Philosophie und Macht haben mehr miteinander zu tun, als es den meisten Philosoph_innen lieb ist. Das zeigt sich häufig an scheinbar marginalen Bemerkungen in Vorworten philosophischer Traktate, in denen plötzlich dem »lieben Fürsten« oder »weisen König« gedankt oder andere Herrscher umschmeichelt werden. Berühmt geworden ist Kants Versicherung an Friedrich, dass, wer ein stehendes Heer zur Verfügung hat, sich auch vor der Aufklärung nicht zu fürchten braucht. Es ist geradezu ein rituelles Spiel zwischen Philosophie und Macht, dass erstere letztere herausfordert, um sogleich zu betonen, dass doch alles nicht ganz so ernst gemeint war. Das aber rückt die schlauen Philosophen unversehens in den Status eines Hofnarren. Die Situation der Philosoph_innen hat sich beträchtlich, jedoch nicht grundlegend geändert. Wer das Denken zu sei-nem Beruf macht, kann sich auch denken, dass er oder sie, wenn schon kein stehendes Heer, so doch zumindest ein gesichertes ökonomisches Auskommen be-nötigt. Seit dieses Auskommen, bis auf wenige Aus-nahmen, weitgehend vom Staat zur Verfügung gestellt wird, der wiederum die Freiheit der Wissenschaft garantiert, müssen sich Philosoph_innen nur noch sel-ten vor Herrschenden, umso öfter allerdings vor Vor-gesetzten oder sonstigen Altvorderen winden wie ein Wurm. Es ist schon etwas Besonderes, wenn dieses Ritual umgedreht wird und sich im Vorwort der Herausgeber und Chef des Autors, Axel Honneth, verita-bel winden muss, um ein Buch anzupreisen, dass ihm inhaltlich nicht gefallen kann. Diese Umkehrung des klassischen Herr-Knecht-Spiels verdient – genau – An-erkennung. Um das Verhältnis von Philosophie und Macht geht es aber nicht nur zwischen den Zeilen in diesem bemerkenswerten Vorwort, sondern auch in Daniel Loicks »Kritik der Souveränität«. Es geht um das Verhältnis von normativen Ansprüchen, die die Philosophie formuliert, und den Mitteln ihrer Verwirkli-chung, also für gewöhnlich Macht oder, wie es im Titel dieses Buches heißt, Souveränität. Ein altes, ein klassisches Thema, das auch Kant bewegt hat, als er an Friedrich über dessen stehendes Heer gesprochen hatte. Neu an Loicks Argument ist, dass er zu radikal anderen Schlussfolgerungen kommt als der Königs-berger Philosoph und eine Aufklärung ohne stehendes Heer, eine Normativität ohne Macht und ein Recht ohne Gewalt fordert. Prinzipiell ist das auch die philosophisch konsistentere Position, denn die Philosophie ist schließlich Richterin über die Vernunft und eben nicht Polizistin. Es kann eine philosophische Rechts-theorie geben, aber keine philosophische Gefängnis-ordnung. Wenn man aber doch beides sein will – also Kantianer_in und S-Bahnschaffner_in – dann muss man einen intrinsischen bzw. analytischen Zusam-menhang zwischen Recht und Macht, Recht und Ord-nung, Recht und Gewalt herstellen. Wer A sagt, muss auch B sagen, bzw. wer Aufklärung sagt, auch »ste-hendes Heer«. Aber nicht nur für Kant besteht dieser Zusammenhang. Auch für den Alltagsverstand (und als Apologie dessen versteht sich schließlich auch Kants Philosophie) gilt der Zusammenhang von law and order als ebenso natürlich wie die vermeintliche Tatsache, dass jeden Tag die Sonne aufgeht. Foucault (ein ausgesprochener Feind des common sense) hat einmal bemerkt, dass Recht und Ordnung aber eigent-lich so gut zusammenpassen wie Milch und Zitrone. Mit ähnlicher Intention zeigt Loick, dass Recht und Gewalt, Recht und Zwangsbefugnis in keinem »ana-lytischen« (d. h. notwendigen) Zusammenhang stehen, wie Kant behauptet und noch nicht mal eine geglückte Synthese darstellen. Vielmehr neigt das Gemisch von Recht und Gewalt eher zum Ausflocken; der Zusam-menhang ist also höchstens fuzzy.

Im ersten Teil über »traditionelle Souveränitätstheorien« von Bodin, Hobbes, Rousseau und Kant zeigt Loick im Stile einer Dialektik der Aufklärung, wie der Versuch, den natürlichen Kriegszustand durch einen rechtlichen vom Souverän garantierten Frieden zu ersetzen, das Problem der Gewalt nicht auflöst, sondern nur verschiebt. Nicht mehr im sozialen Kriegszustand, sondern im Staat hat die Gewalt nunmehr ihren nicht nur privilegierten, sondern sogar legitimen Ort. Diese bittere Erkenntnis, dass staatliche Souveränität die Kontinuierung und eben nicht Suspendierung der Gewalt bedeutet, ist für Loick die Ironie der Souveränität. Genau die Maßnahmen, die zur Abschaffung der Gewalt beitragen sollen (Recht und staatliches Gewaltmonopol) führen dazu, dass die Gewalt fortgesetzt wird.

Im zweiten Teil werden dann »kritische Theorien der Souveränität« von Benjamin über Foucault bis zu Agamben befragt, wie die »gemischten, flockigen Zu-stände« der Souveränität sich historisch darstellen. Mit Foucault und Benjamin zeigt er die Ausstreuung der Souveränitätsfunktion im Mikrodezisionismus der Polizei, der sich in allen Poren des sozialen Gewebes festsetzt und dadurch eine Subjustiz erzeugt, die per-manent souveräne Entscheidungen fällt, die ihr qua Gesetz gar nicht zustehen dürften. Mit Agamben zeigt er, wie die Matrix des souveränen Rechts auf der Aus-nahme und der gleichzeitigen Produktion eines a-nomischen nackten Lebens basiert. Hier wird vor allem eines deutlich: Es geht Loick gerade nicht darum, die philosophischen Ansprüche mit einer schlechten sozialen Wirklichkeit zu vergleichen. Es geht nicht darum, dass die Philosophie nicht ausreichend verwirklicht ist. Vielmehr ist ihr Wirksam-Werden selbst – das natürlich viel kontingenter ist, als es die meisten Philosoph_innen zu träumen wagen – das Problem. Deshalb ver-fehlt der naheliegende Einwand, dass die Vorschläge für ein Recht ohne Souveränität, die im dritten Teil des Buches entwickelt werden, »unrealistisch« sind, auch systematisch sein Ziel.

Loick wendet sich hier (3. Kapitel) gegen den Ver-dacht, dass ein Recht ohne Gewalt zwangsläufig zu »Chaos« oder »Unordnung« führen muss. Mit Haber-mas betont er dagegen die intrinischen »Bindungswir-kungen« von Rechtsgeltung und Sprache. Gegen Ha-bermas macht er die Kontingenz und die Offenheit des demokratischen Prozesses geltend, die sich weder durch die Polizei noch durch eine normative Diskurs-polizei, die sich als quasi-transzendentales Diskursa-priori ausgibt, programmieren lässt. Im Herzen der These von der Ironie liegt nämlich eine tiefe Einsicht in die Unvorhersehbarkeit sozialer Prozesse und die Un-möglichkeit einer sicheren Steuerung des Sozialen. Die Denkfigur der Ironie meint nämlich – trotz vieler Ähnlich-keiten – nicht dasselbe wie Axel Honneths Pathologien der Vernunft oder der Freiheit. Für Schlegel entsprach die Ironie einem »klaren Bewusstsein des unendlichen vollen Chaos« und für Kierkegaard bestand die »Wirk-lichkeit der Ironie in bloßer Möglichkeit«. Auch und ge-rade revolutionäre Versuche, eine perfekte, demokrati-sche oder kommunistische Gesellschaft zu errichten, mussten das immer wieder erfahren. Darauf reagier-ten sie wie schon die Philosoph_innen; mit einer nach dem Bild der Naturkausalität gedachten Gewalt sollte das moralische Geschehen vor dessen Kontingenz im-munisiert werden. Das hat aber, ob in Form revolutio-närer oder staatlicher Gewalt, immer nur die von Loick so großartig beschriebenen auto-immunen Reaktionen hervorgerufen. Loick betont daher zurecht, dass auch die von ihm vorgeschlagene Version radikaler Demo-kratie riskant ist, also auch eine auf love, peace and understanding gebaute Gesellschaft nicht frei von Iro-nie, d.h. fuzzy und funny ist. Es ist keine »Perversion« oder Krankheit, die sobald sie geheilt ist, das Heile und Heilige, das ursprüngliche Phänomen (Vernunft, Frei-heit, Moral ...) unversehrt hervortreten lassen würde. Die Ironie lässt sich nicht ausmerzen. Vielmehr kann man das Ironische auch affirmieren und freudig will-kommen heißen. Wenn sich alle historischen Vor-kommnisse zweimal ereignen, einmal als Tragödie und einmal als Farce, dann können wir nur hoffen, dass nach mehr als 200 Jahren demokratischer Tragödien bald endlich die demokratische Komödie beginnt.
 

Andreas Folkers