Zur Einführung

Dem folgenden Text liegt der Versuch zugrunde, Unsichtbarkeit anders denn als bloßes – selbst passives – Produkt von verschiedenen (politischen oder diskursiven) Verdunkelungsprozessen; als mehr denn als bloße Ohnmachtserscheinung zu deuten. Er fragt danach, ob Unsichtbarkeit selbst eine eigene Form von Aktivität darstellen kann, ob sie eine zwar genuin politische, aber von herkömmlichen Politikverständnissen völlig unterschiedene, Handlungsform zu ermöglichen vermag. Es liegt auf der Hand, dass dies nicht nur ein Gedankenspiel, sondern immer schon Realität ist: Wie sonst könnte man absolutistische Arkanpolitik, die Geheimbünde der Aufklärung oder auch die Organisation im Untergrund, die Konspiration von Illegalisierten greifen? Doch geht es mir vor allem darum, darüber nachzudenken, inwiefern durch diese Phänomene bzw. durch die Idee einer politischen Handlungsfähigkeit im Unsichtbaren eine Neuverortung dessen geleistet werden könnte, was man unter Politik versteht: Anstatt Unsichtbarkeit als Gegenmotiv zu Politik zu denken (nämlich als Ausschluss von politischer Teilhabe) sollen sich durch sie Handlungsspielräume öffnen, in denen die gängigen Paradigmen der Politik infrage gestellt werden können (zum Beispiel das Ziel, durch politische Repräsentation Sichtbarkeit zu erlangen, die Gegenüberstellung von Öffentlichkeit und Privatheit oder auch das Ideal der Transparenz). Der folgende Beitrag soll diese Ideen weiter ausführen, dafür argumentieren, dass sich das auch politisch lohnen könnte, und gleichzeitig die Gefahren, Grenzen und Ambivalenzen eines solchen Projekts thematisieren. Dies möchte ich anhand einer kurzen Analyse des »Kommenden Aufstands« tun, denn die Bedeutung dieses Textes für einen solchen oben vorgeschlagenen Blick auf Unsichtbarkeit scheint – zunächst zumindest – auf der Hand zu liegen: Es handelt sich um einen Text, der explizit als Teil eines konspirativen Umfelds verstanden werden soll, dessen Autor_innen sich unsichtbar nennen und in dem die Unsichtbarkeit insofern einen mehr als bloß akzidentiellen Ort einzunehmen scheint. So soll an ihm erprobt werden, worin das politische Potential der Unsichtbarkeit (vor allem als Verborgenheit) liegen könnte – und ob dieses eingelöst wird (bzw. eingelöst werden kann).

 

Unsichtbarkeit als Unbestimmtheit als radikale Freiheit

Für die Rolle der Unsichtbarkeit gibt es im Kommenden Aufstand zwei entscheidende Stellen: Die eine thematisiert den Status seiner Autor_innen (KA: 12) – bei der anderen handelt es sich um den kleinen Abschnitt innerhalb des Kapitels »Sich Organisieren«, der den Titel trägt: »Die Sichtbarkeit fliehen. Die Anonymität in eine offensive Position wenden« (KA: 75–76). Im Folgenden werde ich mich vor allem auf diese zwei Passagen stützen, um daran zwei Hauptpunkte zu diskutieren. Der erste betrifft den Status von Unsichtbarkeit: Ist sie selbstgewählt oder erzwungen? Stellt sie Ausgangspunkt, Mittel – eine Strategie, die, vielleicht zähneknirschend, angenommen wird, weil sie am aussichtsreichsten erscheint oder weil die Veröffentlichung der eigenen Positionen dadurch gestört wird, dass sie nicht hegemonial sind – oder gar Zweck dar? Gibt es etwas, das darauf hinweist, dass in der Unsichtbarkeit selbst eine bestimmte Form der Äußerung politischer Positionen liegt? Der zweite Hauptpunkt schließt daran an und fragt, welche Standpunkte mit einem Ergreifen der Unsichtbarkeit tatsächlich verbunden sind, also genauer: welche normativen, politischen Argumente sprechen – in der Argumentation des Kommenden Aufstands – für ein politisches Handeln in Unsichtbarkeit? Dieser Komplex betrifft also den Inhalt der Unsichtbarkeit.

 

Ausgangspunkt des Unsichtbarkeits-Arguments im Kommenden Aufstand ist die Annahme, dass die Institutionen, die Repräsentation und Anerkennung leisten sollen – also die Institutionen der Politik, die Subjekte und Interessen sichtbar machen sollen - exkludierend wirken. Ihr eigenes Funktionieren impliziert, dass sie auch Anerkennung verweigern müssen, und dort, wo dies geschieht, produzieren sie Unsichtbarkeit. Gleichzeitig aber produzieren sie die Idee, dass Unsichtbarkeit nur als Ohnmacht zu verstehen sei, und halten damit all diejenigen, die nicht in die Ordnung der Repräsentation eingeschlossen werden, in Handlungsunfähigkeit. Die Annahme, dass politische Wirksamkeit immer an Sichtbarkeit gekoppelt ist, erhält und stärkt ebensolche Institutionen, die die Macht haben, Sichtbarkeit zu verweigern. Am Anfang des Arguments steht also nicht eine Ablehnung der Sichtbarkeit, sondern die Notwendigkeit, damit umzugehen, dass man – als jemand, der nicht Teil dieser Institutionen ist - nicht selbst in der Hand hat, wer sichtbar werden darf und wer nicht: »Die Anonymität, in die wir abgeschoben wurden, zu unserem Vorteil zu wenden« (KA: 75) – das ist der Weg in die Unsichtbarkeit seitens des Komitees. Sie ist zunächst unfreiwilliger Ausgangspunkt und erst im zweiten Schritt eine Kritik der Sichtbarkeit: »Sichtbar zu sein bedeutet ohne Deckung, das heißt vor allem verletzbar zu sein.« (ebd.) Aus einer subalternen Position heraus sei Sichtbarkeit nichts anderes als Verfügbarkeit für die Institutionen und Mechanismen der Herrschaft. Die Konsequenz, die vorgeschlagen wird, ist, die Perspektive umzudrehen und anstatt immer weiter zu versuchen, etwas mehr Sichtbarkeit zu ergattern und endlich seine »Sache ›sichtbar‹ zu machen« (ebd.), die Position der »Unsichtbargemachten« grundlegend umzudeuten: »Gesellschaftlich nichts zu sein ist kein erniedrigender Stand, die Quelle eines tragischen Mangels an Anerkennung – anerkannt: von wem? – vielmehr ist es die Bedingung einer maximalen Aktionsfreiheit.« (ebd.) Diese eingeschobene Frage »anerkannt: von wem?« moniert, dass es immer nur die Anderen sind, die anerkennen können, und dass man dadurch in eine Abhängigkeit gerät, die einen passiv macht und erniedrigt. »Gesellschaftlich nichts« wird man erst dadurch, dass man die Erwartung nach Anerkennung aufrechterhält und die Passivität darin, im besten Fall Repräsentierte und niemals Repräsentierende zu sein, akzeptiert. Wenn man hingegen die Perspektive umdreht, eröffnet sich auf einmal ein Raum »maximaler Aktionsfreiheit« jenseits klassischer Formen der Politik, der ein Raum jenseits des Legalen ist.

 

Worin genau diese Freiheit besteht, lässt sich vielleicht anhand des hier enthaltenen Bezugs auf Giorgio Agamben beschreiben. Seiner Darstellung nach steht das Recht mit zwei Ausnahmen seiner selbst in Verbindung: die eine Ausnahme ist der Ort der Souveränität, für die keine Regeln gelten, da sie selbst über diese Regeln verfügt; die andere Ausnahme ist der Ort des Ausschlusses (des bloßen Lebens), in dem alle einschränkungslos verfügbar sind – sodass darin ebenfalls die Regeln aussetzen. Ebenso radikal wie diese beiden Orte einander unterscheiden ebenso sind sie doch miteinander verwoben und stellen »zwei symmetrische Figuren dar, die dieselbe Struktur haben und korreliert sind« (Agamben 2002: 94). Deshalb nennt Agamben das bloße Leben einen »unsichtbaren Souverän« (Agamben 1994: 254), insofern es von hinter den »Masken der Mächtigen« aus als »dunkle Drohung« (ebd.)souveräner Gewalt schlummert. Bei Agamben liegt die Drohung darin, dass die Institutionen der Souveränität jederzeit in gewaltsame Ausschlussmechanismen umschlagen können und dass daher das bloße Leben nicht jenseits, sondern mitten in der Struktur der Souveränität steckt. Das Unsichtbare Komitee macht allerdings eine weitere Deutung stark, nämlich dass von den Orten des Ausschlusses aus eine Art illegitimer Wiederholung souveräner Freiheit möglich ist. Die besondere Freiheit, die darin liegt, nicht unter den gängigen Kategorien und Regeln erfasst werden zu können, zeigt Agamben anhand der Figuren des »Banditen« oder des »Outlaws« (Gesetzlosen) auf. Diese Logik, die Freiheit im Ausschluss betonen zu wollen, zieht sich durch den ganzen Kommenden Aufstand. Sie steckt in der Art, wie die Banlieues gefeiert werden, in der Strategie, Ausnahmezustände zu produzieren oder in der Beschwörung der Katastrophe. Es lässt sich einwenden, dass eine solche Lektüre Agambens die von ihm immer wieder betonte Abhängigkeit seitens der Ausgeschlossenen gegenüber der Macht, die sie ausschließt, und damit die völlige Unvereinbarkeit des Ausschlusses mit radikaler Freiheit, verkennt. Auf diese Weise nimmt diese Idealisierung des Ausschlusses im Kommenden Aufstand teilweise geradezu zynische Formen an, wie sich beispielsweise im folgenden Zitat zum Alltag in den Banlieues zeigt: »(…) das Lebendige hat sein Quartier in den Orten des totalen Ausschlusses aufgeschlagen. Das Paradox will, dass die augenscheinlich unbewohnbarsten Orte die einzigen noch in irgendeiner Art und Weise bewohnten sind.« (KA: 35) Es stellt sich als Problem heraus, Freiheit so zu konzeptualisieren, dass sie letztlich nur in den »unbewohnbarsten Orten« oder etwa im Zusammenhang mit Naturkatastrophen möglich erscheint. Man fragt sich, welche Art von Freiheit das überhaupt sein kann, welche Möglichkeiten zu handeln dadurch initiiert werden können.

 

Eine weitere Spur, die im Unsichtbarkeitskapitel angedeutet wird, führt womöglich weiter: »Kein Führer, keine Forderung, keine Organisation, sondern Worte, Gesten, Komplizenschaften.« (KA: 75) Mit Unsichtbarkeit geht eine Verweigerung von (kollektiven oder politischen) Identitäten einher: Eine weitere Dimension der Freiheit, die sie ermöglicht, liegt also darin, nicht jemand bestimmtes sein zu müssen. Indem traditionelle Politiken um Repräsentation kämpfen, lassen sie sich auf die Verpflichtung ein, ein bestimmtes repräsentierbares Subjekt sein zu müssen und lassen sich damit auf diese Identitätskategorie festlegen. Wer sich hingegen nicht repräsentieren lässt, kann sich auch nicht vermeintlichen Repräsentanten, die im Namen von jemandem sprechen, unterordnen, übernimmt nicht eine »Geschichte, einen Sitz, einen Namen, Mittel, einen Chef, eine Strategie und einen Diskurs« (KA: 66) – wie es Organisationen tun –, sondern hält sich in Unbestimmtheit. Dass diese Unbestimmtheit eine genuin emanzipatorische Dimension haben kann, verdeutlicht ein Blick auf Jacques Rancière: Von der Gegenüberstellung von Politik und Polizei ausgehend, verortet er das Repressive der Polizei (d.h. der Institutionen der Souveränität) darin, dass sie Identitäten festlegt. Dabei muss sie die Leere und Unbestimmtheit leugnen, die in all diesen Identitäten als Überschuss enthalten ist und sich ihrer Festlegung entzieht (Rancière 2000: 31). Das Ideal der Politik besteht hingegen darin, diese Unbestimmtheit zuzulassen und einen Raum jenseits der Zählbarkeit und damit jenseits der Festlegbarkeit zu eröffnen. Es ist ein Raum der Potentialität – und ermöglicht die Freiheit, immer auch auf ganz andere Weise sein zu können.

 

An dieser Stelle verbindet sich die Unsichtbarkeit mit der Frage nach Autor_inschaft. Nun lässt sich die politische Bedeutung dessen verstehen, dass die Schrift von einem »Unsichtbaren Komitee« geschrieben wurde. Denn unsichtbar sein bedeutet, sich im Unbestimmten zu halten, ohne Autor_in sein zu müssen: »Dieses Buch ist im Namen eines imaginären Kollektivs unterzeichnet. Seine Redakteure sind nicht seine Autoren.« (KA: 14) Sich selbst imaginär nennen zu können, darin scheint die Freiheit der Unsichtbarkeit zu liegen. Und wenn andersherum das Schreiben aus dem Unsichtbaren heraus Autor_inschaften in Frage zu stellen vermag, so liegt darin ein noch weiterreichendes politisches Potential der Unsichtbarkeit. Schließlich ist Autor_inschaft weder neutral noch herrschaftsfrei, sondern eng an Souveränität gekoppelt. Paradigmatisch ist die Definition des Autors von Thomas Hobbes: »derjenige, welcher dessen Worte und Handlungen als eigene anerkennt, (ist) der Autor (…) Denn was man bei Gütern und Besitzungen Eigentümer nennt (…), das nennt man bei Handlungen Autor. Und wie man das Recht auf Besitz Herrschaft nennt, so nennt man das Recht auf irgendeine Handlung Autorität.« (Hobbes 1966 [1651]: 123) Autor_insein verhält sich also analog zu Herrschaft und Besitz und begründet ein rechtliches Verhältnis, dessen Verbindung zur_m Autor_in leicht vergessen wird: die Autorität.

 

Wie kann man also anhand dieser Erläuterungen die beiden Ausgangsfragen beantworten? Zunächst ist Unsichtbarkeit Ausgangspunkt; das vorgefundene Material, das man nicht selbst gewählt hat, sondern mit dem man konfrontiert ist. Dennoch spricht Einiges dafür, dass sie auch Ziel oder Ideal ist, dass sie mit Normativität gefüllt ist. Oder andersherum: die kurze Darstellung der Unsichtbarkeit im Unsichtbaren Komitee ermöglicht es, eine Art Verteidigung der Unsichtbarkeit als Politik zu formulieren: Sich im Unwahrnehmbaren zu halten; zu postulieren, dass ein Handeln im Verborgenen politisch sein kann, all das kann sich gegen das Selbstverständnis der Repräsentation, gegen den Zwang von Identitäten (und zwar den Zwang, den Identitäten ausüben, sowie den Zwang, eine Identität haben zu müssen), gegen die »Souveränität des Autors« wenden. Ebenso wird dadurch ein bestimmtes Verständnis von Freiheit als Potentialität ermöglicht.

 

Einerseits.

 

Andererseits scheint der ganze Rest des Textes der oben vorgenommenen Darstellung zu widersprechen: es ist stark identitär aufgeladen und argumentiert für Wahrheit und Authentizität. Während der Abschnitt zu Unsichtbarkeit die Maskierung lobt, zieht sich hier eine Logik der Demaskierung durch. Ich möchte im Folgenden diskutieren, ob dies Aspekte sind, die einer Politik der Unsichtbarkeit entgegenstehen, oder ob sie aufzeigen, womit eine Politik der Unsichtbarkeit ebenfalls assoziiert sein könnte – also Ambivalenzen in der Idee der Unsichtbarkeit selbst offenbaren.

 

Demaskierung und das Ideal der Wahrhaftigkeit

Das Unsichtbare Komitee sieht sich nicht als Autor_innenkollektiv, sondern als Redakteur_in des Textes. Die kritische Bewegung darin habe ich oben dargestellt und dabei für deren emanzipatorisches, herrschaftskritisches Potential argumentiert. Das Postulat, keine Autorin zu sein, wird allerdings nicht ganz in dem Zusammenhang geäußert, in dem es von mir wiedergegeben wurde. Stattdessen steht im Mittelpunkt der Argumentation gegen ein Selbstverständnis als Autor_innen die Vorstellung einer Wahrheit, die man nur benennen – gewissermaßen aufsammeln – müsse, ohne den aktiven kreativen Prozess, für den es eine_r Autor_in bedarf: »Es ist das Privileg der radikalen Umstände, dass die Richtigkeit in logischer Konsequenz zur Revolution führt. Es reicht aus, das zu benennen, was einem unter die Augen kommt, und dabei nicht der Schlussfolgerung auszuweichen.« (KA: 14) Direkt hinter dem Subjekt, das kritisiert wird, befindet sich die Wahrheit. Der Essentialismus in dieser Idee ist vielleicht das Gegenteil von einer Aufwertung der Unbestimmtheit. Die Kritik am Subjekt geschieht zugunsten der dahinter liegenden Essenz, die befreit werden müsse, um »wahre« Subjektivitäten zu ermöglichen. Sie verfällt in ein Lob darauf, sich die Maske (die die Person, also die Identität ist) endlich vom Leib zu reißen, um sich wahrhaftig entfalten zu können: »Es ist nicht das Ich, was bei uns in der Krise ist, sondern die Form, die man uns aufzuzwingen versucht. Es sollen wohl abgegrenzte, wohl getrennte Ichs aus uns gemacht werden, zuordenbar und zählbar nach Qualitäten, kurz: kontrollierbar; während wir Kreaturen unter Kreaturen sind, Einzigartigkeiten unter unseresgleichen, lebendiges Fleisch, welches das Gewebe der Welt bildet.« Zwar wird das Ideal der Nicht-Zuordnung hier wieder aufgegriffen, doch eben nicht um im Unbestimmten zu bleiben. Im Gegenteil: was wir sind, ist sehr wohl bestimmbar, doch diese Essenz ist eben keine personenhafte Kategorie. Sein statt repräsentiert werden – das scheint die Grundaussage zu sein. Dass damit das Sein hinter der Repräsentation miteingekauft wird, wird nicht in Frage gestellt. Auch dieses sich ständig durchziehende Wir zeigt, dass bestimmte kollektive Identitäten vorausgesetzt werden. Die problematischen Implikationen darin äußern sich an einigen frappierenden Stellen: »Unsere Geschichte ist jene der Kolonisierungen, der Migrationen, Kriege, Exile, der Zerstörung sämtlicher Verwurzelungen. Es ist die Geschichte all dessen, was uns zu Fremden in dieser Welt gemacht hat, zu Gästen in unserer eigenen Familie. Wir wurden unserer Sprache enteignet durch die Schule, unserer Lieder durch die Hitparade, unseres Fleisches durch die Massenpornographie, unserer Stadt durch die Polizei, unserer Freunde durch die Lohnarbeit.« (KA: 19) Dieses Wir ist scheinbar ein französisches – offenbar jedoch ein westeuropäisches. Es geht von einer vorgängigen Verbundenheit innerhalb dieses Kollektivs, von einer in sich abgeschlossenen Erfahrung aus, und man kann kaum leugnen, dass eine gewisse Sehnsucht nach dieser verloren gegangenen entfremdungsfreien gemeinsamen Authentizität mitschwingt. In dieser Hinsicht wird die Kritik an eine Ordnung der Repräsentation offenbar wieder zurück genommen: schließlich spricht ja ein scheinbarer Teil dieses Wir – das Unsichtbare Komitee – für all seine Mitglieder. Besonders drastisch zeigt sich dieses Repräsentationsproblem in Bezug auf das Lob auf die Banlieues: Das Unsichtbare Komitee spricht für die »Ausgeschlossenen« als Unsichtbare, für diejenigen, denen alle Repräsentation verweigert wird, und gibt die Empfehlung ab, die eigene Situation positiv umzudeuten. Es stellt sie als Kollektiv her, indem es sich als Teil von ihnen definiert und nimmt so unweigerlich die Rolle eines Repräsentanten an.

 

Zum Ende

Wenn man beide Seiten der Argumentation zusammen nimmt, ergibt sich also ein paradoxes Bild. Der Abschnitt zu Unsichtbarkeit im Kommenden Aufstand beginnt mit einer Anekdote über die Teilnehmerin einer Demonstration, die einem Vermummten die Maske vom Gesicht reißt. Sie wird natürlich kritisch wiedergegeben, um stattdessen auf der Vermummung zu beharren. Im Gegensatz dazu ist die ganze Idee, das Sein vor der Repräsentation, das Fleisch vor der Person zu retten, von einer Logik der Demaskierung durchzogen: legt eure Masken ab und werdet, was ihr wirklich seid! Mit den politischen Potentialen der Unsichtbarkeit, die ich versucht habe, herauszustellen, hat das nur noch wenig zu tun. Es stellt sich also die Frage, ob die Möglichkeiten, die durch die Unsichtbarkeit eröffnet wurden, nicht wieder zurück genommen werden, wenn eben solche Positionen, die mit Präsenz (im Gegensatz zu Absenz) assoziiert sind, wiedereingeführt und vertreten werden. Und doch hat sich auch gezeigt, dass es sich nicht nur um Widersprüche handelt, sondern dass eine Kritik der Sichtbarkeit beide Seiten enthält: Die Aufforderung, sich nicht repräsentieren zu lassen, d.h. nicht zu erscheinen, kann sowohl heißen, dem Sein hinter der Erscheinung zur Anwesenheit zu verhelfen, als auch sich ganz gegen Anwesenheiten zu stellen und auf Nicht-Erscheinung zu beharren. Aus dieser Perspektive gibt eine Politik der Unsichtbarkeit wenig Aufschluss darüber, in welche Richtung sie einen treibt und wie (ob?) diese irgendwie bewertet werden kann. Definitionsgemäß belässt sie einen im Ungewissen und nimmt damit eine prekäre Haltung ein, die womöglich – so ist es beim Unsichtbaren Komitee - nur als vorläufige zu denken ist: »Die Sichtbarkeit ist zu fliehen. Aber eine Kraft, die sich im Dunkeln sammelt, kann ihr nicht auf ewig ausweichen.« (KA: 76) Ob eine Politik der Unsichtbarkeit, die sich weder immer wieder zurück nimmt noch in essentialistische Umkehrungen verfällt, überhaupt gelingen kann, bleibt dabei offen.

 

Marina Martinez Mateo

 

*.lit

Unsichtbares Komitee 2010 [2007]: Der Kommende Aufstand.

Agamben, Giorgio 2002 [1995]: Homo Sacer. Die Souveränität der Macht und das nackte Leben. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Agamben, Giorgio 1994: Lebens-Form, in: Vogl, Joseph (Hg.): Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 251-257.

Hobbes, Thomas 1966 [1651]: Leviathan, oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Rancière, Jacques 2008: Zehn Thesen zur Politik. Zürich [etc.]: Diaphanes.