Die Forderung nach Selbstbestimmung sollte ohne eine ausdifferenzierte Analyse gesellschaftlicher Machtverhältnisse nicht verwendet werden, da sie auch neoliberal, unemanzipatorisch oder partikular nur für die eigene Zielgruppe gegen das Befreiungsbedürfnis anderer verwendet werden kann – der feministische Kampf für das Recht auf Abtreibung ist in Teilen ein Beispiel dafür.

Das Recht auf Abtreibung ist unter Feminist_innen wieder ein Thema geworden – das ist erfreulich. Drohende Gesetzesverschärfungen wie kürzlich in Polen, die Wiedereinsetzung der Global Gag Rule unter Donald Trump und von Abtreibungsgegner_innen veranstaltete Märsche für das Leben erregen wieder öffentliche Aufmerksamkeit, Empörung und Protest. Diesen reaktionären Entwicklungen gilt es sich entgegenzustellen. In dieser Situation ist es aber auch wichtig, die Anknüpfungspunkte mit vergangenen feministischen Bewegungswellen zu diskutieren und deren problematische Implikationen möglichst zu vermeiden.

In den 1970er Jahren kämpften Feminist_innen in ganz Europa für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Ein Recht darauf konnte fast nirgendwo durchgesetzt werden, die Möglichkeiten zur Abtreibung wurden jedoch enorm verbessert. Die weitere Perspektive dieser Kämpfe war, über den eigenen Körper und das eigene Leben selbst bestimmen zu können. Der Slogan »Mein Bauch gehört mir« kondensierte diese Forderung nach Selbstbestimmung. Der Begriff der Selbstbestimmung wurde als Ausdruck einer breiten und radikalen gemeinsamen Suche nach kollektiven Formen widerständigen weiblichen Lebens verstanden. Das Potential des Begriffs zu einer heute verbreiteten Fokussierung auf individuelle Bedürfnisbefriedigung in schlechten Verhältnissen war nicht abzusehen. Allerdings bot das zentrale feministische Selbstbild als autonomes, selbstbestimmtes Subjekt das selbstdiszipliniert, -kontrolliert, ›frei‹ sowie gesellschaftlich funktionstüchtig ist, Ansatzpunkte für eine neoliberale Vereinnahmung und ließ mit Behinderung assoziierte Eigenschaften – wie Verletzlichkeit, Schwäche und Kontrollverlust – als bedrohlich erscheinen. Daran konnte ein neoliberaler Gesellschaftsumbau anknüpfen, der die Verantwortung für das eigene Wohl und Wehe den einzelnen Individuen zuschreibt. Die Individualisierung der Verantwortlichkeiten lenkt die Suche nach Lösungen weg von gesellschaftlichen Bedingungen hin zu persönlichen Risikofaktoren, die man mit Lebensstilentscheidungen hofft beeinflussen zu können. Eigenverantwortung und Selbstbestimmung können als auf das Leben gerichtete Machttechnologien begriffen und analysiert werden, die Befreiung nicht mehr antagonistisch, gegen Patriarchat und Kapital, sondern systemmodernisierend organisieren.

Vor allem in Westdeutschland wurde in den 1980er Jahren der große vereinende Slogan des Rechts auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper »Mein Bauch gehört mir« einer Revision unterzogen: Verschiedene Ebenen der Kritik an Bevölkerungspolitik, Machbarkeitsphantasien, Selektion und Ausbeutung wurden unter Feminist_innen breit diskutiert, die beiden großen Konferenzen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien (1985 in Bonn und 1988 in Frankfurt) wurden von jeweils ca. 2.000 Frauen/Lesben besucht. Dort wurde vor allem von Aktivist_innen mit Behinderung kritisiert, dass die pränatale Suche nach Abweichungen umstandslos unter ein »Recht auf Selbstbestimmung« subsummiert und die potentielle Behindertenfeindlichkeit von humangenetischer Beratung und flächendeckender selektiver Pränataldiagnostik (PND) nicht erkannt wurde. Für Feminist_ innen mit Behinderung war Pränataldiagnostik nicht eine Erweiterung der Entscheidungsmöglichkeiten einer Frau*, sondern viel mehr eine Ausweitung des Normalitätsgebots.

 

HEUTIGE REGELUNGEN

Eine Schwangere*, die nicht schwanger sein und kein Kind bekommen will, kann heutzutage in Deutschland in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen zwar straffrei abtreiben, vor der 1995 erfolgten letzten Reform des Paragraphen 218 im Strafgesetzbuch stellte das Bundesverfassungsgericht allerdings eine »grundsätzliche Pflicht zum Austragen des Kindes« fest. Daraus resultieren viele Herausforderungen für die Schwangere*, wie die Pflichtberatung bei einer aner- kannten Beratungsstelle und die erzwungene dreitägige Wartezeit. Die gesetzlichen Krankenkassen dürfen zudem den Eingriff nicht bezahlen, jede_r Ärzt_in kann die Mitwirkung am Schwangerschaftsabbruch jederzeit verweigern und in der medizinischen Ausbildung werden nicht die schonendsten Abbruchmethoden gelehrt – es handelt sich schließlich um eine Handlung, die nicht legal ist, sondern nur straffrei gestellt wurde. Auch nach der zwölfte Woche ist eine Abtreibung zulässig, wenn sie nach ärztlichem Urteil nötig ist, um eine schwerwiegende Gefährdung der körperlichen oder seelischen Gesundheit der Frau* abzuwenden (medizinische Indikation).

Aus feministischer Perspektive sollte der Abbruch einer Schwangerschaft aber nicht als Tötungsdelikt gewertet werden, sodass eine Streichung der Paragraphen 218 und 219 aus dem Strafgesetzbuch und eine zivilrechtliche Regelung der dann offenen Fragen wünschenswert wäre. Es ist sehr erfreulich, dass die Forderung in letzter Zeit von Feminist_innen verstärkt wieder aufgenommen wird. Was jedoch fehlt, sind Diskussionen über mögliche Strategien, um diese Streichung aus dem Strafgesetzbuch und die Abschaffung der Beratungspflicht politisch durchzusetzen, genauso wie konkretere Überlegungen, wie dieser Komplex stattdessen zu regeln wäre.

Ein ganz anderes Thema als die Beratungsregelung bis zur zwölften Woche ist die medizinische Indikation. 1995 wurde die sogenannte embryopathische Indikation, nach welcher ein Schwangerschaftsabbruch bei einer erwarteten schweren fötalen Behinderung zulässig war, wegen der Intervention von Behindertenverbänden und Kirchen gestrichen. Seitdem werden Schwangerschaftsabbrüche bei Behinderungsdiagnose damit begründet, dass Ärzt_innen von einer Gefährdung der psychischen Gesundheit der Frau* durch die Behinderungsdiagnose ausgehen, sie beziehen sich also auf die medizinische Indikationsregel.

 

PRÄNATALE DIAGNOSTIK

Wie ›selbstbestimmt‹ waren aber die Entscheidungen, die die schwangere Person überhaupt in diese Situation gebracht haben, ihre eigentlich gewollte Schwangerschaft wieder in Frage zu stellen? Schwangere* werden heutzutage durch das Angebot zu einem vermeintlichen Wissen über das werdende Kind in eine pränatale Diagnosespirale hineingezogen; das Angebot an Untersuchungen dient vermeintlich dem Wohl des späteren Kindes und wird nur von wenigen Schwangeren*, Hebammen und Ärzt_innen hinterfragt. Alle pränatalen Untersuchungen durchgeführt zu haben, gilt als verantwortungsvoll, da dem zukünftigen Kind optimale Startchancen geboten werden müssen. Vermehrte Angebote steigern auch den Druck auf die werdende Mutter*, alles richtig zu machen und rufen Schuldgefühle hervor. Frauen* erhoffen sich von den pränatalen Untersuchungen die Bestätigung, dass das Kind nach der Geburt gesund sein wird, dass ›alles in Ordnung‹ ist – eine Sicherheit, die die Untersuchungen gar nicht liefern können. Die ärztlichen Fragen sind nämlich ganz andere: Was ist nicht in Ordnung? Gibt es Auffälligkeiten oder Abweichungen von festgelegten Wachstumsparametern? Wenn es Hinweise auf eine Behinderung gibt, motiviert dies zu weiteren, invasiven Untersuchungsmethoden. Allerdings schließt sich einer ärztlichen Diagnose normalerweise ein Behandlungsvorschlag an. Eine pränatale Therapie des Fötus ist aber nur in äußerst seltenen Fällen möglich. Die Diagnose einer Behinderung führt daher in der Logik der pränatalen Untersuchungen meist zu der Frage, ob man das werdende Kind – für das man eben noch alles getan hat – nun unter den neuen Umständen überhaupt noch bekommen will.

Die neuen, nicht invasiven Pränataltests (NIPT) versprechen, mit aus dem Blut der Schwangeren* gewonnener DNA des Fötus die Wahrscheinlichkeit einer Trisomie 21, 18 oder 13, das Geschlecht sowie ›Abweichungen‹ der Geschlechterchromosome, wie das Turner- und Klinefeltersyndrom, bestimmen zu können. Wie so oft wird angeboten, was technisch möglich ist. Viele Schwangere* wiederum schließen allein aus dem Vorhandensein des Angebots, dass die Information für sie relevant ist. Zurzeit sind die Tests Selbstzahler_ innen-Leistungen, in Deutschland prüft seit August 2016 der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) der Krankenkassen und Ärzt_innen, ob die Tests auf Trisomien regelhaft von den Krankenkassen übernommen werden sollen. Mit einem Ergebnis wird Mitte 2019 gerechnet.

Selektive Pränataldiagnostiken, wie der NIPT, verbessern weder die Versorgung der Schwangeren* noch die des werdenden Kindes. Die in PND angelegte Verknüpfung von Behinderung mit Leiden und Schmerzen sowie ihr Versprechen der Vermeidbarkeit qua Vermeidung behinderter Kinder ist vielmehr behindertenfeindlich. Die gesellschaftliche Bereitstellung von Ressourcen für die gezielte Suche nach Abweichungen zeigt, dass behindertenfeindliche Denkweisen als normal und unproblematisch gelten. Die Tatsache, dass diese Tests angeboten werden und via Mutterpass institutionalisiert sind, lässt es als verantwortungsvolles Verhalten erscheinen, sie in Anspruch zu nehmen. Da es als normal gilt, sich abzusichern, besteht offensichtlich Grund zur Beunruhigung. Behinderung als nicht normalen Teil des Lebens, sondern als beunruhigend und unbedingt vermeidenswert anzusehen, wird mit jedem normalisierten Angebot einer pränatalen Untersuchung wiederholt und verfestigt.

Rechte Abtreibungsgegner_innen und ›Lebensschützer‹ setzen zunehmend auf bioethische Themen wie pränatale Diagnostik, selektive Abbrüche und Sterbehilfe. Sie inszenieren sich als einzige glaubhafte Vertreter_ innen der Interessen behinderter Menschen. Die Berufung auf Selbstbestimmung allein kann der Instrumentalisierung bioethischer Diskussionen von rechts nichts entgegensetzen.

Heute lohnt sich deshalb, an die feministischen Diskussionen der 1980er Jahre anzuknüpfen. Eine damals bereits formulierte feministische Kritik lautete: Die Selbstbestimmung von Frauen*, die in den schlechten Verhältnissen eine möglichst hohe individuelle Bedürfnisbefriedigung erreichen will, kann nicht das emanzipatorische Ziel sein. Frauen* sind keine besseren Menschen – ihre Entscheidungen können daher so systemkonform und -erhaltend sein wie die Entscheidungen von andern Menschen auch und können so auch anderen gesellschaftlich marginalisierten Gruppen schaden. Ein linker, intersektionaler (Queer-) Feminismus sollte stattdessen gesellschaftlich internalisierte Machtverhältnisse, die Menschen in ihren Entscheidungen beeinflussen, kritisch hinterfragen und mit anderen Bewegungen zusammen ein gutes Leben für alle erkämpfen.

Kirsten Achtelik