Steinberg überließ es dann dem Senat zu entscheiden, dass das Gebäude weiterhin mit seinem Namen – IG Hochhaus – auf die IG Farben verweisen sollte.
Der Einzug fand 2001 statt, die offizielle Eröffnungsfeier im Oktober und zwar, wie sich der damalige Uni-Präsident Steinberg so unnachahmlich ausdrückte, »im Bewusstsein seiner Geschichte, die in gewisser Weise durchaus eine historische Last darstellt.« So wurde mit der Eröffnung auch eine Gedenkplatte am Eingang des Gebäudes eingeweiht (rechts von der Treppe), die gegen den ausdrücklichen Wunsch von Überlebenden liegend und nicht stehend angebracht worden ist. Heute ist sie meist mit Fahrrädern zugeparkt, weil die Universität für diese keine verkehrslogisch irgendwie sinnvoll lokalisierten Stellplätze zur Verfügung stellen will.
Der nächste Schritt folgte erst 2003. Mit dem hohen Anspruch, der Geschichte des Gebäudes Rechnung zu tragen, wurde auch die Dauerausstellung Von der Grüneburg zum Campus Westend in den langen, langen Gängen des IG Farben Hauses eingerichtet. Diese beschränkt sich allerdings keineswegs auf die hier relevante Geschichte: So wird die 2007 erschienene Begleitbroschüre auf der Homepage der Uni unter der Überschrift »Was verbindet Goethe mit dem Campus Westend?” beworben – das trifft den Charakter der Ausstellung, die sich derart informiert zeigt, dass sie die für alle Auseinandersetzung maßgebende Geschichte der IG Farben in eine reichlich kursorische Allgemeingeschichte des Ortes versenkt. Hier findet sich dann allerhand Erstaunliches und Auschwitz gehört eben irgendwie auch dazu – aber dann doch bitte auch Goethes Apfelbäume, Heinrich Hoffmanns ›Irrenschloss‹ und schließlich der Auftrag zur hessischen Verfassungsbildung. Man befindet sich eben an einem Ort und in einem Gebäude, »das die dunklen und die hellen Seiten der Geschichte gerade von uns Deutschen zugleich in sich vereinigt« (Roland Koch). Die von hier aus mitverwaltete Beteiligung an der Shoah wird also gerade nicht als Einschneidendes begriffen, das nicht einfach auf die Kette einer chronologischen Geschichtsschreibung aufzureihen ist, sondern im Gebäude sollen »die Brüche der deutschen Geschichte« (Steinberg) zusammenlaufen – derart allgemein als Umbrüche also, dass das Spezifische des Zivilisationsbruchs Auschwitz verlorengeht. Während man sich derart offensiv dem Imperativ der historischen Auseinandersetzung stellt, entblödet man sich dabei nicht, Anekdoten wie die Folgende auszupacken: »hier befand sich vor rund 200 Jahren Goethes Garten. Ein perfekter Ort für die Universität, um im Geiste ihres Namenspatrons zu forschen.« Wie alles was die Universität an Angeboten zur ›Aufarbeitung‹ zu bieten hat, so gilt auch bei der Gedenkplatte vorm Gebäude und der Dauerausstellung in den Gängen, dass die Spuren des öffentlichen Drucks, der stets nötig war, um der Universität solche Zugeständnisse abzuringen, weitestgehend getilgt sind und die Universität es vielmehr vermag, sämtliche Kritik zu vereinnahmen. Deutlich wird das an der Entstehungsgeschichte des Norbert-Wollheim-Memorials, das seit 2008 auf dem Campus besteht. Hätte es nicht die Forderung nach einer Änderung der Universitätsanschrift von Grüneburg- in Norbert-Wollheim-Platz gegeben, dann wäre es zu dem Memorial wohl nie gekommen. Die Uni-Leitung reagierte auf die von Überlebenden vorgebrachte und international von Professor_innen und Studierenden unterstützte Forderung nach Umbenennung erstmal mit Kompetenzstreitigkeiten und wälzte jede Verantwortung auf die Seite der Behörden ab. Erst nach jahrelangem Streit kam schließlich die Idee für ein Memorial auf – dass die Universität von sich aus keineswegs einen so naheliegenden Schritt zur Erinnerung an die Opfer der IG Farben angestrebt hatte, verschwindet dabei hinterm Lob »bürgerschaftlichen Engagements” (Steinberg). Der »selbstverständlichen Aufgabe offen und kritisch mit der Geschichte der IG Farben umzugehen« (ebd.) widmete sich die Universität aber eben erst nach öffentlichem Druck und nach langer Verhandlung. In der zuständigen Kommission wurde dann ein Entwurf beschlossen, der das IG Farben-Haus selbst völlig unangetastet ließ: Im Pförtnergebäude am Rande des Campus war noch Platz. Statt der Möglichkeit, auch in Konfrontation mit den Auflagen des Denkmalschutzes ein Memorial mit dem IG Farben-Haus selbst in eindeutige Beziehung zu setzen, wurde eine Lösung durchgesetzt, die im Rahmen einer »beeindruckenden künstlerischen Konzeption« (ebd.) die beeindruckende Wirkung des Gebäudes unangekratzt ließ, sich dieser vielmehr unterordnet und einfügt. Um hier nicht missverstanden zu werden: Es wäre keineswegs zu wünschen, dem monumentalen Gebäude ein monumentales Mahnmal entgegenzusetzen. Es ist eine entscheidende Qualität des Wollheim-Memorials Abstand zu Formen der Erinnerung zu halten, die auf Überwältigung setzen. Konsequenterweise wäre es aber die Monumentalität des IG Farben-Gebäudes gewesen, mit der man hätte brechen müssen.
Die inhaltliche Gestaltung verdankt sich der Zusammenarbeit des Fritz-Bauer-Instituts mit Studierenden, Mitarbeiter_innen der Universität und vor allem auch den Überlebenden, die bereit waren über Buna/Monowitz zu sprechen. So steht hier nun auch keineswegs die Arbeit des Memorials zur Kritik – wohl aber, wie sich die Universität auf eine Arbeitsteilung verlässt, die solchen Institutionen das Erinnern an die nationalsozialistische Geschichte des Hauses überlässt, ohne sich als Institution selbst in irgendeiner Form damit zu konfrontieren.
4. Was für eine Uni an diesem Ort?
Mit welchem Selbstverständnis präsentiert sich aber Universität an diesem Ort? Für die Pointe des folgenden Arguments wird man etwas weiter ausholen müssen – es bezieht sich auf eine Entwicklung, die sich durch die Amtszeiten dreier Präsidenten zieht und mit Werner Meißner beginnt. Dessen Versuch mit dem kunstgeschichtlich angehauchten Begriff des »Poelzig-Ensembles« eine »Reinwaschung von nationalsozialistischen Bezügen« zu unternehmen rief wie gesagt Ärger hervor. Und mittlerweile weiß man sogar bei der CAMPUSERVICE GmbH, dass Meißners diskursiver Fehltritt »provokativ« und ungeschickt war, und lässt den armen Mann fallen wie eine heiße Kartoffel – allerdings nur um dann in derselben Imagebroschüre eine Seite später erleichtert zu verbuchen, dass mit »dem Einzug der Universität (...) die mahnende Erinnerung an das Dritte Reich zu schwinden und sich das negative Image zu verändern« scheint.
Kein Wunder, denn der Meißnersche Versuch, mit universitärer Identitätsstiftung an den ästhetischen Rang von Architektur ›an sich‹, als der Geschichte gegenüber gleichgültiger Kunst anzuknüpfen hat in den folgenden Jahren und bis heute zahlreiche Neuauflagen erfahren.
2001 ließ man als erstes die Geistes- und Kulturwissenschaften auf den neuen Campus und in das IG Farben-Gebäude einziehen. Mag einem diese Nutzung auf den ersten Blick vielleicht sinnvoll erscheinen, so macht der schale Pathos dieser Geste alles zunichte: Steinberg sprach sogar davon, dass aus dem »Palast des Geldes, später dem Palast der militärischen Macht, (...) der Palast des Geistes werden« sollte. Nicht im Widerspruch zum Gebäude und seiner Geschichte, nicht mit dem Anspruch kritischer Reflexion zog die Uni hier ein, sondern im dezidierten Einklang mit der gewürdigten »architektonischen Meisterschaft des von Hans Poelzig entworfenen Bauwerks« (ebd.): Der Geist sollte sich die Repräsentativarchitektur, die zuvor den IG Farben gedient hatte, unmittelbar zu eigen machen. So kehrt hier die Reinwaschung wieder: Wer wollte denn bei der proklamierten Verschmelzung von Poelzigs künstlerischer Leistung, dem repräsentativen Ausdruck des Gebäudes und dem universitären Geistesglanz noch an den verwalteten Massenmord, die »nationalsozialistischen Bezüge« denken? Dieser gereinigten Identität sollen sich auch die neu gebauten und zu bauenden Areale des Campus einfügen. Sie beziehen sich nach Vorgabe der Bauherren explizit auf die Architektur Poelzigs. Am anschaulichsten wird das wohl an der fortgeführten achsialen Struktur von IG Farben-Haus und Casino wie auch der Anlehnung der Fassadengestaltung an das von Poelzig verbaute Travertin. Auch der für den Plan des Ausbaus verantwortliche Architekt Ferdinand Heide griff die Formulierung Steinbergs vom »Palast« auf und visionierte hier einen »Ort des Geistes« . In der Beilage zur Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 13. Februar 2011 verstieg man sich sogar zur Überschrift vom »heiteren Ort des Geistes« . Solcher Bezug auf Architektur als zeitloser Kunst und ihr ungebrochenes Weiterführen wird am besten schlicht als geschichtslos benannt. Offenkundig wird das an einer Äußerung Steinbergs, in der er die klinische Reinlichkeit des neuen Campus nicht mit dem Heer an Putz- und Gartenpersonal, sondern mit der »zivilisierenden Kraft der Ästhetik« erklärte – dass von hier aus der Zivilisationsbruch der Shoah mitverwaltet wurde, scheint da vernachlässigbar zu sein. Der aktuelle Präsident Müller-Esterl hat sich bisher mit Äußerungen zur Geschichte der IG Farben auffallend zurückgehalten. Er versucht hingegen zwanghaft, sich ein Profil als Kunstfreund zu schaffen, führt aber gerade damit die von Meißner und Steinberg vorbereitete Linie der Geistesbeflissenheit fort. Gleichzeitig fallen bei ihm aber derartige Kunst- und Vergangenheitspolitik unmittelbar zusammen. Ein Beispiel hierfür liefert die im Sommer 2009 aufgestellte Skulpturengruppe T.O.L.E.R.A.N.C.E. von Guy Ferrer. Damit wurde eine Tradition eröffnet, denn seit 2009 dient der IG Farben Campus regelmäßig als Ausstellungsfläche raumgreifender Skulpturen. Dabei ist es wohl kein Zufall, dass im Falle der Arbeit Ferrers ihr naiver Appell an Toleranz einerseits ausdrücklich in Beziehung zur Geschichte der IG Farben gesetzt wurde, gleichzeitig aber auch als Kunstwerk vor dem eben als kunstvoll verstandenen Gebäude positioniert wurde: »Ein Wort das wir sagen wollen ist Toleranz, aber ein Wort ist auch Kunst.« (Müller-Esterl) Oder wie es ähnlich pointiert der Künstler selbst ausdrückte: »Today we are just converting, you know, the unhappy in happy. Etc, etc.« (Guy Ferrer, ebd.) Heitere Kunst gegen traurige Barbarei eintauschen – ein Geniestreich vergangenheitspolitischer Imagepflege.
5. Die Verwaltung des Geistes gegen die Bockenheimer Horden
Über ein Jahrzehnt schon drückt sich die Ästhetisierung des IG Farben-Campus als Strategie einer Umwidmung von ›schlimmer Vergangenheit‹ in herrlichen Geist aus. Die Tatsache, dass unter 300 Befragten die Goethe-Uni auch mit dem diffus kulturell-wertvollen »Umzug in ›alte‹ Gebäude« assoziiert wird, sorgt mit dafür, dass sie sich »im Konzert sehr guter deutscher Universitäten (...) ein achtbar gutes Image bescheinigen« kann. Die Musealisierung der Hochschule sorgt dabei zugleich auch dafür, dass jede studentische Aneignung des Campus ausbleibt. Nach über zehn Jahren finden sich, wenn überhaupt, dann nur zarte Keime einer studentischen Öffentlichkeit – dem, was einmal als Herzstück demokratischer Universität verstanden wurde.
Neuerdings scheinen sich allerdings die vergangenheits- und ordnungspolitischen Dimensionen des Ästhetisierungsdiskurses zunehmend zu verschränken. In der Debatte um die Casino-Besetzung 2009 wandte sich die Verknüpfung von künstlerischer Weihe und historischer Hygiene unmittelbar gegen Studierende, als nämlich der Präsident in einem Leserbrief wegen der an Rahmen von Georg Heck-Werken und eben auch am Poelzig-Gebäude entstandenen Schäden den etwas peinlichen Versuch unternahm, eine Parallele von Bildungsprotesten und nationalsozialistischen Kampagnen gegen ›entartete‹ Kunst nahezulegen: Denn wo »Kunstwerke geschändet werden, ist die Freiheit in Gefahr« , so Müller-Esterl in einem Pathos von der Stange. Und weiter: »Welches Maß an Geschichtsvergessenheit müssen die Randalierer haben, wenn sie in ihrer Zerstörungswut nicht einmal Halt machen vor einem von den Nazis verfolgten Künstler?« Man mag zur Casino-Besetzung und den mit ihr einhergegangenen Sachbeschädigungen stehen wie man will – fraglich ist in jedem Fall, was für eine Art von Zivilisiertheit den »Randalierern« entgegensteht, wenn ein Universitätspräsident in derart projektiv aufgeladener Sprache (»Schändung«, »Zerstörungswut«) eine gezielte Zerstörung von Kunstwerken herbeiredet, die niemals stattgefunden hat, während er selbst doch in diesem Zusammenhang einen Polizei-Einsatz zu verantworten hat, bei dem ohne Notwendigkeit absichtsvoll Körper verletzt und Wehrlose gedemütigt wurden?
Solche Plattitüden wären der Rede nicht weiter wert, käme es mittlerweile nicht häufiger zu den sich überschlagenden Vergleichen von wie auch immer motivierten Sachbeschädigungen innerhalb der Universität mit Aktionen der Nazis – so kürzlich im Rahmen des Umzugs-Jour fixe der Fachbereiche 03 und 04. Laut einem offenen Brief verschiedener studentischer Organisationen soll Dekanin Professorin Friebertshäuser dort nächtliche Sachbeschädigungen im AfE-Turm mit den antisemitischen Novemberpogromen assoziiert haben. Während Friebertshäuser diese groteske Verbindung als spontanen Ausdruck wohl beim selben Treffen noch und dann auch öffentlich wieder zurückgezogen hat, übernahm es der Dekan ProfessorNeckel nachzulegen und in einem kühnen argumentativen Sprung einen Zusammenhang zur Kritik am Universitäts-Umzug durch die Vertretung der Studierendenschaft herzustellen: Die Kritiker, die er damit implizit für die von ihm fantasierte – nämlich allein durch ein flapsiges Graffiti bewiesene – Bedrohung durch »marodierende Männerhorden« in Haftung nahm, sollten doch einmal Adornos und Horkheimers Elemente des Antisemitismus und zudem die Studien zum autoritären Charakter lesen. Neckel legt es also darauf an, eine logisch wie sachlich nicht haltbare und bewusst schwammige Assoziationskette von demokratischer Hochschulpolitik, Sachbeschädigungen in öffentlichen Gebäuden und Nationalsozialismus in Gang zu setzen und in Gang zu halten. Darauf beharrte er auch noch auf Nachfrage der Frankfurter Rundschau. Lohnt es sich überhaupt noch, dem argumentativ etwas zu entgegnen?
Solche rhetorischen Manöver zeugen nicht nur von den intellektuellen Kurzschlussreaktionen gestandener Akademiker_innen, sondern auch von deren miserablem Bewusstsein davon, was der Nationalsozialismus war: Man scheint ihn allen Ernstes als den Einfall von Barbaren zu erinnern, dem irgendeine Form gesitteten Benehmens und lauterer Kultur entgegenzuhalten wäre. Dass der Nationalsozialismus aber gerade das nicht war, sondern sich inmitten von Kultur und Zivilisation ereignete, die zivilisierte Barbarei und nicht Barbarei unmittelbar war, scheint man genau an der Universität vergessen zu haben, die den Autoren der Dialektik der Aufklärung einen Gutteil ihres Renommées und im Hochschul-Ranking jeden Punkt bei der Zitations-Anzahl verdankt.
Die Äußerungen der Professoren Meißner, Steinberg, Müller-Esterl und Neckel liefern das Panorama eines Denkens, für das der Nationalsozialismus nicht in einem Kontinuum mit der Geschichte von Zivilisation, Kultur und Aufklärung zu begreifen und zu reflektieren ist, sondern in dem Nazis mit projektiv aufgeblasenen zerstörungswütigen Barbaren in eine Kategorie fallen – dem was nicht an unsere schöne Uni passt. Wo sich diese Rhetorik auch noch gegen die politische Initiative von Studierenden wendet, zeigt sich, dass nicht die Studierenden geschichtsvergessen sind, sondern das Personal der Universitätsleitung.
Wie sehr aber das Bewusstsein über den Nationalsozialismus in den leitenden Rängen der Universitätsverwaltung dem Dünkel entspricht, sich als kultiviertes Subjekt über Hooligans erhaben zu wissen, wird an dem aufschlussreichen Statement des Städel Vize-Direktor und Professor Jochen Sander deutlich, der Müller-Esterl in der Debatte um die Casino-Besetzung als Kunstexperte sekundierte. Er sprach von der Universität an diesem Ort als einer »Teufelsaustreibung« – er meinte damit die kunst- und bildungsbeflissene Insitution, die im Gegensatz zu den »Randalierern« das Gebäude in seinen Augen offenbar einer Art Exorzismus unterzieht und die bösen Nazi-Geister austreibt. Damit sind wir dort wieder angekommen, wo wir die ganze Zeit schon waren: bei der »Reinwaschung von nationalsozialistischen Bezügen«.
6. Goethes Gespenster
Aber was ist nun falsch daran? Warum soll man nicht diesen Ort Kunst und Geist, Bildung und Schönheit widmen? Warum nicht selbstbewusst Kultur gegen die nationalsozialistische Barbarei in Anschlag bringen? Die nationalsozialistischen Verbrechen waren barbarisch – und dennoch, darauf ist zu beharren, fanden sie inmitten von Kultur statt. Daran änderten eben nichts die deutschen Universitäten, die sich auch in Frankfurt mit sämtlichen Disziplinen am deutschen Faschismus beteiligten. Hiervon zeugt nichts am neuen Campus. Warum wurde beispielsweise nicht schon längst eine Ausstellung, wie sie in Bockenheim in der Neuen Mensa hängt, in den 1980ern von Studierenden erarbeitet und dort angebracht, auf den neuen Campus mitgenommen? Die aufklärerische Mission einer Universität, die als Festung des Geistes einen Gegenpol zur Geschichte der IG Farben bilden soll, dabei aber ihre eigene Geschichte vergisst, ist keinen Pfifferling wert.
Bildung im Bewusstsein von Geschichte würde eben nicht die Frage »Was hat Goethe mit dem Campus Westend zu tun?« stellen, sondern – überspitzt formuliert – auch: Was hat Goethe mit Auschwitz zu tun? Goethe selbst sicher nichts, aber eine Kultur, die ihn ehrte, war unfähig, die Verbrechen in den Konzentrationslagern zu verhindern und daran beteiligt.
Die Universität Frankfurt ist übrigens erst seit 1932, seinem 100. Todestag, nach Johann Wolfgang Goethe benannt. Ganz bestimmt nicht, weil Faschisten ihr diesen Namen gaben: Die Tatsache aber, dass schon ein Jahr später Frankfurter Studierende unter Beifall ihrer Professoren auf dem Römerberg Bücher verbrannten und alle Rückbesinnung auf die Tradition nichts dagegen ausrichten konnte, ja nicht einmal im Widerspruch dazu stehen musste – das nötigt mehr als alle seine Apfelbäume zu der Frage, was es heißt an diesem Ort noch im Sinn Goethes zu studieren. Das historische Grauen, das mit dem Ort des neuen Campus verbunden ist, wäre auf das wissenschaftliche Denken selbst zu beziehen und nicht der Geist souverän als erhaben zu behaupten. Was heißt es, hier im Sinne des Namenspatrons zu forschen, in der Tradition der Aufklärung noch denken zu können?
Auf das eigene Scheitern müsste Bildung reflektieren, die es ernst meint mit dem Widerstand gegen Barbarei. Dagegen hilft es nicht, mit klangvollen Anrufungen von Kunst, Kultur und Geist jede Erinnerung an das Grauen austreiben zu wollen, das doch zum notwendigen Bezugspunkt allen Denkens geworden ist. Einen Campus, der mit Auschwitz verbunden bleibt, beharrlich als den schönsten Europas zu beschwören ist Aberglaube, keine Aufklärung.
Was nun?
Historische Reflexion von der universitären Sachzwangverwaltung argumentativ einzuforden ist dabei sicherlich aussichtslos. Dabei werden nur die Phrasen und Hohlformeln herauskommen, die durch die Mangel der Abteilung für Marketing und Kommunikation gegangen sind. Aber Bedingungen zu erhalten und zu schaffen, die Einzelnen – das heißt eben den einzelnen Studierenden – eine solche Reflexion ermöglichen, das würde sich lohnen. Kritisches – und das heißt eben auch selbstkritisches – Denken braucht Zeit und Raum. Bleibt zu hoffen, dass sich diese Bedingungen weiterhin auch an diesem hässlichen Campus finden lassen. Oder sie sich von Neuem genommen werden.