Manuela: Sprich zu mir.

 

diskus: Uns interessiert natürlich erst einmal: Wie bist du auf die Idee gekommen, deinen Laden zu eröffnen?

Manuela: Auf die Idee? Also die Idee ist so entstanden, dass ich entdeckt habe, dass es viele Transvestiten gibt, die sich verstecken müssen. Also, die sitzen in Autos, auf Parkplätzen, schminken sich, oder zuhause, die sind an Plätzen, wo sie nicht hingehören, zum Beispiel in Dominastudios oder in irgendwelchen anderen Institutionen, die auch sehr stark rotlichtisiert sind, und da gehört das Thema Transvestit nicht hin. Das Thema Transvestit ist ein ordentliches, sauberes und normales Thema, man möchte sich als Mann weiblich fühlen, man möchte einfach eine andere Position haben im Leben für ein paar Stunden. Das heißt nicht, dass man ewig und immer Frau sein möchte und muss, sondern man nimmt für eine Zeit lang die Rolle ein. Das möchte man auch unter einem bestimmten Schutz tun, also man möchte vielleicht nicht erkannt werden, man möchte nicht gesehen werden, man möchte sich nicht mitteilen, und deswegen habe ich den Laden aufgemacht. Das heißt also du hast hier einen Schutzraum für Menschen, die Männer sind und ab und zu Frau sein wollen, und wie weit sie sich öffnen, das liegt immer an dem Mensch selber. Das geht auch soweit, dass jemand aus dem Haus geht, spazieren geht und sich einfach auch mal draußen umschaut, wie es da draußen aussieht. Man sieht ja nicht nur sich selbst anders, man sieht auch seine ganzen Mitmenschen anders, weil man eine ganz andere Reaktion bekommt. So, und um das ganze wasserdicht zu machen, oder wasserfest, das Makeup, habe ich den Laden gemacht. Find ich cool. Gefällt mir. Ich mach das elf Jahre, und ich mache nicht nur ausschließlich das, aber das ist eigentlich mein Lieblingsbaby.

 

diskus: Wie bist du in den ganzen Bereich Transvestitismus gekommen, ohne selbst Transvestit zu sein? Wie fing es an, dass du dich dafür interessiert hast?

Manuela: Geht ganz früh los, Vater Opernsänger, immer schön in der Garderobe rumgesessen, geschminkte Männer sind für mich eigentlich ganz normal. Und die ganzen Glam Rock-Zeiten fand ich super cool, Alice Cooper und so weiter, bei mir ist es dann halt auch hängen geblieben, also ich bin da wirklich ernsthaft dabei. Und dann habe ich mal im Travestie-Cabaret gearbeitet. Ich habe immer, wenn ich beim Fernsehen irgendwas gemacht hab, geguckt, dass meine Freunde von den Travestiekünstler-Zeiten nen Job kriegen, weil ist ja nicht so einfach, ist eigentlich schon ziemlich schwer, und es wird immer schwerer. Durch die ganzen Medien wird der Travestiekünstler und auch der Transvestit ja ziemlich verzerrt dargestellt, immer als lautes, buntes, schreiendes Ding, und unter der Gürtellinie passiert da auch einiges, ja, und das ist es ja nicht, ja? Früher waren Travestiekünstler Menschen mit viel Talent, die teilweise in Cabarets mit Klavierbegleitung oder gar mit Orchester aufgetreten sind und ich habe halt auch alle Großen kennengelernt, von Coccinelle, Marcel André, wie sie alle heißen, es ist ne spannende Geschichte. Wenn man sich nicht damit beschäftigt, kann man es nicht wissen, aber wenn man einmal damit anfängt, dann kann man nicht mehr aufhören. Und deswegen sitz ich wahrscheinlich jetzt noch hier mit diesem Transvestitenvirus infiziert.

 

diskus: Der Name deines Ladens, was bedeutet er für dich?

Manuela:Transnormal? Ich bin ja so ne Wortspielerin, und transnormal, das gefällt mir gut, weil alle Leute sagen ja immer »ist ja ganz normal«, auch um etwas zu entschuldigen, um zu sagen, das ist eine harmlose Geschichte, und genauso harmlos ist auch ein Transvestit. Der tut dir nichts, ja? Der möchte einfach gesehen werden und geliebt werden. Also, ein Mann muss sich immer durchboxen, muss ja mit Ellenbogen durchs Leben gehen, er muss am besten einmal auf die Fresse hauen, sich tätowieren lassen, obwohl die Mädels das heutzutage auch machen, danke Emanzipation. Aber als Frau kannst du dich einfach bewundern lassen, man sagt dir, du hast schöne Lippen, du hast schöne Augen, du hast schöne lange Wimpern, du hast tolle Beine, Beine sind ein riesen Thema, und das ist so ganz leicht, ganz lieb, und als Mann musst du dich immer behaupten, musst die ganze Familie ernähren, musst ein scheiß Haus bauen, nen blöden Baum pflanzen, ja ist ja so. Ja, und als Frau ist easy. Da kannst du deine Sorgen vergessen, ganz viele Transvestiten sagen, wow, mir gehts nicht so gut, mir gehts ganz schlecht und ich muss einfach mal ausbrechen aus dem Alltag. Das Bedürfnis ist einfach da, es kündigt sich irgendwann an. Ne Stunde vorher, nen Tag vorher, man wird unruhiger, man wird unzufriedener, man will irgendwas schönes erleben, und dann sagt die weibliche Seite, okay, jetzt. Ich schmeiße meinen Aktenkoffer in die Ecke und hau einfach ab, und für fünf oder sechs Stunden bin ich mal jemand anderes, hab einfach nur Spaß und vergess einfach mal meine Sorgen. Und dann zieh ich mich wieder um, tut zwar weh, muss ich aber tun, und dann geh ich wieder nach Hause. Oder geh wieder in mein Büro. Das wars. Aber die Erinnerung kann dir keiner nehmen. Das ist einfach nur ein schönes Gefühl, und es begleitet dann auch deinen Alltag. Und deswegen auch die vielen Bilder, also Transvestiten lieben sehr Bilder von sich selber. Und dementsprechend Schmeicheleien sind dann auch mit dabei. »Was, das bist du?« - »Mhm, das bin ich.« - »Wow!« Würde man einem Mann nie sagen.

 

diskus: Hast du es denn auch mal erlebt, dass der Ausbruch aus dem Alltag dann doch irgendwann zum Alltag selbst wurde?

Manuela: Du meinst, dass es dann vielleicht weitergeht bei dem einen oder anderen, der sagt, okay, ich bin jetzt transsexuell und will jetzt ganz auf die Seite gehen von den Mädels? Also, ich habe hier keine Transsexuellen, nicht, weil ich es nicht will, sondern es ist mir zu gefährlich. Ich kann da vielleicht was zerstören, ich bin keine Psychologin - doch, bin ich schon, aber jetzt nicht, um den Weg zu begleiten einer Transsexuellen. Bei einem Menschen, der im falschen Körper ist, ist der Weg anders als für einen Menschen, der in falschen Kleidern steckt. Ein großer Unterschied. Und ein Transsexueller ist halt auch von der Gemütslage und von der Problematik oder von der Thematik ganz anders als ein Transvestit. Und wenn ich jemandem helfen kann, dann helfe ich ihm, indem ich an eine Psychologin verweise, die ich kenne, und es gibt sehr, sehr viele positive Beispiele. Aber es gibt auch ganz viele, die die Hürde nicht geschafft haben und ganz blöde enden. Ist halt so. Ist so. Ist so.

 

diskus: Wie finden deine Kund_innen zu dir, und welches Verhältnis habt ihr zueinander?

Manuela: Die Leute finden mich, ja. Mich finden immer die richtigen Leute, also ich mache eigentlich keine Werbung in dem Sinne. Ich will auch keine Werbung machen, denn ich möchte auch keine Voyeure, Spanner, oder irgendwelche anderen Menschen hier haben. Und mir gehts nicht darum, dass ich alle Menschen hier haben will, die ab und zu mal gerne sich schminken lassen möchten - schon ernsthaft. Ich habe meinen Laden seit elf Jahren, und ich habe auch meine Kunden seit elf Jahren, und es kommen immer wieder neue dazu. Und das ist wie ne große Familie. Man nimmt ja auch Anteil daran, wenn man jemandem so nahe ist und beim Umziehen hilft, also wenn man jemandem ein Kleid zumacht oder eine Perücke kämmt, dann hat man ja auch ganz viel Intimität und Nähe, und wenn jemand nicht mehr kommt, dann macht man sich natürlich Gedanken. Dann denkt man, oh Gott oh Gott. Manche kommen nach fünf Jahren wieder, »ach weißt du, ich hab jetzt grad geheiratet, und wir haben ein Kind«, und dann werden Bilder gezeigt, »ja, und dann war das Bedürfnis, dass ich Bettina sein will, gar nicht mehr da, aber jetzt ist es wieder da.« Und das kommt oft in einer Krise. Wenn man sich in einer Beziehung oder einer Ehe zurückgesetzt fühlt, dann kommen viele Transvestiten wieder aus sich heraus. Dann wird die Frau das natürlich für Untreue halten, wenn sie dahinterkommt, aber das ist es nicht. Manche Transvestiten sagen, bevor ich meine Frau oder meine Freundin betrüge, ziehe ich mich lieber selber als Frau an. Um einfach was auszuleben, um mir selber Liebe zu geben. Das ist toll, das gefällt mir - ja, um mir selber Liebe zu geben, das ist schön!

 

diskus: Verstecken deine Kund_innen ihre weibliche Seite eher vor ihren Partner_innen, oder wird sie auch zuhause gezeigt oder darüber geredet?

Manuela: Oy wey! (lacht) Also, ein Transvestit betrügt ja nicht seine Frau oder Freundin, sondern ein Transvestit, der hat eine weibliche Seite. Wenn eine Frau entdeckt, dass ihr Mann eine weibliche Seite hat, dann kann folgendes passieren: Sie wird ihm Vorwürfe machen, »warum tust du das, warum musst du dich als Frau anziehen, bin ich dir nicht Frau genug, bist du schwul, willst du dich umoperieren lassen«, also erstmal voll in die Offensive. Ja, und dann kriegt der arme Kerl natürlich voll einen auf den Deckel und kriegt eine verbraten, fühlt sich dann selber auch schlecht und schuldig, weil er ja nicht mehr so funktioniert, wie die sogenannte normale Gesellschaft es erwartet. Wenn eine Frau schlau ist, dann arrangiert sie sich mit der weiblichen Seite ihres Mannes, weil dann hat sie nen tollen Partner, der ganz liebevoll mit ihr umgeht, und es ist doch toll, wenn ein Mann zuhause auch mal im kurzen Röckchen rumsteht und macht mal nen scheiß Abwasch, oder? Man muss dann halt auch, wenn mans nicht dealen und handeln kann, dann muss man auch mal die Humorseite sehen. Etwas, was mir vielleicht keinen Spaß macht, nimmt mir dann vielleicht mein Mann zuhause ab. Das hat jetzt nichts mit Rollenspiel zu tun, man muss das schon ernst nehmen. Einen Partner zu haben, der Mann ist und ab und zu Frau ist, sollte man akzeptieren. Passiert leider nicht oft. Und ich rate auch vielen meiner Damen, die hierher kommen, also meinen Kundinnen oder Kunden: Am besten nichts sagen, weil wenn es dann irgendwann mal Krach gibt daheim, was passiert dann? Dann wird deine Frau sagen, das hätte ich mir ja denken können, beschimpft dich dann als Tunte oder benutzt es als Druckmittel, und tut einfach deiner weiblichen Seite weh. Und das tut dir nicht gut, also behalts gleich für dich. Ich hab da keine Formel, ob man es sagen soll oder nicht zuhause, da ich ja meistens die Partnerinnen nicht kenne, ich frag dann, ja, wie ist sie aufgewachsen, oder ist sie religiös, oder ist es dies, ist es das. Muss man ausloten, entweder man genießt es und man muss kein schlechtes Gewissen haben wenn man nach Hause kommt, oder man teilt es mit und kriegt Ärger, oder man teilt sich mit und die Frau akzeptiert es. Ja, oder man lebt 30 Jahre zusammen und weiß nicht, dass die eigene Frau zuhause ein Verhältnis zu einem Transvestiten hat, weil sie sich selber nicht getraut hat, ihrem eigenen Mann zu sagen, dass er mal ein paar schöne Röcke anziehen soll. Also, wie du es drehst und wendest, es ist wie ein blöder, vertrackter Pfannkuchen, one way or the other, wie du es machst, ist es verkehrt, einfach, trau dich, riskier was, oder bleib in der Duldungsstarre.

 

diskus: Du meintest, eigentlich geht es bei dir im Laden nur darum, die Frau in sich, seine weibliche Seite hervorzubringen. Denkst du, dass auch Frauen das Frau-Sein irgendwie gelernt haben müssen, dass es auch eine Art Inszenierung und etwas Aktives ist und vielleicht weniger natürlich, als allgemein angenommen?

Manuela: Gute Frage. Also heutzutage sieht man ja auf der Straße nicht mehr so viele Damen, weil Frauen ja meistens Hosen anhaben oder sich auch sehr maskulin bewegen, ne ziemlich derbe Aussprache haben, da kann man sich nicht so viele Beispiele ziehen. Ich bin Frau. Ich kann alles. Ich kann auf nem Motorrad tausend Kilometer abreißen, ich hab Harley-Klamotten, ich kann auch jemandem aufs Maul hauen, wenns sein muss. Aber ich bin immer noch Dame. Aber ein Transvestit hat nicht mehr so viele Vorbilder auf der Straße. Weil die Gesellschaft dazu neigt, die Grenzen ziemlich fließend zu halten, also eine Frau ist eigentlich angehalten, ihre Weiblichkeit eher zu verstecken, und wenn sie ne Weiblichkeit zeigt, dann ist es immer übertrieben, dann sinds Frauen wie die Katzenberger und Pamela Anderson und so, aber das ist ja auch nicht das Wahre.

 

diskus: Warum ist das nicht das Wahre?

Manuela: Ja, willst du so aussehen?

diskus: Ehrlich gesagt nein (lacht).

Manuela: Keiner will das, aber sie haben Unterhaltungswert, und das ist wieder cool. Man spricht darüber, es ist was Urweibliches. Das ist ja auch für jeden etwas anderes, die Monroe ist für mich ein Urweib, die ist 50 Jahre tot und ist nicht vergessen. Viele wollen weiblich aussehen, also richtig weiblich: die wollen Taille, die wollen Hintern, die wollen ne Brust, aber nichts Übertriebenes. Wenn du Männer fragst, was magst du an einer Frau und ein Mann ist ehrlich, dann würde keins von den Dingern aufs Tablett kommen, ja, weder ne große Körbchengröße, noch ein auffälliges Dasein, noch sonst irgendwas, sondern eher was, was man entdecken muss, ja, was Verschwiegenes, was Geheimes, etwas, das nicht gezeigt wird in der Öffentlichkeit, etwas, das nur demjenigen gehört, der es besitzen darf. Deswegen der Name transnormal, keine möchte hier übertrieben aussehen, keine möchte wie eine Drag Queen rüberkommen. Hier will ja keine auf die Bühne. Transvestiten, die auf der Bühne stehen, denke ich, sind da ganz anders. Also, ein Transvestit, der auf der Bühne steht, der will wirklich wahrgenommen werden, und der lässt sich auch drauf ein, immer noch eins drauf zu setzen: noch mehr Wimpern, noch mehr Haare, noch höhere Schuhe, noch mehr to the max, ja - aber ein Transvestit, der transnormal ist, der geht einfach raus und sagt: »Ich möchte gerne so aussehen wie Mädels auf der Straße«. Klar, du musst dich erstmal ausprobieren, dann flippst du natürlich total durch, oh, große Oberweite, ganz kurzer Rock, okay, alles klar, aber nach einer halben Stunde ist schon klar, oh, das will ich ja eigentlich gar nicht, ich hab es gesehen und es gefällt mir nicht. Ja, weil jeder möchte normal aussehen, das Mädchen von nebenan, am liebsten ganz unsichtbar sein, nicht auffallen. Transvestiten haben Angst, dass sie erkannt werden, dass sie vielleicht ausgelacht werden, dass sie beschimpft werden, das Weibliche wird dann verletzt, ist was ganz Schlimmes. Natürlich hat man Fantasien, natürlich haben auch Mädchen Fantasien, die sagen: oh, ich schminke mich jetzt mal wie Madonna oder ich mache mal wie J.Lo und man singt vorm Spiegel zuhause, mit einer Haarbürste in der Hand, ja und zieht sich total crazy an. Man würde aber nie so rausgehen. Ja, und genauso ist es dann auch in einem Transvestitenladen.

 

diskus: Wenn es darum geht, die männliche Seite verschwinden zu lassen, betrifft das ja auch die Frage: wie bewege ich mich, wie sitze ich da. Gehört auch ein Einüben von Verhaltensweisen, ein Inszenieren oder »Schauspieltraining« dazu in deinem Laden?

Manuela: Kommt auf denjenigen an. Also die Menschen, die hierher kommen, sind ja alle verschieden, und der eine sieht zwar ganz toll aus und ist super weiblich, hat aber nicht das Talent sich zu bewegen. Manche laufen wie Pinocchio, manche wie ein Seemann, das klappt wirklich nur mit ganz viel Mühe, mit ganz viel Geduld, auch viel mit Kopfkino. Man muss ein bißchen übertreiben, oder man muss Beispiele geben, was man zum Beispiel im Fernsehen oder im Film mal gesehen hat, stell dir einfach vor, so und so, und manchmal mach ich das auch vor. Natürlich, ich kanns, ein Mann kann das nicht, weil ein Mann, der bewegt sich ganz anders. Ein Mann schwankt ein bißchen beim Laufen, ist auch unsicher, und kommt sich halt auch ein bißchen albern vor, und er traut sich nicht. Das sind ganz viele Sachen, die dann auf einen einstürzen. Also, hier ist noch keine die Treppen hinuntergefallen. Aber es ist schwierig. Also es geht, aber man muss halt darauf achten. Also wenn sich jemand zum Schminken hinsetzt und die Knie sind auseinander, wie ein Mann halt da sitzt - also du hast übrigens ne tolle Haltung, das liegt wahrscheinlich hier am Laden - ich sags dann immer spielerisch und lustig, weil ich bin ja tief drin auch ne Komikerin, dann sag ich, Knie zusammen. Ich will ja auch die Unsicherheit nehmen, ja, weil viele sind ja auch total unsicher, und wenn ich dann noch daher komm wie ne strenge Oberlehrerin, oder wie ein Massregler - funktioniert nicht. Man muss ja auch ein bißchen Mut geben, und Anerkennung verteilen, hast du toll gemacht, auch wenn ich sehe, dass jemand Schwachstellen hat, also ich hab ja auch Menschen hier, die haben auch körperliche Behinderungen. Das kommt auch oft vor. Ich hatte auch schon jemand hier der kam im Rollstuhl, und wollte gerne mal Braut sein. Das war super cool, da hab ich mir Hilfe geholt, dann haben wir sie ins Brautkleid gehievt, ganz schwierig. Aber das Glück, das dann in den Augen strahlt und aus dem Spiegel - pam pam! - dieses Feedback, ja? Und das ist schon ein tolles Gefühl, als wärst du übers Wasser gelaufen.

 

diskus: Du hast erwähnt, dass weibliche Vorbilder fehlen. Es geht also auch um ein Nachahmen eines weiblichen Ideals?

Manuela: Ja, das auf jeden Fall. Also ein Transvestit hat ja auch immer ein Vorbild, es kommt ja immer von irgendwo her. Also wo es herkommt, weiß ich auch nicht. Aber viele erzählen mir, dass sie eine Tante, die Mutter, die Oma, die Freundin, die Cousine, what so ever, ich weiß nicht, beobachtet haben und toll fanden. Für ein Mädchen ist es ja okay, wenn sie ein weibliches Vorbild hat, wenn man sein will wie Madonna. Aber ein Junge, der sechs, sieben Jahre ist und irgendwo was sieht, vielleicht auch heimlich, und sagt, oh toll, ein Rock, oder das Rascheln von nem bestimmten Stoff, ja, das begleitet dein ganzes Leben. Und für ein Mädchen ist das normal, wenn ich früher mit meinen Barbiepuppen gespielt hab, wow, ich hab Brokatstoffe genäht, tolle Kleider gemacht. Ein Junge darf das nicht, und ein Junge würde das auch gerne anziehen, darf er nicht, alles verboten, voll fett verboten. Weil sonst bist du out. Der Vater haut dir eine runter, die Mutter weint, es ist alles Schande, Sünde, und wenn du in kleinen Städten, auf dem Dorf wohnst, doppelt so schlimm. Es begleitet dich immer eine gewisse Schuld, aber auch ein gewisser Reiz. Verbotenes ist ja sehr reizvoll. Wenn es offiziell erlaubt wäre, wenn jetzt jeder Frauenkleider tragen könnte, wenn er Lust hätte, dann würde keiner mehr im Laden stehen. Vielleicht. (lacht)

 

diskus: Nach draußen zu gehen in die Öffentlichkeit ist sicherlich nochmal ein ganz anderes Spiel mit dem »Publikum«.

Manuela: Ja klar, und da gehört schon ganz schön Adrenalin dazu, also wenn man hier drin ist, hat man nicht unbedingt den Plan rauszugehen. Ich nutze auch oft so die Schrecksekunde und sage, willst du nicht doch mal um den Block spazieren, und dann mache ich die Tür auf und sage: »Los raus«! Und dann kommt jemand zurück und ist total glücklich, ja, »es war gar nicht schlimm, das war ganz toll« und »ich gehe jetzt nochmal raus« und »oh wow, und das nächste mal können wir vielleicht in ein Café oder ins Theater gehen«. Und dann entwickelt sich so eine weibliche Persönlichkeit, weil je normaler das dann ist, desto eher drängt es einen dann auch raus, ja, weil es passiert einem ja nichts. Ich habe mal was ganz Schönes gehört von jemandem, also ich habe einen ganz zauberhaften Kunden, den habe ich schon ganz, ganz, ganz lange Jahre und er ist sehr groß und ist sehr kräftig und ist schon älter und... er sieht natürlich nicht aus wie ein Mädchen, ja, natürlich sieht man, dass es ein geschminkter Mann ist, ja, aber ich schminke und style das immer so natürlich wie möglich und so, dass er oder sie sich damit wohlfühlt und dann auch den Mut hat in die Stadt zu gehen, mal in ein Kaufhaus und mal ein bisschen rumstöbern, weil das ist wirklich die Königsdisziplin, einfach rausgehen. Und dann kenne ich eine ältere Dame, die ist Rentnerin, die wohnte hier um die Ecke und dann habe ich sie gefragt ob sie mal die Jaqueline begleitet. Dann habe ich also Jaqueline schön zurecht gemacht und dann sind sie in die Stadt und als sie zurückkommen, sagt die Jaqueline: »Also wir waren im Kaufhof und da war eine Mutter mit ihrem Kind und der kleine Junge hat zwischen uns hin und her geschaut. Dann hat sich der Junge umgedreht und hat zu seiner Mutter gesagt: ›Jetzt weiß ich, was das ist, das ist eine Mutter mit ihrer Tochter, die mal ein Sohn war!‹« So sehen Kinder das. »Jetzt weiß ich, was das ist« – das ist so diese Neugier, der Mensch will immer wissen, was dahinter steckt, ja, das ist das größte Hobby von Menschen, dahinter gucken, alles wissen wollen. Geht halt nicht, du kannst nicht immer alles wissen und es ist immer gut, wenn etwas verborgen bleibt, nur dann ist es interessant und dann ist es reizvoll. Ja, genau wie Frauen die alles zeigen, braucht kein Mensch. Schön zum Angucken, aber leider nicht zum Heiraten. So ist man seine eigene Braut.

 

diskus: Die Erfahrung deiner Kund_innen, wenn sie sich aus dem Laden raustrauen, ist also in der Regel positiv?

Manuela: Also ich habe hier noch nie irgendjemanden erlebt, der zurückkam und hat gesagt, er ist angepöbelt oder beschimpft worden, nein. Es ist oft so, dass Leute gucken und dann sage ich: Okay. klar, man muss sich auch darüber klar sein, wenn jemand guckt - wie guckt er? Wie empfinde ich das? Wieviel Selbstbewusstsein habe ich? Mich kann man angucken, mich kannst du angucken von morgens bis abends, mich störts nicht, ich finds geil, mir gefällt das, ich werde gerne angeguckt, ja. Weil ich habe kein Problem damit, aber ich weiß, wann ich eine Frau bin, meine Identität ist klar, meine Attitude, mein Standing ist auch klar: ich weiß was ich will, ich weiß wie ich mich darstelle, ich mach das alles so, wie ich das will und dazu stehe ich. Derjenige, der aber Transvestit ist, der dieses Selbstbewusstsein nicht hat, der denkt: jetzt werde ich angeguckt, weil ich zu groß bin, zu dick bin, Bartschatten habe, man hat mich erkannt, man sieht, wie männlich ich bin, oh meine Hände, oh meine Füße, Größe 46... Ja, vollkommen falsch. Man guckt dich an, man findet dich interessant, man schaut auf deine schönen Beine. Ja, vollkommen wertfrei. Was ist das? Mann? Frau? Nein, das ist einfach eine Erscheinung, und die Erscheinung ist schön. Fertig aus, Punkt. Toll gesagt. (lacht)

 

diskus: Empfindest du das, was du hier im Laden machst, auch als eine politische Tätigkeit?

Manuela: Was hat das mit Politik zu tun?

diskus: Siehst du eine Art Mission oder einen bestimmten Sinn in deiner Tätigkeit, oder willst du eine Veränderung anstoßen?

Manuela: Einen Sinn... Das ist wirklich eine Mission: Ich finde es ungerecht, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, ihrer politischen Einstellung, egal, was es ist, kategorisiert, verteufelt, vergöttert werden, was auch immer. Ich sehe für mich selber keine Religion, keine Hautfarbe, keine Nationalität, kein gar nichts. Ich fühle mich zugehörig zu Allem, was mir gefällt. Man wird so viel belogen, so viel betrogen, und davon habe ich die Schnauze voll, seit ich denken kann. Ich bin ein sehr klar denkender Mensch und das ist eigentlich auch mein Verhängnis, dass ich zu sehr durchblicke. Aber deswegen verarsche ich auch meine Kund_innen nicht. Das ist auch der Grund warum viele Kund_innen immer wieder hier her kommen, weil sie wissen, hier gibt es Ehrlichkeit. Eine politische Sache ist eine Partei, der man angehört, eine politische Geschichte wäre: ich spreche mich für das oder für dies aus. Nein, ich bin einfach nur gegen Vorurteile, egal gegen wen. Ich denke, dass unsere Gesellschaft gewissen - Kleidungsstrategien sag ich mal - unterworfen ist. Wenn du morgen aufwachst, deine Festplatte ist gelöscht, dann würdest du jede_n so akzeptieren, wie er oder sie ist. Aber es ist uns halt leider über Generation, Generation, Generation reingedrückt worden, es ist uns vererbt worden, die Festplatte hier oben sagt halt, das ist ein Mann, das ist eine Frau und das ist was dazwischen, das ist pfui. Ich habe keine Vorurteile, niemand gegenüber. Ich mag Menschen nicht, die Böses tun, ich mag Menschen nicht, die mich betrügen wollen, Banker, Politiker und so Menschen, ja, mag ich einfach nicht. I don't like them, und sag das auch, ist mir auch vollkommen egal, ich sag alles, was ich denke, ich brauche auch kein Blatt vor den Mund nehmen, brauch ich gar nicht, was soll mir passieren? Weißt du was so schön ist? Ich habe keine Angst.