Ein Vorschlag zur Güte
Seit beinahe einem Jahrzehnt existiert der Campus auf dem ehemaligen Gelände der IG Farben im Frankfurter Westend. 2001 zog die Goethe-Universität hier auch im Bewusstsein ein, mit der Geschichte des Nationalsozialismus umgehen zu müssen. Mit dem Norbert-Wollheim-Memorial hat sich nach langen Auseinandersetzungen 2008 auf dem IG Farben-Campus ein Rahmen gefunden, der die Beschäftigung mit der Geschichte der IG Farben und den Opfern des KZ Buna/Monowitz ermöglicht.
Was nach wie vor ausgeblendet bleibt, ist, dass die Universität selbst auch eine nationalsozialistische Geschichte hat, von der auf dem Campus bisher nichts zeugt. Will man aber als Bildungsinstitution einen Bruch mit dieser Vergangenheit, so muss vor allem auch die eigene historische Verstrickung von Universität und Bildung in den Nationalsozialismus bewusst gemacht und reflektiert werden. Schaut man sich den Forschungsstand über die Goethe-Universität in den Jahren 1933–1945 und die damit zusammenhängenden Entwicklungen davor und vor allem danach an, stößt man nur auf eine Handvoll Publikationen. Außerdem hängt etwas vergessen in der Neuen Mensa auf dem Bockenheimer Campus eine mittlerweile veraltete Ausstellung zu dem Thema, die in den 1980er Jahren von Studierenden erarbeitet wurde.
Im Interview in der aktuellen Ausgabe der AStA-Zeitung wurde Präsident Müller-Esterl auch auf die Vergangenheitspolitik der Goethe-Universität angesprochen. Auf die Frage nach der nationalsozialistischen Geschichte der Universität und über den Stand dieser Auseinandersetzung antwortete Müller-Esterl: »Ich weiß nicht ob es dazu aktuelle Planungen gibt, bin aber offen für solche Anregungen. Das müssen dann natürlich Leute mit einer entsprechenden Expertise machen.«
Was läge also näher als eine Ausstellung, wie es sie in Bockenheim gibt, zu aktualisieren und an einem zentralen Ort des neuen IG Farben Campus, dem identitätsstiftenden Hörsaalzentrum, zu installieren?
Es ist bezeichnend, dass dieser Vorschlag einmal mehr von den Studierenden kommt. Jedoch haben diese weder die Aufgabe noch die Mittel, sich der historischen Forschung oder einer Ausstellungskonzeption zu widmen. Das wäre Aufgabe der Universität. Sie könnte die Mittel bereitstellen und auch den Rahmen für die wissenschaftliche und breitere öffentliche Diskussion ermöglichen.
Studierende sind damit nicht von der Auseinandersetzung ausgenommen; es läge hier viel eher an jedem und jeder Einzelnen, sich individuell und gemeinsam mit der Geschichte der akademischen Disziplinen, mit der Gleichschaltung der Universitäten 1933, mit personellen und inhaltlichen Kontinuitäten nach 1945, wie auch allgemein mit der Möglichkeit, dass die aufklärerische Tradition von Wissenschaft nicht an nationalsozialistischer Forschung und Lehre hinderte, zu beschäftigen und dieses auch in ihrem eigenen Studium zu reflektieren.
Der hier gemachte Vorschlag ist ein allzu nahe liegender, eine Forderung, die hiermit zur Diskussion gestellt werden soll.
Wenn man den Uni-Präsidenten Müller-Esterl beim Wort und somit ernst nimmt, »offen für solche Anregungen« zu sein, einer öffentlichen und kritischen Auseinandersetzung mit der Universitäts-Geschichte nichts im Weg stehen. Denn: »Das sind Dinge die man nicht verschweigen sollte, die man offensiv angehen kann und wo diese Universität auch zu ihrer Vergangenheit stehen kann und auch stehen muss.«
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Alle Zitate: WERNER MÜLLER-ESTERL, AStA-Zeitung, 04/2010.
Eigene Hervorhebung.