Bilder aus Auschwitz
»Am späten Nachmittag haben wir uns hier in Auschwitz wiedergefunden. Das Ausladen aus dem Viehwagen ging mit wildem Geschrei einher. Damals habe ich zum ersten mal die Deutschen Häftlinge in diesen Streifenuniformen gesehen. Die haben uns aufgenommen. Es war schrecklich.«
So beginnt die Geschichte, die Wilhelm Brasse uns an diesem Abend im Oktober in Oswiecim, Polen, erzählt. Es ist die Geschichte eines jungen Soldaten aus Polen, der bei der versuchten Flucht vor den Deutschen 1940 in Ungarn festgenommen, und im August desselben Jahres nach Auschwitz deportiert wird. Es ist aber auch die Geschichte eines jungen Fotografen, der aufgrund seines Berufes Auschwitz überlebte. Als Fotograf beim Erkennungsdienst im Stammlager Auschwitz machte Brasse ab 1941 über 70.000 Aufnahmen, die eines der wichtigsten Zeugnisse der deutschen Barbarei werden sollten.
Im Folgenden sind Auszüge aus dem Gespräch dargestellt, welches wir, fünf Studierende der GoetheUniversität, im Rahmen einer Studienfahrt nach Polen mit Herrn Brasse führen durften.
Stammlager Auschwitz. Die Politische Abteilung im Block 25.
»Am 15. Februar wurde ich plötzlich zu der Politischen Abteilung herausgerufen. Neben mir standen vier andere Polen, Kollegen, alle Fotografen von Beruf. Wir wurden ja damals zu einer Holzbaracke neben dem Krematorium geführt. Heute steht diese Baracke überhaupt nicht mehr. Im Dezember '44 wurde diese Baracke von SS-Männern angezündet und verbrannt. Weiß der Teufel was da drinnen war. Auf jeden Fall, damals war in dieser Holzbaracke die Politische Abteilung. In dieser Baracke hat ein SS-Mann, im Dienstgrad Oberscharführer, mit uns, den fünf Häftlingen eine Prüfung gemacht. Eine Prüfung über Fototechniken. Also sämtliche Arbeiten: In der Dunkelkammer, Vergrößerungen und Kopien. Und besonders, besonders hat er damals eine Prüfung gemacht, über Portraitaufnahmen. Portraitaufnahmen im Konzentrationslager. Auf jeden Fall, von diesen fünf Häftlingen, wurde ich als einziger ausgewählt. Mein zukünftiger Chef, er hieß Bernhard Walter . Oberscharführer Bernhard Walter aus Fürth in Bayern. Das war mein zukünftiger Chef. Er hat sofort ein Zettelchen ausgestellt: Verlegung von Block 3 – in welchem ich bisher wohnte – nach Block 25. Block 25 war damals ein besonderer Block. Warum? Anständige Hygienische Zustände. Also einen Waschraum. Bisher wenn ich mich waschen wollte, musste ich das draußen tun und das Wasser aus dem Brunnen nehmen. Und hier auf diesem Block gab es eine Wasserleitung und eine Toilette mit Wasserspülung. Zum ersten Mal hab ich im Lager diese dreistöckigen Betten zum Schlafen gesehen. Denn bisher im Block 3 haben wir auf dem Fußboden geschlafen. Auf dem Fußboden mit Strohsäcken. In diesem Block 25 wohnten die Häftlinge, die mit SS-Männern zusammen gearbeitet haben in verschiedenen Arbeitskommandos. Also in der Politischen Abteilung, Bekleidungskammer, Wertsachenkommando, Erkennungsdienst. Außerdem die Häftlinge, die in der SS Küche arbeiteten. Oder Friseure, die mit SS-Männern arbeiteten, die haben die rasiert. Die wohnten damals im Block 25. Außerdem auch sogenannte Zahnärzte. Ja, Häftlinge, aber die haben für die SS-Männer als Zahnärzte gearbeitet. Dort haben wir damals gewohnt. Sehr gute hygienische Zustände. Ich habe angefangen zu arbeiten in der politischen Abteilung, Erkennungsdienst. So hieß mein Arbeitskommando. Von der Kartoffelschälerei bin ich glücklich weggekommen in die Politische Abteilung.«
Arbeit im Erkennungsdienst
»Im Erkennungsdienst habe ich angefangen zu arbeiten. Ich machte diese Aufnahmen in drei Stellungen. Jeden Tag kamen ungefähr 100-150 Häftlinge um diese Art Aufnahmen zu machen.
Damals hat mein Chef, der Oberscharführer Walter, mit mir gesprochen. Gesprochen über die Möglichkeiten die Aufnahmen, die Portraitaufnahmen, hier zu machen, im Erkennungsdienst in Auschwitz. Er fragte: »Was brauchst du dazu?« »Das ist einfach«, sagte ich, »Herr Oberscharführer. Ich brauche ja nur Retuschegestelle und harte Bleistifte und Feinpinsel zum retuschieren.« Das hat der Chef, der Walter, alles erledigt und ein paar Tage später habe ich angefangen die Portraitaufnahmen zu machen. Für SS-Männer. Also ab Frühling '42 habe ich angefangen für SS-Männer zu arbeiten. Während des Tages machte ich die Aufnahmen von den Häftlingen, diese dreiteiligen Aufnahmen, und abends nach dem Abendappell bin ich ja weiter bei der Arbeit geblieben und machte die Aufnahmen für SS-Männer. Verschiedene Arten von Aufnahmen. Für Lagerausweise und Portraitaufnahmen.«
›Reichtum‹ im Lager
»Und jetzt muss ich euch sagen, ich brauch mich ja nicht zu schämen deswegen, die SS-Männer wenn die zufrieden waren mit meinen Aufnahmen, von dieser Arbeit, dann haben die mir kleine Geschenke gegeben. Das war ja nicht amtlich erlaubt. Nur wenn er zufrieden war, dann hat er geguckt nach beiden Seiten ob niemand in der Nähe war, und hat mir dann ein kleines Geschenk gegeben. Meistens waren das Zigaretten oder Zigarettenschachteln. Ich rauchte keine Zigaretten, bis heute rauche ich ja nicht. Es war im Lager ziemlich knapp mit Rauchen. […] Außer Zigaretten haben mir die SS-Männer manchmal ein Stückchen Brot oder dicke Pflaster Wurst gegeben. Prima Wurst, sogenannte SS-Wurst. Manchmal auch harten Käse, harten Holländischen Käse. Also solche Art von Geschenken. Wegen Rauchen: Ich rauchte nicht, aber meine Kollegen die mit mir im Erkennungsdienst arbeiteten, die warteten schon auf diese Zigaretten. Wie ich schon erzählt hab, es war knapp mit Zigaretten. Und von wegen Essen: ich verteilte das ja unter meinen Kollegen. Und ab dieser Zeit war ich imstande meinen Kollegen aus Zywiec mit Brot oder anderen Sachen zu helfen. Das war sehr wichtig im Lager, man kann sagen das war eine Pflicht. Für jeden anständigen Häftling war es eine Pflicht mit den anderen Kollegen zu teilen.
Es kam ein SS-Mann zur Aufnahme, ein Unterscharführer, ich kannte ihn von meiner früheren Arbeit in der Kartoffelschälerei. Er war der Chef beim Brotmagazin in der Küche. Unterscharführer Schebeck aus Wien. Er kam zu einer Aufnahme, ich hab die Aufnahmen gemacht. Und als er kam, um sie abzuholen, er war ja zufrieden, hat er mich bei dieser Gelegenheit auf die Seite genommen, damit es mein Chef, der Walter, nicht hört. Und dann hat er mich gefragt, ob ich eine Vergrößerung von seinen Familienaufnahmen machen könnte. Ich habe geantwortet: »Herr Unterscharführer, das kann ich ja alles machen, aber« – und dieses Wort aber habe ich besonders ausgesprochen. Er fragte sofort: »Was bedeutet das aber? Was brauchst du dazu?« – »Herr Unterscharführer, zum Entwickeln brauche ich Brot und für das Fixierbad einen Würfel Margarine.« So etwas habe ich damals frech gesagt, und stellen sie sich das mal vor; der Unterscharführer hat gelacht: »Ha, das kriegst du ja alles. Komm morgen zum Brotmagazin, dann kriegst du alles.« Wirklich. Das ist ja fast eine unglaubliche Geschichte.«
Dr. Mengele. Ein Arzt aus Frankfurt.
»In dieser Zeit kamen, außer diesen gewöhnlichen SS-Männern, auch SS-Führer, SS-Offiziere, zu mir. Fast jeden Tag. Es waren verschiedene, ziemlich große Dienstgrade. Und die haben mit mir nie gesprochen, nur eine paar Worte. Aber außerdem, keine Gespräche. Zwischen diesen SS-Männern, habe ich einmal Aufnahmen gemacht für einen Arzt, Dr. Mengele . Bekannt? Er hat hier in Birkenau sogenannte ›Rassenforschung‹ gemacht, darüber habt ihr bestimmt etwas gehört. Ich habe für ihn die Aufnahmen gemacht und er war zufrieden. Bei dieser Gelegenheit hat er herzlich und ruhig gesprochen. Das ist ja fast eine unglaubliche Geschichte. Mit einem ganz gewöhnlichen Häftling, sprach er ganz normal: »Sie sind ein guter Fachmann, sie haben gute Aufnahmen gemacht. Ich werde aus Birkenau junge Jüdinnen schicken, für besondere Aufnahmen. Machen sie die Aufnahmen gut.« Und wirklich, 2 Wochen später, ist die erste Gruppe von Birkenau aus dem Frauenabschnitt gekommen, aus dem Krankenbau. Junge Jüdinnen, 15,17,18-jährige Jüdinnen, für die besonderen Aufnahmen. Die polnischen Pflegerinnen, die mitgekommen waren, haben mir erklärt: Aufnahmen in drei Stellungen und ganz nackt. In der ganzen Gestalt. Also, eine Aufnahme von vorne, ganz nackt. Zweite Aufnahme von hinten. Damals habe ich diese Aufnahmen, so nackt, von ungefähr 200 bis 250 Jüdinnen gemacht. Sie müssen sich mal vorstellen, ich war damals jung. Ich war ja aufgeregt, nervös. Nackte Mädchen. Ich war jung. Aber meine Aufregung war anderer Sorte, als sie vielleicht denken. Ich war ja aufgeregt, wegen Mitleid. Mitleid mit diesen unglücklichen Mädchen. Das müssen sie sich mal vorstellen. Ein 15, 17-jähriges Mädchen, die schämte sich sich vor einem jungen Mann auszuziehen. Es war ja auch noch ein junger SS-Mann dabei. Die schämte sich. Deswegen habe ich damals einen Hintergrund aufgestellt. Diesen Hintergrund brauchte ich, wenn ich von den SS-Männern Aufnahmen gemacht habe. Und hier, bei diesen Fällen, habe ich den Hintergrund aufgestellt und hinter diesen Hintergrund konnten sich 4 oder 5 Mädchen ausziehen. Und nur zu den Aufnahmen ist sie ganz nackt herausgegangen, und ich machte diese dreiteiligen Aufnahmen. Nach diesen jungen Mädchen hat Dr. Mengele wieder mit mir gesprochen, ein paar Wörter. Er wird aus Birkenau sogenannte Zwerge zu mir schicken. Er machte ja auch Forschungen über ›Zwerge‹. Wieder in drei Stellungen und ganz nackt. Von diesen ›Zwerge‹ habe ich so ungefähr 25-30 Aufnahmen gemacht. Nach diesen ›Zwerge‹, hat Dr. Mengele wieder mit mir gesprochen. Er wird mir aus Birkenau, aus dem ›Zigeunerlager‹, Fälle von sogenannten Wasserkrebs schicken. Und jetzt passen sie mal auf: Er spricht mit einem ganz gewöhnlichen Häftling. Dieser Arzt, dieser Dr. Mengele, schickt jeden Tag ein paar Tausend Juden zum Gas. Und hier spricht er mit einem Häftling, dass er Fälle von Wasserkrebs zu mir schicken will: »Sie müssen sich nicht fürchten, von wegen Ansteckung. Diese Krankheit ist nur für die ›dunkle Rasse‹ gefährlich. Also in diesem Fall brauchen sie sich nicht zu fürchten, denn sie sind doch ›weiße Rasse‹.« So etwas habe ich damals mit Dr. Mengele gesprochen und das erzähle ich euch. Ich habe fast das ganze Jahr 1943 für Dr. Mengele gearbeitet. Ende '42 bis Ende '43.«
Verbrecherische gynäkologische Experimente
»In dieser Zeit im Lager hier, im Männerlager, im Stammlager, wurde Block 10 vorbereitet für Forschungen, für Experimente der Gynäkologie. Der damalige Oberarzt im Lager, Sturmbannführer Wirths , ist damals zu meinem Chef gekommen, zum Walter, und er hat dem Chef gesagt, er will aus Block 10 eine Gruppe junger Jüdinnen schicken. Ungefähr 2 Wochen später, nach diesem Gespräch mit meinem Chef, kam aus Block 10 diese erste Gruppe: Fünf junge Jüdinnen, ein Häftling, der Arzt war – er wohnte auf diesem Block 10 zusammen mit den Frauen – und zwei polnische Pflegerinnen sind gekommen. Sie haben den gynäkologischen Stuhl mitgebracht, ihn im Aufnahmeraum aufgebaut. Und dieser Jude, dieser Häftling, dieser gynäkologische Arzt, hat mir erklärt, er wird dem Mädchen eine Spritze geben, und wenn sie vollständig ohnmächtig ist, wird er mir weiter zeigen, was ich hier machen soll. Neben mir stand dieses Mädchen, dann hat sie die Spritze gekriegt, hier in den Vorarm, und nach ungefähr 30 oder 40 Sekunden war sie vollständig ohnmächtig. Sie ist ja weiter am Leben geblieben, nur ist sie vollständig ohnmächtig. Die polnischen Pflegerinnen haben sie festgehalten und dieser Arzt, dieser Häftling, Jude, Dr. Salomon, er hat geholfen. Sie haben Sie auf den gynäkologischen Stuhl gelegt, das Kleid hochgezogen und der Jude, der Arzt, hat in die Scheide einen Verbreiterungsapparat reingesteckt und langsam hat er die Scheide verbreitert. Das habe ich alles gesehen, das hat man alles bei mir (im Aufnahmeraum) gemacht. Wenn die Scheide breit genug war, hat er mit einer ziemlich langen Zange, die am Ende solche Löffelchen hatte, langsam und vorsichtig die Gebärmutter herausgezogen. Dann hat er mir das gezeigt: »Hier pass mal auf, diese Blutflecken musst du gut beleuchten, damit das auf der Aufnahme deutlich zu sehen ist. Und hier auf der anderen Seite diese weißen Streifen, das waren verschiedene Arten Drüsen, das musst du auf der Aufnahme scharf einstellen, damit die Aufnahme scharf genug wird.« Also solche Art Aufnahmen, nur von der Gebärmutter, gar kein Gesicht, keine Beine, nur von der Gebärmutter habe ich gemacht. Bei diesem ersten Mal waren es fünf Mädchen, später waren es wieder fünf, also im Ganzen, so wie ich das bis heute erinnere, ungefähr 25 bis 30 Mädchen. Das waren meistens griechische Jüdinnen, junge Mädchen. Solcher Art war die Forschung. Diese unglücklichen Mädchen haben meist nach den Untersuchungen auch gynäkologische Operationen bekommen. Ja, nach der Aufnahme sind sie gesund in den Block zurück gekehrt. Aber später habe ich mich nach ihrem Schicksal erkundigt, und in sehr vielen Fällen sind diese Mädchen getötet, ermordet worden. Das war diese Geschichte. Ich habe Angst gehabt, dass ich später liquidiert werde, wegen dieser Forschung, wegen dieser Experimente. Und der Jude, Dr. Samuel , wurde wirklich liquidiert, er wurde mit der Spritze getötet im Dezember '44. Glücklicherweise bin ich am Leben geblieben.«
Fotos für Prof. Dr. Kremer
»In dieser Zeit, das heißt Ende '43, hat hier im Lager ein Arzt Dienst gemacht, ein Professor aus Münster, Professor Dr. Kremer . Habt ihr etwas darüber gehört? Nein? Er hat damals hier Dienst gemacht und so wie es normal war, habe ich für ihn Aufnahmen gemacht. Aber außerdem war er ein besonderer Arzt, ein SS-Mann und Professor. Er hat alles in einem Tagebuch aufgeschrieben. Er schrieb jeden Tag, alles was er erledigt hat. Dieses Tagebuch kann man ja hier im Museum (Auschwitz) lesen. Dieses Tagebuch habe ich ganz genau durchgelesen. Er schreibt in diesem Tagebuch über diese Aufnahmen, die ich für ihn gemacht habe, das ist ja alles dort bestätigt. Passen Sie mal auf, was Prof. Dr. Kremer schreibt – er hat fast jeden Tag auf der schrecklichen Rampe selektiert. Er schreibt an einem Tag, das war ungefähr im November '43: »Heute beim Morgengrauen hässliche Szenen in Birkenau. Jüdinnen aus Holland flehten um ihr Leben.« Zwei Zeilen weiter: »Wunderbares Mittagessen im Führerheim, Hähnchen und Rotkraut.« So etwas schreibt Prof. Dr. Kremer. Er machte Forschungen darüber, wie die Leber und die Gallenblase bei einem vollständig abgemagerten Menschen im Lager aussehen. Er hat diese Fälle ganz genau beschrieben. Einmal hat er einen jungen Juden gebracht, schrecklich verhungert, nur noch Haut und Knochen. Ich musste eine Aufnahme machen in ganzer Gestalt, ganz nackt. Und sofort nach der Aufnahme hat ihm Professor Kremer die Spritze gegeben, die Phenolspritze, dieser Junge wurde getötet, ermordet. Nach ungefähr einer Minute ist er gestorben. Sofort hat der Professor und Obersturmbannführer Kremer zwei polnische Ärzte hinzugerufen, und die mussten dann im Aufnahmeraum auf der Stelle sofort eine Obduktion machen. Sie haben die Leber herausgeschnitten, und aus der Leber die Gallenblase geholt. Das wurde dann in Spiritus oder Formalin eingelegt. Solche Art Forschung war das.«
Rettung der Beweise
»Am 15. Januar 1945 nach dem Abendappell, ist mein Chef Walter plötzlich mit dem Motorrad auf mich zugefahren und hat mich zu sich gerufen. Dann hat er laut gerufen: »Brasse, der Ivan kommt! Sämtliche Aufnahmen müssen vernichtet, verbrannt werden!« Denn wir hatten im Erkennungsdienst sämtliche Lagerdokumente, wir hatten dutzende, tausende Aufnahmen, sämtliche Zugangslisten, die Listen von lebenden Häftlingen, die Liste von gestorbenen Häftlingen, von erschossenen Häftlingen. Das haben wir alles im Erkennungsdienst gehabt. Er (Walter) war sehr erschrocken und aufgeregt und hat befohlen, alles zu verbrennen. Es war ja noch ein zweiter Häftling bei mir, und wir beide mussten aus dem Schrank ganze Pakete mit Negativen herausziehen und in den Ofen werfen. Im Ofen war schon gar kein Feuer mehr, nur noch warme Asche. Diese Negative wollten nicht brennen. Die sind damals nur geschmolzen. Warum? Damals waren sämtliche Negative erzeugt aus unbrennbarem Zelluloid. Deswegen wollten diese Negative nicht brennen und sind nur geschmolzen. Der Chef, Walter, hat erklärt warum er so erschrocken und aufgeregt ist: Die Russen hatten damals die Front durchbrochen. Die Front zwischen Rzeszów und Krakau, in Richtung Auschwitz. Die russischen Gruppen kamen rasch vorwärts in Richtung Auschwitz, deswegen war der Chef so erschrocken. Er (Walter) stand ungefähr 50 Minuten bei uns, dann ist er weggefahren und hat uns befohlen alles weiter zu verbrennen und zu vernichten. Als der Chef weg war, in diesem Augenblick, habe ich gedacht, dass diese Aufnahmen, diese Dokumente, für die Zukunft sehr wichtige Dokumente sind. Über mögliche Konsequenzen, wenn ich das nicht vernichte, habe ich damals gar nicht nachgedacht. Wir haben dann zu zweit aus dem Ofen ganze Pakete heraus gezogen und alles mit Wasser begossen. Das kann man ja im Museum hier noch feststellen und noch sehen, diese angeschmolzenen, begossenen Negative. Ich habe das alles auf einem großen Haufen zusammengelegt und mit einer Decke zugedeckt. Und am 21. Januar bin ich mit dem letzten Transport weggegangen aus Auschwitz.«
Die Vergangenheit lässt nicht los
»Ich habe mit meiner Frau Aufnahmen gemacht (im eigenen Fotostudio nach dem Krieg) und hier hat sich meine Vergangenheit gezeigt. Wenn ich eine Aufnahme machte, von einem Mädchen zum Beispiel, manchmal, nicht immer, habe ich im Hintergrund ein Scheinbild gesehen: ein nacktes jüdisches Mädchen. Das war für mich ziemlich schwer zu ertragen. Nach ein paar Monaten, ungefähr 1946, bin ich damit zu einem Psychiater gegangen. Er hat mir damals einen Rat gegeben: Vollständig Schluss machen mit den Aufnahmen. Wir haben dann beide vollständig Schluss gemacht mit den Aufnahmen.«