Wir, das Bündnis für körperliche Selbstbestimmung Frankfurt, produzieren diese Ausgabe in Kooperation mit der Studierendenzeitschrift diskus. Wir haben das Bündnis im November 2017 anlässlich der Verurteilung der Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel gegründet und eine Demonstration unter dem Motto Für die Abschaffung aller Anti-Abtreibungsparagraphen in Frankfurt organisiert. Hänel wurde von Anti-Abtreibungsaktivisten angezeigt, da sie auf der Homepage ihrer Praxis darüber informierte, dass sie Abtreibungen vornimmt und welche Methoden sie anwendet. Begründet wurde das Urteil damit, dass eine gesellschaftliche Normalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen verhindert werden solle. Am 24.11.2017 veröffentlichten wir als Bündnis die Pressemitteilung Skandalurteil gegen Kristina Hänel – § 218 ff. StGB abschaffen – jetzt!.
Darin schrieben wir:


Ein Schwangerschaftsabbruch ist ein ganz normaler medizinischer Eingriff und sollte auch so behandelt werden. Schwangere müssen selbst bestimmen können, was mit ihrem Körper passiert. Frauen sind mündige Bürgerinnen und brauchen niemanden, der ihnen höchstpersönliche Entscheidungen abnimmt. Gleichzeitig unterstützen wir sehr wohl die Forderung nach freiwilligen, leicht zugänglichen, kostenfreien Beratungsangeboten für Schwangere, die sie begleiten und unterstützen – egal ob sie ein Kind gebären wollen oder nicht.


Der Fall Kristina Hänel war für uns der Anlass uns allgemein mit dem Themenkomplex Schwangerschaftsabbruch zu beschäftigen. Von Anfang an stand für uns dabei fest, dass das Recht auf körperliche Selbstbestimmung insbesondere für ungewollt Schwangere kein kontroverses Thema sein kann, hier gibt es nichts abzuwägen.
Staatliche Institutionen sollen kein Zugriffsrecht auf die Organisation der Reproduktion haben und keine schwangere Person darf dazu genötigt werden, ein Kind auszutragen, wenn sie das nicht möchte.
Die Frauenbewegung in Deutschland hatte zwar bereits in der Weimarer Republik sowie in den 70er und 80er Jahren überzeugend erklärt: Jede Schwangere muss einen kostenfreien und legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen als Instrument der Reproduktionskontrolle haben. Jedoch sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland immer noch stigmatisiert, was sich unter anderem in der aktuellen Gesetzeslage zeigt: Abtreibungen werden immer noch als illegale aber unter bestimmten Umständen straffreie Rechtsverstöße eingestuft. Die verdruckste Debatte um die Streichung des §219a StGB zum ›Werbungs‹-verbot zeigt, dass klassische feministische Forderungen wie die Streichung aller Paragraphen, die Abtreibungen als Straftatbestand fassen, nicht mehr präsent, sondern im Gegenteil sogar tabuisiert sind.
Wir hatten den Eindruck mit unserem Protest gegen die Verurteilung Kristina Hänels an einen Kampf zu erinnern, der eigentlich schon gekämpft sein sollte.
Jede von uns ging ganz selbstverständlich davon aus, im Falle einer ungewollten Schwangerschaft, die Entscheidung über Abbruch oder Nicht-Abbruch frei und selbstbestimmt treffen zu können. Auch der Pflichtbesuch in einer Beratungsstelle, um einen Beratungsschein zu erhalten, erschien uns dabei eher als Formalität.
Bei einer intensiveren Beschäftigung fiel uns allerdings auf, dass auch wir vom juristischen Rahmen und der tatsächlichen medizinischen Durchführung einer Abtreibung wenig Ahnung hatten. Über Schwangerschaftsabbrüche und alles, was damit verbunden ist, wird kaum privat oder öffentlich geredet.
Wissen über Abtreibung ist bei potenziell Betroffenen kaum vorhanden. Proteste gegen die gesetzliche und gesellschaftliche Stigmatisierung sind heute genauso wichtig wie damals. Eigentlich sollte das Bündnis für körperliche Selbstbestimmung Frankfurt nur ein einmaliger
Zusammenschluss sein, um den Prozess gegen
Kristina Hänel zu begleiten. Wir entschieden uns
jedoch, unsere Aktivität noch etwas zu verlängern, um gemeinsam mit der Studierendenzeitschrift diskus eine
Vortragsreihe zu organisieren. In dieser wollten wir aus ganz verschiedenen Blickwinkeln und Zugängen über Schwangerschaftsabbrüche sprechen und uns informieren. Wir nannten die Reihe We Can’t Believe We Still Have to Protest this Shit!, um zu verdeutlichen, dass zum Thema Schwangerschaftsabbrüche eigentlich schon alles gesagt ist.

 

Vorstellung der Artikel


In diesem Heft dokumentieren wir einen Großteil der Vorträge – ergänzt um einige zusätzliche Texte. Im Folgenden stellen wir die Vortragsreihe sowie die daraus hervorgegangen Artikel vor.


23.04.2018
Kulturkampf und Gewissen.
Ideologie und Organisationsstruktur der ›Lebensschutzbewegung‹

Eike Sanders arbeitet in ihrem Text Kulturkampf der ›Lebensschutz‹-Bewegung und seine aktuellen Ausformungen die antidemokratischen Potenziale der selbsternannten ›Lebensschützer‹ und ihre politischen Strategien heraus. Sie beschreibt, wie die expliziten Anti-Abtreibungsorganisationen, christlicher Fundamentalismus und neurechter Antifeminismus auch in Deutschland mit ihren Kampagnen in die Öffentlichkeit drängen.


30.04.2018
Abortion Democracy: Poland/South Africa
Vortrag und Film zum Recht auf
Abtreibung International

Der Vortrag von Sarah Diehl wird in diesem Heft nicht dokumentiert. Ihr gleichnamiger Film ist allerdings auf YouTube zu finden.


07.05.2018
›Erb‐ und Rassenpflege‹. Politik mit Schwangerschaft und Abtreibung im Nationalsozialismus

Gabriele Czarnowski beschreibt in ihrem Text ›Erb- und Rassenpflege‹ den Zugriff auf Frauenkörper und Reproduktion im Nationalsozialismus. Ihre zentrale These ist, dass im Nationalsozialismus die Leibesfrucht erstmals in der Geschichte in jede Richtung verfügbar wurde, unabhängig von der schwangeren Frau.


14.05.2018
»Unsere Bäuche gehören uns schon lange« –
Wirklich? Reproduktive Selbstbestimmung
und Frauenbewegung in der DDR

Katja Krolzik-Matthei konzentriert sich in ihrem Beitrag Abtreibung in der DDR. Annäherungen an einen Diskurs auf die Frauenbewegung und das Recht auf körperliche Selbstbestimmung in der DDR. Darüber hinaus nimmt sie den rechtlichen Wandel für Schwangerschaftsabbrüche im Rahmen der Wiedervereinigung in den Blick und fragt: Wie war die Rechtslage für Abtreibungen in der DDR? Wie bewertete die ostdeutsche Frauenbewegung die damalige Situation? Wie wurde der Anspruch auf Selbstbestimmung begründet?


28.05.2018
»How to Abtreibung in Deutschland?« –
Eine Beraterin und eine Ärztin berichten aus ihren Erfahrungen

Im Rahmen der Veranstaltung How to Abtreibung in Deutschland? veröffentlichten wir die Broschüre How to Abtreibung, die niedrigschwellig Informationen zu den Aspekten der Rechtslage, der Pflichtberatung, den Kosten für einen ›Standard‹-Schwangerschaftsabbruch sowie den gängigen medizinischen Verfahren zusammenfasst. Die Texte aus der Broschüre sind hier in überarbeiteter Form abgedruckt. Die Broschüre wurde in einer Auflage von 4.800 Stück gedruckt. Sie wurden beispielsweise bei Gegenprotesten zu den christlichen Frauenhasser_innen der ›Lebensschutz‹-Bewegung verteilt, die im Herbst 2018 Frauen vor der profamilia-Beratungsstelle in Bockenheim belästigten, wenn sie sich zu  Schwangerschaftsabbrüchen und Familienplanung allgemein beraten lassen wollten. Die Broschüren haben wir an Jugendzentren und Infoläden im ganzen  Bundesgebiet verschickt. Gemeinsam mit dem af*lr Frankfurt (vielen Dank für die Zusammenarbeit!) wurde eine zweite Auflage gedruckt, Exemplare gibt es für große Bestellungen bei uns und für kleinere Bestellungen beim Black-Mosquito Versand.


04.06.2018
Women on Waves and Women on Web.
Abortion by Ship, by Drone, by Internet …

In ihrem Beitrag Uses of Internet, Ships, Mail, Apps, Drones, Robots. Medical Abortion in Women’s Hands berichten Verónica Fernández und Krisztina Les über ihre Arbeit bei den Organisationen Women on Web und Women on Waves. In verschiedenen Ländern mit restriktiven
Anti-Abtreibungsgesetzen führen sie medienwirksame Kampagnen durch, um das Recht auf Abtreibung zu erkämpfen. Zudem ist Women on Web in vielen Ländern auf der ganzen Welt – sei es in Europa, im arabischen Raum oder in Südamerika – mit allen Mitteln aktiv, legal oder illegal, um Frauen möglichst sichere Schwangerschaftsabbrüche zu ermöglichen.


11.06.2018
Whose Body? Whose Choice?
Die Kategorie ›Frau‹ und das Recht auf körperliche Selbstbestimmung

In einer Podiumsdiskussion mit (queer-)feministischen Gruppen aus Frankfurt haben wir über das/die feministische(n) Subjekt(e) diskutiert – insbesondere im Kontext feministischer Kämpfe rund um die Themenfelder Körperliche Selbstbestimmung und Recht auf Abtreibung. Der Rahmen der Diskussion lässt sich folgendermaßen skizzieren: Seit dem Aufkommen der Queer Theory in den 1990er Jahren hat sich die feministische Bewegung gewandelt. Das politisch-feministische Subjekt ›Frau‹ wurde von dem Willen, die Kategorie ›Geschlecht‹ zu überwinden, abgelöst. An diesen Wandel knüpfte in der Diskussion die Frage an, wie, unter der Nutzung welcher Begriffe und in welchem Rahmen reproduktive Rechte erkämpft werden sollen.
Wir greifen die Themensetzung dieser Diskussion in diesem Heft nun zweifach auf: Zum einen haben Anne-Marlen Engler und Lisa Mangold unter dem Titel Wer wird wie repräsentiert? Die Debatte um Schwangerschaftsabbrüche überlegt, wann, wie und in welcher Intention über Schwangerschaftsabbrüche gesprochen werden kann, indem sie ihre konkreten Erfahrungen reflektieren. Des Weiteren drucken wir eine kurze
Veranstaltungskritik von Stan alias Loretta ab, der die Podiumsdiskussion als Besucher erlebt und aus seiner Sicht zusammengefasst hat. Den Audiomitschnitt der Veranstaltung selbst findet ihr in der Mediathek unserer Homepage.


18.06.2018
Abtreibung im Fokus einer diskursanalytischen Betrachtung.
Historische und aktuelle Aspekte

Daphne Hahn arbeitet in ihrem Text Abtreibung im Fokus einer diskursanalytischen Betrachtung. Historische und aktuelle Aspekte verschiedene Diskursstränge heraus, in die das Thema Abtreibung eingebettet war und ist. Dabei geht sie davon aus, dass in Diskursen symbolische Ordnungen – zum Beispiel die Ordnung der Geschlechter – produziert und reproduziert werden und ihr aktueller Gehalt nur verstanden werden kann, wenn man ihre Geschichte rekonstruiert. Sie zeigt, wie im Zeitverlauf verschiedene Diskursstränge, wie der bevölkerungspolitische Diskurs, der Modernisierungs und Individualisierungsdiskurs sowie der Gesundheitsdiskurs, miteinander verwoben sind und zu spezifischen Deutungen beitragen.


25.06.2018
Selbstbestimmung als Norm feministischer
Kämpfe? Feminismus, Pränataldiagnostik,
Abtreibung und Behindertenfeindlichkeit

Kirsten Achtelik beschreibt in ihrem Beitrag Selbstbestimmung fordern? Reaktionäre Entwicklungen und problematische Implikationen, wie die Entwicklung von Pränataldiagnostik sowie Gen- und Reproduktionstechnologien sich zunehmend auf Schwangerschaften und die Entscheidungen Schwangerer auswirken. Mittels der Technisierung von Schwangerschaften sei die Pränataldiagnostik heutzutage ein selbstverständlicher Bestandteil der Schwangerenversorgung geworden und habe unterschwellig das Verständnis einer normalen Schwangerschaft gewandelt.


WEITERES

Unabhängig von unserer Vortragsreihe drucken wir den kurzen Text Cornern gegen Fundis von Begegnen in Bockenheim, die von ihren Protesten im Herbst 2018 gegen religiöse Fundamentalisten berichten. Diese hatten vor der pro familia-Beratungsstelle am Frankfurter Palmengarten sogenannte ›Mahnwachen‹ durchgeführt, um Frauen von Schwangerschaftsabbrüchen abzuschrecken.

 

SCHLUSS


Wie das immer so ist, haben wir es nicht geschafft, alle Themenfelder abzudecken, die wir abdecken wollten. Beispielsweise werden bei uns die Auswirkungen der prekären Gesetzeslage auf gesellschaftlich bereits marginalisierte Personen kaum diskutiert. Auch fiel unsere Auseinandersetzung mit vergangenen feministischen Kämpfen deutlich weniger umfangreich aus als geplant. Zudem gibt es natürlich auch immer Leerstellen, die man erst nicht sieht, die einem aber nach Fertigstellung besonders ins Auge fallen. Das wir den Fokus der deutschen Frauenbewegung auf die rechtliche Dimension und die damit einhergehenden Begrenzungen einer linksradikalen feministischen Praxis nicht deutlicher thematisiert haben, ist einer der Aspekte, die uns erst im Laufe der Vortragsreihe überhaupt aufgefallen sind.
Weiterhin hielt die für uns selbstverständliche und
erst einmal simple Forderung »Für die Abschaffung aller Anti-Abtreibungsparagraphen« auf den zweiten Blick manches Dilemma für uns bereit:
Beispiel 1: Wie weit soll das Selbstbestimmungsrecht der ungewollt Schwangeren reichen? Endet es nicht, wenn dadurch nur noch bestimmte, der Norm entsprechende, als gesund geltende Kinder gewollt sind? Wir haben für uns das Fazit gefunden, dass das gesamtgesellschaftliche Problem der Behindertenfeindlichkeit und struktureller Ausgrenzung nicht zu einem individuellen Problem der Schwangeren gemacht werden darf. Daher muss unterschieden werden zwischen der individuellen Frage nach persönlichen Ressourcen und Plänen (Möchte ich ein Kind bekommen? Bin ich mit der Situation überfordert? Fehlen mir Ressourcen oder kann ich das schaffen?) und einem Sprechen über Schwangerschaftsabbrüche, bei dem zwischen ›lebenswertem‹ und ›nicht-lebenswertem‹ Leben differenziert wird.
Beispiel 2: Sprache. Immer wieder standen wir vor dem Problem, wie wir über Schwangere sprechen, ohne strukturelle Dimensionen zu verdecken und gleichzeitig möglichst wenig ausschließend zu sein. Unser Vorgehen war schlussendlich pragmatisch: Wenn die konkrete, individuelle Situation und die Handlungsoptionen diskutiert werden, sprechen wir meistens von schwangeren Personen. Wenn wir Zugriffe auf den weiblichen Körper, geschlechtsspezifische Herrschaftsverhältnisse und strukturelle Frauenfeindlichkeit thematisieren, sprechen wir zumeist von Frauen. Trennscharf ist das natürlich nicht.
Beispiel 3: Für uns war und ist es selbstverständlich, dass jede Person das Recht auf eine selbstbestimmte Beendigung einer Schwangerschaft haben muss. Wir gehen auch nicht davon aus, dass eine Abtreibung per se traumatisierend ist. Gleichzeitig ist es aber wichtig, anzuerkennen, dass die aktuelle Verortung des Schwangerschaftsabbruchs im halblegalen, tabuisierten Bereich wenig Raum für Zwischentöne gibt. Von fundamentalistischen Christ_innen wird Frauen vorgebetet, dass die Mutterschaft ihre Erfüllung sei und jede Abtreibung Schuld auf sie lade. Der Staat wiederum präsentiert einen Zellhaufen als »ungeborenes Leben« und das Verfassungsgericht fasst den Schwangerschaftsabbruch als Beendigung eines Lebens. Eine Entscheidung für einen Abbruch bedeutet die Notwendigkeit, sich in diesem Feld klar zu positionieren und vehement zu entscheiden. Das lässt wenig Raum für Verlustgefühle und Trauer, die mit einem Abbruch auch verbunden sein können.


Wir wünschen Euch viel Spaß beim Lesen.


Anmerkungen könnt ihr gerne an diskus [at] copyriot.comschicken. Der Termin der Releaseveranstaltung wird von uns zeitnah nach dem Erscheinen bekannt gegeben.


Zur Heftkritik laden wir am 20. März 2019 um
20.00 Uhr in den diskus-Raum (Studierendenhaus, Mertonstraße 26-18, 1. OG) ein.
Euer


Bündnis für körperliche Selbstbestimmung Frankfurt