Im Frankfurter Ostend wird die neue Europäische Zentralbank (EZB) gebaut, die bei Eröffnung im Jahr 2014 mit 185 Metern eines der höchsten Gebäude Frankfurts sein wird. Direkt neben dem in Entstehung begriffenen EZB-Gebäude, befindet sich die ehemalige Großmarkthalle, welche von Martin Elsaesser entworfen und 1928 eröffnet wurde.

Während des Nationalsozialismus diente diese Großmarkthalle als Sammellager für Jüdinnen und Juden, welche von hier aus in verschiedene Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert wurden. Im Herbst 1941 begann die Gestapo in Frankfurt, Jüdinnen und Juden nach vorbereiteten Listen aus ihren Wohnungen zu holen, durch die Stadt zu treiben und in die Großmarkthalle zu bringen. Im Keller der Großmarkthalle wurde ihnen all ihr Besitz abgenommen, es folgten Misshandlungen und Demütigungen. Bis zum 14. Februar 1945 wurden über 10.000 Menschen von der Großmarkthalle aus deportiert. Ziele der Deportationen waren:

 

19.10.1941 Lodz, 11.11.1941 Ghetto von Minsk, 22.11.1941 Riga, 08.05.1942 Lublin und Izbica, 24.05.1942 Lublin und Izbica, 11.06.1942 »nach dem Osten«, 18.08.1942 Theresienstadt, 01.09.1942 Theresienstadt, 15.09.1942 Theresienstadt, 24.09.1942 »nach dem Osten« , 01.03.1943 »nach dem Osten«, 16.03.1943 Theresienstadt, 12.04.1943 Theresienstadt, 19.04.1943 »nach dem Osten«, 16.06.1943 Theresienstadt, 28.-29.10.1943 Auschwitz – Theresienstadt – Ravensbrück – Buchenwald, 08.01.1944 Theresienstadt, 14.02.1945 Theresienstadt

 

An die Deportationen erinnert zudem eine Gedenktafel, welche nach einer langen gesellschaftlichen Auseinandersetzung 1997 an der Großmarkthalle angebracht wurde.

Die derzeitige Baustelle ist von einem Zaun umgeben, an welchem Informationstafeln über die Geschichte der Großmarkthalle angebracht sind. Neben Erläuterungen zur Bauweise der EZB und zu verschiedenen Nutzungsepochen der Großmarkthalle, findet sich hier ein Zeitstrahl, welcher die Geschichte des Ortes zusammenfasst – unter den Jahreszahlen wenige Worte, die beschreiben, wie das Gelände zu den verschiedenen Zeiten genutzt wurde – und mit einem Ausblick auf die Eröffnung der EZB endet.

Der Zeitstrahl an der Baustelle beginnt mit dem Jahr 1928, seitdem die Großmarkthalle zu Lagerung und Verkauf von Obst und Gemüse genutzt wurde. Dieser Marktbetrieb wurde bis 2004 fortgesetzt. Daran wird direkt das Bombardement der Halle durch die Alliierten 1944 angeschlossen. Für die Zeit des Nationalsozialismus werden ansonsten weder Ereignisse, noch die Art und Weise der Nutzungen der Großmarkthalle dargestellt - hier klafft eine Lücke, die Rolle des Geländes für den nationalsozialistischen Massenmord wird an dieser Stelle nicht sichtbar gemacht.

 

Die Frage, warum im Zeitstrahl hier jedoch eine Leerstelle gelassen wird, bleibt unbeantwortet. Denn der Bau einer Gedenkstätte, welche an die aus der Großmarkthalle deportierten Menschen erinnern soll, zeigt, dass eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes stattfindet. Zudem wird auch auf der Website der EZB auf die Nutzung der Großmarkthalle in der NS-Zeit hingewiesen.

Die Interessierten, die die Baustelle passieren und kurz über die EZB, die Großmarkthalle und die Geschichte des Ortes informiert werden sollen, werden über den Ort als Sammelstätte für Jüdinnen und Juden und als Ausgangspunkt für Deportationen jedoch nichts erfahren. In der öffentlichen Darstellung der Geschichte der Großmarkthalle wird die Nutzung des Ortes im NS, trotz der Gedenkstätte und trotz der Öffentlichkeitsarbeit auf der Homepage, im Zeitstrahl nicht sichtbar gemacht.

Eine Sichtbarmachung ist aber unbedingt vonnöten. Dies würde die Möglichkeit eröffnen, dass Passant_innen im öffentlichen Raum, ähnlich wie bei öffentlichen Gedenkorten oder Stolpersteinen, auf die Rolle des Ortes während des Nationalsozialismus aufmerksam gemacht werden. Gerade die EZB-Baustelle, welche ohnehin die Aufmerksamkeit der Vorbeigehenden auf sich zieht, ist ein Ort, an welchem auf dessen Nutzung im Nationalsozialismus und an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert werden muss.

 

Antifa Ostend

 

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Krause-Schmitt: Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstands und der Verfolgung 1933-1945, VAS-Verlag

»Frankfurt am Main, Sammellager, Großmarkthalle«, in: Topographie des Nationalsozialismus in Hessen, http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/nstopo/id/278 (Stand: 30.3.2011)

http://www.h-g-r.eu/index.php?option=com_content&view=article&id=93&Itemid=90&lang=de

http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/nstopo/id/278