Indonesien, Heimat einer nur winzigen Anzahl von Juden und Jüdinnen, ist ein Hort des Antisemitismus. Die verstörende Popularität nationalsozialistischer Symbolik erregte erstmals durch die Geschichten eines Drittes-Reich-Erlebnisrestaurants und eines Museums, in dem Besucher_innen Selfies mit Hitler machen konnten, internationale Aufmerksamkeit. 2016 wurde ein indonesischer Künstler, der für Marvel Comics arbeitete, in der Folge einer globalen Entrüstung gefeuert, nachdem enthüllt wurde, dass seine Illustrationen versteckte antisemitische Referenzen enthalten. Während diese bizarren und scheußlichen Äußerungen von Antisemitismus die internationale Öffentlichkeit schockiert haben, stellen sie aber nur die jüngste Phase einer langen Geschichte von Vorurteilen und Gewalt in Südostasien dar. In dieser Geschichte werden Juden und Jüdinnen sowie örtliche chinesische Communities miteinander assoziiert, die jeweils als gefährliche Minderheiten erachtet werden. Dieses tragische, gemeinsame Schicksal von Unterdrückung ist das Ergebnis der Kolonialherrschaft, in deren Zuge antisemitische Beamte die Chines_innen Südostasiens mit den Juden und Jüdinnen Europas verglichen.

Das Leben der kleinen jüdischen Bevölkerung Indonesiens ist prekär. Bis 2013 gab es zwei Synagogen im gesamten Land, eine in einem recht abgelegenen Teil der Insel Sulawesi, die andere in Surabaya, einer Stadt auf der Insel Java, dem Herzen des wirtschaftlichen und politischen Lebens von Indonesien. Radikale Islamist_innen nahmen diese Synagoge mit Demonstrationen, Drohungen und Angriffen ins Visier und zwangen sie zu schließen. Wie so oft in der Welt, werden die lokalen jüdischen Communities als Agent_innen oder Vertreter_innen des israelischen Staates angesehen, der in Indonesien äußerst unbeliebt ist. Trotz wiederholten diplomatischen Entgegenkommens von Seiten Israels stehen die beiden Länder offiziell in keiner diplomatischen Beziehung.

Überall im islamisch geprägten Südostasien – inklusive der mehrheitlich muslimischen Staaten Indonesiens und Malaysias – ist Antisemitismus inzwischen Teil des politischen und kulturellen Alltags. 1994 verbot die Regierung Malaysias Schindlers Liste. Ein Mitglied des Parlaments argumentierte gar, dass nicht OskarSchindler, sondern Hitler der wahre Held des Films sei. Historiker_innen wie Anthony Reid stoßen auf eine steigende Zahl von Referenzen auf ‚zionistische Verschwörungen‘. Diese werden durch Übersetzungen der jahrhundertealten und berühmt-berüchtigten Fälschung DieProtokolle der Weisen von Zion gestützt und zirkulieren in den politischen Kreisen von Malaysia und Indonesien. Muhamad Ali zufolge, der ein Experte für den indonesischen Islam ist, zeigen Schulbücher, die im Religionsunterricht indonesischer Schulen genutzt werden, feindselige und entwürdigende Bilder vom Judentum.

Doch die handgreiflichen Einschüchterungen der jüdischen Communities Indonesiens und die gewaltvolle Rhetorik gegen Juden und Jüdinnen und gegen Israel kann nur teilweise durch das Wachstum radikalislamistischer Bewegungen innerhalb des Landes erklärt werden. Der ungezügelte Antisemitismus Indonesiens ist mit dem Hass auf die chinesische Minderheit des Landes verwoben, die oft mit Juden und Jüdinnen verglichen wird. Dieser Vergleich wurde schon oft von Journalist_innen und Wissenschaftler_innen gezogen, besonders in einem Sammelband, der 1997 erschienen ist und in dem die Parallele zwischen dem Antisemitismus in Europa und den antichinesischen Vorurteilen in Südostasien erforscht wird. Solche Analysen zeigen, dass die chinesischen Communities der Region – ganz ähnlich dem europäischen Judentum im 20. Jahrhundert– zum Sündenbock für alles, von Kommunismus bis Kapitalismus, gemacht wurden und die Opfer wiederholter Episoden von Massengewalt wurden.

Die chinesische Community, die etwa 1% der 260 Millionen Einwohner_innen Indonesiens ausmacht, hat sich durch jahrhundertelange Immigration in die Region und durch Assimilation an die örtliche Kultur geformt. Deren Vorfahren wurden in ihrem neuen Zuhause häufig zu Kaufleuten oder Kleinhändler_innen; manche Familien wurden gar wohlhabend und mächtig. Ihr Erfolg schürte Missgunst. Regierungen in ganz Südostasien beförderten anti-chinesische Gesetzgebungen wie beispielsweise das Verbot, chinesische Namen zu verwenden oder chinesische Kulturevents öffentlich zu bewerben. Es ist ein Paradox, das schon aus der Geschichte des Antisemitismus bekannt ist, dass solch eine Gesetzgebung, die Assimilation erzwingt, nur den Vorwurf begünstigt, dass Menschen mit chinesischem Hintergrund insgeheim mit ihren ethnischen Wurzeln verbunden blieben und keine ‘echten‘ Mitglieder der Staatsgemeinschaft seien.

Selbst indonesische Führungspersonen beschwören Vergleiche zwischen Chines_innen und Juden und Jüdinnen herauf. Sie tun dies mit dem Ziel, sie zu verleumden, und greifen beide Gruppen als habgierige, egoistische Minderheiten an, die darauf versessen seien, die Welt zu kontrollieren. Gegen Ende seiner Amtszeit begann Präsident Suharto, der Indonesien zwischen 1967 und 1998 regierte, Verschwörungstheorien zu entwerfen, denen zufolge die chinesische Minderheit Indonesiens mit dem ‘internationalen Zionismus‘ gemeinsame Sache mache. Diese Spekulationen trugen zu der Gewalt gegen Chines_innen bei. Nationalistische Gruppen machten – inmitten der anarchischen Umstände nach Suhartos Entmachtung 1998 – Chines_innen für die politischen und wirtschaftlichen Probleme Indonesiens verantwortlich. Geschäfte und Häuser, die sich im Besitz von Chines_innen befanden, wurden zerstört. Mehr als tausend Menschen wurden ermordet und viele wurden Opfer brutaler Massenvergewaltigungen.

Doch in der indonesischen Geschichte ist das entsetzliche Pogrom von 1998 kein Einzelvorkommnis. So wie seine Regierung in Massengewalt endete, begann Suhartos Präsidentschaft auch mit einer Kampagne kollektiver Morde an indonesischen Kommunist_innen und ihren mutmaßlichen Sympathisant_innen – insbesondere in der chinesischen Minderheit.

In Indonesien reicht die Linie organisierter anti-chinesischer Gewalt tatsächlich zurück bis ins 18. Jahrhundert, als Indonesien Teil des niederländischen Imperiums war. Das erste Pogrom an der chinesischen Gemeinschaft Indonesiens wurde 1740 von den Niederländern organisiert, nachdem wirtschaftliche Spannungen zwischen chinesischen Arbeiter_innen und Kolonialsoldaten gewaltvoll ausbrachen. Die Kolonialregierung reagierte mit der systematischen Ermordung der chinesischen Bevölkerung in Batavia (dem heutigen Jakarta) auf Java, wo das Hauptquartier der Niederländer lag. Rund 10.000 Menschen starben.

Die Gewalt des niederländischen Kolonialstaates wurzelte in der weitverbreiteten Überzeugung, dass die chinesischen Communities ‘wie die Juden‘ seien. Indem sie antisemitische Stereotypen, die im frühmodernen Europa geprägt wurden, auf die Chines_innen Südostasiens übertrugen, bemerkten europäische Reisende und Kolonialbeamte in dieser Zeit häufig, dass Chines_innen ‘wie Juden‘ auch ‘Gauner‘ seien; erpicht darauf, die niederländische und die einheimische Bevölkerung zu bestehlen. Die strategische Verschmelzung antisemitischer und antichinesischer Vorurteile war zu der Zeit, da die Niederlande ihre Kontrolle über die Inselgruppe festigte, politisch nützlich. Während sie örtliche Kräfte und die traditionellen Eliten, die die Region lange regiert hatten, zerschlugen, beharrten sie darauf, dass nicht sie, sondern in Wirklichkeit die Chines_innen die fremde Unterdrückungsmacht darstellten. Die Kolonist_innen konnten sich dann als Beschützer_innen der ‚echten Indonesier‘ ausgeben.

Einer der erbittertsten Feinde der Chines_innen, der niederländische Kolonialbeamte Dirk van Hogendorp, schlug Anfang des 19. Jahrhunderts vor, dass man diese „Blutsauger“ und „Parasiten“, die er mit den „Juden hier in Europa“ verglich, mit heftigen Steuern belegen sollte, um sie zur Auswanderung zu treiben. Viele schlossen sich seiner Meinung an. Der Historiker Nicolaas Godfried van Kampen, beispielsweise, schrieb 1833, dass die Chines_innen die „Juden des Ostens“ seien, die den indonesischen Fortschritt „verhindern und blockieren“. In einer späteren Phase des 19. Jahrhunderts nutzte eine Vereinigung kolonialer Plantagenbesitzer_innen antisemitische Klischees gegen ihre chinesische Konkurrenz, indem sie behaupteten, dass die ortsansässigen Chines_innen „so schlimm wie“ deutsche Jüd_innen seien, die ihre Bäuer_innen und Arbeiter_innen ausbeuteten. Britische und französische Beamte umliegender Kolonien teilten diese Ansichten.

Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich die ideologische Verschmelzung von Chines_innen und Juden und Jüdinnen bereits durch ganz Südostasien inklusive ihrer Führungsriegen verbreitet. König Vajiravudh aus Siam schrieb 1914 ein berüchtigtes Pamphlet, Die Juden des Ostens, in der er antisemitische Stereotypen systematisch auf die örtliche chinesische Bevölkerung anwendete. Während der 1930er-Jahre, als in Südostasien antikolonialistische Bewegungen entstanden und der gewaltsame Antisemitismus in Europa ausbrach, verteufelten indonesische Nationalist_innen chinesische Kaufleute als ‚Juden‘ und fingen an, über gewaltsame, eliminatorische ‚Lösungen‘ für das ‚chinesische Problem‘ des Landes zu diskutieren. Solch ein Denken ebnete den Weg einer die chinesische Minderheit diskriminierenden Gesetzgebung und zu den Massakern von 1965-68 und 1998.

Nach einer zwei Jahrzehnte andauernden Ruhephase seit den Ausschreitungen von 1998 kehrt die antichinesische Stimmung in Indonesien zurück – und mit ihr der Antisemitismus, ihr alter Weggefährte. Vorurteile und Diskriminierungen lebten wieder auf. Basuki Tjahaja Purnama, ein Politiker der chinesischen Minderheit , wurde 2014 Gouverneur von Jakarta, nachdem sein Vorgänger zurückgetreten war. Viele Nationalist_innen äußerten 2017 ihren Einspruch gegen Purnamas Entscheidung, eine weitere Amtszeit anzustreben. Militärbeamt_innen warnten davor, dass die chinesische Minderheit ‘arrogant‘ werde. Islamische Geistliche bestanden darauf, dass Nicht-Muslime ein solch mächtiges Amt nicht innehaben sollten –nahezu alle Mitglieder der chinesischen Minderheit Indonesiens sind nicht-muslimisch. Auf diese Signale aus staatlichen Reihen und aus der bürgerlichen Gesellschaft hin wurde Purnama wegen Blasphemie festgenommen und zu zwei Jahren Haft verurteilt.

Da heute viele befürchten, dass sich Geschichte bald wiederholen könnte, mag die intime Verwobenheit antijüdischen und antichinesischen Hasses in der Geschichte Indonesiens als Warnung dienen: sowohl vor der großen Reichweite des kolonialen Vermächtnisses als auch vor der verstörenden Macht des Antisemitismus, anderen Hass zu begleiten und zu nähren.

Dieser Text erschien ursprünglich auf https://www.tabletmag.com/sections/arts-letters/articles/indonesians-hate-the-chinese-because-they-are-jewish.

Bild: Jacob van der Schley, Moord op Chinezen te Batavia, 1740. Rijksmuseum.