Studentische Mitbestimmung nicht erwünscht
Die Bedrohung der Forschungsstelle NS-Pädagogik und des Lehrstuhls für Psychoanalyse an der Frankfurter Goethe Universität stößt auf Besorgnis und Widerstand unter Studierenden, die deren Erhalt fordern. Doch obwohl die Studierenden einen zentralen Bestandteil der Universität bilden, werden ihre Stimmen bislang unzureichend bei Entscheidungen miteinbezogen. Soll das Versprechen der demokratischen Hochschule erfüllt werden, muss sich dies ändern.
Was ist passiert?
Der Lehrstuhl der klinischen Psychologie, welcher derzeit psychoanalytisch besetzt ist, soll wohlmöglich verfahrensoffen neu ausgeschrieben werden. Verfahrensoffen bedeutet, dass sich auch Kandidat_innen auf den Lehrstuhl bewerben können, die sich nicht mit der Psychoanalyse auseinandersetzen. Diese hätten dann bei der Vergabe des Lehrstuhls, die sich an Kriterien wie der Anzahl an Publikationen und dem Erwerb von Drittmitteln orientiert, Vorteile gegenüber Psychoanalytiker_innen, deren Forschung zeit- und aufwandsintensiver ist. An deutschen Universitäten sind psychoanalytisch besetzte Lehrstühle mittlerweile schon kaum mehr vorhanden. Besonders in Frankfurt besitzt der Lehrstuhl für Psychoanalyse eine lange Tradition und ist der Grund, warum viele Studierende sich für ein Psychologiestudium an der Goethe Universität entscheiden. Mit der Umwidmung des Lehrstuhls würde sich der Trend des Verlustes von Pluralität in Forschung und Lehre weiter fortsetzen.
Ebenso gefährdet ist die 2012 von den Erziehungswissenschaftlern Benjamin Ortmeyer und Micha Brumlik gegründete Forschungsstelle NS-Pädagogik. Nachdem die Zeitverträge der Leiterinnen Katharina Rhein und Z. Ece Kaya nicht verlängert wurden, soll sie nun an die Professur für Erziehung, Politik und Gesellschaft angegliedert werden - ohne personelle Nachbesetzung der ehemaligen Leiterinnen und ohne ihre einzigartige Fachbibliothek. Als einer von vielen Forschungsinhalten des neuen Lehrstuhls verliert die Forschungsstelle ihre besondere eigenständige und unabhängige Position. Dabei war die Forschungsstelle einmalig in Deutschland und knüpfte an die kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus der Frankfurter Schule an. Sie verneinte ein Abschließen mit der deutschen NS-Vergangenheit, indem sie untersuchte, wie die nationalsozialistisch-ideologische Erziehung stattfand, beziehungsweise stattfinden konnte, und setzte dies in einen gegenwärtigen Kontext. Zudem erinnerten die Mitarbeitenden der Stelle immer wieder an die nationalsozialistische Geschichte der Goethe Universität und forderten eine kritische Auseinandersetzung mit ebendieser. Besonders in Zeiten der Kontinuität von Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus empfinden wir, die Vertreter_innen der Studierendenschaft, die Arbeit der Forschungsstelle als unbedingt notwendig und sind bestürzt über ihren Verlust. „Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung“, sagte Adorno 1966. Schon er „kann nicht verstehen, daß man mit ihr bis heute so wenig sich abgegeben hat“ und dieselbe Frage stellt sich auch heute noch.
Studentischer Protest
Dass sich auf Seite der Studierenden Widerstand gegen die Entscheidungen der Universitätsleitung formiert, zeigt der digitale Protest gegen die verfahrensoffene Ausschreibung des Lehrstuhls der klinischen Psychologie. Die von der Studentischen Interessensinitiative Psychoanalyse veröffentlichte Online-Petition für den Erhalt des Lehrstuhls zählt mittlerweile mehr als 8400 Unterschriften, wobei 15% der Unterstützer_innen angeben, direkt betroffen zu sein. Auch die Stimmen für den Erhalt der Forschungsstelle NS Pädagogik werden immer lauter. Eine breite Aufmerksamkeit in der Presse, sowie unterstützende offene Briefe, die als Folge der Pressemitteilung des AStA entstanden sind, verschaffen der Problematik eine öffentliche Bühne und erwirken eine Diskussion über die Zukunft der Forschungsstelle.
Da ein physisches Zusammenkommen und Protestieren vor Ort aufgrund der Corona-Pandemie unmöglich ist, beschränken sich die Möglichkeiten des organisierten Protestes auf virtuelle Formate, wie etwa Online-Petitionen. Doch ausschließlich über soziale Medien oder Webseiten werden Studierende weniger gut erreicht. Es fehlt an Gesprächen und Begegnungen außerhalb des bloßen fachlichen Austausches während Vorlesung, Seminaren und Tutorien, um Öffentlichkeit für außerfachliche Themen zu erzeugen. Andererseits ist der Druck auf die Universitätsleitung, den ein im Internet breit unterstützter Protest besitzt, geschwächt durch die Abwesenheit einer physisch präsenten Komponente. Die Universitätsleitung wird nicht geplant haben, dass die Abschaffung der Forschungsstelle NS Pädagogik und die potentielle Umwidmung des Lehrstuhls Psychoanalyse in einen Zeitraum fällt, in dem Studierende das Universitätsgelände größtenteils nicht betreten. Dennoch hilft es der Universitätsleitung dabei, Entscheidungen zu fällen, ohne dabei studentische Perspektiven einbeziehen zu müssen. Nichtsdestotrotz zeigen die breit unterstützte Online-Petition der Studentischen Interessensinitiative Psychoanalyse, sowie die öffentliche Reaktion auf die Gefährdung der Forschungsstelle NS Pädagogik, dass Studierende auch in der Corona-Pandemie Wege finden, die Entscheidungen der Universitätsleitung nicht unkommentiert zu lassen. Nun liegt es an der Universitätsleitung, sich mit den studentischen Stimmen auseinanderzusetzen und deren Interessen und Kritik in ihren Handlungen zu berücksichtigen.
Die demokratische Hochschule
Im Sinne einer demokratischen Hochschule entspräche eben diese Meinungsvielfalt und das Einbinden der Studierenden in die Entwicklung der Hochschule dem Idealbild. Als zentraler Bestandteil der Universität haben Studierende das Recht über sich selbst und somit über die Universität mitzubestimmen. Studentische Selbstbestimmung wird aber von Seiten der Universitätsleitung nicht gewünscht oder gar gefördert. Studierende werden viel mehr als Nutzer_innen der Hochschule gesehen, die einem vorgegeben Weg folgen sollen, an dessen Ende der Erhalt des Studienabschlusses steht. Eine Beteiligung an der fachlichen Gestaltung der Hochschule wird währenddessen auf ein Minimum reduziert. Mit einer wirklich demokratischen Hochschule, an der sich jede_r einzelne Student_in als mündiger Teil der Universität versteht und nicht nur als Konsument_in eines Bildungsangebots der Hochschule, hat dies wenig zu tun.
Teil des Problems ist nicht zuletzt die zunehmende Ökonomisierung der Hochschule. Ob Bologna-Reform, die Finanzierung von Forschung durch Drittmittel oder der Wettbewerb der Universitäten um Exzellenzstatus: Hochschulen funktionieren immer mehr nach marktwirtschaftlichen Prinzipien. Eine studentische Mitbestimmung und Teilhabe, die davon abweichende Ziele verfolgt, passt nicht in dieses System und wird deshalb unterbunden. Doch Hochschulen dürfen keine bloßen Ausbildungsstätten sein, sondern sollten Orte der Pluralität, des kritischen Hinterfragens und des Protestes sein. Es ist an der Zeit, das Versprechen der demokratischen Hochschule umzusetzen und Universitäten zu eben diesen Orten zu transformieren.
Literatur: Theodor W. Adorno (1971): Erziehung zur Mündigkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp.